BAG Urteil v. - 2 AZR 5/22

Auflösungsantrag des Arbeitgebers - Berufungsinstanz - Maßregelungsverbot - Schadensersatz wegen unterbliebener Zielvereinbarung - außergerichtliche Kosten der Parteien in erster Instanz

Gesetze: § 1 Abs 2 KSchG, § 9 KSchG, § 13 Abs 2 KSchG, § 612a BGB, § 533 ZPO, § 12a Abs 1 S 1 ArbGG

Instanzenzug: Az: 4 Ca 1196/20 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 12 Sa 10/21 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten noch über Auflösungsanträge sowie einen Zahlungsanspruch.

2Der Kläger war seit Oktober 2018 für die Beklagte zu 2. und ab Januar 2019 für die Beklagte zu 1. tätig. Die Beklagten gehören derselben Unternehmensgruppe an. Sie kündigten die etwaig mit dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnisse im August 2019 ordentlich zum . Gegen die Stattgabe der Kündigungsschutzanträge des Klägers durch das Arbeitsgericht haben die Beklagten Berufung eingelegt und ua. gestützt auf ein Schreiben des Klägers vom an den Geschäftsführer ihrer Muttergesellschaft jeweils hilfsweise beantragt,

3Der Kläger hat Abweisung der Auflösungsanträge sowie im Weg der Anschlussberufung beantragt,

4Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen der Beklagten zurückgewiesen und deren Auflösungsanträgen gegen Zahlung einer Abfindung iHv. 8.854,16 Euro brutto (Beklagte zu 1.) sowie 5.312,50 Euro brutto (Beklagte zu 2.) stattgegeben. Auf die Anschlussberufung des Klägers hat es die Beklagte zu 1. verurteilt, an ihn 8.333,33 Euro brutto nebst Zinsen als Bonus für das Kalenderjahr 2019 zu zahlen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Abweisung der Auflösungsanträge sowie die Verurteilung der Beklagten zu 1. zur Zahlung eines weiteren Bonus für das Kalenderjahr 2019 iHv. 1.666,67 Euro brutto nebst Zinsen.

Gründe

5Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat ohne revisiblen Rechtsfehler den Auflösungsanträgen der Beklagten stattgegeben und die Klage gegen die Beklagte zu 1. auf Zahlung weiterer 1.666,67 Euro brutto als Bonus für das Kalenderjahr 2019 abgewiesen. Allerdings hat es die Kosten für das erstinstanzliche Verfahren unzutreffend verteilt.

6I. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler zulasten des Klägers dessen Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zu 1. auf deren Antrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG gegen Zahlung einer Abfindung iHv. 8.854,16 Euro brutto aufgelöst.

71. Die Beklagte zu 1. durfte den Auflösungsantrag auf der Grundlage ihrer Berufung gegen die Stattgabe des gegen sie gerichteten Kündigungsschutzantrags durch das Arbeitsgericht erstmals in zweiter Instanz stellen, § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG.

8a) Die Berufung war zulässig. Die Beklagte zu 1. hat sich hinreichend mit der Annahme des Arbeitsgerichts auseinandergesetzt, die Kündigung habe einer sozialen Rechtfertigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG bedurft, weil sie in den betrieblichen Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes fiel (§ 23 Abs. 1 KSchG). Deshalb kann dahinstehen, ob ein zweitinstanzlich im Rahmen einer eigenen Berufung angebrachter Auflösungsantrag analog § 524 Abs. 4 ZPO nur seine Wirkung verliert, wenn die Berufung - wie vorliegend nicht - zurückgenommen oder tatsächlich vom Landesarbeitsgericht als unzulässig verworfen wird (zu § 533 ZPO vgl.  - Rn. 14; - IX ZR 204/13 - Rn. 2).

9b) Die Voraussetzungen des § 533 ZPO mussten nicht erfüllt sein. § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG ist insofern lex specialis (aA  - zu A III 2 der Gründe).

102. Die Beklagte zu 1. ist aktivlegitimiert. Aufgrund der rechtskräftigen Stattgabe des Antrags gegen die von ihr erklärte Kündigung steht fest, dass zu dem im Kündigungsschreiben genannten Beendigungszeitpunkt, zu dem auch der Auflösungsantrag wirken soll (§ 9 Abs. 2 KSchG), ein Arbeitsverhältnis zum Kläger bestand.

113. Der Auflösungsantrag der Beklagten zu 1. ist „statthaft“.

12a) Nach den gemäß § 9 KSchG maßgeblichen Annahmen des Landesarbeitsgerichts war die im betrieblichen Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes (§ 23 Abs. 1 KSchG) erklärte Kündigung vom sozialwidrig (§ 1 Abs. 2 KSchG).

13b) Die Kündigung war nicht maßregelnd iSv. § 612a BGB.

