BGH Urteil v. - VIa ZR 737/21

Revisionsverfahren: Revisionsprüfung des Berufungsurteils unter Offenlassung der Berufungszulässigkeit

Leitsatz

Die Zulässigkeit der Berufung kann offenbleiben, wenn das Revisionsgericht formell rechtskräftig abschließend auf ihre Unbegründetheit erkennen kann, ohne dass schutzwürdige Interessen der Parteien entgegenstehen (Fortführung von , NJW-RR 2010, 664 Rn. 4).

Gesetze: § 517 ZPO, § 557 Abs 1 ZPO

Instanzenzug: Az: 1 U 387/20vorgehend LG Hechingen Az: 2 O 182/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit der Abgasrückführung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger kaufte am bei der Beklagten ein Neufahrzeug des Typs VW Tiguan zum Kaufpreis von 30.132,75 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Der Motor enthielt eine Software, die auf dem Prüfstand vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in den stickoxid-optimierten Modus 1 wechselte (Umschaltlogik).

3Mit seiner im August 2020 erhobenen Klage hat der Kläger die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das klageabweisende landgerichtliche Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers, einer Rechtsanwaltsgesellschaft, als elektronisches Dokument zugestellt worden. Anschließend ist ein auf den datiertes elektronisches Empfangsbekenntnis, das die Rechtsanwaltsgesellschaft als Zustellungsempfänger ausweist, zu den Akten gelangt. Auf die am Montag, den , bei dem Berufungsgericht eingegangene Berufung des Klägers, bei deren Einlegung der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Zustellungsdatum mit dem angegeben hat, hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 11.554,81 € Restschadensersatz nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs sowie von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € nebst Prozesszinsen verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat die Beklagte ursprünglich ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung des Klägers unter Beschränkung auf die Verurteilung zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen weiterverfolgt. Auf den Hinweis, dass die Monatsfrist zur Einlegung der Berufung nicht gewahrt sein dürfte, hat die Beklagte ihren Antrag dahingehend erweitert, dass sie insgesamt Wiederherstellung des klageabweisenden erstinstanzlichen Urteils begehre.

Gründe

4Die statthafte (vgl. VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 16 ff.; Urteil vom - VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 7) Revision der Beklagten führt allein im Umfang der ursprünglichen Antragstellung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückweisung der Berufung des Klägers. Soweit die Beklagte ihren Revisionsangriff mit Schriftsatz vom erweitert hat, ist die Revision als unzulässig zu verwerfen.

A.

5Die Erweiterung der Revisionsanträge durch die Beklagte ist unzulässig, weil es insoweit an einer rechtzeitigen Begründung gemäß § 551 Abs. 2 ZPO fehlt. Entsprechend ist der Senat daran gehindert, von Amts wegen die Zulässigkeit der Berufung in Bezug auf die nachträglich angegriffene Verurteilung gemäß der Hauptforderung zu überprüfen.

I.

6Der Umfang der Anfechtung des Berufungsurteils und der Umfang der amtswegigen Prüfung von Prozessfortführungsbedingungen werden durch Revisionsantrag und Revisionsbegründung bestimmt (vgl. , NJW-RR 1988, 66). Die Zulässigkeit der Berufung als Prozessfortsetzungsbedingung ist vom Revisionsgericht mithin nur im Umfang der Devolution gemäß § 557 Abs. 1 ZPO von Amts wegen zu prüfen (vgl. MünchKommZPO/Krüger, 6. Aufl., § 557 Rn. 26). Zwar setzt ein gültiges und rechtswirksames Verfahren vor dem Revisionsgericht grundsätzlich neben der Zulässigkeit der Revision voraus, dass das erstinstanzliche Urteil durch eine zulässige Berufung angegriffen worden ist. Erwächst jedoch eine trotz der fehlenden Zulässigkeit der Berufung ergangene Sachentscheidung des Berufungsgerichts in Rechtskraft, setzt sich diese Rechtskraft auch im Revisionsverfahren gegenüber der ursprünglichen Unzulässigkeit der Berufung durch (, NJW 1996, 527, 528; Urteil vom - VIII ZR 294/99, NJW-RR 2001, 1572, 1573).

