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BVerwG Beschluss v. - 1 WB 7/21

Anhörung der Vertrauensperson bei der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens

Leitsatz

Die Anhörung der Vertrauensperson bei der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens unterliegt dem Beschleunigungsgebot des § 17 Abs. 1 WDO. Nach Ablauf einer angemessenen Frist kann die Anhörung abgeschlossen werden, auch wenn der Vertrauensperson ein persönliches Gespräch mit dem betroffenen Soldaten bis dahin nicht möglich gewesen ist.

Gesetze: § 17 SBG 2016, § 21 SBG 2016, § 28 Abs 2 SBG 2016, § 28 Abs 3 SBG 2016, § 63 SBG 2016, § 17 Abs 1 WDO 2002, § 99 WDO 2002

Tatbestand

1Der Antragsteller rügt die Verletzung seiner Beteiligungsrechte in einer Disziplinarangelegenheit.

2Der Antragsteller ist Mitglied des Personalrats beim Z. In der Gruppe der Soldatenvertreter nahm er im hier gegenständlichen Zeitraum die Befugnisse der Vertrauensperson der Unteroffiziere in Angelegenheiten nach der Wehrdisziplinar- und Wehrbeschwerdeordnung gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 SBG wahr.

3Die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des X. führte gegen eine Unteroffizierin mit Portepee des ... wegen eines Eigentumsdelikts ein gerichtliches Disziplinarverfahren. In ihrer ersten Vernehmung vom hatte die Soldatin die Anhörung der Vertrauensperson ausdrücklich abgelehnt und sich mit der Einsichtnahme in Unterlagen und Akten durch die Vertrauensperson nicht einverstanden erklärt. Im Rahmen der Anhörung vor Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens bat die Wehrdisziplinaranwaltschaft den Verteidiger der Soldatin mitzuteilen, ob an der Ablehnung festgehalten werde, und falls dies nicht der Fall sein sollte, ob der Vertrauensperson Einsicht in die Ermittlungsakte zu gewähren sei.

4Mit Schriftsatz vom beantragte der Verteidiger der Soldatin die Anhörung der Vertrauensperson. Angaben zu einer Einwilligung zur Einsichtnahme der Vertrauensperson in Unterlagen und Akten enthält das Schreiben nicht. Mit gesondertem Schreiben äußerte der Verteidiger außerdem den Wunsch nach Anhörung der "originären" Vertrauensperson nach deren Rückkehr aus der Auslandsverwendung.

5Die Wehrdisziplinaranwaltschaft setzte dem zuständigen Disziplinarvorgesetzten eine Frist zur Durchführung der Anhörung bis zum . Die Soldatin befand sich nach Rückkehr des Antragstellers aus der Auslandsverwendung am bis zum im Krankenstand.

6Am wurde die Anhörung des Antragstellers durch den stellvertretenden Kommandanten des Stabsquartiers des Z. als Vertreter durchgeführt. In der Anhörung äußerte sich der Antragsteller zur Person, zum Sachverhalt und zum Disziplinarmaß. In seinen Ausführungen zur Person rügt er die Fristsetzung zur Durchführung der Anhörung, die ihm die Möglichkeit genommen habe, mit der krankheitsbedingt abwesenden Soldatin persönlich zu sprechen. Ferner seien die ihm vorgelegten Ermittlungsunterlagen unvollständig gewesen.

7Die Erörterung der Stellungnahme erfolgte am durch eine Vertreterin der Wehrdisziplinaranwaltschaft. Dem Antragsteller war zuvor Einsicht in die Vorermittlungsakte und die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft gewährt worden. Er machte im Rahmen der Erörterung Ausführungen zur Person, zum Sachverhalt und zum Disziplinarmaß. In Bezug auf die Person der Soldatin könne er keine näheren Angaben machen. Er habe zu der Soldatin keinen weiteren unmittelbaren Kontakt gehabt.

