BGH Urteil v. - VIa ZR 663/21

Instanzenzug: Az: 18 U 1136/21vorgehend LG Traunstein Az: 8 O 3285/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb am bei einer Vertragshändlerin der Beklagten ein Neufahrzeug des Typs VW Tiguan zum Preis von 34.782,27 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Dieser enthielt eine Motorsteuerungssoftware, die das Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus auf dem Prüfstand erkannte und in diesem Fall einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb bewirkte. Mit Bescheid vom verpflichtete das Kraftfahrt-Bundesamt die Beklagte, die als unzulässige Abschalteinrichtung qualifizierte Software aus allen betroffenen Fahrzeugen zu entfernen. Im Februar 2016 erhielt der Kläger durch ein Schreiben der Beklagten Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom sogenannten Dieselskandal. In der Folgezeit wurde ein Software-Update auf das Fahrzeug aufgespielt.

3Mit der im Jahr 2020 erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 25.413,40 € (Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung zuzüglich Inspektionskosten) Zug um Zug gegen "Annahme" des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten begehrt. Die Beklagte hat zunächst die Einrede der Verjährung erhoben, diese jedoch in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht fallen gelassen. Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme eines Teils der vom Kläger verlangten Zinsen und mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Beklagte Zahlung Zug um Zug gegen Übereignung (nicht "Annahme") des Fahrzeugs zu leisten habe. Die Berufung der Beklagten, mit der sie erneut die Einrede der Verjährung erhoben hat, ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung aus den Vorinstanzen weiter.

Gründe

4Die Revision hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Der Kläger habe gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB, der auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs gerichtet sei. Der diesbezügliche Schaden des Klägers belaufe sich auf 25.474,53 € (34.782,27 € Kaufpreis abzüglich 9.307,74 € Nutzungsentschädigung). Gemäß § 308 ZPO könne ihm jedoch nur der begehrte Betrag von 25.413,40 € zugesprochen werden. Der erstattungsfähige Schaden umfasse außerdem vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.335,04 €. Der Anspruch aus §§ 826, 31 BGB sei zwar verjährt. Trotz der Verjährung des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB könne der Kläger seinen Schadensersatzanspruch aber gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB in voller Höhe geltend machen. Die Beklagte habe das Entgelt, das ihr aus dem Verkauf des Fahrzeugs an ihre Vertragshändlerin zugeflossen sei, im Sinne von § 852 Satz 1 BGB auf Kosten des Klägers erlangt. Sie habe mit dem Verkauf an die Vertragshändlerin arglistig ein bemakeltes Fahrzeug in Verkehr gebracht und in der Erwartung gehandelt, dass diese das Fahrzeug alsbald an einen arglosen Kunden weiterverkaufen werde. Da § 852 Satz 1 BGB keine unmittelbare Vermögensverschiebung zwischen Geschädigtem und Schädiger voraussetze, könne die Beklagte nicht einwenden, dass ihr der Verkaufserlös gegebenenfalls bereits zeitlich vor dem Abschluss des Kaufvertrags zwischen dem Kläger und der Vertragshändlerin zugeflossen sei. Auf die konkrete Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen Fahrzeughersteller und Händler komme es nicht an. Die Höhe des Erlöses aus dem Fahrzeugverkauf an die Vertragshändlerin sei nicht bekannt. Der Kläger habe jedoch unwidersprochen vorgetragen, dass die Beklagte zumindest 28.000 € erhalten habe. Da dieser Betrag den Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB übersteige, könne der Kläger den geltend gemachten Betrag von 25.413,40 € Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs sowie die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen.

7Das Landgericht habe auch den Annahmeverzug der Beklagten zu Recht festgestellt. Der Kläger habe die Rückgabe des Fahrzeugs mit anwaltlichem Schreiben vom ordnungsgemäß angeboten.

II.

8Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand. Die bislang vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen tragen nicht die Annahme, dass dem Kläger ein Anspruch auf sogenannten Restschadensersatz gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegen die Beklagte zustehe.

91. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des von ihm für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs habe, dem die Beklagte allerdings die - in der Berufungsinstanz zulässig wiederaufgegriffene - Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten könne (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 12 ff.; Urteil vom - VI ZR 739/20, NJW 2021, 918 Rn. 17 ff.; Urteil vom - VII ZR 679/21, juris Rn. 15 ff.; Urteil vom - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 24 ff. mwN; Urteil vom - VIa ZR 680/21, WM 2022, 1604 Rn. 13 ff.). Dies wird von den Parteien im Revisionsverfahren nicht in Zweifel gezogen.

102. Das Berufungsgericht ist auch zutreffend von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 852 Satz 1 BGB in den Fällen des "ungewollten" Fahrzeugerwerbs im sogenannten Dieselskandal ausgegangen. Insbesondere steht die normative Prägung des im Fahrzeugerwerb liegenden Schadens der Anwendung von § 852 Satz 1 BGB nicht entgegen (vgl. VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 54 ff.; Urteil vom - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 12).

113. Das Berufungsgericht hat jedoch keine Feststellungen getroffen, die die Annahme rechtfertigen, dass die Beklagte im Zuge des Fahrzeugerwerbs des Klägers etwas auf dessen Kosten erlangt habe.

