BGH Urteil v. - VIa ZR 652/21

Instanzenzug: Az: 19 U 176/20vorgehend LG Ravensburg Az: 2 O 240/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom von einem Händler ein Neufahrzeug des Typs Škoda Octavia zu einem Kaufpreis von 21.470 €. Das von einer Tochtergesellschaft der Beklagten hergestellte Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Der Motor enthielt eine Software, die auf dem Prüfstand vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in den stickoxid-optimierten Modus 1 wechselte (Umschaltlogik). Die Software wurde im Herbst 2015 öffentlich bekannt und vom Kraftfahrt-Bundesamt als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet. Die Beklagte entwickelte ein Software-Update, das ein die Abgasrückführung temperaturabhängig steuerndes Thermofenster enthält. Der Kläger ließ das Software-Update im Jahr 2017 aufspielen.

3Der Kläger meint, die Beklagte habe ihn durch das Inverkehrbringen des mit einer Umschaltlogik versehenen Motors und auch durch das nachträgliche Aufspielen des Software-Updates sittenwidrig vorsätzlich geschädigt. Darauf gestützt hat er mit seiner im Jahr 2020 erhobenen Klage die Beklagte in erster Instanz zuletzt auf Zahlung von 13.949,83 € (Kaufpreis abzüglich anzurechnender Nutzungsvorteile) nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Daneben hat er die Feststellung begehrt, dass die Beklagte sich mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befinde. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben, weil die Beklagte dem Kläger durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in sittenwidriger Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt habe. In der Hauptsache hat es die Beklagte zur Zahlung von 13.469,13 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs verurteilt. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Nach Ablauf der ihm zur Erwiderung auf die Berufung mit Belehrung gesetzten Frist hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am erklärt, für den Fall, dass das Berufungsgericht einen Anspruch aus § 852 BGB bejahe, werde der Zahlungsantrag in der Hauptsache ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt gestellt. Das Berufungsgericht hat "[a]uf die Berufung der Beklagten" das landgerichtliche Urteil unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert, die Verurteilung in Höhe von 1.815,29 € nebst Prozesszinsen - allerdings unter Verzicht auf einen Zug-um-Zug-Vorbehalt - aufrechterhalten und die weitergehende Klage abgewiesen. In den Urteilsgründen hat es einen Anspruch des Klägers wegen des Software-Updates verneint. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf vollumfängliche Klageabweisung weiter. Der Kläger erstrebt im Wege der Anschlussrevision ein Erkenntnis wie zuletzt von ihm in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht beantragt.

Gründe

4Die unbeschränkt zugelassene (vgl. VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 16 ff.) und auch im Übrigen zulässige Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt im Umfang der Beschwer der Beklagten zur Aufhebung des Berufungsurteils und auf die Berufung der Beklagten zur vollständigen Klageabweisung. Die Anschlussrevision des Klägers ist dagegen unbegründet.

A. Revision der Beklagten

5Die Revision der Beklagten hat Erfolg.

I.

6Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für die Revision der Beklagten von Bedeutung - im Wesentlichen ausgeführt:

Einem Anspruch des Klägers gemäß §§ 826, 31 BGB auf Ersatz des Vertragsabschlussschadens wegen der Implementierung einer Umschaltlogik stehe die seitens der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen. Die dreijährige Verjährungsfrist habe mit dem Schluss des Jahres 2016 zu laufen begonnen, weil der Kläger jedenfalls in diesem Jahr grob fahrlässig keine Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen gehabt habe. Die Verjährungsfrist habe mit Schluss des Jahres 2019, also vor Klageerhebung, geendet. Gemäß § 852 Satz 1 BGB sei die Beklagte dem Kläger aber zur Herausgabe von 1.815,29 € verpflichtet. Diesen Betrag habe die Beklagte im Zusammenhang mit der Veräußerung des Fahrzeugs an den Kläger erlangt.

II.

7Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

81. Soweit das Berufungsurteil "[a]uf die Berufung der Beklagten" die Beklagte zur Zahlung ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt verurteilt hat, kann das Berufungsurteil, was der Senat von Amts wegen zu beachten hat (vgl. , NJW 2009, 1870 Rn. 20), schon aus prozessualen Gründen keinen Bestand haben. Eine dahingehende Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung hätte das Berufungsgericht nur auf eine zulässige Anschlussberufung des Klägers vornehmen dürfen (vgl. , NJW 2013, 240 Rn. 17; Urteil vom - XI ZR 505/11, BGHZ 197, 335 Rn. 28). Daran fehlt es.

