BGH Beschluss v. - VI ZB 48/21

Begründetheit eines Wiedereinsetzungsantrags bei versehentlicher Mitteilung einer falschen Frist

Leitsatz

1. Eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wird erst wirksam, wenn sie dem Berufungskläger formlos mitgeteilt wird (vgl. , NJW 1999, 1036, juris Rn. 5 und , NJW 1990, 1797).

2. Wird dem Berufungskläger bei Mitteilung der Verlängerungsverfügung ebenfalls mitgeteilt, die Verfügung enthalte einen Schreibfehler, tatsächlich sei ein anderes Fristende gewollt gewesen, so kann dieses Schreibversehen jedenfalls gemäß § 319 ZPO berichtigt werden.

Gesetze: § 234 ZPO, § 319 ZPO, § 520 Abs 2 ZPO, § 522 Abs 1 ZPO

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 22 U 222/20vorgehend LG Darmstadt Az: 29 O 167/18

Gründe

I.

1Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage mit den Beklagten am zugestelltem Urteil überwiegend stattgegeben. Nach rechtzeitiger Einlegung der Berufung hat der Vorsitzende des Berufungsgerichts auf einen entsprechenden Antrag der Beklagten die Frist zur Begründung der Berufung zunächst bis zum verlängert. Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom haben die Beklagten die erneute Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis einschließlich beantragt und zur Begründung unter anderem ausgeführt, die Gegenseite habe sich mit der weiteren Fristverlängerung einverstanden erklärt. In der daraufhin unter dem erlassenen Verfügung hat der Vorsitzende des Berufungsgerichts die Frist aufgrund eines Schreibversehens nur bis zum verlängert. Die Verfügung ist unter dem formlos an die Prozessbevollmächtigte der Beklagten gesandt worden, wobei die Beklagten in Abrede stellen, dass sie dort eingegangen ist.

2Am ist die Berufungsbegründung beim Berufungsgericht eingegangen. Mit Verfügung vom hat der Vorsitzende des Berufungsgerichts die Parteien darauf hingewiesen, dass es sich bei der Angabe "" in der Verfügung vom um ein Schreibversehen handle und aus Gründen des Vertrauensschutzes die am eingegangene Berufungsbegründung für fristgerecht erachtet werde. Nach Widerspruch des Klägers, der die Berufungsbegründung für verspätet hält, hat das Berufungsgericht die Parteien mit den Beklagten am zugestelltem Beschluss darauf hingewiesen, eine Änderung der Fristsetzung in der Verfügung vom vom auf den gemäß § 319 ZPO sei nicht möglich, weil das Schreibversehen des Vorsitzenden nicht für jedermann offenbar sei. Mangels Änderungsmöglichkeit sei die Fristsetzung auf den verbindlich und die am eingegangene Berufungsbegründung mithin verspätet. Die Beklagten hätten den Fristablauf prüfen und gegebenenfalls rückfragen müssen. Mit am eingegangenem Schriftsatz vom haben die Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und unter anderem darauf hingewiesen, die Verfügung vom mit einer Verlängerung der Frist auf den nicht erhalten zu haben. Hierzu haben sie eine eidesstattliche Versicherung einer Angestellten ihrer Prozessbevollmächtigten vorgelegt.

3Mit Beschluss vom hat das Berufungsgericht den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

41. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, der Wiedereinsetzungsantrag sei unbegründet, weil die Beklagten nicht ausreichend hätten darlegen und glaubhaft machen können, dass sie ohne ihr Verschulden verhindert gewesen seien, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Die Berufung sei deshalb mangels Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2, § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen gewesen.

5Die Frist zur Begründung der Berufung sei durch den Vorsitzenden bis zum verlängert worden, die Berufungsbegründung aber erst am eingegangen. Zwar sei die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nur bis zum fehlerhaft und eigentlich der gemeint gewesen. Eine Korrektur der Verfügung nach § 319 ZPO sei allerdings nicht möglich, weil die Unrichtigkeit der Verfügung hierzu für jedermann offenbar sein müsse, was vorliegend nicht der Fall sei.

