Verfahrensrecht | Ablaufhemmung bei Hinterziehung derselben Steuer durch den Erblasser und den Erben (BFH)
Die von einem Erben durch eine
unterlassene Berichtigung gemäß
§ 153 Abs. 1
AO begangene Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2
AO) führt nicht zu einer weiteren Verlängerung der
Festsetzungsfrist, wenn diese sich schon aufgrund einer Steuerhinterziehung des
Erblassers nach
§ 169 Abs.
2 Satz 2 AO auf zehn Jahre verlängert hatte
(; veröffentlicht am
).
Hintergrund: Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Nach § 171 Abs. 7 AO endet die Festsetzungsfrist in den Fällen der Verlängerung der Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO nicht, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat oder der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist.
Sachverhalt: Die Klägerinnen sind Erbinnen ihrer Eltern. In den Streitjahren 1995 bis 2001 wurden die Erblasser zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Einkommensteuererklärung für das Jahr 1995 reichten sie im März 1997 ein, jene für die Streitjahre ab 1996 in den Jahren 1998 bis 2002. Die Steuerbescheide wurden bestandskräftig.
Der Erblasser hatte seinerseits in den 1980er Jahren von seinem Vater Depots in Liechtenstein und in der Schweiz geerbt. Die daraus erzielten Kapitalerträge gab er in seinen Einkommensteuererklärungen nicht an und verkürzte dadurch bewusst u.a. die Einkommensteuer der Streitjahre um jeweils sechsstellige Euro-Beträge.
Die Klägerinnen hatten hiervon bereits zu Lebzeiten des Erblassers Kenntnis. Nach dessen Tod im Jahr 2007 erhielten sie noch im selben Jahr Auskehrungen der liechtensteinischen Stiftungen. Am reichten sie beim FA eine Selbstanzeige ein, mit der sie die liechtensteinischen Kapitalerträge für die Einkommensteuerveranlagungen ab 2002 nacherklärten. Für die Streitjahre 1995 bis 2001 gaben die Klägerinnen keine Berichtigungserklärungen zu den eingereichten Einkommensteuererklärungen ab.
Auf der Grundlage von Steuerfahndungsberichten erließ das FA am gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO Änderungsbescheide zur Einkommensteuer für die Streitjahre und zur Vermögensteuer-Neuveranlagung auf den . Das FA ging davon aus, dass die Festsetzungsfrist für die Streitjahre wegen einer Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 7 AO noch nicht abgelaufen sei. Die Klägerinnen berufen sich auf Eintritt der Festsetzungsverjährung. Mit ihrer Klage hatten sie in allen Instanzen keinen Erfolg (Vorinstanz: ).
Hierzu führten die Richter des BFH weiter aus:
Die Klägerinnen schulden als Gesamtrechtsnachfolgerinnen die vom Erblasser hinterzogene Einkommensteuer. Die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO für die Korrektur der Einkommensteuerbescheide liegen vor.
Das FA erlangte im Streitfall erst durch die von den Klägerinnen für die Jahre ab 2002 eingereichte Selbstanzeige vom Kenntnis davon, dass der Erblasser bereits in den Streitjahren höhere Kapitaleinkünfte erzielt hatte, als er dem FA in den eingereichten Einkommensteuererklärungen mitgeteilt hatte.
Das FA hat die streitgegenständlichen Änderungsbescheide vor dem jeweiligen Eintritt der Festsetzungsverjährung erlassen.
Die Festsetzungsfrist begann mit Ablauf des Jahres, in dem die Erblasser die Einkommensteuererklärung für das jeweilige Streitjahr abgegeben hatten (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Sie verlängerte sich aufgrund der unstreitigen Steuerhinterziehungen des Erblassers für jedes Streitjahr auf zehn Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO). Für das älteste Streitjahr 1995 begann sie mit Ablauf des Jahres 1997 und endete - vorbehaltlich der Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 7 AO mit Ablauf des Jahres 2007.