8Anhörung und Erörterung wurde dem Verteidiger der Soldatin mit Schreiben vom bekannt gegeben und ihm Gelegenheit gegeben, sich zu der Einleitung und den Nebenentscheidungen für seine Mandantin zu äußern. Mit Verfügung vom , ausgehändigt am , leitete der Kommandeur des X. gegen die Soldatin ein gerichtliches Disziplinarverfahren ein. Gleichzeitig erfolgten die vorläufige Dienstenthebung und die Erteilung eines Uniformtrageverbots sowie die Anordnung der Kürzung der Dienstbezüge der Soldatin um ein Drittel.

9Mit Schreiben vom legte der Antragsteller beim Kommandanten Stabsquartier des Z. Beschwerde mit der Begründung ein, in seinen Rechten als Vertrauensperson der Unteroffiziere behindert worden zu sein. Zwar sei ihm die Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden, inhaltlich sei ihm aber eine sachgerechte Äußerung nicht möglich gewesen. Die Fristsetzung habe einem persönlichen Gespräch mit der Soldatin im Wege gestanden, weil diese längerfristig erkrankt gewesen sei. Auch seien sachgerechte Ausführungen zum Sachverhalt nicht möglich gewesen, weil die Wehrdisziplinaranwaltschaft entlastenden Hinweisen nicht nachgegangen sei. Die ihm am vorgelegte Vorermittlungsakte habe den Stand vom gehabt und sei somit unvollständig gewesen. Folge sei eine Verletzung von § 21 Satz 1 SBG, der eine rechtzeitige und umfassende Unterrichtung der Vertrauensperson vorsehe. Die Stellungnahme sei auch nicht im Rahmen der Erörterung wiederholt worden. Zwar sei ihm zu diesem Zeitpunkt umfassend Akteneinsicht gewährt worden, Unterrichtung und Stellungnahme an einem Termin seien jedoch nicht zulässig.

10Auf Nachfrage am teilte man dem Antragsteller mit, dass seine Beschwerde als Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Wehrdisziplinaranwaltschaft gewertet worden sei und zuständigkeitshalber an die Bundeswehrdisziplinaranwaltschaft weitergeleitet werde. Daraufhin legte der Bevollmächtigte des Antragstellers mit Schreiben vom weitere Beschwerde gemäß § 16 Abs. 2 WBO ein und begründete diese mit der mehr als zweimonatigen Untätigkeit des Kommandos ...

11Mit Bescheid vom wies der Generalinspekteur der Bundeswehr die weitere Beschwerde als unbegründet zurück. Als Vertrauensperson der Unteroffiziere im Personalrat des Z. stehe dem Antragsteller ein Beschwerderecht zu. Die ursprüngliche Beschwerde sei auch fristgerecht erhoben worden; ausschlaggebender Beschwerdeanlass sei die Aushändigung der Einleitungsverfügung an die Soldatin am gewesen. Das Feststellungsinteresse sei zu bejahen, da die Wehrdisziplinaranwaltschaft ihre Anhörungspraxis beibehalten werde. Mangels Beeinträchtigung von Beteiligungsrechten sei die Beschwerde jedoch unbegründet. Dem Antragsteller sei am Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Ein persönliches Gespräch mit der betroffenen Soldatin fordere das Gesetz nicht; ein Gespräch sei im Übrigen bei der Nachfrage des Antragstellers, ob eine Anhörung gewünscht werde, zustande gekommen und eine Stellungnahme zum Sachverhalt sei erfolgt. Für die Einleitung ausreichend sei der Anfangsverdacht eines Dienstvergehens; der Einwand noch nicht abgeschlossener Ermittlungen sei insofern irrelevant. Die dem Antragsteller vorgelegte Akte habe auch mit Stand die wesentlichen Gesichtspunkte zum Sachverhalt enthalten. Eine weitere Akteneinsicht mit der Möglichkeit einer ergänzenden Stellungnahme habe am stattgefunden. Ein Verbot, Unterrichtung und Stellungnahme an einem Termin vorzunehmen, sei dem Gesetz nicht zu entnehmen.

12Hiergegen hat der Antragsteller mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Der Generalinspekteur der Bundeswehr hat den Antrag mit seiner Stellungnahme vom dem Senat vorgelegt.

