Anspruch auf Zahlung einer Maut für Nutzung ungarischer Autobahnen gegenüber deutschem Autovermieter; internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte
Leitsatz
1. Die nicht vorab entrichtete ungarische Straßenmaut kann gegen einen inländischen Halter des Fahrzeugs vor den deutschen Zivilgerichten geltend gemacht werden.
2. Die Bestimmungen des ungarischen Rechts verstoßen weder hinsichtlich der in § 15 Abs. 2 des ungarischen Straßenverkehrsgesetzes angeordneten alleinige Schuldnerschaft des Fahrzeughalters noch hinsichtlich der in § 7A Abs. 10 und Anlage 1 der Mautverordnung bestimmten Grundersatzmaut sowie der erhöhten Zusatzgebühr gegen den deutschen ordre public.
3. Fremdwährungsschulden sind als solche, also in fremder Währung, einzuklagen; eine auf die falsche Währung gerichtete Zahlungsklage ist abzuweisen (im Anschluss an , NJW 1980, 2017).
Gesetze: Art 1 Abs 1 EGV 593/2008, Art 4 Abs 1 Buchst b EGV 593/2008, Art 4 Abs 2 EGV 593/2008, Art 12 Abs 1 Buchst b EGV 593/2008, Art 21 EGV 593/2008, Art 4 Abs 1 EUV 1215/2012, Art 63 Abs 1 Buchst a EUV 1215/2012
Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 2-01 S 78/21 Urteilvorgehend AG Frankfurt Az: 380 C 4/20 (14)
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Zahlung einer Maut für die Benutzung ungarischer Autobahnen.
2Die Klägerin ist eine ungarische Gesellschaft, deren Geschäftszweck die Eintreibung der ungarischen Autobahnmaut ist. Die Beklagte ist ein im Inland ansässiges Autovermietungsunternehmen.
3Mit vier Mietfahrzeugen der Beklagten wurde am 17. und insgesamt fünfmal ein Abschnitt der ungarischen Autobahn befahren, für den auf Grundlage des ungarischen Gesetzes Nr. I von 1988 über den Straßenverkehr (im Folgenden: Straßenverkehrsgesetz) i.V.m. der Verordnung des ungarischen Ministers für Wirtschaft und Verkehr Nr. 36/2007 (III. 26.) GKM über die Maut von Autobahnen, Autostraßen und Hauptstraßen (im Folgenden: MautVO) eine Straßenmaut zu entrichten ist. Schuldner der Maut ist nach § 15 Abs. 2 Straßenverkehrsgesetz der Halter des Fahrzeugs. Wird die Maut nicht vor der Benutzung des Straßenabschnitts durch Kauf einer virtuellen Vignette (e-Matrica) entrichtet, ist gemäß § 33/A Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes in Verbindung mit § 7/A Abs. 10 und Anlage 1 MautVO eine Grundersatzmaut von 14.875 ungarischen Forint (HUF) bei Zahlung innerhalb von 60 Tagen nach Zahlungsaufforderung zu zahlen bzw. eine erhöhte Zusatzgebühr von 59.500 HUF bei einer Zahlung nach mehr als 60 Tagen.
4Mit der Klage hat die Klägerin die Zahlung von 958,95 € nebst Zinsen sowie 409,35 € außergerichtlichen Inkassokosten verlangt. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht die Beklagte unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels zur Zahlung von 958,95 € sowie 362,95 € außergerichtlichen Inkassokosten verurteilt. Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision der Beklagten.
Gründe
5Die - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung unbeschränkt zugelassene - Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
I.