Entsprechend endeten die zehnjährigen Festsetzungsfristen für die weiteren Streitjahre frühestens mit Ablauf der Jahre 2008 (Streitjahre 1996 und 1997), 2009 (Streitjahr 1998), 2010 (Streitjahr 1999), 2011 (Streitjahr 2000) und 2012 (Streitjahr 2001).
Die durch die Steuerhinterziehungen des Erblassers für die Streitjahre in Gang gesetzten zehnjährigen Festsetzungsfristen liefen für die Klägerinnen als Gesamtrechtsnachfolgerinnen jeweils bis zum Ablauf des Zehnjahreszeitraums weiter.
Die von den Klägerinnen als Erbinnen durch Unterlassen der Erklärungsberichtigungen begangenen Steuerhinterziehungen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 153 Abs. 1 AO) lösten für die Einkommensteuer der Streitjahre keine erneute zehnjährige Festsetzungsfrist aus.
Zwar ist auch eine Steuerhinterziehung eines Erben geeignet, die Festsetzungsfrist für den übergegangenen Steueranspruch auf zehn Jahre zu verlängern. Die Steuerhinterziehung des Erben bewirkt jedoch nur dann eine Fristverlängerung auf zehn Jahre, wenn es sich bei dieser anders als im Streitfall um eine erstmalige Verlängerung der Festsetzungsfrist aufgrund einer Steuerhinterziehung handelt (vgl. , Rz 117 f.).
Gemäß § 171 Abs. 7 AO läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, wenn der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger in eine zehnjährige Festsetzungsfrist eintritt und hinsichtlich derselben Steuer eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen begeht.
Die Ablaufhemmung dauert in diesem Fall an, solange der Erbe wegen seiner eigenen Hinterziehung strafrechtlich verfolgt werden kann.
Die Voraussetzungen der Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 7 AO sind in allen Streitjahren erfüllt. Aufgrund der Steuerhinterziehungen des Erblassers lagen unstreitig Fälle des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO vor. Die Klägerinnen haben als Erbinnen bezüglich der Einkommensteuer der Streitjahre jeweils eigene Steuerhinterziehungen durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begangen, deren Verfolgung zum Zeitpunkt der Änderungsbescheide vom noch nicht verjährt war.
Anmerkung von Dr. Christian Levedag, Richter im VIII. Senat des BFH:
Im Besprechungsurteil hat der VIII. Senat über eine in der Praxis wohl häufiger vorkommende Fallgestaltung entschieden. Hat der Erblasser Einkommensteuer hinterzogen, unterliegt dieser Steueranspruch gem. § 169 Abs. 2 S. 2 AO einer verlängerten Festsetzungsfrist von 10 Jahren. Ist die verlängerte Festsetzungsfrist für ein bestimmtes Steuerjahr im Zeitpunkt des Todes des Erblassers noch nicht abgelaufen, tritt der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger in die abgabenrechtliche Position des Erblassers ein (§ 45 Abs. 1 Satz 1 AO). Er wird Schuldner des Steueranspruchs und die verlängerte Festsetzungsfrist gilt auch ihm gegenüber.
Ist dem Erben vor Ablauf der verlängerten Festsetzungsfrist für den geerbten Steueranspruch die Steuerhinterziehung des Erblassers bekannt (so der Besprechungsfall) oder erkennt er sie nach dem Tod des Erblassers vor deren Ablauf, trifft den Erben gem. § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 153 Abs. 1 S. 2 AO eine Anzeige und Berichtigungspflicht gegenüber dem Finanzamt. Verletzt der Erbe seine Anzeige- und Berichtigungspflicht, begeht er gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO für den schon vom Erblasser hinterzogenen Steueranspruch eine eigene Steuerhinterziehung durch Unterlassen.