13Zur Begründung führt der Antragsteller ergänzend insbesondere aus:

Die Wehrdisziplinaranwaltschaft habe die unzureichende Unterrichtung in dem Vermerk zur Erörterung vom selbst eingeräumt. Hiernach sei die Ermittlungsakte auf dem Stand vorgelegt worden und zum Zeitpunkt der Anhörung am unvollständig gewesen. Eine sachgerechte Stellungnahme sei wegen der einseitigen Ermittlungen zu Lasten der Soldatin nicht möglich gewesen. Seine Nachfrage bei der Soldatin, ob diese eine Beteiligung wünsche, erfülle nicht die Voraussetzungen eines persönlichen Gesprächs. Die Verletzung der Beteiligungsrechte sei auch nicht durch Einsicht in die Ermittlungs- und Strafakten beim Erörterungstermin geheilt worden, da das gesamte Beteiligungsverfahren habe wiederholt werden müssen. Wegen der Schwere der Vorwürfe habe ihm zur Prüfung des Sachverhalts und Erarbeitung der Stellungnahme ein angemessener Zeitraum eingeräumt werden müssen. Die Erörterung sei nicht durch die Einleitungsbehörde, sondern durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft erfolgt und mangels Delegation fehlerhaft.

14Der Generalinspekteur der Bundeswehr beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

15Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung sei unbegründet. Die Anhörung der Vertrauensperson habe den Anforderungen des § 28 Abs. 2 SGB i. V. m. § 21 SBG entsprochen. Eine umfassende Unterrichtung habe spätestens im Erörterungstermin mit Vorlage der vollständigen Ermittlungs- sowie Strafakten stattgefunden. Die Ausführungen zur Art der Ermittlungen beträfen eine mögliche Rechtsverletzung der Soldatin und nicht der Vertrauensperson. Auf eine persönliche Kontaktaufnahme vor der Stellungnahme habe der Antragsteller keinen Anspruch. Diese habe jedoch im vorliegenden Fall stattgefunden und hätte auch durch eine telefonische Kontaktaufnahme durch den Antragsteller umgesetzt werden können.

16Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakten des Generalinspekteurs der Bundeswehr und des Kommandos ..., die Akte des gerichtlichen Disziplinarverfahrens und die Strafakte der Staatsanwaltschaft Koblenz haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

Gründe

17Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.

181. Der Antrag ist zulässig.

19a) Beruft sich der bei einer Dienststelle der Bundeswehr gebildete Personalrat auf eine Behinderung in seinen Beteiligungsrechten in Angelegenheiten, die nur die Soldaten betreffen, so ist gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1, § 17 SBG, § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO - abweichend von § 59 Satz 1 SBG, § 108 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG - der Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten gegeben (stRspr, vgl. 1 WB 25.17 - Buchholz 449.7 § 24 SBG Nr. 3 Rn. 25; sowie zu den entsprechenden Vorschriften der bis geltenden Fassung des SBG Beschluss vom - 1 WB 29.15 - juris Rn. 15 m. w. N.). Dasselbe gilt für Angelegenheiten nach der Wehrdisziplinar- oder Wehrbeschwerdeordnung im Sinne von § 63 Abs. 2 SBG, weil es sich dabei ebenfalls um Angelegenheiten handelt, die nur die Soldaten betreffen; hierzu fällt auch die hier strittige Beteiligung bei der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens gemäß § 28 Abs. 2 SBG (vgl. zum früheren § 27 Abs. 2 SBG: 1 WB 16.06 - Buchholz 449.7 § 52 Nr. 3 Rn. 25). Das Bundesverwaltungsgericht ist sachlich zuständig, weil sich der Antrag gegen eine Entscheidung des Generalinspekteurs der Bundeswehr über eine weitere Beschwerde richtet (§ 22 i. V. m. § 21 Abs. 1 Satz 1 WBO).

20b) Der Antragsteller ist antragsbefugt.