6Das Landgericht hat seine in juris veröffentlichte Entscheidung wie folgt begründet: Die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten sei im Rechtsmittelverfahren nicht mehr zu prüfen, nachdem das Amtsgericht diese bejaht habe. Das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien sei als ein vertragliches Schuldverhältnis anzusehen, auf das gemäß Art. 4 Abs. 2, 19 Abs. 1 und 3 Rom I-VO das ungarische Recht anzuwenden sei. Die Klägerin könne die erhöhte Zusatzgebühr nach Anlage 1 MautVO verlangen, da die Fahrzeuge der Beklagten mautpflichtige Straßen befahren und die Beklagte nicht bewiesen habe, dass die Maut vorher bezahlt worden sei. Ein Verstoß gegen den ordre public, der zur Nichtanwendung der Vorschriften der MautVO führen könnte, liege nicht vor. Die Heranziehung des Fahrzeughalters als Mautschuldner sei dem deutschen Recht nicht wesensfremd und beruhe darauf, dass die Beklagte das Mietfahrzeug freiwillig überlassen und dessen Nutzung in Ungarn gestattet habe. Auch begründe die erhöhte Zusatzgebühr keinen Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung, da sie mit einer auch dem deutschen Recht bekannten Vertragsstrafe vergleichbar sei. Der Sache nach handle es sich um eine Sanktionierung des Zahlungsverzugs. Darin liege kein Verstoß gegen das Verschuldensprinzip, da die Beklagte die - als angemessen anzusehende - Zahlungsfrist von 60 Tagen nicht eingehalten habe. Zusätzliche Verzugszinsen seien demgegenüber aufgrund der Regelung des § 33/B Abs. 5 Satz 4 des Straßenverkehrsgesetzes nicht geschuldet.
II.
7Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung insoweit nicht stand, als es an Feststellungen zur Berechtigung der Klägerin fehlt, die Zahlung in inländischer Währung zu fordern.
81. Die Klage ist zulässig erhoben.
9a) Das Landgericht hat die von ihm nicht eigens erörterte internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte, die in der Revisionsinstanz unbeschadet des § 545 Abs. 2 ZPO uneingeschränkt zu überprüfen ist (BGHZ 153, 82 = NJW 2003, 426 f.), zu Recht bejaht. Wie der Gerichtshof der Europäischen Union bereits entschieden hat ( - juris), fällt eine Klage auf gerichtliche Beitreibung der ungarischen Straßenmaut unter den Begriff der „Zivil- und Handelssache“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom (Brüssel Ia-VO = EuGVVO; ABl. EU L 351 S. 1). Nach Art. 4 Abs. 1 EuGVVO sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen. Für Gesellschaften und juristische Personen bestimmt sich der „Wohnsitz“ im Sinne dieser Bestimmung unter anderem durch deren satzungsmäßigen Sitz (Art. 63 Abs. 1 Buchst. a EuGVVO), der sich hier im Inland befindet.
10b) Auch der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist gegeben.
11aa) Zwar überprüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist (§ 17 a Abs. 5 GVG). Das Überprüfungsverbot nach dieser Vorschrift setzt aber voraus, dass die erste Instanz nicht gegen unverzichtbare Verfahrensgrundsätze des § 17 a GVG verstoßen hat. Der Ausschluss der Prüfung gilt damit nicht, wenn die Zulässigkeit des Rechtswegs trotz Rüge nicht durch Vorabbeschluss, sondern entgegen § 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG erst in der Sachentscheidung bejaht wurde (vgl. BGHZ 121, 367 = NJW 1993, 1799 f.).
12So liegt der Fall hier. Da die Beklagte bereits mit ihrer Klageerwiderung die Rüge der Unzulässigkeit des Rechtswegs erhoben hatte, war das Amtsgericht gehalten, vorab gemäß § 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG über die Rechtswegzuständigkeit zu entscheiden. Hiergegen wäre die sofortige Beschwerde nach § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG statthaft gewesen.
13Das Unterlassen der Vorabentscheidung führt dazu, dass die Frage der Rechtswegzuständigkeit noch im Rahmen eines Rechtsmittels gegen die Sachentscheidung geprüft werden kann. Denn die im Gesetz angelegte Systematik will sicherstellen, dass die Beteiligten die Rechtswegentscheidung in jedem Fall überprüfen lassen können (vgl. BGHZ 121, 367 = NJW 1993, 1799, 1800). Daher hätte das Landgericht die Rechtswegzuständigkeit auf die von der Beklagten erhobene Rüge hin seinerseits überprüfen müssen.
14bb) Die somit in der Revisionsinstanz zu prüfende Rechtswegzuständigkeit der ordentlichen Gerichte ist gegeben. Insbesondere handelt es sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, für die nach § 40 Abs. 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet wäre.
