BGH Urteil v. - 4 StR 115/22

Tatrichterliche Ausführungen bei Ablehnung der Unterbringung in psychiatrischem Krankenhaus

Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB, § 64 StGB, § 72 StGB

Instanzenzug: Az: 5 KLs 995 Js 67945/20

Gründe

1Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit ihrer zu Ungunsten des Beschuldigten eingelegten, vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Sie wendet sich dagegen, dass das Landgericht nicht die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet hat. Das Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils im Ganzen.

I.

2Nach den Feststellungen leidet der nicht vorbestrafte Beschuldigte an einer „drogeninduzierten Psychose“ sowie einer Abhängigkeit von Metamphetamin und Alkohol. Er beging unter dem Einfluss von Metamphetamin und im Zustand psychosebedingt aufgehobener Steuerungsfähigkeit (§ 20 StGB) zwischen dem 19. Oktober und sechs rechtswidrige Taten. In einem Fall führte er einen Pkw, obwohl er infolge einer Betäubungsmittelintoxikation und einer „hieraus folgenden Psychose“ nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen, und verursachte einen Unfall mit Sachschaden in Höhe von mehreren tausend Euro (Fall II.1. der Urteilsgründe). Einige Wochen später führte der Beschuldigte ein Kraftrad, wobei er, wie er wusste, nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis war (Fall II.2. der Urteilsgründe). Nach einer Polizeikontrolle legte er einen totalgefälschten ausländischen Führerschein auf der Polizeiwache vor (Fall II.3. der Urteilsgründe). Am Folgetag führte er erneut das Kraftrad, wobei er infolge vorangegangenen Betäubungsmittelkonsums fahruntüchtig war und 0,88 Gramm Metamphetamin bei sich führte (Fall II.4. der Urteilsgründe). Im Krankenhaus, in das der Beschuldigte zur Blutentnahme verbracht worden war, äußerte er einer Krankenschwester gegenüber eine Todesdrohung (Fall II.5. der Urteilsgründe). Nachdem eine Ärztin seine Verlegung in eine psychiatrische Klinik angeordnet hatte, bedrohte der Beschuldigte diese sowie abermals die Krankenschwester mit dem Tod und schlug die Ärztin mehrfach mit einem zum Teil aus Metall bestehenden Fixiergurt; die Ärztin, die vergeblich zu flüchten versuchte, erlitt Verletzungen und geriet in Todesangst. Auch auf eine weitere anwesende Krankenschwester schlug der Beschuldigte mit dem Gurt ein und verletzte sie. Danach verließ er die Notaufnahme des Krankenhauses. Als er im Treppenhaus von herbeigerufenen Polizeibeamten angesprochen wurde, riss er zwei Fenster aus ihren Verankerungen und warf sie in Richtung der Beamten, ohne diese zu treffen. Mit einem gewaltsam aus einem der Fensterrahmen entfernten Metallstück schlug er gegen die Schutzweste sowie in Richtung des Kopfes eines der Polizeibeamten, wodurch die Schutzweste beschädigt und der Geschädigte am Hals verletzt wurde. Zudem beschädigte er das Polizeifahrzeug durch Schläge auf die Motorhaube (Fall II.6. der Urteilsgründe).

3Das Landgericht hat das Verhalten des Beschuldigten als vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1 Nr. 1 a), Abs. 3 Nr. 1 StGB, Fall II.1. der Urteilsgründe), vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen, in einem davon in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln (Fälle II.2. und II.4. der Urteilsgründe), Urkundenfälschung (Fall II.3. der Urteilsgründe), Bedrohung (Fall II.5. der Urteilsgründe), Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB), in Tateinheit mit zwei weiteren tateinheitlich zusammentreffenden Fällen der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB), hiervon in einem Fall in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte „in einem besonders schweren Fall“ (§ 114 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. § 113 Abs. 2 Nr. 1 StGB), in Tateinheit mit Sachbeschädigung in drei tateinheitlichen Fällen, in einem davon in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte (Fall II.6. der Urteilsgründe) gewertet.

4Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit und der Voraussetzungen in Betracht kommender Maßregeln (§ 63, § 64 StGB) hat sich das Landgericht dem hinzugezogenen psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen. Nach dessen Einschätzung habe bei dem Beschuldigten zu den Tatzeiten jeweils eine drogeninduzierte Psychose mit akut produktiver psychotischer Symptomatik vorgelegen, welche in der aktiven Phase zu aggressivem und impulsivem Verhalten geführt habe. Aufgrund dieser Erkrankung sei bei allen Tathandlungen mindestens die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten aufgehoben gewesen. Symptome der aufgrund jahrelang nahezu täglichen Metamphetaminkonsums inzwischen chronischen und schubweise verlaufenden Krankheit seien formale und inhaltliche Denkstörungen in Form von eingeengtem Denken und Wahnvorstellungen sowie Halluzinationen. So habe der Beschuldigte nach der Aussage eines Zeugen der Tat II.3. der Urteilsgründe angegeben, mit Gott telefoniert zu haben. Bei den Verkehrsstraftaten (Fälle II.1., II.2. und II.4. der Urteilsgründe) habe die vorliegende drogeninduzierte Psychose bei dem Beschuldigten zu Größenideen geführt. Er habe die Taten in dem Bewusstsein begangen, dass er unabhängig vom Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis mit Fahrzeugen am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen und sich dabei über sämtliche ihm nicht genehmen Verkehrsregeln hinwegsetzen könne. Bei den Straftaten im Zusammenhang mit der Blutentnahme im Krankenhaus (Taten II.5. und 6. der Urteilsgründe) habe sich der Beschuldigte offenbar – wie bereits bei vergangenen stationären Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken – in dem Wahn befunden, dass sein Leben durch vermeintliche medizinische Eingriffe ernsthaft bedroht werde. Auch diese Taten seien damit von der Erkrankung des Beschuldigten wegweisend geleitet worden.

5Die Voraussetzungen einer Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus lägen nicht vor. Die bei ihm vorliegende Suchtmittelerkrankung käme nur dann als andauernder Defekt im Sinne des § 63 StGB in Betracht, wenn sie ihrerseits auf einer psychischen Störung beruhte, die in ihren Auswirkungen den krankhaften seelischen Störungen als Eingangsmerkmal des § 20 StGB gleiche. Dies sei bei dem Beschuldigten nicht der Fall. Eine bei ihm vorhandene Belastungsstörung habe ihn im privaten und beruflichen Leben nicht so sehr beeinträchtigt, dass von einem hinreichenden Gewicht auszugehen wäre. Demgegenüber sei die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) anzuordnen. Bei dem Beschuldigten bestehe ein Hang zu übermäßigem Rauschmittelkonsum und die festgestellten Taten stünden hiermit in einem symptomatischen Zusammenhang, weil der Beschuldigte sie im Zustand der drogeninduzierten Psychose begangen habe und sie auf den Hang zurückgingen. Es bestehe die Gefahr, dass der Beschuldigte aufgrund des Hangs auch künftig vergleichbare rechtswidrige Taten wie diejenigen, die er im Krankenhaus zum Nachteil der Ärztin, der Krankenschwester und des Polizeibeamten begangen habe (Fall II.6. der Urteilsgründe), begehen werde. Mit dem Abklingen der drogeninduzierten Psychose sei ohne medizinische Hilfe nicht zu rechnen. Nach Einschätzung des Sachverständigen, der die Strafkammer auch insoweit gefolgt ist, sei es nicht aussichtslos, dass der Beschuldigte im Laufe der therapeutischen Behandlung eine Krankheits- und Behandlungseinsicht entwickle.

II.

6Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg und führt zuungunsten wie zugunsten (§ 301 StPO) des Angeklagten zur Aufhebung des Urteils.