14aa) Bei einer maßregelnden Kündigung scheidet eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers aus. Das folgt aus § 13 Abs. 2 KSchG. Danach kann bei einer - auch - sittenwidrigen Kündigung allein der Arbeitnehmer einen Auflösungsantrag stellen. Denn es wird lediglich § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG in Bezug genommen. Das gilt auch für eine maßregelnde Kündigung, weil es sich um einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit handelt (vgl.  - Rn. 28; - 2 AZR 560/20 - Rn. 26).

15bb) Allerdings greift § 612a BGB, wenn der Arbeitgeber aufgrund eines Motivbündels handelt, nur ein, wenn die Rechtsausübung durch den Arbeitnehmer das wesentliche Motiv für die Maßnahme bildet ( - Rn. 28; - 2 AZR 560/20 - Rn. 26). Daran fehlt es vorliegend. Der Kläger hat die tatbestandliche Feststellung, tragendes Motiv der Beklagten zu 1. sei es nach seinem eigenen Vorbringen zum Kündigungsschutzantrag gewesen, sich von ihm als Mitglied des sog. Core-Teams zu trennen, nicht mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag nach § 320 ZPO angegriffen. Danach kommt es auf die Sachrügen der Revision betreffend das Vorliegen einer unzulässigen Maßregelung nicht an.

164. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler gemeint, es habe ein Auflösungsgrund vorgelegen.

17a) Das Landesarbeitsgericht hat den Auflösungsantrag der Beklagten zu 1. allein aufgrund des Schreibens des Klägers vom für durchgreifend erachtet. Es hat seine auf dieses Schreiben bezogene Würdigung mit einem Fazit entsprechend dem Maßstab des § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG (keine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit „zu erwarten“) eingeleitet und abgeschlossen. Nur zur Absicherung seiner Entscheidung gegen eine mögliche Zurückverweisung durch den Senat (vgl. § 563 Abs. 3 ZPO) hat es hilfsweise eine Gesamtschau unter Einbeziehung weiterer Umstände angestellt, aufgrund derer es eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit des Klägers mit der Beklagten zu 1. sogar als „ausgeschlossen“ angesehen hat.

18b) Auf die Hilfserwägungen des Berufungsgerichts und die darauf bezogenen Sachrügen der Revision kommt es an dieser Stelle nicht an, weil bereits die Hauptbegründung keinen Rechtsfehler erkennen lässt. Das Landesarbeitsgericht hat ausgehend von der ständigen Senatsrechtsprechung (vgl.  - Rn. 16 ff., BAGE 163, 36) bei der Würdigung des Schreibens des Klägers vom an den Geschäftsführer der Muttergesellschaft der Beklagten alle wesentlichen Umstände vollständig und widerspruchsfrei berücksichtigt (zum eingeschränkten Prüfungsmaßstab vgl.  - Rn. 14, aaO).

19aa) Soweit der Kläger meint, das Berufungsgericht habe seiner durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungsfreiheit kein ausreichendes Gewicht beigemessen, verkennt er, dass es ihm durchaus zugestanden hat, Kritik an den Geschäftsführern der beiden Beklagten betreffend die Auswahl von Rechtsanwälten auch gegenüber dem Geschäftsführer von deren Muttergesellschaft zu üben. Es hat aber gemeint, der Kläger habe sich nach dem gesamten Inhalt und der Diktion seines Schreibens an die Stelle der Geschäftsführer der beiden Beklagten gesetzt und angenommen, ihnen vorgeben zu können, wie sie zu agieren haben. Gegenüber dieser Würdigung zeigt der Kläger keinen revisiblen Rechtsfehler auf. Bei der Behauptung, er habe sich an den Geschäftsführer der Muttergesellschaft gewandt, weil diese nach dem Konzernumlagevertrag für die Koordination und Betreuung von Rechtsberatungsleistungen zuständig sei, handelt es sich um neues, nach § 559 Abs. 1 ZPO unbeachtliches Vorbringen, das im Übrigen nichts an der Einschätzung zu ändern vermöchte, der Kläger habe gemeint, selbst vorgeben zu können, wie Rechtsanwälte durch die beiden Beklagten auszuwählen seien.

20bb) Der Kläger kann sich nicht auf die Senatsrechtsprechung stützen, wonach Äußerungen in vertraulichen Gesprächen, die der Arbeitnehmer in der berechtigten Erwartung tätigt, sie würden nicht nach außen getragen, eine Kündigung bzw. vorliegend die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne Weiteres zu rechtfertigen vermögen (vgl.  - Rn. 18). Es kann dahinstehen, ob diese Rechtsprechung auf Äußerungen der vorliegend zu beurteilenden Art überhaupt Anwendung finden kann. Jedenfalls hat der Kläger sich gegenüber dem Geschäftsführer der Muttergesellschaft der beiden Beklagten keine Vertraulichkeit ausbedungen, sondern es mit dem Schreiben im Gegenteil darauf angelegt, dass der Geschäftsführer der Muttergesellschaft gegenüber den Geschäftsführern der beiden Beklagten aktiv wird.