15(1) Wird der Klageanspruch auf eine Norm des ausländischen Rechts gestützt, so ist die Qualifikation, ob es sich um eine zivil- oder eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt, aus dem Blickwinkel der lex fori, also nach inländischem Rechtsverständnis, zu beurteilen ( - NJW-RR 2006, 198 Rn. 13; BSGE 54, 250, 256). Zu dem im Inland geltenden Recht gehören dabei auch die bindenden Regelungen der EuGVVO.
16(2) Nach den Regeln der EuGVVO schließt die Wahrnehmung von Hoheitsrechten durch eine der Parteien des Rechtsstreits die Qualifizierung als „Zivil- und Handelssache“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 EuGVVO aus, da diese Partei Befugnisse ausübt, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden allgemeinen Regeln abweichen (vgl. - juris Rn. 27 mwN).
17Allerdings reicht der öffentliche Zweck bestimmter Tätigkeiten für sich genommen nicht aus, um diese Tätigkeiten als hoheitlich (iure imperii) einzustufen, da sie nicht der Wahrnehmung von Befugnissen entsprechen, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Regeln abweichen ( - juris Rn. 28 mwN). Entsprechend hat der Europäische Gerichtshof für eine Klage, mit der die Beitreibung der ungarischen Straßenmaut verfolgt wird, bereits entschieden, dass diese ein privatrechtliches Rechtsverhältnis im Sinne der EuGVVO betrifft ( - juris Rn. 29 f.). Daraus folgt unmittelbar die Zuordnung als zivilrechtliche Streitigkeit nach der lex fori.
182. Die Bestimmung des anwendbaren Vertragsstatuts richtet sich nach der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO; ABl. EU L 177 S. 6, ABl. EU ber. L 309 S. 87). Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass die geltend gemachte Forderung aus einem vertraglichen Schuldverhältnis im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO herrührt. Der Begriff des „vertraglichen Schuldverhältnisses“ bezeichnet eine von einer Person gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene rechtliche Verpflichtung (EuGH NJW 2016, 1005 Rn. 44) und ist nicht eng auszulegen (EuGH NJW 2005, 811 Rn. 48). Hierunter fällt auch eine Verpflichtung, die dadurch freiwillig eingegangen wird, dass der Fahrzeugführer das als Realofferte in der Bereitstellung des mautpflichtigen Straßenabschnitts liegende Angebot durch schlichtes Befahren annimmt (Staudinger/Scharnetzki DAR 2021, 191; Küpper WiRO 2021, 107, 110; Trautmann NZV 2018, 49, 50; Staudinger DAR 2020, 276, 277 f.; vgl. auch EuGH DAR 2017, 254 Rn. 35 und Senatsurteil vom - XII ZR 13/19 - NJW 2020, 755 Rn. 13 jeweils zur Benutzung kostenpflichtiger Parkplätze, sowie EuGH TranspR 2020, 132 Rn. 53 zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne vorherigen Erwerb einer Fahrkarte).
19Offenbleiben kann, ob hier die Kollisionsnorm für Dienstleistungsverträge (Art. 4 Abs. 1 Buchst. b Rom I-VO) anzuwenden ist, nach der das Recht des Staates berufen ist, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (kritisch insoweit Küpper WiRO 2021, 138). Denn wäre dies nicht der Fall, käme die Auffangnorm des Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO zur Anwendung, wonach der Vertrag dem Recht des Staates unterläge, in dem die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Beides führt im vorliegenden Fall gleichermaßen zur Anwendung ungarischen Sachrechts.
20Die Frage, ob auch der vom Fahrzeugführer verschiedene Halter auf Zahlung der vertragsmäßig begründeten Mautforderung in Anspruch genommen werden kann, unterliegt keiner gesonderten Anknüpfung. Denn das Vertragsstatut bestimmt grundsätzlich, wer Schuldner und Gläubiger ist (MüKoBGB/Spellenberg Art. 12 Rom I-VO Rn. 62; BeckOGK/Weller [Stand: ] Rom I-VO Art. 12 Rn. 25). Die Reichweite des Vertragsstatuts erstreckt sich nach dem autonom auszulegenden Art. 12 Abs. 1 Buchst. b Rom I-VO auf die Erfüllung der durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen und damit auch darauf, ob Dritte in den Vertrag einbezogen sind (Staudinger DAR 2020, 276, 278; Staudinger/Scharnetzki DAR 2021, 191, 192; BeckOK BGB/Spickhoff [Stand: ] VO (EG) 593/2008 Art. 12 Rn. 5; Hüßtege/Mansel BGB Rom-Verordnungen - EuErbVO - HUP, Rom I-VO Art. 12 Rn. 15; Schulze/Staudinger BGB 11. Aufl. Rom I-VO Art. 12 Rn. 4; vgl. auch EuGH NJW 2021, 1583 Rn. 35).