7Der Revisionsantrag, der die Reichweite der amtswegigen Prüfung bestimmt, kann in der mündlichen Verhandlung nur noch geändert, insbesondere erweitert werden, sofern sich die Erweiterung im Bereich des Anspruchs hält, der den Gegenstand der Revisionsbegründung bildet (vgl. nur , NJW-RR 2021, 1141 Rn. 14 mwN). Insoweit muss der dem Revisionsgericht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist unterbreitete Prozessstoff unverändert bleiben, d.h. der durch die Begründung zur Beurteilung stehende Sachverhalt muss auch den erweiterten Antrag tragen (vgl. , BGHZ 12, 52, 67 f.; Urteil vom - VIII ZR 140/83, NJW 1985, 3079 f.).

II.

8An dieser Voraussetzung fehlt es.

91. Die Beklagte hat ihren mit der Revisionsbegründung angekündigten Antrag auf Aufhebung des Berufungsurteils hinsichtlich der Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten darauf gestützt, dass der Restschadensersatzanspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB einen entsprechenden Vermögensnachteil des Klägers nicht umfasse, weil er nicht zu einer entsprechenden Vermögensmehrung bei der Beklagten geführt habe, und auch für einen Anspruch in dieser Höhe aus Verzug nichts ersichtlich sei.

102. Diesen zulässig auf einen selbständig abgrenzbaren Teil des Streitstoffs beschränkten Revisionsangriff hat die Beklagte nicht nachträglich wirksam auf die dem Kläger zuerkannte Hauptforderung erstreckt. Zwar kann der Revisionsangriff bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz noch erweitert werden. Die Erweiterung muss sich aber im Rahmen der Revisionsbegründung bewegen (vgl. nur , NJW-RR 1988, 66). Das ist hier nicht der Fall. Die Einwände, die die Beklagte gegen ihre Verurteilung zur Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten innerhalb der Revisionsbegründungsfrist in ihrer Revisionsbegründung vorgebracht hat, betreffen nicht ihre Verurteilung in der Hauptsache. Die im Schriftsatz vom angeführte Begründung, der Kläger habe die Berufungsfrist nicht gewahrt, hat die Beklagte erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist gegeben. Eine Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist zur Ergänzung ihres Vorbringens, die die Beklagte im Übrigen nicht beantragt hat, wäre ihr nicht zu gewähren. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzte gemäß § 233 Satz 1 ZPO die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist als solcher voraus. Die Frist zur Revisionsbegründung ist hier eingehalten worden. Für eine nachträgliche inhaltliche Ergänzung einer an sich fristgerecht eingereichten Rechtsmittelbegründung kann Wiedereinsetzung nicht gewährt werden (, NJW-RR 2018, 490 Rn. 58; Beschluss vom - II ZB 31/14, WM 2021, 285 Rn. 373; Beschluss vom - VIa ZR 765/21, juris).

B.

11Im Umfang der zulässigen Anfechtung hat die Revision Erfolg. Insoweit unterliegt das Berufungsurteil der Aufhebung und weist der Senat die Berufung des Klägers zurück (§§ 562, 563 Abs. 3 ZPO).

I.

12Das Berufungsgericht, das von der Richtigkeit des vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in der Berufungsschrift angegebenen Zustellungsdatums ausgegangen ist und die Berufung entsprechend als zulässig behandelt hat, hat seine Entscheidung auch, soweit es dem Berufungsantrag zu 3 entsprochen hat, damit begründet, der Kläger habe gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB. Dieser Anspruch sei zwar nach Ablauf der Verjährungsfrist nicht durchsetzbar. Dem Kläger stehe aber gegen die Beklagte in dem vorliegenden Fall eines Neuwagenkaufs ein Restschadensersatzanspruch aus § 852 Satz 1 BGB zu. Im Hinblick auf das vorgerichtliche Aufforderungsschreiben vom könne der Kläger von der Beklagten auch Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen.

