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BVerwG Beschluss v. - 1 WB 8/22

Zur Gewährung von Betreuungsurlaub für Soldaten

Leitsatz

1. Soldatinnen und Soldaten kann Betreuungsurlaub nicht rückwirkend gewährt werden.

2. Eine Verlängerung des Betreuungsurlaubs über die Dauer von drei Jahren hinaus kann nicht gleichzeitig oder in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Antrag auf Erstbewilligung beantragt werden.

Gesetze: § 28 Abs 5 SG

Tatbestand

1Der Antragstellerin geht es um die Bewilligung von weiterem Betreuungsurlaub.

2Die ... geborene Antragstellerin ist Berufssoldatin; ihre Dienstzeit endet voraussichtlich zum . Sie ist Fachärztin für Augenheilkunde und wurde zuletzt im März 2015 zum Oberfeldarzt befördert. Für die Zeit vom bis war ihr Elternzeit unter Wegfall der Geld- und Sachbezüge gewährt worden.

3Mit Schreiben vom beantragte sie für die Betreuung ihres 2014 geborenen Sohnes Betreuungsurlaub für die Zeit vom bis sowie mit Schreiben vom Betreuungsurlaub für die Zeit vom bis . Weil die Bearbeitung dieser Anträge für die Dauer eines parallel laufenden Dienstunfähigkeitsverfahrens ausgesetzt wurde, erhob sie mit Schreiben vom Untätigkeitsbeschwerde.

4Mit Beschluss vom - 1 W-VR 14.21 - hat der Senat das Bundesministerium der Verteidigung im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin auf ihre Anträge vom und vorläufig bis zu einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung über ihre Untätigkeitsbeschwerde vom Betreuungsurlaub zu gewähren.

5Daraufhin bewilligte das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr der Antragstellerin mit Bescheid vom vorläufig Betreuungsurlaub unter Wegfall der Geld- und Sachbezüge für die Zeit vom bis zu einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung über die Untätigkeitsbeschwerde.

6Unter dem beantragte die Antragstellerin außerdem, das Bundesministerium der Verteidigung im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr über den mit dem Bescheid vom bewilligten Betreuungsurlaub hinaus vorläufig weiteren Betreuungsurlaub für den Gesamtzeitraum bis zu gewähren. Diesen Antrag lehnte der Senat mit Beschluss vom - 1 W-VR 19.21 - ab.

7Mit weiterem Bescheid vom gewährte das Bundesamt für das Personalmanagement der Antragstellerin für die Zeit vom bis zum Betreuungsurlaub gemäß § 28 Abs. 5 SG.

8Mit Bescheid vom gab das Bundesministerium der Verteidigung der Untätigkeitsbeschwerde der Antragstellerin vom insoweit statt, als die Gewährung von Betreuungsurlaub für die Zeit vom bis zum zunächst unterblieben sei, und wies die Beschwerde im Übrigen zurück. Zu Letzterem verwies es darauf, dass eine rückwirkende Gewährung von Betreuungsurlaub ab dem nicht zulässig sei. Im Übrigen sei die gesetzliche Höchstdauer von drei Jahren ausgeschöpft worden.

9Bereits mit Schreiben vom hat die Antragstellerin unter Bezugnahme auf ihre Untätigkeitsbeschwerde vom und eine weitere Untätigkeitsbeschwerde vom wegen des Antrags auf Betreuungsurlaub die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Zur Begründung führt sie insbesondere aus, dass sie den Betreuungsurlaub für die Zeit vom bis rechtzeitig beantragt habe. Einer rückwirkenden Genehmigung stehe nichts entgegen. Allenfalls gehe es um die Rückzahlung von Bezügen oder Elternzeitgeld. Außerdem beanstande sie einen Befehl ihres Disziplinarvorgesetzten vom , mit dem ihre "Zwangseinweisung in das Bundeswehrkrankenhaus ..." befohlen werde.

10Die Antragstellerin beantragt,

den Betreuungsurlaub ab dem bis zum zu genehmigen sowie

den rechtswidrigen Befehl vom aufzuheben.

11Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

12Soweit der Antrag den Befehl vom zur militärärztlichen Begutachtung der Antragstellerin betreffe, sei bereits ein Hauptsacheverfahren beim Truppendienstgericht Süd (Az.: S 3 BLa 1/22) anhängig. Soweit es um die Bewilligung von Betreuungsurlaub gehe, sei der zwischenzeitlich ergangene Beschwerdebescheid vom in das Verfahren einzubeziehen. Der zusätzlichen Gewährung von Betreuungsurlaub für die Zeit vom bis stehe entgegen, dass eine rückwirkende Bewilligung von Betreuungsurlaub unzulässig sei. Auch wenn die Antragstellerin seit dem von ihren Dienstpflichten entbunden gewesen sei, habe eine rechtliche Lage bestanden, die sich von einer Beurlaubung gemäß § 28 Abs. 5 SG unterscheide. Eine rückwirkende Gewährung würde nachträglich einen Zustand fingieren, welcher rechtlich und faktisch nicht vorgelegen habe. So habe sich die Antragstellerin beispielsweise vom bis sowie vom bis im Erholungsurlaub befunden. Eine rückwirkende Gewährung von Betreuungsurlaub für den gewünschten Zeitraum würde zu einer "Überlagerung" der Urlaubszeiträume führen. Die Entscheidung des Bundesamts für das Personalmanagement, der Antragstellerin ab dem , also ab dem Datum des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts im Verfahren BVerwG 1 W-VR 14.21, Betreuungsurlaub zu gewähren, sei deshalb sachgerecht und rechtlich nicht zu beanstanden. Im Übrigen könne Betreuungsurlaub nur bis zur Dauer von drei Jahren mit der Möglichkeit der Verlängerung gewährt werden. Die von der Antragstellerin gewünschte Beurlaubungsdauer bis zum gehe über die vorerst möglichen drei Jahre hinaus und sei deshalb unzulässig.

13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten verwiesen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung und die Gerichtsakten der abgeschlossenen Verfahren BVerwG 1 W-VR 14.21 und BVerwG 1 W-VR 19.21 haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

Gründe

14Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.

151. Der Senat entscheidet, der gesetzlichen Regel entsprechend, ohne die von der Antragstellerin beantragte mündliche Verhandlung, weil er diese nicht für erforderlich hält (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 18 Abs. 2 Satz 3 WBO). Der vorliegende Fall wirft nur Rechts- oder Tatsachenfragen auf, die sich unter Heranziehung der Akten und der schriftlichen Erklärungen der Beteiligten angemessen lösen lassen (vgl. 5 BN 1.21 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 223 Rn. 12, EGMR, Urteil vom - Nr. 28394/95, Döry/Schweden - Rn. 37 und [ECLI:EU:C:2017:591] - Rn. 47). Insofern liegen Umstände vor, die ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gestatten (vgl. 2 WNB 2.21 - BVerwGE 173, 290 Rn. 13 und EGMR, Urteil vom - Nr. 17895/14, Evers/Deutschland - FamRZ 2021, 382 <384 f.>).

162. Der Antrag ist unzulässig, soweit die Antragstellerin beantragt, den Befehl vom zur militärärztlichen Begutachtung aufzuheben, weil diesbezüglich bereits ein Hauptsacheverfahren beim Truppendienstgericht Süd (Az.: S 3 BLa 1/22) anhängig ist (§ 17 Abs. 1 Satz 2 GVG).

173. Der Antrag ist unbegründet, soweit die Antragstellerin die Gewährung von Betreuungsurlaub für den Gesamtzeitraum vom bis zum begehrt.

18Einer Berufssoldatin, die - wie die Antragstellerin - ein Kind unter 18 Jahren tatsächlich betreut, kann auf Antrag unter Wegfall der Geld- und Sachbezüge mit Ausnahme der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung (Betreuungs-)Urlaub bis zur Dauer von drei Jahren mit der Möglichkeit der Verlängerung auf längstens 15 Jahre gewährt werden (§ 28 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 SG). Das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr hat der Antragstellerin mit Bescheid vom einen solchen Betreuungsurlaub für die Zeit vom bis zum gewährt.