21Es besteht kein Anlass, die Sache gemäß Art. 267 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung des Art. 12 Abs. 1 Buchst. b Rom I-VO vorzulegen. Die richtige Auslegung dieser Norm ist angesichts der Regelungszwecke der Rom I-VO, nämlich einerseits eine im Einklang der verschiedenen Regelwerke stehende, rechtssichere und berechenbare Abgrenzung von vertraglichen zu außervertraglichen Schuldverhältnissen zu schaffen (7. Erwägungsgrund und 16. Erwägungsgrund, Satz 1), andererseits der Einräumung eines gewissen gerichtlichen Ermessens, um das Recht bestimmen zu können, das zu dem Sachverhalt die engste Verbindung aufweist (16. Erwägungsgrund, Satz 2), derart offenkundig zu beantworten, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt ("acte clair"; vgl. etwa und C-197/14 - juris Rn. 55 ff.; Senatsbeschluss vom - XII ZB 311/19 - FamRZ 2020, 272 Rn. 11 mwN). Soweit ersichtlich wird hierzu auch in der Rechtsliteratur keine abweichende Auffassung vertreten.
223. Nach den vom Landgericht im Freibeweis (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 337/15 - FamRZ 2017, 1209 Rn. 14) getroffenen Feststellungen zum Inhalt des ungarischen Rechts ist, wenn die Maut nicht vor der Benutzung des Straßenabschnitts durch Kauf einer virtuellen Vignette entrichtet ist, gemäß § 33/A Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes in Verbindung mit § 7/A Abs. 10 und Anlage 1 MautVO eine Grundersatzmaut von 14.875 HUF bei Zahlung innerhalb von 60 Tagen nach Zahlungsaufforderung zu zahlen bzw. eine erhöhte Zusatzgebühr von 59.500 HUF bei einer Zahlung nach mehr als 60 Tagen. Schuldner der nachträglich zu entrichtenden Maut ist nach § 15 Abs. 2 des Straßenverkehrsgesetzes der Halter des Fahrzeugs. Aufgrund von insgesamt fünf Benutzungen von Autobahnabschnitten, für die auf Grundlage der MautVO eine Straßenmaut anfällt, die jedoch jeweils weder vor der Straßenbenutzung noch innerhalb des 60-Tages-Zeitraums entrichtet worden ist, ergibt sich eine Forderung gegen die Beklagte als Halterin der Fahrzeuge in Höhe von (5 x 59.500 HUF =) 297.500 HUF.
234. Zu Unrecht rügt die Revision, das Landgericht habe die nach ungarischem Recht geltende Beweislastverteilung nicht ausreichend aufgeklärt, indem es die Beklagte hinsichtlich der von ihr vorgetragenen Möglichkeit, die Fahrzeugführer hätten die Maut jeweils vorab entrichtet und dieses sei in dem ungarischen Mautsystem lediglich nicht korrekt erfasst worden, für beweisfällig angesehen habe. Zwar entsteht die Straßennutzungsberechtigung bei Vorabentrichtung der Maut durch die fahrzeugbezogene Gebührenzahlung (§ 3 Abs. 1 MautVO). Die Geltendmachung der Berechtigung erfolgt durch elektronische Eingabe, worüber der Besteller eine die Gültigkeit quittierende Mitteilung oder einen Kontrollabschnitt erhält (§ 5 MautVO). Diese dienen dem Nachweis der Bezahlung auch bei einer unrichtigen Erfassung im elektronischen Mautsystem und können zur nachträglichen Korrektur des Kennzeichens verwendet werden (§ 8 Abs. 5 MautVO). Die Beklagte, die die Aushändigung der Quittungen oder Kontrollabschnitte im Zuge der Fahrzeugrückgabe zu ihren Mietbedingungen machen kann, hat aber schon keinen Sachverhalt substanziiert vorgetragen, wonach die Maut vorab entrichtet und dadurch für die Kennzeichen ihrer Fahrzeuge eine Straßennutzungsberechtigung erworben war.