71. Das Rechtsmittel richtet sich gegen das Urteil im Ganzen. Die Beschwerdeführerin hat einen umfassenden Aufhebungsantrag gestellt. Der Umstand, dass sich die Beschwerdeführerin in ihrer Revisionsbegründung allein dagegen wendet, dass das Landgericht die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) abgelehnt hat, führt nicht dazu, dass das Rechtsmittel auf diesen Entscheidungsteil beschränkt wäre. Selbst wenn darin ein entsprechender Beschränkungswille zum Ausdruck gekommen sein sollte, wäre dieser nicht umsetzbar. Denn die hier nicht angeordnete Unterbringung nach § 63 StGB und die vom Landgericht verhängte Maßregel nach § 64 StGB sind nach der gesetzlichen Regelung des § 72 StGB so eng miteinander verknüpft, dass nur eine einheitliche Entscheidung hierüber möglich ist (vgl. ). Auch hat die Strafkammer ihre Entscheidung, die Maßregel nach § 63 StGB nicht anzuordnen, mit ihrer Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB begründet.

82. Die Ablehnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Ausführungen, mit denen das Landgericht die Voraussetzungen des § 63 StGB verneint hat, sind durchgreifend rechtsfehlerhaft. Sie leiden an Darstellungs- und Erörterungsmängeln.

9a) Schließt sich das Tatgericht bei seiner Beurteilung der Schuldfähigkeit oder der Voraussetzungen einer Maßregelentscheidung – wie hier – den Ausführungen des Sachverständigen an, müssen dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (; Beschluss vom – 4 StR 60/22 mwN). Entgegen diesen Anforderungen lässt das angefochtene Urteil schon nicht zweifelsfrei erkennen, von welcher bei dem Beschuldigten vorliegenden Störung der Sachverständige bei seiner Prüfung eines möglichen Eingangsmerkmals im Sinne des § 20 StGB ausgegangen ist. Nach den auf das Sachverständigengutachten gestützten Feststellungen zur Person des Beschuldigten „leidet“ dieser unter anderem unter einer „drogeninduzierten Psychose (ICD-10: F15.5)“. Die Anlasstaten beging er „jeweils bei Vorliegen einer akuten Metamphetaminintoxikation (ICD-10: F 15.2) und einer drogeninduzierten Psychose (ICD-10: F 15.5)“. Zur Schuldfähigkeit hat das Landgericht die Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen wiedergegeben, wonach bei dem Beschuldigten „zu den Tatzeitpunkten jeweils eine drogeninduzierte Psychose mit akut produktiver psychotischer Symptomatik nach ICD-10: F 15.2 vorgelegen habe, welche in der aktiven Phase zu aggressivem und impulsivem Verhalten“ und in der Folge zur Aufhebung der Steuerungsfähigkeit geführt habe. Im Rahmen der Begründung der Nichtanordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat die Strafkammer sodann ausgeführt, dass „die Psychose des Beschuldigten“ nach Einschätzung des Sachverständigen drogeninduziert sei und „somit auf einer seit Jahren fortdauernden Intoxikation des Beschuldigten mit Metamphetamin“ beruhe. Diese Darstellung lässt nicht klar erkennen, ob der Sachverständige bei den Anlasstaten (allein) die akuten Auswirkungen eines ihnen jeweils vorangegangenen Drogenkonsums des Beschuldigten für relevant erachtet hat oder ob er von einer psychotischen Störung ausgegangen ist, die sich infolge des Dauerkonsums eingestellt hat und von dem akuten Konsum nunmehr unabhängig ist.

