Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Erwähnung eines eingetragenen Vereins im Verfassungsschutzbericht NRW 2013 - nachdrückliche Unterstützung der verfassungsfeindlichen Bestrebungen einer politischen Partei rechtfertigt Nennung im Verfassungsschutzbericht
Gesetze: Art 5 Abs 1 S 1 GG, Art 5 Abs 2 GG, Art 9 Abs 1 GG, § 3 Abs 1 Nr 1 VerfSchutzG NW vom , § 3 Abs 5 S 1 Buchst c VerfSchutzG NW vom , § 3 Abs 5 S 2 VerfSchutzG NW vom , § 5 Abs 7 S 1 VerfSchutzG NW vom , § 15 Abs 2 S 1 VerfSchutzG NW vom
Instanzenzug: Az: 6 B 152/18 Beschlussvorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 5 A 1698/15 Urteilvorgehend Az: 22 K 6078/14 Urteilvorgehend Az: 1 BvR 3340/14 Ablehnung einstweilige Anordnung
Gründe
1 Der Beschwerdeführer ist ein bundesweit tätiger Verein. Mit der Verfassungsbeschwerde wehrt er sich dagegen, dass die Gerichte seine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2013 bestätigt haben. Mittelbar wendet er sich gegen die dem zugrundeliegenden gesetzlichen Regelungen.
I.
2 1. Im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013, der im Mai 2014 durch den zuständigen Landesminister vorgestellt und veröffentlicht wurde, wird an mehreren Stellen über Verbindungen des Beschwerdeführers zu einer als verfassungsfeindlich eingestuften politischen Partei berichtet. Mittels Fußnoten wird dabei jeweils darauf hingewiesen, dass lediglich Anhaltspunkte für den Verdacht der Verfolgung verfassungsfeindlicher Bestrebungen bestünden.
3 2. Der Beschwerdeführer wandte sich gegen seine Nennung im Verfassungsschutzbericht zunächst erfolglos im fachgerichtlichen Eilverfahren und mit einer gegen die Eilentscheidungen gerichteten Verfassungsbeschwerde (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 3340/14 -). Auch seine Klage, dem Land die Weiterverbreitung des Verfassungsschutzberichts 2013 mit den ihn betreffenden Passagen zu untersagen und richtigzustellen, dass seine Nennung rechtswidrig gewesen sei, wies das Verwaltungsgericht in der Hauptsache ab.
4 Auf seine Berufung hin gab das Oberverwaltungsgericht der Klage teilweise statt. Die Art der Darstellung im Verfassungsschutzbericht 2013 sei in einzelnen Passagen zwar rechtswidrig, weshalb diese Passagen vor einer Weiterverbreitung zu entfernen seien. Doch sei die Nennung dem Grunde nach nicht zu beanstanden. Die Regelung in § 5 Abs. 7 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen (Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalen - VSG NRW) erlaube in der seit dem geltenden Fassung ebenso wie die Vorgängervorschrift des § 15 Abs. 2 Satz 1 VSG NRW die Berichterstattung im Verfassungsschutzbericht, sobald tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung vorlägen. Dies sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Neufassung des Gesetzes im Jahr 2013 verzichte zwar anders als die Vorgängerregelung auf eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Aufgabennorm in § 3 Abs. 1 VSG NRW. Doch sei damit keine inhaltliche Änderung bezweckt gewesen, was auch der Gesetzentwurf der Landesregierung belege (Verweis auf LTDrucks 16/2148, S. 57). Hier bestünden zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer selbst verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolge. Doch lägen im relevanten Zeitraum tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass er die verfassungsfeindlichen Bestrebungen einer Partei nachdrücklich unterstützt habe. Damit sei die Nennung im Verfassungsschutzbericht zu rechtfertigen.
5 Das Bundesverwaltungsgericht wies die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers zurück.
6 3. Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen diese gerichtlichen Entscheidungen und mittelbar gegen die ihnen zugrundeliegende gesetzliche Regelung des § 5 Abs. 7 VSG NRW sowie gegen die weiteren Vorschriften der § 3 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, Abs. 5 Satz 1 Buchstabe c und Satz 2 VSG NRW. Die Fachgerichte hätten die Bedeutung der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3, Art. 5 Abs. 1 sowie Art. 9 Abs. 1 und 3 GG verkannt. Die im Verfassungsschutzbericht 2013 aufgeführten Umstände rechtfertigten es nicht, den Beschwerdeführer zu nennen. Er werde durch die Nennung stigmatisiert, herabgesetzt und außerdem gezwungen, Selbstzensur zu üben und keine Kooperationen mehr zu unterhalten. Eine "Kontaktschuld" könne für die Nennung aber nicht ausreichen. Die Regelungen zur Nennung von Verdachtsfällen seien zudem verfassungswidrig. Angesichts der mit der Warnfunktion der Verfassungsschutzberichte erzielten negativen Wirkung in der Öffentlichkeit genüge § 5 Abs. 7 VSG NRW nicht als Ermächtigungsgrundlage. Vielmehr müsse eine Befugnis zur Berichterstattung über Verdachtsfälle aufgrund von Anhaltspunkten für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen ausdrücklich normiert sein.