21aa) Zwar ist grundsätzlich (nur) der Personalrat als Gesamtgremium befugt, die Verletzung von Beteiligungsrechten im gerichtlichen Antragsverfahren geltend zu machen, weil die Gruppe der Soldaten auch dann kein eigenständiges Vertretungsorgan im Sinne des § 1 Abs. 1 SBG darstellt, wenn sie in ihrer Funktion als Vertrauensperson Aufgaben oder Befugnisse nach dem Soldatenbeteiligungsgesetz wahrnimmt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WB 29.13 - Buchholz 449.7 § 20 SBG Nr. 5 Rn. 20 m. w. N. und vom - 1 WB 25.17 - Buchholz 449.7 § 24 SBG Nr. 3 Rn. 26). Anderes gilt jedoch in den Fällen des § 63 Abs. 2 SBG. Der Gesetzgeber ging hier von der Annahme aus, dass Disziplinar- und Beschwerdesachen einer besonderen Vertraulichkeit unterliegen und nicht im Plenum des Personalrats erörtert werden sollen, weshalb die Befugnisse der Vertrauensperson von einem einzelnen Soldatenvertreter (sog. "Quasi-Vertrauensperson") wahrgenommen werden (vgl. Gronimus, Soldatenbeteiligungsrecht, 2021, § 63 Rn. 18 f.). Diese Zuweisung erstreckt sich auch auf die Antragsbefugnis im gerichtlichen Antragsverfahren (ebenso zum früheren § 52 Abs. 2 SBG: 1 WB 16.06 - Buchholz 449.7 § 52 Nr. 3 Rn. 25).

22bb) Der Antragsteller war auch die im vorliegenden Fall konkret zuständige und damit hier antragsbefugte "Quasi-Vertrauensperson".

23Im Falle der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens ist die Vertrauensperson anzuhören, die zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens zuständig ist. Dies gilt unabhängig davon, wer Vertrauensperson war, als das Dienstvergehen begangen wurde; zuständig ist grundsätzlich die Vertrauensperson, die von der Wählergruppe gewählt wurde, der der betroffene Soldat im maßgeblichen Zeitpunkt angehört (vgl. 2 WD 17.08 - BVerwGE 134, 379 Rn. 24 und Beschluss vom - 2 WD 4.11 - Buchholz 449.7 § 27 SBG Nr. 9 Rn. 24).

24Maßgeblicher Zeitpunkt ist im vorliegenden Fall der , also der Tag, an dem der betroffenen Soldatin die Einleitungsverfügung vom bekanntgegeben wurde. Zu diesem Zeitpunkt war die betroffene Soldatin bereits seit fast einem Jahr (seit ) an das Z. kommandiert gewesen; sie wurde im unmittelbaren Anschluss an die laufende Kommandierung ab dem dorthin versetzt. Weil die Kommandierung damit länger als drei Monate gedauert hat und ihre Rückkehr binnen weiterer sechs Monate in die alte Dienststelle nicht geplant gewesen ist (§ 59 Satz 1 SBG i. V. m. § 13 Abs. 2 BPersVG), hat die Soldatin das Wahlrecht in ihrer alten Dienststelle verloren und die Wahlberechtigung für die neue Dienststelle erworben.

25Zuständig war damit der Antragsteller als derjenige Soldatenvertreter im Personalrat des Z., der nach Maßgabe des § 63 Abs. 2 Satz 1 SBG die Befugnisse der Vertrauensperson der Unteroffiziere (der Laufbahngruppe der betroffenen Soldatin) wahrnahm.

26c) Der Antrag ist als Feststellungsantrag, gerichtet auf die Feststellung einer Verletzung der Beteiligungsrechte des Antragstellers gemäß § 28 Abs. 2 und 3 SBG, zulässig.

27Der Antragsteller hat keinen konkreten Sachantrag gestellt. Sein erkennbares - einem Verpflichtungsbegehren entsprechendes - Ziel, das seiner Auffassung nach bisher nicht ordnungsgemäß durchgeführte Anhörungsverfahren wieder aufzugreifen oder zu wiederholen, kann nicht mehr erreicht werden, nachdem die Einleitungsbehörde mit Verfügung vom das gerichtliche Disziplinarverfahren wirksam eingeleitet hat. Denn auch ein Fehler im Anhörungsverfahren würde nicht zur Unwirksamkeit der Einleitungsverfügung führen (vgl. 2 WDB 13.20 - Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 16 Rn. 17). Auch könnte eine Nachholung der Anhörung deren Zweck, der Einleitungsbehörde Hinweise zu geben, ob die Einleitung eines disziplinargerichtlichen Verfahrens gegen den betroffenen Soldaten opportun ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WDB 3.71 - BVerwGE 43, 250 <250 f.> und vom - 2 WDB 17.91 - BVerwGE 93, 222 <223>), nur bis zu einer Entscheidung über die Einstellung nach § 98 WDO erfüllen. Stellt die Einleitungsbehörde das Verfahren nicht ein, so ist - wie hier geschehen - dem Truppendienstgericht eine Anschuldigungsschrift vorzulegen (§ 99 Abs. 1 Satz 1 WDO). Eine Einstellung nach Rechtshängigkeit ist durch die Einleitungsbehörde nicht mehr möglich; die Verfahrensherrschaft liegt dann beim Truppendienstgericht.

