BGH Urteil v. - VI ZR 258/21

Zulässigkeit der Klage: Schlichtungsversuch bei Ansprüchen aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

Leitsatz

§ 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW unterfallen nicht alle Ansprüche, die sich aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ergeben, sondern nur Ansprüche wegen einer Ehrverletzung im Sinne der strafrechtlichen Vorschriften der §§ 185 ff. StGB.

Gesetze: § 15a Abs 1 S 1 Nr 3 ZPOEG, § 53 Abs 1 Nr 2 JustizG NW, § 185 StGB, §§ 185ff StGB, § 823 Abs 1 BGB

Instanzenzug: LG Paderborn Az: 5 S 10/21vorgehend AG Delbrück Az: 2 C 106/20

Tatbestand

1Der Beklagte verschaffte sich Zugang zum WhatsApp-Chatverlauf zwischen seiner von ihm jetzt getrenntlebenden Ehefrau und der Klägerin. Er überließ diesen zumindest zwei Personen zum Lesen. Die Klägerin ist der Ansicht, es handele sich um einen höchstpersönlichen Austausch zwischen zwei Freundinnen, dessen Weitergabe ihre Intimsphäre berühre. Mit ihrer Klage verlangt sie eine Geldentschädigung in Höhe von 3.200 €.

2Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, da sie unzulässig sei. Das Landgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

Gründe

I.

3Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

4Die Klage sei unzulässig, da kein Schlichtungsverfahren vor Klageerhebung durchgeführt worden sei. Ein solches schreibe § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO, § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW für Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzungen der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden seien, zwingend vor. Unter den Anwendungsbereich dieser Regelungen fielen alle Ansprüche, die sich inhaltlich auf eine Ehrverletzung im Sinne der strafrechtlichen Bestimmungen stützten, ohne dass es auf die zivilrechtliche Anspruchsgrundlage ankomme. Auch wenn die Klägerin die Zahlung eines Schmerzensgeldes und nicht die Beseitigung oder Unterlassung der Ehrverletzung verlange, sei die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens Zulässigkeitsvoraussetzung. Zwar habe der Bundesgerichtshof für den Nachbarstreit entschieden, dass Zahlungsansprüche nicht der obligatorischen Streitschlichtung unterfielen, da der Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen alle Geldforderungen ohne Ausnahme habe schlichtungsfrei stellen wollen (, NZM 2012, 435 Rn. 11). Zur Begründung berufe sich der Bundesgerichtshof auf die Entstehungsgeschichte der Norm, die im Bereich der Verletzung der persönlichen Ehre diesen Schluss aber nicht zulasse.

II.

5Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Klage zulässig. Vor Klageerhebung war kein Streitschlichtungsverfahren durchzuführen, da es sich im Streitfall nicht um eine Streitigkeit über Ansprüche wegen Verletzungen der persönlichen Ehre im Sinne von § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW handelt.

61. Nach § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW ist die Erhebung einer Klage in Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzungen der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden sind, erst zulässig, nachdem von einer Gütestelle versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen. Erfasst sind von § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW allerdings nicht alle Ansprüche, die sich aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ergeben (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 221/07, NJW-RR 2008, 1662 Rn. 12; MüKoZPO/Gruber, 6. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 34; Serwe, Gütestellen- und Schlichtungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2002, Rn. 198).

7a) Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW, da dort nur von "Verletzungen der persönlichen Ehre" die Rede ist. § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW lehnt sich eng an den Wortlaut der bundesgesetzlichen Öffnungsklausel des § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO an (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, NRW LT-Drucks. 12/4614, S. 34). Mit diesem Wortlaut nicht vereinbar ist die Auffassung, es seien alle Ansprüche erfasst, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewähre (so aber Schlosser in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 8). Denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt nicht nur die persönliche Ehre, sondern umfassend das Recht des Einzelnen auf Achtung seiner individuellen Persönlichkeit (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 221/07, NJW-RR 2008, 1662 Rn. 12).

8b) Die Entstehungsgeschichte der § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO, § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW spricht ebenfalls für einen beschränkten Anwendungsbereich der Normen.

