BGH Beschluss v. - StB 47/22, StB 48/22

Strafverfahren: Statthaftigkeit der Beschwerde gegen die Verweigerung von Akteneinsicht bzw. Einsicht in Beweismittel für den Nebenkläger zwischen Eröffnungsbeschluss und Urteilsfällung

Gesetze: § 304 Abs 4 S 2 StPO, § 305 S 1 StPO, § 406e Abs 2 S 1 StPO, § 406e Abs 5 S 4 StPO

Gründe

11. Das Oberlandesgericht München führt gegen den Angeklagten ein Strafverfahren wegen Sichbereiterklärens zum Mord in Tateinheit mit Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat sowie mit unerlaubtem Besitz und Führen einer Schusswaffe. Die Hauptverhandlung vor dem 9. Strafsenat des Oberlandesgerichts hat am begonnen.

22. Mit Verfügung vom hat der Vorsitzende des Senats der Nebenklägervertreterin Akteneinsicht bewilligt mit Ausnahme von sieben im Einzelnen bezeichneten Aktenordnern und von Teilen der Anklageschrift, die als "VS-vertraulich amtlich geheimgehalten" bzw. "GEHEIM amtlich geheim gehalten" eingestuft sind, sowie eines Auswertevermerks des Bundeskriminalamts. Mit Verfügung vom hat der Senatsvorsitzende zudem den Antrag der Nebenklägervertreterin auf Akteneinsicht in ein Schreiben des Verteidigers K.   vom abgelehnt, in dem eine Einlassung des Angeklagten in Aussicht gestellt wird und das als "VS-vertraulich" eingestuft ist. Die Versagung der Akteneinsicht hat der Vorsitzende des Senats jeweils damit begründet, dass einer Einsicht in die genannten Aktenteile überwiegende schutzwürdige Belange des Angeklagten gemäß § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO entgegenstünden.

33. Die Beschwerden, die bei verständiger Würdigung als vom Nebenkläger erhoben anzusehen sind, erweisen sich jedenfalls als unbegründet.

4a) Dahinstehen kann, ob die Rechtsmittel statthaft sind.

5Zwar ergibt sich aus dem Umkehrschluss aus § 406e Abs. 5 Satz 4 StPO, dass die Entscheidung des erkennenden Gerichts über die Gewährung von Akteneinsicht für den Nebenkläger nach Abschluss der Ermittlungen gemäß § 304 Abs. 1 StPO anfechtbar ist (vgl. Hans. , NStZ 2015, 105 Rn. 3; OLG Braunschweig, Beschluss vom - 1 Ws 309/15, NStZ 2016, 629; , juris Rn. 3; , NStZ 2019, 110 Rn. 6; SSW-StPO/Schöch, 4. Aufl., § 406e Rn. 18; BeckOK StPO/Weiner, 45. Ed., § 406e Rn. 19).

6Dem steht hier auch nicht die Regelung in § 304 Abs. 4 Satz 2 StPO entgegen. Nach dessen Halbsatz 2 ist gegen Beschlüsse und Verfügungen des Oberlandesgerichts im ersten Rechtszug, die grundsätzlich unanfechtbar sind, eine Beschwerde ausnahmsweise dann zulässig, wenn die Entscheidung in einem der dort benannten Fälle getroffen worden ist. Eine Beschwerde wegen einer verweigerten Auskunft aus den Akten ist nur für die unmittelbar an dem betreffenden Strafverfahren Beteiligten statthaft (vgl. , BGHR StPO § 304 Abs. 4 Akteneinsicht 3). Die Aufnahme von Entscheidungen über die Gewährung von Akteneinsicht in den Katalog des § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO rechtfertigt sich aus der besonderen Bedeutung, welche die Aktenkenntnis für die Verfahrensbeteiligten hat. Bei der notwendigen restriktiven Auslegung der Vorschrift verbietet es dieser Bezug des Akteneinsichtsrechts auf das anhängige Strafverfahren, die Beschwerde auch in solchen Fällen als statthaft anzusehen, bei denen die sachgerechte Verteidigung oder Mitwirkung in diesem Verfahren nicht in Frage steht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - StB 6/04, BGHR StPO § 304 Abs. 4 Akteneinsicht 3; vom - KRB 12/13, BGHSt 59, 183 Rn. 5; vom - KRB 4/89, BGHSt 36, 338, 339). Vorliegend kann die begehrte Akteneinsicht für den am Verfahren beteiligten Nebenkläger für den Schuldspruch von Bedeutung sein.

7Bedenken hinsichtlich der Statthaftigkeit der Beschwerden könnten sich jedoch vor dem Hintergrund der Regelung in § 305 Satz 1 StPO ergeben. In der Literatur und teilweise in der obergerichtlichen Rechtsprechung wird für die Akteneinsicht des Verteidigers und des Angeklagten vertreten, die Ablehnung der Akteneinsicht unterliege gemäß § 305 Satz 1 StPO als der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung nicht der Beschwerde (vgl. KK-StPO/Zabeck, 8. Aufl., § 305 Rn. 6; MüKoStPO/Neuheuser, § 305 Rn. 16; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom - 3 Ws 651/01, NStZ-RR 2001, 374; OLG Naumburg, Beschluss vom - 1 Ws 602/09, juris Rn. 5 ff.; , NStZ 2005, 226; , juris Rn. 9). Ob dieser Auffassung zu folgen und zudem die Akteneinsicht des Nebenklägers und des Verletzten, die in § 406e Abs. 5 StPO speziell normiert ist, in gleicher Weise zu beurteilen wäre, braucht der Senat - angesichts des Umstandes, dass die Rechtsmittel jedenfalls in der Sache keinen Erfolg haben - nicht zu entscheiden.

8b) Die Beschwerden sind nicht begründet. Die Einsicht in die eingangs unter 2. genannten als "VS-vertraulich amtlich geheimgehalten" oder "GEHEIM amtlich geheim gehalten" eingestuften Aktenbestandteile, den Auswertevermerk und das Schreiben des Verteidigers K.   vom , das als VS-vertraulich eingestuft wurde, ist zu versagen, da schutzwürdige Interessen des Beschuldigten entgegenstehen (§ 406e Abs. 2 Satz 1 StPO). Zur Begründung wird auf die vollumfänglich zutreffenden Ausführungen in der Nichtabhilfeentscheidung des Senatsvorsitzenden vom Bezug genommen.

Berg                    Hohoff                     Anstötz

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:021122BSTB47.22.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-27830