28Sachgerecht und statthaft ist deshalb der genannte Feststellungsantrag. Der Antragsteller hat an der begehrten Feststellung ein berechtigtes Interesse. Zweck des Beschwerdeverfahrens nach § 17 SBG ist gerade auch die Klärung von vertretungsrechtlichen Zuständigkeiten, Befugnissen und Pflichten (vgl. zu § 16 SBG a. F. 1 WB 60.10 - Buchholz 449.7 § 23 SBG Nr. 8 Rn. 26 m. w. N. und zu § 17 SBG 1 WB 25.17 - Buchholz 449.7 § 24 SBG Nr. 3 Rn. 28), wenn - wie hier - ein konkretes, bereits anhängiges Beteiligungsverfahren den Anlass setzt bzw. im Falle eines Fortsetzungsfeststellungsantrags gesetzt hat oder wenn ein allgemeiner Feststellungsantrag prozessökonomisch eine Vorabklärung von Streitfragen einer Vielzahl bereits im Verwaltungs- oder Beschwerdeverfahren befindlicher, konkreter gleichgelagerter Beteiligungsverfahren ermöglicht (vgl. 1 WB 27.18 - Buchholz 449.7 § 21 SBG Nr. 1 Rn. 22). Die mögliche Feststellung eines Verfahrensmangels aufgrund fehlerhafter Anhörung könnte zudem den Vorsitzenden des Truppendienstgerichts dazu veranlassen, die Wehrdisziplinaranwaltschaft gemäß § 99 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 WDO zur Beseitigung des Mangels aufzufordern (vgl. 2 WDB 17.91 - BVerwGE 93, 222 <227> und Urteil vom - 2 WD 17.08 - BVerwGE 134, 379 <385>).

292. Der Antrag ist jedoch unbegründet.

30Bei der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens gegen die Soldatin wurden keine Beteiligungsrechte des Antragstellers gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 2 und 3 SBG verletzt.

31a) Das Beteiligungsrecht des Antragstellers umfasste nicht die Einsicht in Unterlagen und Akten im Sinne von § 28 Abs. 3 Satz 2 SBG.

32Die Regelung der Beteiligung der Vertrauensperson bei der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens unterscheidet zwischen der Anhörung zu Person und Sachverhalt (§ 28 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 SBG) einerseits und der Einsicht in Unterlagen und Akten (§ 28 Abs. 3 Satz 2 SBG) andererseits. Erstere findet statt, sofern der betroffene Soldat sie nicht (negativ) ausdrücklich ablehnt, letztere hingegen nur, wenn der betroffene Soldat hierin (positiv) einwilligt. Für die Einwilligung in die Einsicht in Unterlagen und Akten verweist die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/8298 S. 44) auf die Beachtung der Bestimmungen des § 4a BDSG (in der damals geltenden Fassung der Bekanntmachung vom , BGBl. I S. 67). Danach bedarf die Einwilligung grundsätzlich der Schriftform; sie ist besonders hervorzuheben, wenn sie zusammen mit anderen Erklärungen erteilt werden soll (§ 4a Abs. 1 Satz 3 und 4 BDSG). Unabhängig davon, dass § 4a BDSG zum außer Kraft getreten ist und sein Regelungsinhalt in zum Teil modifizierter Form in andere Bestimmungen des Datenschutzrechts überführt wurde, ist für die Einwilligung im Sinne von § 28 Abs. 3 Satz 2 SBG jedenfalls eine eindeutige positive Erklärung des betroffenen Soldaten erforderlich.