10b) Überdies schlösse auch die etwaige Mitwirkung eines aktuellen Substanzkonsums an dem bei der Tatbegehung bestehenden psychotischen Zustand das Bestehen eines Dauerzustandes im Sinne des § 63 StGB nicht von vornherein aus. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in einem solchen Fall dann in Betracht, wenn der Täter in krankhafter Weise alkohol- oder betäubungsmittelüberempfindlich ist, an einer krankhaften Sucht leidet oder aufgrund eines psychischen Defektes süchtig ist, der, ohne pathologisch zu sein, in seinem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB gleichsteht (vgl. – zu Alkohol – ; Beschluss vom – 2 StR 201/10; zu einer Polytoxikomanie Beschluss vom – 4 StR 56/07; jew. mwN). Einer Überempfindlichkeit in diesem Sinne kann im Einzelfall auch eine wiederholt auftretende massive psychotische Überreaktion auf den Substanzkonsum gleichstehen ().

11Das Landgericht hat eine derartige Konstellation allein unter dem Gesichtspunkt einer dem Betäubungsmittelkonsum zugrundeliegenden „Belastungsstörung“ des Beschuldigten erwogen, ohne die anderen, nach den Feststellungen nicht fernliegenden Möglichkeiten erkennbar in den Blick zu nehmen. Im Übrigen genügen auch die Urteilsausführungen zu der Belastungsstörung und deren Schweregrad bereits für sich genommen nicht den Darstellungsanforderungen. Das Urteil lässt nicht erkennen, ob und gegebenenfalls mit welchem Ergebnis der psychiatrische Sachverständige, dem die Strafkammer im Übrigen gefolgt ist, diese Störung in seine Beurteilung der Schuldfähigkeit sowie der sonstigen Voraussetzungen der Maßregel des § 63 StGB einbezogen hat. Die Erwägung der Strafkammer, dass der Beschuldigte auch nach der Diagnose dieser Störung jahrelang gearbeitet und sich ein „privates funktionierendes Umfeld“ aufgebaut habe, lässt die Darlegung des diesbezüglichen Gutachteninhalts nicht entbehrlich erscheinen.

123. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterliegt schon deshalb der Aufhebung zum Vorteil des Beschuldigten (§ 301 StPO), weil zwischen ihr und der Nichtanordnung der Maßregel nach § 63 StGB eine rechtliche Verbindung und Wechselwirkung (§ 72 StGB) besteht (vgl. , StV 2021, 426 f.; Beschluss vom – 3 StR 154/20 mwN). Zudem hat das Landgericht selbst einen konkreten Zusammenhang zwischen beiden Entscheidungen hergestellt, indem es die Ablehnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus mit einem Vorrang der Maßregel nach § 64 StGB begründet hat.

13Die Unterbringung des Beschuldigten erweist sich überdies auch unabhängig hiervon als rechtsfehlerhaft. Denn das Landgericht hat weder die Gefahrenprognose noch die Erfolgsaussicht der Maßregel tragfähig belegt.

14a) Die Gefahr, der Beschuldigte werde infolge seines Hangs erhebliche rechtswidrige Taten begehen (§ 64 Satz 1 StGB), findet in den tatsächlichen Feststellungen keine Grundlage. Das Landgericht hat hierzu lediglich ausgeführt, nach Einschätzung des Sachverständigen bestehe die Gefahr, dass der Beschuldigte aufgrund des bei ihm bestehenden Hangs, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, zukünftig weitere, mit den hiesigen Anlasstaten vergleichbare rechtswidrige Taten begehen werde. Dieser Verweis auf die Beurteilung des psychiatrischen Sachverständigen ist mangels jeglicher Wiedergabe der Anknüpfungs- und Befundtatsachen, auf die sich das Gutachten stützt, nicht nachvollziehbar. Auch hat das Landgericht es versäumt, das Vorleben des Beschuldigten, namentlich den indiziell gegen seine Gefährlichkeit sprechenden Umstand, dass er trotz jahrelangen Alkohol- und Betäubungsmittelkonsums bisher unbestraft ist, erkennbar in die gebotene Gesamtwürdigung einzustellen (vgl. mwN).