21cc) Angesichts der von ihm angenommenen Schwere des anmaßenden Verhaltens des Klägers musste das Berufungsgericht die Beklagte zu 1. nicht auf eine Abmahnung verweisen. Der Erfolg einer solchen erschien alles andere als sicher, weil sich der Kläger noch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung „uneinsichtig“ gezeigt hat (vgl.  - Rn. 21, BAGE 163, 36). Das bedeutet entgegen der Annahme des Klägers nicht, dass das Berufungsgericht bei ihm vom Vorliegen eines über den Einzelfall hinausgehenden „Verhaltensmusters“ ausgegangen wäre.

225. Es ist weder von der Revision dargetan noch sonst ersichtlich, dass das Landesarbeitsgericht in Bezug auf das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zu 1. die Abfindung nach Maßgabe von § 10 KSchG rechtsfehlerhaft zu niedrig festgesetzt hätte (zum eingeschränkten Prüfungsmaßstab vgl.  - Rn. 38 ff., BAGE 142, 188). Das gilt auch, wenn es die E-Mail des Klägers vom abfindungsmindernd berücksichtigt haben sollte. Die Revision hat keine Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass das Berufungsgericht bei seiner Würdigung, der Kläger habe der Beklagten zu 1. darin in nicht nachvollziehbarer Weise einen vorsätzlich täuschenden Charakter seiner Personalakte unterstellt, nicht alle vom Kläger angeführten Eintragungen in den Blick genommen hätte. Das ist auch objektiv nicht ersichtlich. Vielmehr ist es selbsterklärend, dass ein Leser der Personalakte durch die bloß unscharfen Formulierungen, das Arbeitsverhältnis sei von der Beklagten zu 2. „übernommen“ worden und man habe eine Kündigung „zurückgenommen“ (anstatt von einer solchen „abzusehen“), nicht zulasten des Klägers irregeführt werden sollte.

23II. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten zu 2. auf deren Antrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG gegen Zahlung einer Abfindung iHv. 5.312,50 Euro brutto aufzulösen, ist ebenfalls frei von revisiblen Rechtsfehlern.

241. Hinsichtlich der Zulässigkeit und „Statthaftigkeit“ des Auflösungsantrags kann auf die Ausführungen zu dem der Beklagten zu 1. (Rn. 7 ff.) verwiesen werden. Auch die Berufung der Beklagten zu 2. war ausreichend begründet. Das Landesarbeitsgericht ist - wie bei derjenigen der Beklagten zu 1. - davon ausgegangen, die Kündigung sei „allein“ sozialwidrig gewesen.

252. Das Berufungsgericht hat auch im Verhältnis zur Beklagten zu 2. gemeint, eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger sei schon - allein - aufgrund seines Schreibens vom nicht zu erwarten. Diese Würdigung lässt weder einen revisiblen Rechtsfehler erkennen noch wird ein solcher von der Revision aufgezeigt (Rn. 17).

263. Die Erwägungen des Landesarbeitsgerichts zur Höhe der von der Beklagten zu 2. zu zahlenden Abfindung halten sich im Rahmen seines tatrichterlichen Beurteilungsspielraums. Dem Berufungsurteil lässt sich nicht entnehmen, dass es - was nicht unproblematisch wäre - auch im Verhältnis zur Beklagten zu 2. die E-Mail vom abfindungsmindernd berücksichtigt hätte.

27III. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei erkannt, dass der Kläger angesichts der Auflösung seines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 1. zum von dieser nicht unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes die Zahlung von weiteren 1.666,67 Euro brutto als Bonus für das Kalenderjahr 2019 verlangen kann. Bei der Behauptung des Klägers, es sei davon auszugehen, dass er das zu vereinbarende Ziel unterjährig erreicht hätte, handelt es sich um nicht zu berücksichtigenden neuen Tatsachenvortrag in der Revisionsinstanz (§ 559 Abs. 1 ZPO).

28IV. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen. Die nach § 308 Abs. 2 ZPO von Amts wegen zu prüfende Kostenentscheidung des Berufungsgerichts ist für die erste Instanz hinsichtlich der Gerichtskosten zu korrigieren und bezüglich der außergerichtlichen Kosten zu ergänzen. Ein Ausspruch zu Letzteren war nicht mit Blick auf § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG entbehrlich. Die Norm schließt im ersten Rechtszug nicht die Erstattung aller außergerichtlichen Kosten, sondern lediglich einen Entschädigungsanspruch der obsiegenden Partei wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten aus (vgl.  - Rn. 50; - 10 AZB 27/15 - Rn. 16).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2022:270922.U.2AZR5.22.0

Fundstelle(n):
BB 2022 S. 2739 Nr. 47
DB 2022 S. 2999 Nr. 50
GmbHR 2023 S. 10 Nr. 1
NJW 2022 S. 10 Nr. 49
NJW 2023 S. 172 Nr. 3
NJW 2023 S. 174 Nr. 3
IAAAJ-25923