19Die Antragstellerin möchte im vorliegenden Verfahren an diesem bereits gewährten Urlaubszeitraum nichts ändern. Vielmehr möchte sie den Urlaubszeitraum vorgängig um die Zeit vom bis und anschließend um die Zeit vom bis zu einem Gesamtzeitraum vom bis zum erweitern. Dieses Begehren bleibt schon deshalb ohne Erfolg, weil das Bundesamt für das Personalmanagement die maximale Dauer einer Erstbewilligung von Betreuungsurlaub mit dem Bescheid vom vollständig ausgeschöpft hat.

20Unabhängig davon kommt eine Gewährung für den Zeitraum vom bis auch deshalb nicht in Betracht, weil die Bewilligung von Betreuungsurlaub für die Vergangenheit grundsätzlich nicht zulässig ist (vgl. für die Elternzeit ebenso BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WB 20.14 - BVerwGE 152, 144 Leitsatz und Rn. 22 ff. sowie vom - 1 WB 1.16 - juris Rn. 30; ebenso für den rückwirkenden Widerruf von Betreuungsurlaub 1 WB 94.95 - Buchholz 236.1 § 28 SG Nr. 2 S. 1). Die Tatsache, dass sich ein Soldat in einem bestimmten zurückliegenden Zeitraum im Dienst befunden hat, kann nicht mehr rückwirkend verändert werden. Dies gilt auch dann, wenn die betreffende Person - wie hier die Antragstellerin - in diesem Zeitraum von ihren Dienstpflichten entbunden war oder sich zeitweise im Erholungsurlaub befand; auch diese beiden Maßnahmen setzen eine laufende Dienstleistungsverpflichtung voraus. Gegen die Zulässigkeit einer rückwirkenden Bewilligung von Betreuungsurlaub spricht auch, dass der Zweck der Urlaubsbewilligung, nämlich die tatsächliche Betreuung eines minderjährigen Kindes durch den beurlaubten Soldaten zu ermöglichen oder zu erleichtern, hierdurch nicht mehr gefördert werden kann; die faktische Betreuungssituation lässt sich für die Vergangenheit nicht mehr ändern. Es widerspräche der sozialen und familienpolitischen Zwecksetzung des § 28 Abs. 5 SG, wenn die Bewilligung von Betreuungsurlaub zur beliebigen "Umbuchung" von Dienstzeiten instrumentalisiert werden könnte.

21Der Antrag bleibt schließlich auch dann ohne Erfolg, wenn man das mit der Beschwerde weiterverfolgte Begehren für die Zeit ab dem als Antrag auf Verlängerung des bewilligten Drei-Jahres-Zeitraums versteht. Aus der Konzeption des Gesetzes ("Urlaub bis zur Dauer von drei Jahren mit der Möglichkeit der Verlängerung auf längstens 15 Jahre") ist ersichtlich, dass eine grundsätzliche und nur ausnahmsweise widerrufbare (siehe § 28 Abs. 5 Satz 3 SG) Bindung an die Freistellung vom Dienst zunächst nur für maximal drei Jahre eintreten soll. Eine Verlängerung des Betreuungsurlaubs kann demzufolge nicht - wie hier - gleichzeitig oder in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Antrag auf Erstbewilligung, sondern erst dann beantragt werden, wenn die dienstlichen und persönlichen Belange hinreichend absehbar sind, die für die Ermessensentscheidung über die Weiterbewilligung maßgeblich sind. Auf diese Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt eine Verlängerung zu beantragen, hat das Bundesministerium der Verteidigung die Antragstellerin in dem Beschwerdebescheid zutreffend hingewiesen.

224. Die von der Antragstellerin mit Schreiben vom gestellten Beweisanträge werden abgelehnt, weil die dort unter Beweis gestellten Tatsachen für die Entscheidung ohne Bedeutung sind (§ 18 Abs. 2 Satz 2 WBO i. V. m. § 106 WDO und § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2022:290922B1WB8.22.0

Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 10 Nr. 7
CAAAJ-25523