6Der durch die Beklagten gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei zwar gemäß § 234 ZPO fristgerecht, aber unbegründet. Denn die Beklagten hätten nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Verlängerung wie beantragt bewilligt werden würde. Vielmehr hätte die Prozessbevollmächtigte der Beklagten vor Ablauf der beantragten Frist durch geeignete Maßnahmen, gegebenenfalls durch Rückfrage bei Gericht, überprüfen müssen, ob ihrem Fristverlängerungsantrag entsprochen worden sei, nachdem ihr nach ihrem Vortrag die gerichtliche Verfügung vom nicht zugegangen sei. Eine eine solche Nachfrage sicherstellende Organisation des Büros ihrer Prozessbevollmächtigten hätten die Beklagten weder dargelegt noch glaubhaft gemacht.

72. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Beklagten hat Erfolg.

8a) Die kraft Gesetzes statthafte Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die angefochtene Entscheidung verletzt das Verfahrensgrundrecht der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom - VI ZB 25/20, NJW 2022, 1820 Rn. 6 mwN).

9b) Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen bereits nicht die Annahme, die Berufungsbegründung der Beklagten sei verspätet.

10Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die an die Prozessbevollmächtigte der Beklagten am versandte Verfügung des Vorsitzenden vom selben Tag, nach deren Wortlaut dieser die Berufungsbegründungsfrist bis zum verlängert hatte, dieser zugegangen ist. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist deshalb zugunsten der Beklagten zu unterstellen, dass dies nicht der Fall ist. Da eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist erst wirksam wird, wenn sie dem Berufungskläger formlos mitgeteilt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 31/98, NJW 1999, 1036, juris Rn. 5; vom - XII ZB 126/89, NJW 1990, 1797), konnte sie auf dieser Grundlage erst durch die Mitteilung des Vorsitzenden des Berufungsgerichts vom , aufgrund eines Schreibversehens sei die Frist lediglich bis verlängert worden, aus Gründen des Vertrauensschutzes halte der (Berufungs-) Senat die am eingegangene Begründungsschrift aber für fristgemäß, wirksam werden. Ob die Verlängerung nach dem dann maßgeblichen (vgl. , NJW-RR 2020, 313 Rn. 19; MükoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 520 Rn. 14) objektiven Inhalt dieser Mitteilung noch auf den beschränkt oder angesichts des sich aus der Mitteilung ergebenden abweichenden Willens des Vorsitzenden, die Frist bis zum zu verlängern, bereits den umfasste, kann dahinstehen. Denn jedenfalls war das Versehen des Vorsitzenden im Zeitpunkt, in dem die Verfügung wirksam wurde, angesichts des mit der Mitteilung verbundenen Eingeständnisses des Vorsitzenden, sich verschrieben zu haben, "offenbar" im Sinne von § 319 ZPO, so dass das Schreibversehen entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ohne Weiteres hätte berichtigt werden können.

11c) Ist die Berufungsbegründung aber schon nicht verspätet eingegangen, kommt es auf die Frage, ob den Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren gewesen wäre, nicht mehr an. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass im Falle, den Beklagten wäre die Verfügung vom schon vor der Mitteilung vom zugegangen, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf der Grundlage des vorliegenden Antrags nicht in Betracht käme. Denn die Beklagten machen bereits nicht geltend, es sei ihnen ohne eigenes oder ihnen zurechenbares Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten auch in diesem Fall nicht möglich gewesen, die sich aus der Verfügung vom 8. Dezember in ihrer ursprünglichen Form ergebende Frist () einzuhalten. Kann nicht festgestellt werden, ob die der Prozessbevollmächtigten der Beklagten am zugesandte Verfügung bei dieser auch einging, wird freilich davon auszugehen sein, dass dies nicht der Fall ist. Denn eine Beweislast des Berufungsklägers für die Rechtzeitigkeit des Eingangs der Berufungsbegründung kann nur für solche Ungewissheiten bejaht werden, die in seinen Sorgfalts- und Nachweisbereich fallen (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 34. Auflage, § 519 Rn. 20 mwN). Die Ungewissheit, ob ein formlos abgesandtes Schriftstück beim Empfänger angekommen ist, gehört nicht zum Sorgfalts- und Nachweisbereich des Empfängers.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:200922BVIZB48.21.0

Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 9 Nr. 48
NJW-RR 2022 S. 1650 Nr. 23
TAAAJ-25753