9Die Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am , für den Fall, dass das Berufungsgericht einen Anspruch aus § 852 BGB bejahe, werde der Zahlungsantrag ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt gestellt, ist zwar interessengerecht als Anschlussberufung auszulegen, weil der Kläger nur auf diesem Wege die in dem einschränkungslos formulierten Begehren liegende Klageerweiterung (, BGHZ 197, 335 Rn. 28) in zweiter Instanz einführen konnte (vgl. , NJW 2015, 2812 Rn. 26 ff.; Urteil vom - VIII ZR 233/21, juris Rn. 69). Die Anschlussberufung ist jedoch gemäß § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO unzulässig, weil die dem Kläger bis zum gesetzte Frist zur Berufungserwiderung zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen war. Soweit der Kläger in Reaktion auf die Berufungsbegründung der Beklagten in der Berufungserwiderung "höchst vorsorglich" zu § 852 BGB vorgetragen und in diesem Zusammenhang ausgeführt hat, dass der Beklagten im Rahmen des § 852 BGB keine Zug-um-Zug-Verurteilung zustehe, ist darin noch keine Erhebung einer Anschlussberufung zu sehen, weil der Kläger damit nicht seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, zu seinen Gunsten eine Änderung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen (vgl. , NJW 2008, 1953 Rn. 16; Urteil vom - VIII ZR 175/14, NJW 2015, 1296 Rn. 16).

102. Aber auch die materiell-rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts sind nicht frei von Rechtsfehlern.

11a) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des von ihm für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs habe. Die Beklagte hat mit der Herstellung des Motors und der Programmierung der Motorsteuerungssoftware mit einer Umschaltlogik auch für die Fahrzeugmodelle ihrer Tochtergesellschaften die Typgenehmigungsbehörde - je nach dem Kenntnisstand der Verantwortlichen der Tochtergesellschaften als mittelbare Täterin oder als Mittäterin/Teilnehmerin (§ 830 BGB) - arglistig getäuscht und sich die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer in die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zunutze gemacht (vgl. , VersR 2021, 1055 Rn. 12; Urteil vom - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 24 ff. mwN). Dies wird von der Revision auch nicht in Zweifel gezogen.

12b) Als frei von Rechtsfehlern erweist sich außerdem die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte könne diesem Anspruch die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten (vgl. VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 29 ff. mwN; Urteil vom - VII ZR 422/21, WM 2022, 1743 Rn. 9 ff.). Soweit die Revisionserwiderung auf eine "Vertiefung" der Schädigung des Klägers durch das Aufspielen des Software-Updates und darauf verweist, der Vorwurf der Verwerflichkeit im Sinne der §§ 826, 31 BGB müsse bei der "gebotenen Gesamtbetrachtung" aufrechterhalten werden, behauptet sie tatsächlich eine Wiederholung einer schädigenden Handlung, die womöglich selbst eine neue Schädigung und einen neuen, selbständig verjährenden Schadensersatzanspruch erzeugte (vgl. , BGHZ 71, 86, 94), aber keine Hemmung der Verjährung des mit Abschluss des Kaufvertrags über das Fahrzeug entstandenen Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB.

13c) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat der Kläger indessen keinen Anspruch auf Restschadensersatz gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB in Höhe von 1.815,29 € nebst Zinsen. Ein Anspruch des Klägers scheitert daran, dass die Beklagte als Motorherstellerin aus dem Fahrzeugverkauf an den Kläger nichts auf dessen Kosten erlangt hat.

14Das Tatbestandsmerkmal "auf Kosten des Verletzten ... erlangt" in § 852 Satz 1 BGB setzt voraus, dass die unerlaubte Handlung zu einem Vermögensnachteil des Geschädigten und zu einem Vermögensvorteil des ersatzpflichtigen Schädigers geführt hat, wobei sich die Vermögensverschiebung nicht unmittelbar zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten vollzogen haben muss (vgl. , NJW 2022, 1311 Rn. 27; Urteil vom - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 14; Urteil vom - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 68; jeweils mwN). Der Vermögenszuwachs des Schädigers muss auf dem Vermögensverlust des Geschädigten beruhen ( aaO; Urteil vom - VII ZR 422/21, WM 2022, 1743 Rn. 31). Daran fehlt es im Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten als bloßer Herstellerin des in das Fahrzeug verbauten Motors (vgl. , aaO, Rn. 33 ff.; Urteil vom - VIa ZR 667/21, zVb Rn. 12 ff. mwN).