33Im vorliegenden Fall hatte die Soldatin zunächst in ihrer Vernehmung vom erklärt, mit der Einsichtnahme in Unterlagen und Akten durch die Vertrauensperson nicht einverstanden zu sein. Eine eindeutige positive Einwilligung in die Einsicht in Unterlagen und Akten, insbesondere in die Ermittlungsakte, lässt sich jedoch weder dem Schweigen auf die Nachfrage noch einem späteren Schreiben des Verteidigers vom , mit dem er "die ordnungsgemäße Beteiligung der Vertrauensperson" anmahnte, entnehmen. Soweit der Antragsteller daher rügt, ihm seien die Ermittlungsunterlagen unvollständig zugänglich gemacht worden, liegt eine Verletzung von Beteiligungsrechten schon deshalb nicht vor, weil der Antragsteller mangels (positiver) Einwilligung der betroffenen Soldatin keinen Anspruch auf Einsicht in diese Akten und Unterlagen hatte.

34b) Die Anhörung des Antragstellers zu Person und Sachverhalt (§ 28 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 SBG) wurde durch die zuständigen Stellen durchgeführt.

35Für die Beteiligung bei der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens enthält § 28 Abs. 2 SBG als Spezialvorschrift die Regelung, dass die Anhörung zu Person und Sachverhalt durch die Einleitungsbehörde (§ 93 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 94 WDO), hier den Kommandeur des X., oder die von ihr bestimmte Stelle durchzuführen ist. Als "von ihr bestimmte Stelle" ist aufgrund ihrer Funktion als Vertreter der Einleitungsbehörden im gerichtlichen Disziplinarverfahren (§ 81 Abs. 2 WDO) allgemein die Wehrdisziplinaranwaltschaft anzusehen (so auch die Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/8298 S. 44; ebenso Gronimus, Soldatenbeteiligungsrecht, 2021, § 28 Rn. 16 sowie Nr. 3042 Satz 2 ZDv A-1472/1). Da nach der allgemeinen Regelung des § 63 Abs. 1 Satz 2 SBG der Disziplinarvorgesetzte in Angelegenheiten nach der Wehrbeschwerde- und der Wehrdisziplinarordnung der grundsätzliche Beteiligungspartner ist, begegnet es keinen Bedenken, wenn dieser auch im Rahmen des § 28 SBG durch die Einleitungsbehörde als für die Anhörung zuständige Stelle bestimmt wird (siehe auch Nr. 3042 Satz 2 ZDv A-1472/1). Dies entspricht im Übrigen auch der - allerdings noch zum SBG 1991 ergangenen - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. 2 WDB 1.98 - BVerwGE 113, 259 <262> m. w. N.).

36Als allgemeine Vertreterin der Einleitungsbehörde im gerichtlichen Disziplinarverfahren (hier: Kommandeur des X.) hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des X. mit Schreiben vom den Disziplinarvorgesetzten der betroffenen Soldatin, den Kommandant Stabsquartier beim Z., ersucht, die Anhörung des Antragstellers durchzuführen. Die Anhörung selbst wurde sodann durch den Vertreter des Kommandanten Stabsquartier durchgeführt. Ob eine solche Subdelegation zulässig ist, kann offenbleiben. Denn die Erörterung der Stellungnahme erfolgte - dem Wunsch des Antragstellers entsprechend - direkt mit einer Vertreterin der Wehrdisziplinaranwaltschaft.

37c) Die Anhörung des Antragstellers zu Person und Sachverhalt wurde im Ergebnis ordnungsgemäß durchgeführt.

38aa) Die Anhörung der Vertrauensperson erstreckt sich auf die Person der Soldatin oder des Soldaten und auf den Sachverhalt (§ 28 Abs. 2 SBG). Der Sachverhalt ist der Vertrauensperson vor Beginn der Anhörung bekannt zu geben (§ 28 Abs. 3 Satz 1 SBG). Auch nach der allgemeinen Vorschrift über die Anhörung ist die Vertrauensperson rechtzeitig und umfassend zu unterrichten (§ 21 Satz 1 SBG); der Vertrauensperson ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und die Stellungnahme ggf. mit ihr zu erörtern (§ 21 Satz 2 und 3 SBG).