15b) Die knappen Ausführungen des Landgerichts zu der Erfolgsaussicht der Maßregel lassen besorgen, dass die Strafkammer von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist, und genügen auch im Übrigen den Begründungsanforderungen nicht. Gemäß § 64 Satz 2 StGB darf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur angeordnet werden, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Angeklagten innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgehen. Sofern sich dies nicht von selbst versteht, ist es dazu erforderlich, unter Berücksichtigung der Art und des Stadiums der Sucht sowie bereits eingetretener physischer und psychischer Veränderungen und Schädigungen in der Persönlichkeit und den Lebensumständen des Beschuldigten konkrete Anhaltspunkte zu benennen, die dafür sprechen, dass es innerhalb eines zumindest erheblichen Zeitraums nicht (mehr) zu einem Rückfall kommen wird. Die bloße Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung vermag die Prognose eines hinreichend konkreten Therapieerfolgs nicht zu stützen. Notwendig, aber auch ausreichend, ist eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs; einer sicheren oder unbedingten Gewähr bedarf es nicht (vgl. zum Ganzen mwN [insoweit nicht abgedruckt in NStZ 2021, 59]).

16Diesem Maßstab werden die Ausführungen des Landgerichts, die sich in der Mitteilung erschöpfen, es sei nach Einschätzung des Sachverständigen nicht aussichtslos, dass der Beschuldigte im Laufe der therapeutischen Behandlung eine Krankheits- und Behandlungseinsicht entwickle, in keiner Weise gerecht.

174. Das Urteil hat daher insgesamt keinen Bestand. Der Senat hat davon abgesehen, Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechtzuerhalten, um dem neuen Tatgericht eine insgesamt widerspruchsfreie Tatsachenfeststellung zu ermöglichen. Die bisherigen Feststellungen sind, insbesondere hinsichtlich der Verhaltensauffälligkeiten, auf die der psychiatrische Sachverständige und ihm folgend die Strafkammer die Annahme der Schuldunfähigkeit gestützt haben, teils nicht belegt und teils – soweit sie allein im Rahmen der Beweiswürdigung als Inhalt von Zeugenaussagen wiedergegeben werden – ihrem Umfang nach unklar.

185. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

19a) Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, sich – naheliegenderweise unter Beteiligung eines anderen Sachverständigen – eingehender als bisher mit der Frage der Schuldunfähigkeit des Beschuldigten bei Begehung der Anlasstaten zu befassen. Die Gründe des angefochtenen Urteils belegen die Annahme des Landgerichts, die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten sei bei allen Anlasstaten vollständig aufgehoben gewesen, nicht tragfähig. Sollte die Prüfung ergeben, dass die Taten nicht (sämtlich) im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen wurden, wäre eine Überleitung in das Strafverfahren gemäß § 416 StPO in Betracht zu ziehen (vgl. ; Beschluss vom – 5 StR 109/19; Urteil vom – 4 StR 30/19 mwN).

20b) Soweit das Landgericht im Fall II.1. der Urteilsgründe den Tatbestand der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1 a), Abs. 3 Nr. 1 StGB angenommen hat, ist die Fahruntüchtigkeit des Beschuldigten im Sinne der Vorschrift nicht tragfähig belegt. Die Strafkammer hat angenommen, dass der Beschuldigte „infolge einer akuten Metamphetamin- und Amphetaminintoxikation und einer hieraus folgenden Psychose“ zur Tatzeit nicht in der Lage gewesen sei, das von ihm gesteuerte Fahrzeug sicher zu führen, und beweiswürdigend lediglich das Ergebnis einer dem Beschuldigten nach der Tat entnommenen Blutprobe mitgeteilt. Dies genügt den Anforderungen an den Beleg einer rauschmittelbedingten Fahruntüchtigkeit nicht (vgl. , NStZ-RR 2017, 123, 124).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:131022U4STR115.22.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-25629