BGH Urteil v. - VIa ZR 173/22

Instanzenzug: Az: 15 U 1398/21vorgehend LG Mainz Az: 6 O 154/20

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.

2Die Klägerin erwarb im Jahr 2014 von einer Händlerin ein Neufahrzeug des Typs Volkswagen Golf zum Preis von 38.718 € brutto. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Dieser enthielt eine Motorsteuerungssoftware, die das Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus auf dem Prüfstand erkannte und in diesem Fall einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb bewirkte. Die Software wurde im Herbst 2015 öffentlich bekannt und vom Kraftfahrt-Bundesamt als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet.

3Mit der im Jahr 2020 erhobenen Klage hat die Klägerin die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat den Freistellungsantrag abgewiesen und dem übrigen Klagebegehren weitgehend stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels die Verurteilung der Beklagten in Höhe von nur noch 26.704,97 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs und die Feststellung des Annahmeverzugs aufrechterhalten. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte zuletzt ihr Begehren auf Abweisung der Klage weiter, soweit sie zur Zahlung von mehr als 20.316,50 € nebst Zinsen verurteilt worden ist. Die Feststellung des Annahmeverzugs greift sie nicht mehr an.

Gründe

4Die Revision ist zulässig und nach der Beschränkung des Revisionsangriffs, mit der die Beklagte das Rechtsmittel teilweise zurückgenommen hat (vgl. VIa ZR 601/21, NJW 2022, 2752 Rn. 5), begründet.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen wie folgt gerechtfertigt:

6Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB. Der Anspruch sei auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich eines Nutzungsvorteils in Höhe von 12.013,03 €, also auf Zahlung von 26.704,97 € Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs gerichtet. Der Durchsetzung des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB stehe zwar die Verjährungseinrede der Beklagten entgegen, da die Klägerin ohne grobe Fahrlässigkeit bereits im Jahr 2015 Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen hätte erlangen müssen. Die Klägerin könne jedoch einen inhaltsgleichen Restschadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB geltend machen. Die Beklagte habe infolge des Fahrzeugerwerbs der Klägerin den Kaufpreis abzüglich einer Händlermarge von 16,5% erlangt, mithin 32.329,53 €. Da dieser Betrag den verjährten Anspruch aus §§ 826, 31 BGB übersteige, wirke sich die Beschränkung des Restschadensersatzanspruchs auf das von der Beklagten durch die unerlaubte Handlung Erlangte gemäß § 852 Satz 1 BGB nicht aus. Prozesszinsen könne die Klägerin letztlich aus dem zuerkannten Betrag von 26.704,97 €, für die Zeit bis zur erstinstanzlichen Verhandlung aus dem vom Landgericht ausgeurteilten Betrag von 27.284,32 € und für die Zwischenzeit - unter Berücksichtigung der fortgesetzten Fahrzeugnutzung - aus einem sich linear von 27.284,32 € auf 26.704,97 € verringernden Betrag verlangen.

II.

7Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Umfang des nachträglich reduzierten Revisionsangriffs nicht stand. Das Berufungsgericht hat bei der Ermittlung der Höhe des aus §§ 826, 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB geschuldeten Restschadensersatzes übersehen, dass - was der Senat nach Erlass des Berufungsurteils näher ausgeführt hat ( VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 16) - der von der Beklagten erlangte Händlereinkaufspreis nicht lediglich als Vergleichsgröße heranzuziehen, sondern Ausgangspunkt für die Berechnung der Anspruchshöhe ist. Entsprechend hätte das Berufungsgericht, weil auch der Restschadensersatzanspruch der Vorteilsausgleichung unterliegt, die von ihm gemäß § 287 ZPO rechtsfehlerfrei geschätzten Nutzungsvorteile in Höhe von 12.013,03 € von dem unangefochten festgestellten Händlereinkaufspreis in Höhe von 32.329,53 € abziehen müssen, sodass es zu einem Anspruch in der Hauptsache bei Schluss der mündlichen Verhandlung in zweiter Instanz von nur noch 20.316,50 € gelangt wäre.

III.

8Das Berufungsurteil ist in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Insoweit stellt es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

9Der den Restschadensersatzanspruch übersteigende Anspruch der Klägerin aus §§ 826, 31 BGB ist, wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend angenommen hat, nicht durchsetzbar, da die Beklagte dem Anspruch gemäß §§ 195, 199 Abs. 1, § 214 Abs. 1 BGB die Einrede der Verjährung entgegenhalten kann. Zwar kann eine grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin von den anspruchsbegründenden Tatsachen im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts entgegen dessen Annahme nicht schon für das Jahr 2015, sondern erst für das Jahr 2016 angenommen werden (vgl. , VersR 2022, 899 Rn. 16 ff.; Urteil vom - VII ZR 692/21, VersR 2022, 1039 Rn. 25 ff.; Urteil vom - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 38 ff.). Darauf kommt es jedoch im Ergebnis nicht an, da die Klägerin erst am und damit nach Vollendung der Verjährung, die mit Ablauf des Jahres 2019 eingetreten ist, Klage erhoben hat.

10Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden, da die teilweise Aufhebung des Urteils nur wegen einer Rechtsverletzung bei der Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB einen Restschadensersatzanspruch in Höhe von 20.316,50 € zuzüglich Prozesszinsen aus einem Betrag von anfänglich 20.895,85 € Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs. Prozesszinsen schuldet sie in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang so wie vom Berufungsgericht unangefochten angenommen gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem . Das Berufungsgericht hat auch zutreffend berücksichtigt, dass die zu verzinsende Hauptforderung aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB bei Eintritt der Rechtshängigkeit den letztlich zuzusprechenden Betrag überstieg, weil sich der anzurechnende Nutzungsvorteil im Laufe des Rechtsstreits erhöht hat (vgl. , NJW 2020, 2806 Rn. 38). Der anfänglich zu verzinsende Betrag beläuft sich nach rechtsfehlerfreier, vom Händlereinkaufspreis ausgehender Berechnung auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts auf 20.895,85 €. Für die Zeit zwischen dem und dem haben die Vorinstanzen - die Beklagte im Übrigen nicht beschwerend - eine geringere Laufleistung des Fahrzeugs als an dem Tag vor Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz nicht ermittelt, sodass es bei einer Staffelung wie vom Berufungsgericht vorgenommen zu verbleiben hat. Die vom Berufungsgericht angenommene lineare Reduktion des zu verzinsenden Betrags in der Zeit vom bis zum stellt die Revision nicht infrage.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:311022UVIAZR173.22.0

Fundstelle(n):
RAAAJ-27634