BGH Beschluss v. - 6 StR 281/22

Instanzenzug: LG Frankfurt (Oder) Az: 24 KLs 18/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und ihn im Übrigen freigesprochen. Die Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Nach den Feststellungen des Landgerichts entkleidete der Angeklagte im Juni 2020 in seiner Wohnung sich und die neunjährige Geschädigte. Sodann „warf“ er sie auf eine Matratze und penetrierte sie – gegen ihren Willen – vaginal und anal mit seinem Penis, was ihr Schmerzen bereitete (Fall II.2.1 der Urteilsgründe, Fall 2 der Anklage). Zu einem ähnlichen Vorfall kam es im Juli 2020. Dabei penetrierte er die auf dem Bauch liegende Geschädigte mit seinem Penis anal (Fall II.2.2 der Urteilsgründe, Fall 4 der Anklage). Soweit dem Angeklagten eine weitere Tat des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zum Nachteil der Geschädigten im Zeitraum vom 1. Mai bis vorgeworfen worden ist (Fall 3 der Anklage), hat das Landgericht ihn freigesprochen.

3Die Anklage hat dem Angeklagten zudem einen Fall des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zum Nachteil der Geschädigten und ihrer Schwester (dort Fall 1) und einen Diebstahl (dort Fall 5) zur Last gelegt. Insoweit hat das Landgericht das Verfahren am nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.

II.

4Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge im dargestellten Umfang Erfolg.

51. Die Beweiswürdigung hält – auch eingedenk des beschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. etwa , NStZ-RR 2020, 355; Beschluss vom – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20 f. mwN) – sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

6In Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten beeinflussen können, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen und in einer Gesamtschau gewürdigt hat (vgl. , NStZ-RR 2021, 24; vom – 6 StR 100/20, aaO; vom − 2 StR 194/17, NStZ 2019, 42). Diese Grundsätze gelten nicht nur, wenn der Angeklagte den Tatvorwurf bestreitet, sondern auch, wenn er – wie hier – in der Hauptverhandlung von seinem Schweigerecht Gebrauch macht (vgl. ; Urteil vom – 4 StR 360/12, NStZ 2013, 180; LR/Sander, StPO 27. Aufl., § 261 Rn. 107; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Aufl., § 261 Rn. 11a).

7Die Beweissituation war hinsichtlich Fall II.2.1 dadurch gekennzeichnet, dass die getroffenen Feststellungen maßgeblich auf der Aussage der Geschädigten beruhten. Für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit war insoweit von Belang, welche Angaben die Zeugin zu den weiteren gleichgelagerten Tatvorwürfen     1 und 3 der Anklage gemacht hat. Das Tatgericht teilt insoweit indes nur mit, dass das Verfahren hinsichtlich des Tatvorwurfs 1 nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt und wegen des Tatvorwurfs 3 „aus tatsächlichen Gründen freigesprochen“ worden sei. Darin liegt ein Erörterungsmangel (vgl. , BGHSt 44, 153, 160; Beschluss vom             − 4 StR 346/17, NStZ 2018, 618; LR/Sander, aaO Rn. 139 mwN).

8Dies gilt besonders angesichts des Umstandes, dass diese Angaben – möglicherweise infolge der eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten der Geschädigten – ohnehin „detailarm“ und „im Wesentlichen auf das Kerngeschehen beschränkt“ waren sowie zum Teil im Widerspruch zu ihren früheren Äußerungen standen. Zu einer zusammenhängenden Darstellung war die Zeugin, wie das Tatgericht selbst festgestellt hat, nicht in der Lage. Vielfach habe sie auf Fragen nur nonverbal, so etwa mit einem Nicken oder Kopfschütteln, reagiert. Angesichts dessen gelangte die von der Strafkammer beauftragte Sachverständige bei ihrer aussagepsychologischen Begutachtung der Zeugin zu dem Ergebnis, dass deren „Aussagefähigkeit so massiv beeinträchtigt sei, dass die Zeugin nicht in der Lage sei, eine Aussage zu machen, die nach Art und Umfang ausreichend sei, um den Mindestanforderungen zu genügen, die aussagepsychologisch an eine qualitative Analyse gestellt würden“.

92. Die Verurteilung des Angeklagten im Fall II.2.2 hat hingegen Bestand. Denn insoweit wurden die Bekundungen der Zeugin maßgeblich durch die glaubhaften Angaben des – mit dem Angeklagten befreundeten – Zeugen G.    gestützt. Dieser war zur Tatzeit in der Wohnung und beobachtete das Tatgeschehen durch die offene Zimmertür.

103. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II.2.1 zieht nicht nur die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe, sondern auch des Maßregelausspruchs nach sich. Es ist möglich, dass das Tatgericht bei der für § 63 StGB erforderlichen Gefahrenprognose zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es nur eine Anlasstat festgestellt hätte.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:021122B6STR281.22.0

Fundstelle(n):
UAAAJ-26836