39Dieser durch das Gesetz gegliederte Ablauf des Beteiligungsverfahrens wurde vorliegend beachtet.

40Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat mit dem Schreiben vom , mit dem sie den Disziplinarvorgesetzten der betroffenen Soldatin um Durchführung der Anhörung ersuchte, den Entwurf der Einleitungsverfügung und die Vorermittlungsakte übermittelt. Aus der Stellungnahme des Antragstellers, die diese Unterlagen verwertet, ist ersichtlich, dass sie ihm ausreichende Zeit vor der Anhörung vorlagen.

41Im Rahmen der Anhörung am hat der Antragsteller die erwähnte Stellungnahme als Anlage zur Niederschrift abgegeben. In ihr äußert er sich ausführlich und substantiiert zu Person, Sachverhalt und disziplinarem Vorwurf.

42Am erfolgte schließlich die Erörterung der Stellungnahme mit einer Vertreterin der Wehrdisziplinaranwaltschaft. Dem Antragsteller wurde dabei zuvor nochmals Einsicht in die Verfahrensunterlagen (Vorermittlungsakte und die staatsanwaltschaftliche Akte) gewährt.

43bb) Ein Informationsdefizit lag nicht vor. Soweit der Antragsteller bemängelt, dass ihm im Beteiligungsverfahren Ermittlungsunterlagen nicht vollständig oder nicht auf neuestem Stand vorgelegen hätten, kann er damit schon deshalb nicht durchdringen, weil ihm ein diesbezügliches Einsichtsrecht mangels Einwilligung der betroffenen Soldatin nicht zustand (siehe II.2.a).

44cc) Auch soweit der Antragsteller beanstandet, dass er kein persönliches Gespräch mit der betroffenen Soldatin habe führen können, liegt eine Verletzung von Beteiligungsrechten nicht vor.

45(1) Weder § 21 SBG noch § 28 SBG schreiben ein persönliches Gespräch der Vertrauensperson mit dem betroffenen Soldaten als Bestandteil einer ordnungsgemäßen Anhörung vor ( 2 WD 19.19 - Buchholz 450.2 § 38 WDO Nr. 87 Rn. 20). Vielmehr beurteilt die Vertrauensperson in eigener sachlicher Unabhängigkeit, ob sie ein Gespräch mit dem Soldaten für zweckmäßig hält ( 2 WD 19.19 - Buchholz 450.2 § 38 WDO Nr. 87 Rn. 20), ebenso wie der betroffene Soldat nicht verpflichtet ist, ein solches Gespräch zu führen und dieses, ohne Gründe anzugeben, verweigern kann ( 2 WD 34.10 - juris Rn. 70).

46Auch wenn ein persönliches Gespräch mit dem Soldaten rechtlich nicht gefordert ist, kann dieses - soweit beide Seiten dazu bereit sind - ein besonders geeignetes Mittel sein, um eine informierte und sachgerechte Stellungnahme der Vertrauensperson zu ermöglichen. Denn die Anhörung soll unter anderem dazu beitragen, ein möglichst umfassendes Persönlichkeitsbild der bzw. des Betroffenen zu vermitteln sowie ihre bzw. seine bisherige Führung und Beweggründe richtig zu beurteilen (Nr. 3030 Satz 2 ZDv A-1472/1). Die Vorschrift für die Beteiligung bei der Verhängung einfacher Disziplinarmaßnahmen, wonach die Disziplinarvorgesetzten Sorge dafür zu tragen haben, dass die Vertrauensperson Gelegenheit erhält, sich mit dem Sachverhalt und der betroffenen Person im persönlichen Gespräch vertraut zu machen (Nr. 3035 Satz 2 ZDv A-1472/1), kann deshalb durchaus auch als Leitlinie bei der Anhörung im Rahmen von § 28 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 SBG dienen (vgl. 2 WD 34.10 - juris Rn. 51, 67).