12a) Das Tatbestandsmerkmal "auf Kosten des Verletzten... erlangt" in § 852 Satz 1 BGB setzt voraus, dass die unerlaubte Handlung zu einem Vermögensnachteil des Geschädigten und zu einem Vermögensvorteil des Ersatzpflichtigen geführt hat, wobei sich die Vermögensverschiebung nicht unmittelbar zwischen dem Ersatzpflichtigen und dem Geschädigten vollzogen haben muss (vgl. , NJW 2022, 1311 Rn. 27; Urteil vom - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 68; jeweils mwN). Liegt dem Neuwagenkauf eines nach § 826 BGB durch den Fahrzeughersteller Geschädigten bei einem Händler die Bestellung des bereitzustellenden Fahrzeugs durch den Händler bei dem Hersteller zugrunde und schließen der Hersteller und der Händler einen Kaufvertrag über das Fahrzeug, aufgrund dessen der Hersteller gegen den Händler einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises erlangt, ist dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegeben, weil der schadensauslösende Vertragsschluss zwischen dem Geschädigten und dem Händler einerseits und der Erwerb des Anspruchs auf Zahlung des Händlereinkaufspreises bzw. der Erwerb des Händlereinkaufspreises durch den Hersteller andererseits auf derselben, wenn auch mittelbaren Vermögensverschiebung beruhen ( VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 14; Urteil vom - VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 27). Hat der Händler das Fahrzeug hingegen unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes (Absatz-)Risiko erworben, fehlt es an dem von §§ 826, 852 Satz 1 BGB vorausgesetzten Zurechnungszusammenhang ( aaO, Rn. 28).

13b) Daran gemessen ergibt sich aus den bislang vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht, dass zwischen dem Kläger und der Beklagten eine Vermögensverschiebung im Sinne von § 852 Satz 1 BGB stattgefunden hat. Es ist insbesondere nicht festgestellt, dass die Beklagte infolge des Fahrzeugkaufs des Klägers einen Kaufpreisanspruch gegen die Verkäuferin - ihre Vertragshändlerin - erlangt hätte. Die Revisionserwiderung beruft sich insoweit ohne Erfolg auf die Feststellung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers von dem gezahlten Endkaufpreis jedenfalls einen Betrag von 28.000 € erlangt. Das Berufungsgericht hat ersichtlich nur eine Aussage zur Höhe des von der Beklagten aus der Veräußerung des Fahrzeugs an ihre Vertragshändlerin erzielten Erlöses treffen wollen, nicht aber zur zeitlichen Abfolge der Geldflüsse oder zur Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen der Beklagten und der Vertragshändlerin, die es ausdrücklich als unerheblich angesehen hat.

14Entgegen der Auffassung der Revision ist anhand der bislang getroffenen Feststellungen eine Vermögensverschiebung vom Kläger zur Beklagten im Sinne von § 852 Satz 1 BGB indessen auch nicht auszuschließen. Zwar hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass die Beklagte das Fahrzeug in der Erwartung an ihre Vertragshändlerin verkauft habe, dass diese es alsbald weiterverkaufen werde. Daraus folgt jedoch nicht ohne Weiteres, dass die Vertragshändlerin auch das Absatzrisiko übernommen hätte. Dies hängt vielmehr von der Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses der Beklagten zur Vertragshändlerin ab, konkret von der Frage, ob der Kaufpreisanspruch der Beklagten gegen die Händlerin unabhängig vom Weiterverkauf des Fahrzeugs an einen Endkunden bestand oder damit verknüpft war. Hierzu hat das Berufungsgericht, das vor der höchstrichterlichen Klärung der Bedeutung des Absatzrisikos entschieden hat, bewusst keine Feststellungen getroffen. Den Parteien ist Gelegenheit zu geben, zu der Frage Stellung zu nehmen (vgl. VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 28).

154. Die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten kann in Ermangelung eines rechtsfehlerfrei festgestellten durchsetzbaren Anspruchs des Klägers auf Schadensersatz Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs keinen Bestand haben.

165. Die Zuerkennung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten hält der revisionsgerichtlichen Kontrolle ebenfalls nicht stand. Die Kosten können nicht als weitere Schadensposition im Rahmen des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB geltend gemacht werden, da auch diese Position von der Verjährung des Anspruchs erfasst wird. Es besteht auch kein Restschadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB, da die vorgerichtliche Anwaltstätigkeit, was im Übrigen etwa auch für Inspektionskosten gälte, zu keiner Mehrung des Vermögens der Beklagten führte. Die Voraussetzungen eines Anspruchs unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerverzugs gemäß § 280 Abs. 1 und 2, § 286 Abs. 1 BGB sind ebenfalls nicht erfüllt (vgl. zum Ganzen VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 19 ff. mwN).

III.

17Das Berufungsurteil ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), da es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist die Sache - im Sinne einer Abweisung der Klage - zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Im übrigen Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die noch erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen einer Vermögensverschiebung im Sinne von § 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB treffen kann (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

18Für das weitere Verfahren weist der Senat zudem darauf hin, dass ein eventueller Restschadensersatz nur Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs geschuldet wird (vgl. VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 28).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:260922UVIAZR663.21.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-25680