BGH Urteil v. - VIa ZR 406/21

Instanzenzug: Az: 3 U 999/21vorgehend LG Traunstein Az: 6 O 1450/20

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit der Abgasrückführung auf Schadensersatz in Anspruch.

2Sie erwarb am von einem Händler ein Neufahrzeug VW Tiguan mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA 189, der die bekannte Umschaltlogik (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 16 ff.) enthält. Der Bruttokaufpreis von 32.189,51 € wurde auf ein Konto der Beklagten gezahlt.

3Mit der im Jahr 2020 erhobenen Klage hat die Klägerin im Wesentlichen die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 20.493,99 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.

4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Beklagte unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels verurteilt, an die Klägerin 15.853,85 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs zu zahlen, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.100,51 € freizustellen und den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Gründe

5Die Revision der Beklagten hat Erfolg.

I.

6Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

7Zwar habe die Klägerin dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nach §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs. Die Nutzungsentschädigung belaufe sich unter Berücksichtigung einer geschätzten Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 250.000 km und einem Kilometerstand des Fahrzeugs zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung von 126.871 km auf 16.335,66 €. Damit errechne sich ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 15.853,85 €. Diesem Anspruch stehe jedoch die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen. Die Verjährungsfrist sei mit Ende des Jahres 2019 abgelaufen, so dass die im Juli 2020 eingereichte Klage die Verjährung nicht mehr habe hemmen können.

8Trotz der Verjährung stehe der Klägerin indessen ein Restschadensersatz gemäß § 852 BGB zu. Der Anwendungsbereich des § 852 BGB sei nicht teleologisch zu reduzieren. Vielmehr stehe der Klägerin nach §§ 826, 852 BGB grundsätzlich ein Anspruch auf Herausgabe des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs zu. Eine etwaige Händlermarge wäre grundsätzlich bei der Bestimmung des erlangten "Etwas" abzuziehen, da die Beklagte insoweit keinen Vermögenszuwachs zu verzeichnen habe. Dass sie den Kaufpreis nicht zur Gänze erhalten hätte, habe die Beklagte nicht konkret unter Bezifferung einer angefallenen Händlermarge vorgetragen. Im Übrigen werde die Händlermarge dahingehend geschätzt, dass sie jedenfalls geringer sei als die abzuziehende Nutzungsentschädigung.

II.

9Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

101. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Klägerin einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des von ihr für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs habe, dem die Beklagte allerdings die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten könne (vgl. nur VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 24 ff. mwN). Dies wird von den Parteien im Revisionsverfahren auch nicht in Zweifel gezogen.

112. Ebenfalls rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 852 Satz 1 BGB bei Neuwagenkäufen in den Fällen des sogenannten "Dieselskandals" ausgegangen. Insbesondere ist der Anwendungsbereich der Vorschrift entgegen der Ansicht der Revision nicht - einen Anspruch des Klägers ausschließend - teleologisch zu reduzieren (vgl. VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 54 ff.; Urteil vom - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 12).

123. Im Ansatz zutreffend erweist sich auch die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Beklagte aus dem Fahrzeugkauf der Klägerin im Sinne des § 852 Satz 1 BGB "etwas erlangt" habe, nämlich den um die Händlermarge reduzierten Kaufpreis (vgl. , NJW 2022, 1311 Rn. 27; Urteil vom - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 68; jeweils mwN; VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 14; Urteil vom - VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 27). Insoweit kommt es nicht darauf an, ob der Kaufpreis an den Händler oder den Hersteller gezahlt wurde. Der erforderliche Zurechnungszusammenhang ist jedenfalls gegeben, wenn - wie hier nach den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts - der Händler selbst kein Absatzrisiko trägt.

134. Durchgreifenden Bedenken begegnen indessen die rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts zur Höhe des Restschadensersatzanspruchs der Klägerin.

14a) Der Anspruch des geschädigten Fahrzeugkäufers aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB unterliegt wie der ursprünglich bestehende Schadensersatzanspruch der Vorteilsausgleichung ( VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 83 f.; Urteil vom - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 16). Dabei erschöpft sich die Bedeutung des ursprünglich geschuldeten Schadensersatzes keineswegs in einer bloßen Vergleichsbetrachtung und einer einfachen Limitierung durch den ursprünglichen Zahlbetrag. Vielmehr hat die Rechtsnatur des in § 852 Satz 1 BGB geregelten Restschadensersatzanspruchs eine dreifache Limitierung zur Folge: Zunächst ist der vom Geschädigten entrichtete Brutto-Kaufpreis um die Händlermarge zu reduzieren. Anschließend ist von dem so ermittelten Händlereinkaufspreis der Wert der vom Geschädigten gezogenen Nutzungen in Abzug zu bringen. Und schließlich schuldet der Fahrzeughersteller als Schädiger Restschadensersatz nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs (vgl. VIa ZR 57/21, aaO). Auch für diese Berechnung macht es keinen Unterschied, ob der vom Geschädigten gezahlte Brutto-Kaufpreis zunächst vom Händler oder vom Hersteller vereinnahmt wird.

15b) Abweichend davon hat das Berufungsgericht vom Endkaufpreis (32.189,51 €) den Nutzungsvorteil (16.335,66 €) abgezogen und den so ermittelten, verjährten Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB in Höhe von 15.853,85 € als Restschadensersatz angenommen. Den Abzug der Händlermarge hat es zwar grundsätzlich erwogen, aber nicht durchgeführt. Die Händlermarge hat es dabei nicht konkret festgestellt, sondern lediglich ausgeführt, sie sei geringer als die abzuziehende Nutzungsentschädigung zu schätzen. Indessen sind zur Ermittlung des Restschadensersatzanspruchs sowohl der Nutzungsvorteil als auch die Händlermarge vom Endkaufpreis abzuziehen und folglich konkret festzustellen. Zudem rügt die Revision zu Recht, das Berufungsgericht hätte die Parteien auf fehlenden Vortrag zu der Händlermarge hinweisen müssen, nachdem mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung noch angekündigt worden war, dass die Händlermarge gegebenenfalls zu schätzen wäre.

16c) Entgegen der Ansicht der Revision ist der Restschadensersatzanspruch der Klägerin hingegen nicht auf den von der Beklagten mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs erzielten Gewinn beschränkt (vgl. im Einzelnen VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 86 ff.; Urteil vom - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 17). An diesen mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung übereinstimmenden Grundsätzen hält der Senat weiterhin fest (vgl. VIa ZR 24/22, juris Rn. 17).

175. Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten kann die Klägerin entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht verlangen. Die Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB erfasst auch diese Schadensposition. Ein Restschadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB besteht insoweit nicht, da die vorgerichtliche Anwaltstätigkeit zu keiner Mehrung des Vermögens der Beklagten führte. Die Voraussetzungen eines Anspruchs unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerverzugs gemäß § 280 Abs. 1 und 2, § 286 Abs. 1 BGB sind ebenfalls nicht erfüllt (vgl. etwa VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 19 ff. mwN).

III.

18Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben, soweit darin zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist die Sache - im Sinne einer Zurückweisung der Berufung der Klägerin - zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Im übrigen Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Entscheidungsreife besteht insoweit nicht, da die erforderliche Feststellung der Händlermarge Sache des Tatrichters ist (vgl. VIa ZR 122/22, zVb).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:101022UVIAZR406.21.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-26220