47Zu berücksichtigen ist andererseits, dass auch die Beteiligung der Vertrauensperson in Disziplinarangelegenheiten dem für das gesamte Disziplinarverfahren geltenden Beschleunigungsgebot (§ 17 Abs. 1 WDO) unterliegt. Die Einleitungsbehörde und die von ihr bestimmten Stellen haben keine Möglichkeit, ein letztlich auf freiwilliger Basis stattfindendes persönliches Gespräch zu erzwingen oder zu forcieren. Auch wenn gewisse Verzögerungen hinzunehmen sind, muss es der Einleitungsbehörde und den von ihr bestimmten Stellen deshalb möglich sein, ähnlich wie bei der Anhörung des Soldaten gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO (dazu 2 WD 19.19 - Buchholz 450.2 § 38 WDO Nr. 87 Rn. 16), eine angemessene Frist zu setzen, binnen derer die Anhörung der Vertrauensperson abzuschließen ist.

48(2) Nach diesen Maßstäben ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass vorliegend das Beteiligungsverfahren abgeschlossen wurde, ohne dass es zu einem persönlichen Gespräch zwischen dem Antragsteller und der betroffenen Soldatin gekommen ist.

49Die Einleitung des hier gegenständlichen Disziplinarverfahrens war von Beginn an von erheblichen Verzögerungen geprägt, zunächst auch bedingt durch die Kommandierung und Versetzung der betroffenen Soldatin an eine andere Dienststelle. Mit Schreiben vom ersuchte die Wehrdisziplinaranwaltschaft den neu zuständigen Disziplinarvorgesetzten der Soldatin um Durchführung der Anhörung. In der Folge erhoben sowohl der Disziplinarvorgesetzte als auch der Antragsteller Einwände gegen die Anhörung. Der Verteidiger der betroffenen Soldatin wünschte die Anhörung der "originären" Vertrauensperson, also nicht des Vertreters des Antragstellers; der Antragsteller wiederum befand sich vom bis in einer Auslandsverwendung und daran anschließend in mehreren kürzeren Zeiträumen im Erholungsurlaub. Die betroffene Soldatin selbst war vom bis krankgeschrieben, wobei der Disziplinarvorgesetzte in einer Mitteilung vom davon ausging, dass aller Voraussicht nach eine weitere anschließende Krankschreibung erfolgen werde. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass die Wehrdisziplinaranwaltschaft den Disziplinarvorgesetzten mit E-Mail vom nunmehr aufforderte, die Anhörung bis zum , also drei Monate nach dem erstmaligen Ersuchen, durchzuführen.

50Soweit der Antragsteller darauf verweist, dass er - abgesehen von einem kurzen Zusammentreffen zu einem früheren Zeitpunkt - bis zum noch kein persönliches Gespräch mit der betroffenen Soldatin habe führen können, ist ihm entgegenzuhalten, dass ein Anspruch auf ein solches Gespräch nach dem Gesagten nicht besteht und dass das Stattfinden eines Gesprächs unter dem Vorbehalt des im Rahmen des Beschleunigungsgrundsatzes Möglichen steht. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft musste nicht auf die Genesung der Soldatin warten, um der Vertrauensperson ein gesetzlich nicht vorgeschriebenes Gespräch - eine überhaupt bestehende Gesprächsbereitschaft der Soldatin unterstellt - zu ermöglichen. Denn einerseits war nicht absehbar, wann die Soldatin in den Dienst zurückkehren würde. Andererseits bestand ein besonderes öffentliches Interesse an der Beschleunigung des Verfahrens, weil beabsichtigt war, die Soldatin mit dem Erlass der Einleitungsverfügung unter Kürzung der Bezüge vorläufig des Dienstes zu entheben.

51An eine Pflicht der Wehrdisziplinaranwaltschaft, die Frist zu verlängern, wäre deshalb allenfalls dann zu denken gewesen, wenn der Antragsteller (zum damaligen Zeitpunkt) plausibel aufgezeigt hätte, dass das Zustandekommen eines Gesprächs in absehbarer Zeit konkret zu erwarten war. Das war indes weder nach dem Vortrag des Antragstellers noch nach den aus den Akten ersichtlichen Umständen der Fall. Offenkundig ist es auch in der Folgezeit zu keinem persönlichen Gespräch des Antragstellers mit der betroffenen Soldatin mehr gekommen, dessen Ergebnisse er in die Erörterung am hätte einbringen können.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2022:150622B1WB7.21.0

Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 10 Nr. 47
WAAAJ-25525