Anforderungen an die konkludente Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch die Anklageerhebung
Gesetze: § 206a Abs 1 StPO, § 260 Abs 3 StPO, § 63 StGB, § 303 StGB, § 304 StGB, § 303c StGB
Instanzenzug: LG Dresden Az: 3 KLs 303 Js 11806/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, in einem davon in Tateinheit mit Beleidigung, wegen Sachbeschädigung in drei Fällen, Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln, Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung sowie wegen Diebstahls in drei Fällen schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine mit der Verletzung materiellen Rechts geführte Revision.
2Das Verfahren ist hinsichtlich einer Tat einzustellen, da es an einer Verfahrensvoraussetzung fehlt. Im Übrigen ist das Rechtsmittel des Angeklagten unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
31. Das Verfahren war nach § 206a StPO einzustellen, soweit der Angeklagte in dem unter Ziffer II.14 der Urteilsgründe festgestellten Fall wegen Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden ist. Es liegt entgegen § 303c StGB weder ein Strafantrag des Verletzten vor, noch hat die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht.
4Zwar kann ein solches durch die Anklageerhebung konkludent bejaht werden. Dies gilt indes nur, wenn sich aus den Umständen nicht etwas anderes ergibt (, NStZ-RR 2013, 349). Das ist hier der Fall, weil die Staatsanwaltschaft die Handlung in der Anklageschrift als gemeinschädliche Sachbeschädigung (§ 304 StGB) gewertet hat. Auf die abweichende rechtliche Würdigung als Sachbeschädigung im Sinne des § 303 StGB durch die Strafkammer im Eröffnungsbeschluss erfolgte keine ersichtliche Reaktion der Staatsanwaltschaft mehr.
5Mit der Einstellung des Verfahrens nach § 206a StPO entfallen insoweit hinsichtlich dieser Tat der Schuld- und Strafausspruch. Angesichts der von der Teileinstellung unberührten Einsatzstrafe von sechs Monaten für die Tat nach Ziffer II.16 der Urteilsgründe setzt der Senat die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf sieben Monate herab.
62. Die Anordnung der Maßregel der Besserung und Sicherung hat dagegen Bestand. Zwar wird auch für eine Unterbringung nach § 63 StGB vorausgesetzt, dass ein für die Anlasstat erforderlicher Strafantrag gestellt ist (, BGHSt 31, 132). Ihre Anordnung hat die Strafkammer jedoch auf sechs weitere, von keinem Verfahrenshindernis betroffene Taten des Angeklagten gestützt, deren Erheblichkeit im Sinne des § 63 Satz 1 StGB sie jeweils rechtsfehlerfrei bejaht hat. Dass das Landgericht die nicht verfolgbare Sachbeschädigung aufgrund der Höhe des angerichteten Schadens in die Gefahrenprognose einbezogen hat, ist nicht nur unschädlich, sondern war sogar geboten. Denn in die hierzu erforderliche Gesamtschau sind neben der konkreten Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung auch die auf die Person des Täters und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren einzustellen, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der Anlasstaten belegen können (, NStZ-RR 2019, 41 mwN). Hierzu können tatbestandsmäßige und rechtswidrige Verstöße gegen Strafgesetze unabhängig davon gehören, ob sie strafrechtlich zu ahnden sind (vgl. ; LK/Cirener, StGB, 13. Aufl., § 63 Rn. 131).
73. Im Übrigen hat die auf die Revision des Angeklagten veranlasste sachlich-rechtliche Prüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
84. Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der teilweisen Einstellung des Verfahrens aus § 467 Abs. 1 StPO, im Übrigen aus § 465 Abs. 1 StPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:200722B5STR109.22.0
Fundstelle(n):
AAAAJ-28976