II.
7 Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Sie hat in der Sache keinen Erfolg.
8 1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts und den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts wendet, genügt ihre Begründung nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Anforderungen (vgl. BVerfGE 140, 229 <232 Rn. 9> m.w.N.).
9 2. Hinsichtlich der angegriffenen gesetzlichen Bestimmungen kann offen bleiben, ob sie den Anforderungen an eine hinreichend substantiierte Begründung nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG genügt (vgl. BVerfGE 140, 229 <232 Rn. 9> m.w.N.).
10 3. Die durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts beschränkte Nennung des Beschwerdeführers im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2013 verletzt ihn nicht in seinen Grundrechten.
11 a) Die Nennung im Verfassungsschutzbericht greift zwar in seine grundrechtlich geschützte Freiheit ein. Es handelt sich um eine mittelbar belastende Sanktion, die ihm gegenüber eine Warnfunktion hat und zugleich seine Wirkungsmöglichkeiten beeinträchtigt (vgl. zur Pressefreiheit BVerfGE 113, 63 <76 ff.>).
12 b) Dieser Eingriff ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Das gilt unabhängig davon, ob die Nennung als eine den Kernbereich der Vereinstätigkeit betreffende Beschränkung der durch Art. 9 Abs. 1 GG geschützten Organisationsautonomie (vgl. dazu BVerfGE 149, 160 <192 f. Rn. 98>; 153, 182 <304 Rn. 326>) anzusehen wäre (so für die bloße Beobachtung durch den Verfassungsschutz Rinken, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, AK-GG, 3. Aufl. 2001, Art. 9 Rn. 61; Bauer, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Rn. 51; Ziekow, in: Merten/Papier, HGRe, Bd. IV, 2011, § 107 Rn. 43; Höfling, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 9 Rn. 36) oder ob mit der Warnfunktion der Nennung eine Einschränkung der in Art. 9 Abs. 1 GG geschützten Wirkungsmöglichkeiten verbunden wäre, weil potentielle Neumitglieder von einem Vereinsbeitritt Abstand nehmen und bereits beigetretene Mitglieder aus dem Verein austreten und sich von ihm distanzieren könnten (vgl. dazu BVerfGE 113, 63 <77 f.>, zur Mitgliederwerbung BVerfGE 84, 372 <378>), oder aber die Nennung an anderen Grundrechten zu messen wäre.
13 Für die Beurteilung des vorliegenden Falles ergibt sich aus den unterschiedlichen Grundrechten jedenfalls kein unterschiedliches Schutzniveau. Der Grundrechtsschutz wird weder verringert noch erweitert, wenn eine Vereinigung handelt (vgl. BVerfGE 149, 160 <190 f. Rn. 98>). Soweit die Nennung im Verfassungsschutzbericht an Meinungsäußerungen anknüpft, wäre die nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 19 Abs. 3 GG geschützte Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und darüber hinaus die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG) betroffen, deren Wertungen aber auch im Zusammenhang des Art. 9 Abs. 1 GG zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 149, 160 <190 f. Rn. 93>).
14 c) Soweit insbesondere das Oberverwaltungsgericht die Nennung des Beschwerdeführers im Verfassungsschutzbericht für gerechtfertigt hielt, wurden die grundrechtlichen Schutzgehalte auch nicht verkannt.
15 aa) Das Bundesverfassungsgericht hat insofern allein die Aufgabe, gerichtliche Entscheidungen auf die Verletzung von Verfassungsrecht zu überprüfen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92>; stRspr). Ein Grundrechtsverstoß, der zur Beanstandung von Entscheidungen führt, liegt nur dann vor, wenn übersehen worden ist, dass bei Auslegung und Anwendung der jeweils in Rede stehenden Vorschriften überhaupt Grundrechte zu beachten waren, wenn deren Schutzbereich unrichtig oder unvollkommen bestimmt wurde oder wenn ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt worden ist (vgl. BVerfGE 106, 28 <45> m.w.N.; stRspr).
16 bb) Das ist hier nicht der Fall.