245. Ebenfalls ohne Erfolg bleibt die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs, die darauf gestützt wird, dass das Landgericht die Absendung und den Erhalt der Zahlungsaufforderungen als von der Beklagten zugestanden behandelt hat, obgleich sie diese zunächst bestritten hatte. Denn mit der auf das Bestreiten hin erfolgten Vorlage von Reproduktionen der den Einwurf-Einschreibesendungen zuzuordnenden Auslieferungsbelege mitsamt zugehöriger Einlieferungsbelegen hatte die Klägerin ihren Sachvortrag in einer Weise konkretisiert und vertieft, dass das Landgericht zu Recht erwarten durfte, die Beklagte würde ihr bis dahin pauschales Bestreiten näher substantiieren, andernfalls der Vortrag der Klägerin nach § 138 Abs. 2 und 3 ZPO als zugestanden anzunehmen sei. Die Revision hat nicht aufzuzeigen vermocht, welchen vertiefenden Sachvortrag der Beklagten das Landgericht insoweit etwa übergangen habe.
256. Die Anwendung der Vorschriften des ungarischen Rechts über die zu entrichtende erhöhte Zusatzgebühr kann auch nicht gemäß Art. 21 Rom I-VO deshalb versagt werden, weil diese mit der inländischen öffentlichen Ordnung („ordre public“) offensichtlich unvereinbar wäre. Denn ein ordre-public-Verstoß läge nur dann vor, wenn das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch stünde, dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint (st. Rspr., zuletzt Senatsbeschluss vom - XII ZB 188/17 - FamRZ 2019, 613 Rn. 15 mwN).
26Der ordre public-Vorbehalt ist mit Rücksicht auf die vorrangig anzuwendende ausländische Rechtsordnung gegenüber dem Recht eines anderen Mitgliedstaats restriktiv zu handhaben (Staudinger/Hausmann [2021] Art. 21 Rom I-VO Rn. 17). Dabei kommt es auch darauf an, dass der zu prüfende Sachverhalt überhaupt einen Inlandsbezug hat, und wie stark dieser ausgeprägt ist ( - NJW 2022, 2547 Rn. 29 mwN; Staudinger/Hausmann [2021] Art. 21 Rom I-VO Rn. 19 ff.).
27Im vorliegenden Fall besteht ein starker Auslandsbezug dadurch, dass das Vertragsverhältnis in Ungarn begründet und die charakteristische Leistung in Ungarn erbracht worden ist. Demgegenüber besteht nur ein geringer Inlandsbezug, der allein darin liegt, dass das Fahrzeug auf einen Halter im Inland zugelassen ist. In dieser Konstellation mit nur schwach ausgeprägtem Inlandsbezug führt die Anwendung des ausländischen Rechts zu keinem Ergebnis, das mit wesentlichen Grundsätzen des inländischen Rechts offensichtlich unvereinbar wäre.
28a) Entgegen der Auffassung der Revision liegt ein Verstoß gegen den ordre public nicht darin begründet, dass nach ungarischem Recht durch die Benutzung der mautpflichtigen Straße ein Vertrag zulasten Dritter, nämlich des vom Fahrer verschiedenen Halters, begründet würde.
29aa) Eine Anknüpfung von Einstandspflichten an die Haltereigenschaft ist dem deutschen Recht nicht grundsätzlich fremd. So ist auch nach inländischem, allerdings öffentlich-rechtlich ausgestaltetem Straßenbenutzungsrecht Schuldner der Bundesfernstraßenmaut unter anderem die Person, die Eigentümer oder Halter des Motorfahrzeugs ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 BFStrMG).