Diese Steuerhinterziehung des Erben durch Unterlassen löst - wie der VIII. Senat im Besprechungsfall entschieden hat - für den schon vom Erblasser hinterzogenen Steueranspruch ihrerseits jedoch keine neue zehnjährige Festsetzungsfrist gem. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO aus, weil dies im Gesetz nicht vorgesehen ist. Die eigene Steuerhinterziehung des Erben durch Unterlassen gem. § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO unterliegt jedoch der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung für den Erben.
Auf dieser Grundlage wird - wie im Besprechungsfall entschieden - gem. § 171 Abs. 7 AO eine Ablaufhemmung für den „doppelt hinterzogenen“ Steueranspruch bewirkt. Nach dieser Vorschrift läuft „in den Fällen des §§ 169 Abs. 2 S. 2 AO“ die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat oder der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist. § 171 Abs. 7 AO hat zwar den Grundfall vor Augen, dass ein Steuerpflichtiger selbst eine Steuerhinterziehung begeht, diese Tat die verlängerte Festsetzungsfrist des §§ 169 Abs. 2 S. 2 AO auslöst und in ihrem Ablauf gehemmt ist, bis die Verfolgung der Hinterziehung als Steuerstraftat verjährt ist.
Die Regelung des § 171 Abs. 7 AO erfasst jedoch, wie im Besprechungsfall entschieden auch die „doppelte Steuerhinterziehung“ desselben Steueranspruchs durch den Erblasser und den Erben. Der Erblasser verwirklicht durch seine Hinterziehung den tatbestandlich erforderlichen „Fall des §§ 169 Abs. 2 S. 2 AO“, die Steuerhinterziehung des Erben durch Unterlassen gem. § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 301 Abs. 1 Nr. 2 AO löst die erforderliche strafrechtliche Verfolgungsverjährung (§§ 78 bis 78c StGB) aus.
§ 171 Abs. 7 AO verlangt weder nach seinem Wortlaut noch nach seinem Zweck, dass diejenige Hinterziehungstat, die die verlängerte Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auslöst und diejenige Hinterziehungstat, die der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung unterliegt, von demselben Täter begangen worden sein muss noch, dass es sich um dieselbe Hinterziehungstat handelt. Danach kann gegenüber dem Erben für den von ihm und vom Erblasser hinterzogenen Steueranspruch so lange ein Steuerbescheid ergehen oder geändert werden, wie die strafrechtliche Verfolgungsverjährung für die Hinterziehung des Erben andauert, da die verlängerte Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO gem. § 171 Abs. 7 AO bis zum Eintritt der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung in ihrem Ablauf gehemmt ist.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 7 AO nicht greift, wenn der Erblasser erst nach Ablauf der Frist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO verstirbt oder wenn der Erbe die Steuerhinterziehung des (vor Ablauf der Frist aus § 169 Abs. 2 Satz 2 AO verstorbenen) Erblassers erst zu einem Zeitpunkt erkennt, zu dem die verlängerte Festsetzungsfrist schon abgelaufen ist. In diesem Fall trifft den Erben keine Anzeige- und Berichtigungspflicht gem. § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Satz AO. Er kann den geerbten Steueranspruch nicht selbst gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erneut hinterziehen und hierdurch eine ihm gegenüber wirkende strafrechtliche Verfolgungsverjährung auslösen. Auch wenn zum Zeitpunkt des Todes für den Erblasser die strafrechtliche Verfolgungsverjährung für eine Hinterziehung des Erblassers noch nicht eingetreten sein sollte, genügt dies für die Anwendung des § 171 Abs. 7 AO gegenüber dem Erben nicht. Der Erbe tritt in seiner Rolle als Gesamtrechtsnachfolger nicht in eine gegenüber dem Erblasser noch andauernde Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 7 AO ein. Eine Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 7 AO, die vom Erblasser zu Lebzeiten ausgelöst worden ist, endet mit dessen Tod (vgl. , BStBl II 1978, 359).
Quelle: ; NWB Datenbank (il)
Fundstelle(n):
JAAAJ-26040