17 (1) Nach § 5 Abs. 7 Satz 1 VSG NRW darf die Verfassungsschutzbehörde insbesondere Verfassungsschutzberichte veröffentlichen. In der Auslegung des Oberverwaltungsgerichts ist dafür erforderlich, dass tatsächliche Anhaltspunkte für den in § 3 Abs. 1 VSG NRW genannten Verdacht von Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung vorliegen. Zwar bezieht sich diese Norm nicht mehr ausdrücklich auf die Aufgabennorm des § 3 Abs. 1 VSG NRW. Das Oberverwaltungsgericht hat die Norm aber systematisch dahin gehend ausgelegt, dass mit Blick auf die in § 3 Abs. 3 VSG NRW betonte Bedeutung der Aufklärungsarbeit über Bestrebungen und Aktivitäten im Sinne des § 3 Abs. 1 VSG NRW auch die Berichterstattung des Verfassungsschutzes über Verdachtsfälle weiter möglich sei. Das steht mit den Ausführungen im Gesetzentwurf der Landesregierung in Einklang (LTDrucks 16/2148, S. 57), auf die das Oberverwaltungsgericht verweist.
18 (2) In der Sache stößt dies nicht auf durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken (vgl. zur Vorgängerregelung BVerfGE 113, 63 <80 ff.>). Mit Blick auf Art. 5 Abs. 1 GG handelt es sich bei dem der Nennung des Beschwerdeführers im Verfassungsschutzbericht 2013 zugrundeliegenden § 5 Abs. 7 VSG NRW ebenso wie bei der weitgehend inhaltsgleichen Vorgängervorschrift um ein allgemeines Gesetz, auf das nach Art. 5 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 113, 63 <78 f.>) eine Beschränkung gestützt werden kann. Für eine Nennung im Verfassungsschutzbericht müssen sodann hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, um einer Vereinigung verfassungsfeindliche Bestrebungen und Tätigkeiten zuschreiben zu können (vgl. BVerfGE 113, 63 <80 ff.>). Dabei ist die Arbeit des Verfassungsschutzes an Sachlichkeit und weltanschaulich-politische Neutralität gebunden. Ein"bloßes Haben und Äußern" als verfassungsfeindlich bewerteter Meinungen und Gesinnungen genügt für eine Nennung im Verfassungsschutzbericht nicht, sondern es ist an eine aktiv-kämpferische Haltung anzuknüpfen (vgl. BVerfGE 149, 160 <214 Rn. 146> unter Verweis auf BVerfGE 124, 300 <331 ff., 335> zu § 130 StGB). Werden Meinungsäußerungen berücksichtigt, müssen sich darin tatsächliche Bestrebungen manifestieren, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen (vgl. BVerfGE 113, 63 <81 f.>; zum Parteiverbot BVerfGE 144, 20 <219 ff. Rn. 571 ff.> und für Vereinigungsverbote BVerfGE 149, 160 <197 f. Rn. 107 f.>; im Übrigen dazu der Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom heutigen Tage - 1 BvR 98/21 -, Rn. 16). Es ist nicht erkennbar, dass die Fachgerichte dies hier verkannt hätten.
19 (3) Dabei ist nicht zu bewerten, ob die angegriffenen Entscheidungen zwingend waren, denn die fachliche Prüfung obliegt eben den Fachgerichten. Verfassungsrechtlich ist allein entscheidend, ob Grundrechtsgehalte verkannt worden sind. Insofern ist nicht zu beanstanden, dass die Bewertung einer Vereinigung auf eine Gesamtschau hinreichend gewichtiger Ereignisse gestützt werden kann (vgl. 1 C 12.88 -, Rn. 28). Hier verkennt das Oberverwaltungsgericht auch nicht, dass es nicht ausreichend wäre, wenn sich eine Vereinigung lediglich nicht von verfassungsfeindlichen Organisationen distanzierte, zu denen Berührungspunkte bestehen, oder wenn allein personelle Überschneidungen mit einem verfassungsfeindlichen Personenzusammenschluss vorlägen. Vielmehr müssen auch nach der fachgerichtlichen Wertung verfassungsfeindliche Bestrebungen in der Sache bedeutsam unterstützt werden. Insofern darf die Gründungsgeschichte einer Vereinigung in die Gesamtschau ebenso eingehen wie ein Grußwort auf einer Wahlkampfveranstaltung einer als verfassungsfeindlich eingestuften politischen Partei, ein Stand auf deren Feier zum Gründungsjubiläum und eine gemeinsame Veranstaltung sowie die personelle Präsenz auf deren Wahllisten oder Wahlbündnissen, und dass jegliche Anzeichen einer Distanzierung fehlen. Im Einklang mit den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit nimmt das Oberverwaltungsgericht zudem an, dass der Aussagewert dieser Anhaltspunkte umso geringer ist, je weiter sie in der Vergangenheit liegen.
20 Das Oberverwaltungsgericht ist im Übrigen zutreffend davon ausgegangen, dass die Annahme, es lägen hinreichende Anhaltspunkte für die Nennung im Verfassungsschutzbericht vor, in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle unterfällt. Damit ist eine Verletzung von Grundrechten auch insoweit nicht erkennbar.
21 Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
22 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2022:rk20220531.1bvr056419
Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 3629 Nr. 50
XAAAJ-26485