30Eine zivilrechtliche Haftung des Fahrzeughalters ist in § 7 Abs. 1 StVG verankert, wonach er den Schaden zu ersetzen hat, der bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entsteht, wenn ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird. Außerdem ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Halter eines unberechtigt auf einem Privatparkplatz abgestellten Fahrzeugs hinsichtlich der dadurch hervorgerufenen Beeinträchtigung des Besitzes des Parkplatzbetreibers Zustandsstörer und kann als solcher auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wenn er auf die Aufforderung, den für die Besitzstörung verantwortlichen Fahrer zu benennen, schweigt ( - NJW 2016, 863 Rn. 20 ff. mwN). Zudem ist der Halter aufgrund Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 683 Satz 1 i.V.m. 670 BGB grundsätzlich zum Ersatz von Abschleppkosten verpflichtet, die für die Beseitigung der ihm als Zustandsstörer zuzurechnenden Besitzstörung anfallen ( - NJW 2016, 2407 Rn. 5 ff. mwN).
31bb) Zwar lässt sich nach deutschem Recht allein aus der Haltereigenschaft keine Haftung für vom Fahrzeugführer im Zusammenhang mit einer Parkraumbenutzung verwirkte Vertragsstrafen herleiten (Senatsurteil vom - XII ZR 13/19 - NJW 2020, 755 Rn. 26 ff.). Daraus ergibt sich aber noch nicht, dass eine nach ausländischen Rechtsnormen begründete Halterhaftung für diese Fälle oder für Fälle der Benutzung mautpflichtiger Straßen mit zwingenden Grundsätzen des inländischen Rechts offensichtlich unvereinbar wäre (im Ergebnis ebenso Küpper WiRO 2021, 138, 139; Trautmann NZV 2018, 49, 51).
32cc) Mit § 7/B MautVO enthält das ungarische Recht auch eine den Halter entlastende - und damit dem Rechtsgedanken des inländischen § 7 Abs. 2 StVG entsprechende - Regel für den Fall, dass das Fahrzeug oder das Kennzeichen rechtswidrig aus dem Besitz des Halters gelangt ist. Dieser Fall liegt hier aber nicht vor, da die Beklagte ihre Fahrzeuge freiwillig überlassen und dadurch auch eine Benutzung mautpflichtiger Straßen in Ungarn ermöglicht hat.
33b) Die Beklagte ist auch nicht dadurch in einer dem ordre public widersprechenden Weise benachteiligt, dass sie zu einer höheren Maut als bei Vorabentrichtung herangezogen wird. Eine Tarifgestaltung, die die Vorabentrichtung der Maut preislich günstiger offeriert als bei einer Nachentrichtung, ist schon deshalb nicht unangemessen, weil mit der nachträglichen Einziehung der Maut sowohl ein erhöhter Aufwand als auch Realisierungsrisiken verbunden sind. Schließlich sollen durch die unterschiedliche Preisgestaltung auch im Massengeschäft notwendige Lenkungseffekte erreicht werden, die auf eine Vorabentrichtung der Maut zielen. Regelungen mit dieser Zielsetzung sind auch dem inländischen Recht nicht grundsätzlich fremd; beispielsweise erheben Beförderungsunternehmen ein erhöhtes Beförderungsentgelt, wenn der Fahrgast sich keinen gültigen Fahrausweis beschafft hat (§ 9 Abs. 1 der Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Obusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen vom , BGBl. I S. 230).
34c) Ist danach bereits die Grundersatzmaut nicht als pauschalierter Schadensersatz, sondern als gewöhnliches Vertragsentgelt im nachträglichen Bezahlmodus zu verstehen, geht auch die Auffassung der Revision fehl, die bei Nichtentrichtung innerhalb von 60 Tagen nach der Zahlungsaufforderung anfallende erhöhte Zusatzgebühr stelle der Sache nach einen Strafschadensersatz in Form einer zweiten Vertragsstrafe auf die Nichterfüllung der ersten Vertragsstrafe dar, was gegen den ordre public verstoße (ähnlich AG München MDR 2020, 726, 727; vgl. grundsätzlich zum Strafschadensersatz BGHZ 118, 312 = NJW 1992, 3096, 3103 ff.). Die erhöhte Zusatzgebühr stellt sich vielmehr als eine (erste) Vertragsstrafe dar, mit der der Zahlungsverzug hinsichtlich der Grundersatzmaut sanktioniert und der Verzugsschadensersatz pauschaliert wird. Der Charakter eines pauschalierten Verzugsschadensersatzes zeigt sich etwa darin, dass zusätzliche Verzugszinsen nicht geschuldet sind (§ 33/B Abs. 5 Satz 4 Straßenverkehrsgesetz). Schließlich verstößt die Regelung auch nicht gegen das im inländischen Recht für Vertragsstrafen verankerte Verschuldensprinzip, da die erhöhte Zusatzgebühr erst anfällt, wenn der Fahrzeughalter die Maut nicht innerhalb von 60 Tagen nach der ihm zugegangenen Zahlungsaufforderung entrichtet.
