BGH Urteil v. - VII ZR 250/21

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 9 U 86/19vorgehend LG Limburg Az: 4 O 386/18

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die beklagte Motorenherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.

2Er erwarb im März 2014 von einem Dritten ein Fahrzeug Skoda Fabia als Gebrauchtwagen zum Preis von 12.490 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet, der von den allgemein als "Abgasskandal" bezeichneten Manipulationsvorwürfen betroffen ist. Der Motor enthielt eine Software, die durch zwei unterschiedliche Betriebsmodi - abhängig vom Test- oder Normalbetrieb - die Abgasrückführung steuerte.

3Die Beklagte veröffentlichte am eine Ad-hoc-Mitteilung und eine Presseinformation, in denen sie über Unregelmäßigkeiten einer verwendeten Software bei Dieselmotoren informierte. Auffällig seien Fahrzeuge mit Motoren des Typs EA 189 mit einem Gesamtvolumen von weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen, bei denen eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei. Die Beklagte arbeite mit Hochdruck daran, diese Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, und stehe dazu in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA). Zudem werde der Konzern die Öffentlichkeit über den weiteren Fortgang der Ermittlungen fortlaufend und transparent informieren.

4Im Anschluss daran wurde über den sogenannten VW-Dieselskandal in Presse, Funk und Fernsehen ausführlich berichtet. Am stellte die Beklagte eine öffentlich bekannt gemachte Internetseite bereit, die es ermöglichte, betroffene Fahrzeuge - auch von Tochtergesellschaften wie Skoda - anhand der Fahrzeug-Identifizierungsnummer zu individualisieren. Zudem veröffentlichte die Skoda Auto Deutschland GmbH am eine Pressemitteilung, wonach auch in Skoda-Fahrzeugen der Motor EA 189 verbaut worden sei. Am ordnete das KBA den Rückruf sowie eine Nachrüstung der betroffenen Fahrzeuge an und veröffentlichte eine entsprechende Pressemitteilung, was ebenfalls ausführlich in den Medien behandelt wurde.

5Mit seiner im Dezember 2018 bei Gericht eingegangenen und im Februar 2019 zugestellten Klage hat der Kläger die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zahlung von Prozesszinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs und der weitergehenden Schadensersatzpflicht der Beklagten sowie deren Verurteilung zur Zahlung von Delikts- und Darlehenszinsen verlangt.

6Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz weiter.

Gründe

7Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

8Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, mögliche Schadenersatzansprüche des Klägers aus §§ 826, 31 BGB seien gemäß §§ 195, 199 BGB verjährt. Zwar habe der Kläger unwiderlegt vorgetragen, erst im Jahr 2016 durch ein Schreiben der Beklagten mit der Anordnung einer Rückrufaktion Kenntnis vom Dieselskandal erlangt zu haben. Damit stehe positive Kenntnis des Klägers "von den relevanten Umständen" in 2015 nicht fest. Jedoch habe die Verjährungsfrist "kenntnisunabhängig" mit Ablauf des Jahres 2015 zu laufen begonnen, da der Kläger spätestens im Herbst 2015 Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners hätte erlangen müssen. Aufgrund des öffentlichen Bekanntwerdens des Abgasskandals habe für den Kläger die Veranlassung und Möglichkeit bestanden, über einfach zugängliche Wege in Erfahrung zu bringen, ob sein Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen ist. Soweit er sich trotz der sich regelrecht aufdrängenden Umstände nicht weiter informiert habe, sei ihm grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen.

9Gerade in der Zeit bis zum Jahresende 2015 sei in den Medien ausführlich über den "Dieselskandal" berichtet worden. Der Abgasskandal als solcher und die Betroffenheit von auch in Deutschland angebotenen Fahrzeugen der Beklagten hätten dem Kläger schlechterdings nicht entgehen dürfen, selbst wenn er nicht laufend die Pressemeldungen verfolgt habe. Besondere Umstände, die ausnahmsweise eine fehlende Kenntnis des Klägers plausibilisieren könnten, wie etwa eine schwere Krankheit mit stationärem Krankenhausaufenthalt, habe der Kläger nicht vorgetragen. Zudem habe ohne Weiteres die Möglichkeit bestanden, über die im Oktober 2015 freigeschaltete Online-Plattform oder eine telefonische, schriftliche oder E-Mail-Rückfrage beim Kundenservice in Erfahrung zu bringen, ob ein Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen sei.