II.

13Die dagegen gerichtete Revision der Beklagten hat Erfolg.

141. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Berufung des Klägers mangels Einhaltung der Frist des § 517 ZPO unzulässig ist und, worüber allerdings zunächst das Berufungsgericht zu entscheiden hätte (vgl. , BGHZ 101, 134, 141; Beschluss vom - IVb ZB 825/81, VersR 1982, 95, 96; Beschluss vom - VI ZR 374/12, NJW-RR 2013, 702 Rn. 2), trotz des Ablaufs der Jahresfrist nach § 234 Abs. 3 ZPO (vgl. , NJW 2011, 522 Rn. 37) auf Antrag Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist zu gewähren wäre. Zwar stellt die Zulässigkeit der Berufung als Prozessfortsetzungsbedingung eine Sachverhandlungs- und Sachurteilsvoraussetzung dar, die auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen ist, und ist das Revisionsgericht dabei an die Würdigung der Vorinstanz nicht gebunden (, NJW 2018, 1689 Rn. 14; vgl. auch , BGHZ 4, 389, 395 f., Urteil vom - IV ZR 36/52, BGHZ 6, 369, 370; Urteil vom - VIII ZR 154/86, BGHZ 101, 134, 136; Urteil vom - IVb ZR 86/86, BGHZ 102, 37, 38; Urteil vom - III ZR 338/09, NJW 2011, 926 Rn. 7; Beschluss vom - VI ZR 374/12, NJW-RR 2013, 702 Rn. 3). Da die auf den datierte Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht erst an diesem Tag, einem Montag, und nach dem , einem Donnerstag, eingegangen ist, ist die Frist des § 517 ZPO nicht gewahrt (vgl. OVG Hamburg, NJW 1993, 1941; zu Silvester BFH, DStR 2018, 1124 Rn. 6 ff.; VGH Mannheim, NJW 1987, 1353).

15Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels kann aber offenbleiben, wenn zwischen seiner Verwerfung als unzulässig und seiner Zurückweisung als unbegründet weder hinsichtlich der Rechtskraftwirkung noch hinsichtlich der Anfechtbarkeit der Rechtsmittelentscheidung Unterschiede bestehen (, NJW-RR 2010, 664 Rn. 4; vgl. auch , NJW-RR 2006, 1346, 1347) oder das Revisionsgericht formell rechtskräftig abschließend auf die Unbegründetheit der Berufung erkennen kann, ohne dass schutzwürdige Interessen der Parteien entgegenstehen. Diese Voraussetzung ist hier gegeben.

162. Die Verjährung des Schadensersatzanspruchs aus §§ 826, 31 BGB umfasst, wie das Berufungsgericht noch zutreffend gesehen hat, auch die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten als weitere Schadensposition (vgl. VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 20). Im Rahmen des Restschadensersatzanspruchs gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB besteht dann allerdings entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts kein Anspruch auf Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, da die vorgerichtliche Anwaltstätigkeit zu keiner Mehrung des Vermögens der Beklagten geführt hat ( VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 77; Urteil vom - VIa ZR 57/21, aaO, Rn. 21). Außerdem sind die Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerverzugs gemäß § 280 Abs. 1 und 2, § 286 Abs. 1 BGB nicht erfüllt. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen befand sich die Beklagte vor Ablauf der mit dem anwaltlichen Schreiben vom gesetzten Frist zur Erstattung des Kaufpreises nicht in Verzug. Die Kosten der den Verzug begründenden Mahnung stellen keinen Schaden infolge des Verzugs dar ( VIa ZR 8/21, aaO, Rn. 78; Urteil vom - VIa ZR 57/21, aaO, Rn. 22).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:071122UVIAZR737.21.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-27734