Online-Nachricht - Donnerstag, 24.11.2022

DBA | Grenzgänger nach dem DBA-Schweiz 1971/2010 bei 24-Stunden-Diensten und geringfügiger Beschäftigung (BFH)

Der Grenzgängerbegriff ist in Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 unabhängig von örtlichen Voraussetzungen oder Grenzzonen definiert. Ob eine Rückkehr an den Wohnort aufgrund der großen Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort zumutbar ist, betrifft die Frage, ob eine (schädliche) Nichtrückkehr aufgrund der Arbeitsausübung vorliegt (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2010 sind Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragsstaat zu besteuern, in dem dieser ansässig ist. Grenzgänger ist jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2010). Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, entfällt ihre Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn sie bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahrs an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010).

Sachverhalt: Die Beteiligten streiten über den Status als Grenzgänger i. S. des Art. 15a des DBA-Schweiz 1971/ 2010. Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehegatten. Im Jahr 2014 (Streitjahr) wohnten sie in Deutschland. Der Kläger war als Honorararzt in einer Klinik in Deutschland tätig. Darüber hinaus erzielte er aus einer Vertretungstätigkeit in einer Klinik in der Schweiz Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Kläger gab an, diese Einkünfte seien in der Schweiz besteuert worden.

Das FA qualifizierte den Kläger als Grenzgänger i. S. des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/2010 und erfasste die schweizerischen Einkünfte im Einkommensteuerbescheid 2014 als steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der gegen diesen Bescheid erhobene Einspruch hatte insoweit keinen Erfolg.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt und unterwarf die streitigen Einkünfte lediglich dem Progressionsvorbehalt ().

Der BFH hat die Revision des FA als begründet angesehen, das FG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen:

  • Das FG hat die in der Schweiz erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu Unrecht von der inländischen Besteuerung freigestellt; der Kläger war Grenzgänger i. S. des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/2010.

  • Die Kläger waren gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Sie hatten im Streitjahr ihren alleinigen Wohnsitz im Inland und unterlagen daher mit sämtlichen Einkünften i. S. des § 2 Abs. 1 EStG der inländischen Einkommensteuer. Hierzu gehörten auch die in der Schweiz erzielten Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG).

  • Die Ausübung des inländischen Besteuerungsrechts ist für diese Einkünfte nicht durch das DBA-Schweiz 1971/2010 eingeschränkt.

  • Zwar sieht Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/2010 bei einer in Deutschland ansässigen Person unter bestimmten Voraussetzungen vor, die aus der Schweiz stammenden Gehälter, Löhne und ähnlichen Vergütungen i. S. des Art. 15 DBA-Schweiz 1971/2010 von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen. Die Anwendung des Art. 15 DBA-Schweiz 1971/2010 ist aber ausgeschlossen, wenn die Person als Grenzgänger i. S. des dann vorrangig anzuwendenden (z. B. , m.w.N.) Art. 15a DBA-Schweiz 1971/2010 anzusehen ist.

  • Die Schlussfolgerung des FG, die Voraussetzungen des Grenzgängerbegriffs i. S. des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 seien schon wegen der großen Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort und der daraus folgenden Unzumutbarkeit einer Rückkehr nicht erfüllt, ist rechtsfehlerhaft. Denn der Grenzgängerbegriff ist in Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 unabhängig von örtlichen Voraussetzungen oder Grenzzonen definiert. Die Erwägungen des FG, ob und inwieweit eine Rückkehr aufgrund der großen Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort zumutbar ist, können erst dann eine Rolle spielen, wenn es darum geht, ob eine (schädliche) Nichtrückkehr aufgrund der Arbeitsausübung i. S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010 vorliegt.

  • Darüber hinaus ist das FG rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die einzelnen Tage der Tätigkeit des Klägers in der Schweiz getrennt zu betrachten sind und dadurch die zulässige Anzahl schädlicher Nichtrückkehrtage i. S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010 überschritten wird.

  • Wenn sich bei Krankenhauspersonal regulärer Dienst und Rufbereitschaft lückenlos jeweils abwechseln, liegt ein mehrtägiger ununterbrochener Arbeitseinsatz vor, der als Einheit zu behandeln ist. Ob ein sog. Nichtrückkehrtag vorliegt, richtet sich unter diesen Umständen allein nach der Rückkehr oder Nichtrückkehr am Ende des mehrtägigen Arbeitseinsatzes (Bestätigung der Rechtsprechung: ).

  • Der Grenzgängerbegriff des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 setzt keine Mindestanzahl an Grenzüberquerungen pro Woche oder Monat voraus. Die anders lautende Regelung in § 7 KonsVerCHEV verstößt gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes.

Quelle: ; NWB Datenbank (RD)

Fundstelle(n):
RAAAJ-27190