35Zwar kann auch eine übermäßig hohe Vertragsstrafe für sich genommen gegen den ordre public verstoßen (BeckOGK/Hemler [Stand: ] Rom I-VO Art. 21 Rn. 68; BeckOK BGB/Spickhoff [Stand: ] VO (EG) 593/2008 Art. 21 Rn. 5). Die Vertragsstrafe für sich genommen beträgt hier aber nur den Aufschlag von (59.500 - 14.875 =) 44.625 HUF, was derzeit rund 112 € entspricht und keinen unangemessen hohen absoluten Betrag darstellt. Relativ betrachtet bedeutet die erhöhte Zusatzgebühr einen dreifachen Aufschlag auf das Vertragsentgelt für den nachträglichen Bezahlmodus, was ebenfalls noch nicht ordre-public-widrig überhöht ist.
36Selbst wenn man in den Blick nimmt, dass die erhöhte Zusatzgebühr das Zwanzigfache des Entgelts bei Vorabentrichtung der Maut beträgt (59.500 HUF gegenüber 2.975 HUF), hält sich die Vervielfachung der betragsmäßig geringen Ausgangsmaut um diesen Faktor noch im Rahmen dessen, was nach inländischem Recht beispielsweise von Beförderungsunternehmen als gewöhnliches erhöhtes Beförderungsentgelt verlangt werden kann, und widerspricht deshalb nicht offensichtlich hiesigen Rechtsgrundsätzen (a.A. LG München DAR 2021, 213, 215).
377. Mit Erfolg rügt die Revision allerdings, dass das Landgericht die Beklagte - wie von der Klägerin beantragt - zur Zahlung einer Geldschuld in inländischer Währung verurteilt hat.
38a) Fremdwährungsschulden sind als solche, also in fremder Währung einzuklagen (Staudinger/Omlor BGB [2021] § 244 Rn. 133). Die Inlandswährung ist kein minus, sondern ein aliud dazu. Eine auf die falsche Währung gerichtete Zahlungsklage wäre somit abzuweisen (vgl. - NJW 1980, 2017).
39b) Für die Frage, in welcher Währung vertragliche Zahlungsansprüche geschuldet sind, gilt das Statut, das den Vertrag insgesamt beherrscht (Staudinger/Magnus [2011] Rom I-VO Art. 12 Rn. 109; Erman/Stürner BGB 16. Aufl. Rom I-VO Art. 12 Rn. 18), hier also das ungarische Recht.
40c) Insoweit fehlt es an Feststellungen, dass die Klägerin nach ungarischem Sachrecht dazu berechtigt ist, die Mautschulden in Euro zu fordern. Aus der vom Landgericht herangezogenen MautVO ergibt sich nur eine Zahlungspflicht in ungarischen Forint.
41Denkbar wären allerdings vom Landgericht nicht ermittelte Vorschriften im allgemeinen ungarischen Schuldrecht, die entweder einen Wechsel in eine andere Währung erlauben oder die eine Ersetzungsbefugnis entsprechend der inländischen Regelung des § 244 BGB enthalten, auf die hin auch eine stillschweigende Einigung im Prozess über eine Umwandlung in die Heimwährungsschuld in Betracht käme (vgl. BGHZ 101, 296 = NJW 1987, 3181, 3184).
III.
42Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erforderlichen Feststellungen zum ausländischen Recht hinsichtlich einer dort verankerten Berechtigung, den Zahlbetrag anstatt in Forint auch in Euro zu verlangen, nicht selbst treffen kann. Hierzu ist den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:280922UXIIZR7.22.0
Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 3611 Nr. 50
NJW 2022 S. 3644 Nr. 50
RIW 2022 S. 856 Nr. 12
WM 2023 S. 1198 Nr. 24
ZIP 2022 S. 2393 Nr. 47
ZIP 2022 S. 5 Nr. 46
PAAAJ-25656