10Damit habe die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2018 geendet. Durch die im Dezember 2018 bei Gericht eingegangene Klage sei die Verjährung nicht gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt worden, weil deren Zustellung im Februar 2019 nicht "demnächst" im Sinne des § 167 ZPO erfolgt sei.

II.

11Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

12Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden. Dabei kann dahinstehen, ob die im Februar 2019 erfolgte Zustellung der im Dezember 2018 bei Gericht eingereichten Klage demnächst im Sinne von § 167 ZPO erfolgt ist. Denn die Revision wendet sich mit Erfolg bereits gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Verjährungsfrist habe mit Schluss des Jahres 2015 zu laufen begonnen, weil dem Kläger zu diesem Zeitpunkt grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB vorzuwerfen sei.

131. Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist für den Schadensersatzanspruch nach §§ 826, 31 BGB drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

142. Wie der Bundesgerichtshof bereits wiederholt entschieden hat, genügt es in Fällen der vorliegenden Art für den Beginn der Verjährung gemäß § 199 Abs. 1 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern natur-gemäß beim Geschädigten vorhanden ist (vgl. Rn. 17 m.w.N., MDR 2022, 697).

15Dabei unterliegt die tatrichterliche Beurteilung, ob einer Partei der - gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB der positiven Kenntnis gleichstehende - Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis zu machen ist, der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur dahin, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denk- und Erfahrungssätze gewürdigt worden ist, und ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (vgl. Rn. 22 m.w.N., MDR 2022, 558).

16Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs ist die Würdigung des Berufungsgerichts, wonach den Kläger der den Verjährungsbeginn auslösende Vorwurf grober Fahrlässigkeit im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB spätestens im Herbst 2015 treffe, nicht frei von Rechtsfehlern.

17a) Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder dasjenige nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können ( Rn. 23 m.w.N., MDR 2022, 558).

18Den Geschädigten trifft dabei im Allgemeinen weder eine Informationspflicht noch besteht für ihn eine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiative zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten. Inwieweit der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das Unterlassen einer solchen Ermittlung ist nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Gläubigers als unverständlich erscheinen lassen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein, so dass er aus verständiger Sicht gehalten ist, die Voraussetzungen des Anspruchs aufzuklären, soweit sie ihm nicht ohnehin bekannt sind ( Rn. 25 m.w.N., MDR 2022, 558).

19b) Nach diesen Maßstäben erweist sich die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger sei bereits im Jahr 2015 zur Vermeidung des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit gehalten gewesen zu ermitteln, ob sein Fahrzeug vom sogenannten Dieselskandal betroffen war, als rechtsfehlerhaft.

20Selbst wenn es dem Kläger, wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist, noch in dem verbleibenden - kurzen - Zeitraum seit Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals und der Freischaltung der von der Beklagten gestellten Online-Plattform im Oktober 2015 bis zum Jahresende möglich gewesen sein sollte, die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs zu ermitteln, liegt darin, dass der Kläger in dem genannten Zeitraum hiervon keinen Gebrauch machte, kein schwerwiegender Obliegenheitsverstoß in eigenen Angelegenheiten. Mit Rücksicht darauf, dass die Beklagte seit September 2015 mit zahlreichen Informationen an die Öffentlichkeit getreten war und auch weitere Erklärungen angekündigt hatte, war ein Zuwarten des Klägers zumindest bis zum Ende des Jahres 2015 - wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat - nicht schlechterdings unverständlich und daher nicht geeignet, den Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu begründen (vgl. Rn. 27, MDR 2022, 558; Urteil vom - III ZR 226/20 Rn. 22, MDR 2022, 822).

III.

21Die angegriffene Entscheidung ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat ist nicht veranlasst, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus konsequent - keine abschließenden Feststellungen zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des von ihm in Erwägung gezogenen Schadensersatzanspruchs aus §§ 826, 31 BGB getroffen. Die Sache ist daher gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die neue Verhandlung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, sich mit dem von der Beklagten in der Revisionsinstanz im Wege der Gegenrüge erhobenen Vorwurf zu befassen, es habe den durch Parteivernehmung des Klägers unter Beweis gestellten Beklagtenvortrag übergangen, der Kläger habe sich bereits im Jahr 2015 von der Betroffenheit seines Fahrzeugs überzeugt.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:201022UVIIZR250.21.0

Fundstelle(n):
XAAAJ-27752