9Der Rechtsausschuss des Bundestages hielt die Einbeziehung von Ehrschutzklagen in den Anwendungsbereich des § 15a Abs. 1 Satz 1 EGZPO für sachgerecht, weil für die strafrechtliche Verfolgung ebenfalls ein Sühneverfahren (§ 380 StPO) vorgeschaltet sei und damit eine gewisse Gleichwertigkeit des zivil- und strafprozessualen Vorgehens erreicht werde (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 13/11042, S. 33; Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucks. 14/980, S. 6). Nach § 380 StPO ist die Erhebung einer Privatklage u.a. bei Beleidigung erst zulässig, nachdem von einer durch die Landesjustizverwaltung zu bezeichnenden Vergleichsbehörde die Sühne erfolglos versucht worden ist. Unter "Beleidigung" im Sinne des § 380 StPO sind die in §§ 185 bis 189 StGB geregelten Straftatbestände zu verstehen, wie sich aus § 374 Abs. 1 Nr. 2 StPO ergibt.

10Da der Anwendungsbereich der Öffnungsklausel des § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO beschränkt ist, fallen auch unter § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW nur Ansprüche wegen einer Ehrverletzung im Sinne der strafrechtlichen Vorschriften der §§ 185 ff. StGB, also solche, die sich auf herabwürdigende unwahre Tatsachenbehauptungen und herabsetzende Werturteile stützen (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 221/07, NJW-RR 2008, 1662 Rn. 12; MüKoZPO/Gruber, 6. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 34; Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 6; BeckOK GVG/van der Grinten, Stand: , § 53 JustG NRW, Rn. 23; Serwe, Gütestellen- und Schlichtungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2002, Rn. 198 ff.; Schwarzmann/Walz, Das Bayerische Schlichtungsgesetz, 2000, S. 50; LG Osnabrück, BeckRS 2018, 34801; LG Frankfurt, NJW-RR 2016, 302).

112. Von einem in dieser Weise beschränkten Anwendungsbereich des § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW ist im Grundsatz auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat ausgeführt, dass unter den Anwendungsbereich der Regelung alle Ansprüche fielen, die sich inhaltlich auf eine Ehrverletzung im Sinne der strafrechtlichen Bestimmungen stützten. Im Weiteren hat es aber nur festgestellt, dass sich die Klägerin darauf berufe, der Beklagte habe den höchstpersönlichen Chatverlauf, wie er im Tatbestand des Berufungsurteils mit Verweis auf Blatt 2 bis 6 der Gerichtsakte konkret in Bezug genommen wird, Dritten offenbart, um die Klägerin in ihrem Ansehen oder ihrem Ruf zu diskreditieren. Die Klägerin macht damit eine ungenehmigte Weitergabe vertraulicher, nur an einen bestimmten Empfänger gerichteter Nachrichten geltend, also eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. BVerfG, NJW 1991, 2339, juris Rn. 16; , BGHZ 13, 334, 338 f., juris Rn. 22; , VersR 2015, 115 Rn. 15; vom - VI ZR 20/19, NJW-RR 2020, 367 Rn. 24 f.; Erman/Klass, BGB, 16. Aufl., Anhang zu § 12 Rn. 117 f.). Gegenstand der Klage ist jedoch kein nach §§ 185 ff. StGB strafbares Handeln.

123. Es kann daher dahinstehen, ob Ehrschutzklagen, die auf einen Zahlungsanspruch gerichtet sind, überhaupt von § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW erfasst sind (verneinend , NZM 2012, 435 Rn. 8 ff.; MüKoZPO/Gruber, 6. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 35; aA BeckOK GVG/van der Grinten, Stand: , § 53 JuStG NRW Rn. 16; Jacobs in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 19).

134. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, da sich das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - mit dem geltend gemachten Anspruch in der Sache nicht befasst hat. Aus diesem Grund ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

14Die Sache ist nicht an das Berufungsgericht, sondern an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Das Revisionsgericht kann die Sache an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen, wenn die Zurückverweisung an dieses Gericht auch nach einer neuen Verhandlung die nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ermessensgerechte Entscheidung des Berufungsgerichts wäre und eine Partei die Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht in der Berufungs- oder Revisionsinstanz beantragt hat (§ 538 Abs. 2 Satz 1 aE ZPO; , NJW-RR 2017, 443 Rn. 15 mwN). Das ist hier der Fall. Der Beklagte hat im Revisionsverfahren die Zurückverweisung an das Amtsgericht beantragt. Es ist daher ermessensgerecht, um den Parteien die erste Instanz nicht zu nehmen, die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:251022UVIZR258.21.0

Fundstelle(n):
YAAAJ-27127