BGH Beschluss v. - 6 StR 169/22

Gesetze: § 46 Abs 2 S 2 StGB, § 176 Abs 1 StGB

Instanzenzug: LG Frankfurt (Oder) Az: 21 KLs 19/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

3a) Das Landgericht hat bei der Bemessung der Strafen in den drei Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB aF) zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt, „dass sexuelle Missbrauchshandlungen erfahrungsgemäß und in der Regel mit psychischen Beeinträchtigungen bei den Opfern einhergehen“, und dazu weiter ausgeführt: „Dass sich derzeit bei der Geschädigten solche psychische Tatauswirkungen nur in sehr abgeschwächter Form, wie dem bislang gezeigten Verdrängen der gesamten Situation, zeigen, schließt nach der langjährigen Erfahrung der Kammer nicht aus, dass sich insoweit noch später Beeinträchtigungen zeigen werden, die auf die Taten des Angeklagten zurückzuführen sein werden.“ Bei der Bemessung der Strafen in den fünf Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 Abs. 1 StGB aF) hat es „die damit regelmäßig einhergehenden psychischen Belastungen auf Seiten des Geschädigten“ zu Lasten des Angeklagten gewertet und dazu weiter ausgeführt: „Obwohl der Geschädigte bislang noch versucht, diese Auswirkungen der Taten zu verdrängen, und sich gegen eine psychologische Betreuung sperrt, geht die Kammer auf Grund ihrer langjährigen Erfahrung mit Missbrauchsdelikten davon aus, dass auch bei dem Geschädigten über kurz oder lang therapeutische Hilfe nötig sein wird, um das Tatgeschehen aufarbeiten zu können.“

4Diese Ausführungen stoßen auf durchgreifende rechtliche Bedenken. Sie lassen besorgen, dass das Landgericht dem Angeklagten unter Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB den Strafzweck der §§ 176, 176a aF StGB strafschärfend angelastet hat, der in dem Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung des Kindes liegt (vgl. , NStZ-RR 2004, 41, 42 mwN). Im Übrigen dürfen bei Delikten des (schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern zwar solche Tatfolgen beim Opfer als verschuldete Auswirkungen der Tat im Sinne von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB strafschärfend gewertet werden, die über die tatbestandlich vorausgesetzte abstrakte Gefährdung des Kindeswohls hinausgehen. Dies setzt aber voraus, dass die Folgewirkungen der Tat konkret festgestellt sind. Das ist hier nicht der Fall. Eine zum Nachteil des Angeklagten auf bloße Vermutungen gestützte Strafzumessung ist indes unzulässig (vgl. 4 StR 192/18Rn. 4 mwN).

5b) Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht ohne die rechtsfehlerhaften Erwägungen auf niedrigere Strafen und eine mildere Gesamtstrafe erkannt hätte.

62. Der Senat sieht Anlass zu folgendem Hinweis:

7Soweit das Landgericht in den Urteilsgründen hinsichtlich des Umfangs der Beweisaufnahme „und damit die von der Kammer erhobenen Beweismittel“ auf die Sitzungsniederschrift verwiesen hat (UA S. 8), gefährdet dies den Bestand des Urteils zwar nicht, weil es dessen ungeachtet aus sich heraus verständlich ist (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO). Grundsätzlich sind Bezugnahmen oder Verweisungen auf andere Urkunden, Aktenbestandteile oder sonstige Erkenntnisse jedoch unzulässig. Eine Bezugnahme wegen der Einzelheiten erlaubt § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO nur für bei den Akten befindliche Abbildungen (vgl. , NStZ 2022, 125 mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:180522B6STR169.22.0

Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 3798 Nr. 52
HAAAJ-26084