BGH Beschluss v. - 4 StR 461/21

Abgrenzung zwischen Täterschaft und Beihilfe im Betäubungsmittelstrafrecht

Gesetze: § 29 BtMG, § 29a Abs 1 Nr 2 BtMG, § 25 Abs 2 StGB, § 27 Abs 1 StGB

Instanzenzug: Az: 520 KLs 12/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr, mit Sachbeschädigung, vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. Zudem hat es eine Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Nach den Feststellungen betrieb der Angeklagte in der Nacht zum einen Lieferservice für Betäubungsmittel als sogenanntes „Kokstaxi“. Für die Ausübung dieser Tätigkeit erhielt er ein Mobiltelefon, auf dem sich ein Messengerdienst mit einer voreingestellten Chatgruppe befand, über die Betäubungsmittel bestellt werden konnten. Im Handschuhfach des von ihm geführten Mietfahrzeugs befanden sich mindestens 15 Eppendorfgefäße mit einem Kokaingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt ca. 6,7 Gramm Kokain-Hydrochlorid und vier Tüten mit ca. 16 Gramm Blütenständen von Cannabispflanzen, die zum gewinnbringenden Weiterverkauf an Kunden bestimmt waren. Das Landgericht konnte nicht feststellen, ob der Angeklagte sich selbst als Verkäufer betätigte und das Rauschgift sowie das Handy selbst in das Fahrzeug verbracht hatte oder ob er das Fahrzeug wissentlich bereits mit den Betäubungsmitteln und dem Mobiltelefon übernommen hatte. Jedenfalls wickelte er die einzelnen Bestellungen selbständig ab.

3Da der Angeklagte in der Tatnacht erkennbar zu schnell fuhr, fiel er einer Polizeistreife auf. Der Angeklagte floh vor den Polizeibeamten, die ihn nicht einzuholen vermochten. Nachdem er bereits eine Kreuzung mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit bei Rotlicht und unter Nutzung des Radweges überquert hatte, fuhr der Angeklagte mit mindestens 90 km/h über die Rotlicht zeigende Ampel in den Bereich der nächsten Kreuzung ein, um dort nach links abzubiegen. Aufgrund der hohen Geschwindigkeit war das Fahrzeug dabei nicht mehr kontrollierbar, brach aus und prallte letztlich gegen eine Hauswand. An dem Gebäude entstand ein erheblicher Sachschaden. Der Angeklagte entfernte sich noch vor Eintreffen der Polizei zu Fuß vom Unfallort. Er war sich der mit seiner Fahrweise beim zu schnellen Einfahren in die Kreuzung verbundenen Risiken bewusst und nahm das angesichts der hohen Geschwindigkeit als naheliegend erkannte Unfallereignis zumindest billigend in Kauf. Zur Tatzeit war er – was er hätte wissen müssen – alkoholbedingt nicht in der Lage, ein Fahrzeug zu führen, und – wie ihm bewusst war – nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis.

II.

41. Die Verfahrensrüge hat aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts angeführten Gründen keinen Erfolg.

52. Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand, soweit der Angeklagte wegen täterschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist. Vielmehr ist der Angeklagte nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen insoweit des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig. Die tateinheitliche Verurteilung wegen Sachbeschädigung hat ebenfalls keinen Bestand. Die Feststellungen tragen hingegen auch eine tateinheitliche Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis.

6a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln kommt es für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Beihilfe darauf an, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt (vgl. , NStZ 2015, 225, 226; Urteil vom – 5 StR 242/07, NJW 2008, 1460; Urteil vom – 2 StR 516/06, BGHSt 51, 219). Erschöpft sich der Tatbeitrag im bloßen Transport von Betäubungsmitteln, liegt selbst dann keine Täterschaft vor, wenn dem Auslieferer Handlungsspielräume hinsichtlich der Art und Weise des Transports verbleiben. Eine andere Bewertung kommt nur in Betracht, wenn der Beteiligte erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet, am An- und Verkauf des Rauschgifts unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts hat, weil er eine Beteiligung am Umsatz oder zu erzielenden Gewinn erhalten soll (vgl. , NStZ 2015, 225, 226).

7Daran gemessen tragen die Feststellungen eine Verurteilung des Angeklagten als Täter des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nicht. Dem Urteil lässt sich nicht entnehmen, ob der Angeklagte ein eigenes Interesse an den abzuwickelnden Drogengeschäften hatte; weder eine finanzielle Beteiligung an den Geschäften noch eine sonstige Entlohnung oder ein anderweitiges eigennütziges Motiv ist festgestellt. Unklar bleibt zudem, ob der Angeklagte unmittelbar am Verkauf der Betäubungsmittel beteiligt war oder lediglich die über die Chatgruppe getätigten Bestellungen ausfahren und den zuvor schon unabhängig von seiner Mitwirkung festgesetzten Kaufpreis entgegennehmen sollte. Erfüllt sind jedoch die Tatbestände des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und – tateinheitlich – der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.

8b) Die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen Sachbeschädigung hat keinen Bestand. Der vom Landgericht angenommene Vorsatz der Beschädigung fremder Sachen durch einen Unfall ist nicht tragfähig belegt. Nach dem festgestellten Sachverhalt kam es dem Angeklagten darauf an, sich einer Kontrolle durch die Polizei zu entziehen. Dies legt nahe, dass der Angeklagte zwar das Risiko eines Unfalls erkannt und diese Gefahr zumindest billigend in Kauf genommen hatte, den Eintritt eines Schadens aber gerade vermeiden wollte.

9c) Unter Zugrundelegung der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte tateinheitlich auch des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG schuldig gemacht. Eine entsprechende Ausurteilung hat das Landgericht ausweislich der Urteilsgründe versehentlich versäumt.

10d) Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst ab. Das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO steht der Schuldspruchänderung auf die Revision des Angeklagten nicht entgegen (st. Rspr.; vgl. , Rn. 7; Beschluss vom – 3 StR 482/19 Rn. 5). Gleiches gilt für die Regelung in § 265 StPO, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

113. Die vom Landgericht festgesetzten Strafen bleiben von der Schuldspruchänderung unberührt. Der Senat schließt aus, dass die Strafkammer bei zutreffender rechtlicher Bewertung auf eine mildere Einzelstrafe als Einsatzstrafe und eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte, weil sich durch die andere rechtliche Bewertung der wesentliche Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht ändert. Der vom Landgericht herangezogene Strafrahmen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ist nicht betroffen und die strafschärfend berücksichtigten Gesichtspunkte, darunter die tateinheitliche Verwirklichung mehrerer Tatbestände, gelten gleichermaßen.

124. Der Senat hebt den Ausspruch über die Einziehung des sichergestellten Mobiltelefons iPhone weiß (IMEI:                ) auf und sieht insoweit mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 2 StPO von einer Einziehung ab. Die Annahme des Landgerichts, bei dem Mobiltelefon handele es sich um ein Tatmittel im Sinne von § 74 StGB, ist nicht tragfähig belegt. Die Strafkammer hat keine Feststellungen dazu getroffen, wem dieses Mobiltelefon zuzuordnen ist (vgl. Rn. 30 mwN).

135. Im Übrigen hat die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

III.

14Im Hinblick auf den nur geringen Teilerfolg der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten des Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:110422B4STR461.21.0

Fundstelle(n):
UAAAJ-29000