Instanzenzug: Az: 2 U 71/21vorgehend LG Trier Az: 5 O 216/20
Tatbestand
1Die Klägerin nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.
2Die Klägerin erwarb am ein Neufahrzeug des Typs Volkswagen Sharan zum Preis von 31.764,72 € netto. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Dieser enthielt eine Motorsteuerungssoftware, die das Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus auf dem Prüfstand erkannte und in diesem Fall einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb bewirkte. Die Software wurde im Herbst 2015 öffentlich bekannt und vom Kraftfahrt-Bundesamt als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet.
3Die im August 2020 erhobene, im Wesentlichen auf Erstattung des Nettokaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage hat in den Vorinstanzen überwiegend Erfolg gehabt. Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und Klageabweisung im Übrigen verurteilt, 20.996,48 € nebst gestaffelter Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs an die Klägerin zu zahlen und diese von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizustellen.
4Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte zuletzt ihr Begehren auf Abweisung der Klage weiter, soweit sie zur Zahlung von mehr als 31.764,72 € abzüglich der angefallenen Händlermarge und abzüglich eines Nutzungsvorteils von zumindest 10.768,24 € nebst Zinsen sowie zur Freistellung der Klägerin von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt worden ist.
Gründe
5Die Revision ist zulässig und nach der Beschränkung des Revisionsangriffs, mit der die Beklagte die Revision teilweise zurückgenommen hat, begründet.
I.
6Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen wie folgt begründet:
7Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB, dessen Durchsetzung jedoch die Verjährungseinrede der Beklagten entgegenstehe. Die Klägerin könne indessen einen Restschadensersatzanspruch gemäß § 852 Satz 1 BGB in gleicher Höhe geltend machen. Erlangt im Sinne von § 852 Satz 1 BGB habe die Beklagte den aus der Veräußerung des Neufahrzeugs erzielten, vom (Vertrags-)Händler an sie gezahlten Kaufpreis. Die Klägerin habe dazu unwidersprochen vorgetragen, dass sich die Händlermarge in der Regel auf 10 % belaufe. Davon ausgehend habe die Beklagte 28.588,25 € erlangt (90 % des Nettokaufpreises). Hiervon könne die Klägerin 20.996,48 € geltend machen, da der Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB der Höhe nach auf den ursprünglichen Schadensersatz begrenzt sei, welcher sich auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich eines Nutzungsvorteils von 10.768,24 € Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs richte. Die Klägerin habe außerdem Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
II.
8Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
91. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Klägerin stehe ein Restschadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegen die Beklagte zu, ist dem Grunde nach der revisionsrechtlichen Überprüfung entzogen. Die Beklagte hat die Revision nachträglich wirksam auf die Höhe des Anspruchs beschränkt (vgl. , NJW 2022, 2685 Rn. 8 mwN).
102. Das Berufungsgericht hat bei der Ermittlung der Höhe des aus §§ 826, 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB geschuldeten Restschadensersatzes übersehen, dass - was der Senat nach Erlass des Berufungsurteils näher ausgeführt hat ( VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 16) - der von der Beklagten erlangte Händlereinkaufspreis nicht lediglich als Vergleichsgröße heranzuziehen, sondern Ausgangspunkt für die Berechnung der Anspruchshöhe ist. Entsprechend hätte das Berufungsgericht auf der Grundlage seiner unangefochtenen Feststellungen, weil auch der Restschadensersatzanspruch der Vorteilsausgleichung unterliegt, die von ihm gemäß § 287 ZPO geschätzten Nutzungsvorteile in Höhe von 10.768,24 € von dem von ihm als erlangt ermittelten Händlereinkaufspreis in Höhe von 28.588,25 € abziehen müssen, so dass es rechtsfehlerfrei zu einem Anspruch in der Hauptsache von nur 17.820,01 € gelangt wäre.
113. Wie vom Berufungsgericht zu Recht angenommen, hat die Klägerin gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB Anspruch auf Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem . Das Berufungsgericht hat auch zutreffend berücksichtigt, dass die zu verzinsende Hauptforderung aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB bei Eintritt der Rechtshängigkeit den letztlich zuzusprechenden Betrag überstieg, da sich der anzurechnende Nutzungsvorteil im Laufe des Rechtsstreits erhöht hat (vgl. , NJW 2020, 2806 Rn. 38). Konkret hat es den bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit erlangten Nutzungsvorteil unangefochten auf 9.055,12 € geschätzt. Die Hauptforderung der Klägerin (Händlereinkaufspreis abzüglich Nutzungsvorteil) betrug zu diesem Zeitpunkt 19.533,13 €. Da das Berufungsgericht - ebenfalls unangefochten - von einer gleichmäßigen Anspruchsreduzierung während der Rechtshängigkeit ausgegangen ist, können Prozesszinsen für die Zeit bis zum , dem Tag der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung, im Interesse einer einfachen Zinsberechnung aus der durchschnittlichen Hauptforderung während dieses Zeitraums zugesprochen werden, mithin aus 18.676,57 €, dem Mittelwert von 19.533,13 € und 17.820,01 € (vgl. etwa OLG Frankfurt, Urteil vom - 26 U 59/19, juris Rn. 48).
124. Die Klägerin kann außerdem nicht die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten beanspruchen. §§ 826, 852 Satz 1 BGB ergeben einen solchen Anspruch nicht, weil Vermögensnachteile, die der Klägerin durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der vorgerichtlichen Geltendmachung ihres Schadensersatzanspruchs entstanden sind, nicht zu einer Vermögensmehrung bei der Beklagten geführt haben (vgl. VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 77). Daran hält der Senat auch unter Berücksichtigung des Vorbingens der Revisionserwiderung fest. Da sich die Beklagte bis zum Erhalt des anwaltlichen Aufforderungsschreibens vom nicht in Verzug befand, kann die Klägerin die Freistellung auch nicht als Verzugsschaden beanspruchen (vgl. aaO, Rn. 78).
III.
13Das Berufungsurteil ist danach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden, da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Weitere tatrichterliche Feststellungen sind nicht erforderlich, nachdem das - insoweit gemäß § 287 ZPO besonders freigestellte - Berufungsgericht die zur Bemessung des klägerischen Anspruchs erforderlichen Feststellungen getroffen hat.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:260922UVIAZR384.21.0
Fundstelle(n):
LAAAJ-25157