15Der Bundesgerichtshof hat zwar einen entsprechenden Zurechnungszusammenhang für den Fall bejaht, dass einem Neuwagenkauf eines nach §§ 826, 31 BGB durch den Fahrzeughersteller Geschädigten bei einem Händler die Bestellung des bereitzustellenden Fahrzeugs durch den Händler bei dem Fahrzeughersteller zugrunde liegt und der Fahrzeughersteller und der Händler einen Kaufvertrag über das Fahrzeug schließen, aufgrund dessen der Fahrzeughersteller gegen den Händler einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises erlangt (vgl. VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 14). Diese Rechtsprechung lässt sich entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung aber nicht auf das Verhältnis zwischen dem Geschädigten und dem vom Fahrzeughersteller personenverschiedenen Hersteller des in das Fahrzeug verbauten Motors übertragen. Grundlage der Haftung des Fahrzeugherstellers nach §§ 826, 852 Satz 1 BGB ist, dass der schadensauslösende Vertragsschluss zwischen dem Geschädigten und dem Händler einerseits und der Erwerb des Anspruchs auf Zahlung des Händlereinkaufspreises bzw. der Erwerb des Händlereinkaufspreises durch den Fahrzeughersteller andererseits auf derselben, wenn auch mittelbaren Vermögensverschiebung beruhen. Daran fehlt es im Verhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Motorhersteller regelmäßig schon deshalb, weil Letztgenannter einen wirtschaftlichen Vorteil allenfalls aus der Herstellung und Veräußerung des Motors erlangt und nicht durch das spätere Inverkehrbringen des nicht von ihm entwickelten und hergestellten Fahrzeugs, in das der Motor eingebaut wurde (vgl. , WM 2022, 1743 Rn. 34). Davon abgesehen steht der Hersteller des Motors nicht in einer das Fahrzeug betreffenden Absatzkette, sondern verkauft lediglich einen Bestandteil (vgl. VIa ZR 667/21, zVb Rn. 15 mwN).

16Der Umstand, dass die Beklagte als Konzernmutter der Fahrzeugherstellerin mit dieser wirtschaftlich verflochten ist, führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Der Umsatzerlös einer Tochtergesellschaft aus dem Verkauf eines von ihr hergestellten Fahrzeugs begründet weder unmittelbar noch mittelbar einen damit deckungsgleichen Wertzuwachs des Geschäftsanteils der Muttergesellschaft (, WM 2022, 1743 Rn. 37 mwN).

B. Anschlussrevision des Klägers

17Die form- und fristgerecht eingelegte Anschlussrevision, die mit dem von der Revision erfassten Streitgegenstand in einem rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang steht (vgl. , NJW 2021, 468 Rn. 26), ist unbegründet.

I.

18Das Berufungsgericht hat - soweit den Kläger beschwerend - ausgeführt:

19Soweit der Kläger seine Klage darauf stütze, dass die Beklagte im Fahrzeug mit dem Aufspielen des Software-Updates ein Thermofenster implementiert habe, sei dies nicht geeignet, den Vorwurf besonderer Verwerflichkeit im Sinne von §§ 826, 31 BGB in der gebotenen Gesamtbetrachtung aufrechtzuerhalten. Hinzukomme, dass dem Kläger, selbst wenn das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung dargestellt habe, durch diese weder ein neuer Schaden entstanden noch der alte Schaden vertieft worden sei. Da der Schaden des Klägers im Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags zu sehen sei, würde der Kaufvertrag selbst dann nicht noch "ungewollter", wenn das Fahrzeug nachträglich mit weiteren vorschriftswidrigen Funktionen ausgestattet worden sein sollte.

II.

20Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

211. Soweit der Kläger seinen Anspruch in erster Linie darauf gestützt hat, ihm sei durch das Inverkehrbringen des Motors mit dem Abschluss des Kaufvertrags im Jahr 2012 ein Vertragsabschlussschaden entstanden, kann er aus den oben genannten Gründen weder einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte durchsetzen noch steht ihm ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegen die Beklagte zu, der sowohl aus prozessualen als auch aus materiell-rechtlichen Gründen ohnehin nur Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs gewährt werden könnte.

222. Soweit die Anschlussrevision einen hilfsweise bereits in erster Instanz eingeführten selbständigen deliktischen Anspruch wegen des Aufspielens des Software-Updates weiterverfolgt, wendet sie sich zwar zulässig gegen eine aus dem Berufungsurteil resultierende Beschwer, weil das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil in der Hauptsache auch unter Berücksichtigung dieses weiteren Vorbringens zulasten des Klägers abgeändert hat (vgl. , NJW 2022, 775 Rn. 21 mwN). Das Berufungsgericht hat in der Sache indessen richtig gesehen, dass das Aufspielen eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Software-Updates im Jahr 2017 die vom Kläger im Rahmen des großen Schadensersatzes beanspruchte Befreiung von der im Jahr 2012 eingegangenen ungewollten Verpflichtung beziehungsweise den Ersatz für die in deren Erfüllung aufgewendeten Geldmittel nicht rechtfertigen kann (vgl. , juris Rn. 18; Urteil vom - VI ZR 934/20, VersR 2022, 852 Rn. 14; Beschluss vom - VIa ZR 230/22, zVb Rn. 17).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:101022UVIAZR652.21.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-27636