Verfahrensrecht | Restschuldbefreiung bei Betriebsaufgabe (BFH)
Die Erteilung der
Restschuldbefreiung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens stellt für die
Ermittlung des Gewinns aus einer Betriebsaufgabe auch dann ein rückwirkendes
Ereignis dar, wenn der Betrieb erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
aufgegeben worden ist (Fortführung des Senatsurteils v. - X R 4/15).
Die aus der Restschuldbefreiung resultierenden Steuern sind im Fall der
Betriebsaufgabe nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseverbindlichkeiten
i. S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da sie Folge der Verwaltung durch den
Insolvenzverwalter sind (; veröffentlicht am
).
Sachverhalt: Die Kläger wurden für die Streitjahre 2005 bis 2007 einzeln und für die Streitjahre 2008 bis 2012 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger betrieb ein Restaurant in Form eines Einzelunternehmens. Das FA stellte zum einen verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer fest. Anfang Januar 2005 beantragte der Kläger die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. Im März 2005 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.
Streitig ist, ob eine im Jahre 2011 erteilte Restschuldbefreiung auch dann in das Jahr der Betriebsaufgabe (2005) zurückwirkt, wenn diese erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt.
Der BFH hat das FG-Urteil, soweit es die Einkommensteuer 2005 bis 2012 und die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den bis betrifft, aufgehoben:
Die Sache wird insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen. Es fehlt an den notwendigen Feststellungen des FG, wann der Betrieb aufgegeben worden ist und ob das Insolvenzverfahren bei Erlass der angefochtenen Bescheide bereits beendet war.
Zwar hat das FG materiell-rechtlich zutreffend entschieden, dass der sich aus der Restschuldbefreiung ergebende Gewinn im Streitjahr 2005 anzusetzen ist.
Die Erteilung der Restschuldbefreiung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens stellt für die Ermittlung des Gewinns aus einer Betriebsaufgabe auch dann ein rückwirkendes Ereignis dar, wenn der Betrieb erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben worden ist (Fortführung des Senatsurteils v. - X R 4/15).
Auch geht das FG zu Recht davon aus, dass eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung 2005 nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO möglich war. Dieser Änderung stehen auch die Vertrauensschutzregelungen des § 176 AO nicht entgegen.
Folglich konnten auch die gesonderten Feststellungen der verbleibenden Verlustvorträge zur Einkommensteuer sowohl zum als auch zum bis sowie die Einkommensteuerfestsetzungen 2006 bis 2012 geändert werden.
Da das FG allerdings zum einen rechtsfehlerhaft offengelassen hat, ob der Betrieb vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben wurde, und zum anderen nicht festgestellt hat, ob und wann das Insolvenzverfahren beendet wurde, vermag der Senat nicht zu beurteilen, ob der Einkommensteuerbescheid 2005 bei einer möglichen Betriebsaufgabe nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam bekanntgegeben worden ist.
Anmerkung von Honorarprofessor Dr. Gregor Nöcker, Richter im X. Senat des BFH:
Die Entscheidung beschäftigt sich mit drei Fragen rund um das sog. Insolvenzsteuerrecht:
Zunächst klärt der BFH die Frage, welche Wirkung die Restschuldbefreiung auf betriebliche Verbindlichkeiten hat, wenn zwischenzeitlich der Betrieb aufgegeben worden ist. Wie im Fall der Betriebsaufgabe vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (dazu ) entfallen diese Verbindlichkeiten aufgrund der Restschuldbefreiung auch im Fall einer Betriebsaufgabe nach Insolvenzverfahrenseröffnung. Es entstehen sog. unvollkommene Verbindlichkeiten, deren Erfüllung nicht mehr erzwungen werden kann. Dabei ist entscheidend, dass die Verbindlichkeiten (eigentlich) in einer Aufgabebilanz anzusetzen sind und somit schon zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit ihren Wert verlieren. Folglich ist ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gegeben.
Die deshalb festzusetzenden Steuern, soweit nicht § 3a Abs. 5 EStG n.F. eingreift, hat derjenige zu entrichten, der den Betrieb aufgibt. Im Fall der Betriebsaufgabe nach Eröffnung der Insolvenz ist dies der Insolvenzverwalter. Es liegen Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor. Die sich hieraus ergebenden Steuern sind bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens durch Steuerbescheid zumindest auch ihm gegenüber bekanntzugeben. Er ist als Vermögensverwalter Steuerpflichtiger und damit nicht nur Bekanntgabe-, sondern auch Inhaltsadressat (). Ist dagegen, wie häufig, vorliegend aber vom FG nicht festgestellt, im Zeitpunkt der Restschuldbefreiung das Insolvenzverfahren bereits beendet, sind diese Steuerbescheide dem wieder verfügungsberechtigten früheren Insolvenzschuldner bekanntzugeben ().
Daneben enthält das BFH-Urteil umfangreiche Ausführungen zu der Frage, ob eine Änderung der Steuerfestsetzung des Jahres der Betriebsaufgabe 2005 noch möglich war. Aufgrund des vom Kläger gewonnenen ersten Klageverfahrens kommt § 174 Abs. 4 AO zum Tragen. Vertrauensschutz nach § 176 AO scheitert an dem zum Zeitpunkt der ursprünglichen Veranlagung für 2005 fehlenden höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Wirkung der Restschuldbefreiung bei Betriebsaufgabe wie auch daran, dass ein anderslautendes BMF-Schreiben nicht existierte.
Quelle: ; NWB Datenbank (RD)
Fundstelle(n):
VAAAJ-29231