Strafbares Einschleusen von Ausländern: Konkurrenzverhältnis bei akzessorischer Beihilfe zur unerlaubter Einreise und zum unerlaubtem Aufenthalt
Gesetze: § 96 Abs 1 AufenthG, § 52 StGB, § 53 StGB
Instanzenzug: LG Hanau Az: 5 KLs - 3330 Js 16618/19
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagten Z. und T. wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in 14 Fällen, davon in einem Fall „in Tateinheit mit einem weiteren gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Einschleusen von Ausländern“ und in einem Fall in Tateinheit mit Missbrauch von Ausweispapieren, wegen Verschaffens von falschen amtlichen Ausweisen in zwei Fällen und wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen, die Angeklagte Z. darüber hinaus zusätzlich wegen eines weiteren Falles des Missbrauchs von Ausweispapieren, jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zudem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 94.831,50 € gegen die Angeklagten angeordnet. Die hiergegen gerichteten, jeweils auf die Rüge einer Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben in dem aus der Beschlussformel erkennbaren Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO) und sind im Übrigen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
21. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen förderten die Angeklagten im Zeitraum von Ende 2018 bis Ende August 2020 gemeinsam arbeitsteilig den unerlaubten Aufenthalt chinesischer Frauen in der Bundes-republik Deutschland, indem sie diese als Prostituierte in ihrem Prostitutionsbetrieb beschäftigten und ihnen jeweils die Hälfte der erwirtschafteten Umsätze als Lohn auszahlten. Der Umstand, dass die chinesischen Frauen keinen zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet berechtigenden Aufenthaltstitel besaßen, war den Angeklagten bewusst. Sie verwendeten den selbst vereinnahmten Anteil der Prostitutionserlöse teilweise für ihren Lebensunterhalt und transferierten einen weiteren nicht unerheblichen Anteil der Erlöse sowie weitere Beträge unbekannter Herkunft und Höhe monatlich nach China. Bei diesen Taten handelten die Angeklagten in der Absicht, sich eine fortlaufende, nicht unerhebliche Einnahmequelle zu verschaffen. Im Einzelnen hat die Strafkammer hierzu, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, Folgendes festgestellt:
3a) Im Fall II.2.4. der Urteilsgründe organisierte die Angeklagte Z. die wegen eines Einreise- und Aufenthaltsverbots sowie einer Ausreiseverfügung unerlaubte Einreise der gesondert Verfolgten L. am aus Spanien in das Bundesgebiet; der Angeklagte T. holte L. und die ebenfalls an diesem Tag mit einem von der Angeklagten Z. beschafften Flugticket in das Bundesgebiet eingereiste gesondert Verfolgte Zh. vom Flughafen ab. Zh. besaß lediglich einen spanischen Aufenthaltstitel, der nicht zur Arbeitsaufnahme in der Bundesrepublik Deutschland berechtigte. In der Folgezeit ermöglichten die Angeklagten im gemeinschaftlichen Zusammenwirken in Kenntnis der fehlenden Aufenthaltstitel von L. und Zh. deren weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet, indem sie diese als Prostituierte für sich arbeiten ließen (Fall II.2.5. der Urteilsgründe).
4b) Umsatzsteuererklärungen über die vereinnahmten Prostitutionserlöse gaben die Angeklagten für die Besteuerungszeiträume 2018, 2019 und das erste Quartal 2020 nicht ab, obwohl sie wussten, dass sie hierzu als Inhaber des Bordellbetriebs innerhalb der gesetzlichen Fristen verpflichtet waren. Aufgrund einer Schätzung der Betriebseinnahmen der Angeklagten hat das Landgericht angenommen, dass die Umsatzsteuer im Besteuerungszeitraum 2018 in Höhe von 13.765,50 €, im Besteuerungszeitraum 2019 in Höhe von 64.239 € und im ersten Quartal 2020 in Höhe von 9.177 € verkürzt wurde (Fälle II.2.18. bis II.2.20. der Urteilsgründe).
52. Im November 2019 beziehungsweise im September 2020 beschafften die Angeklagten in gemeinschaftlichem Zusammenwirken gefälschte kroatische Ausweispapiere für die gesondert Verfolgten G. und S. . Sie händigten diesen die Papiere aus, um ihnen hierdurch die Möglichkeit zu verschaffen, sie im Rechtsverkehr zu gebrauchen; hierfür erhielten die Angeklagten einen Betrag in Höhe von 5.000 € von G. und 2.650 € von S. (Fälle II.2.16. und II.2.17. der Urteilsgründe).
II.
61. Den Verfahrensrügen bleibt aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift genannten Gründen der Erfolg versagt.
72. Der auf die Sachrüge gebotenen sachlich-rechtlichen Überprüfung hält das Urteil nur teilweise stand.
8a) Die Beurteilung der Konkurrenzen in den Fällen II.2.4. und II.2.5. der Urteilsgründe ist rechtsfehlerhaft.
9aa) Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt:
„Durch die Strafvorschrift des § 96 Abs. 1 AufenthG werden nach den allgemeinen Regeln (§ 26, § 27 StGB) strafbare Teilnahmehandlungen an den in § 96 Abs. 1 AufenthG in Bezug genommenen Taten nach § 95 AufenthG zu selbständigen, in Täterschaft (§ 25 StGB) begangenen Straftaten heraufgestuft, wenn der Teilnehmer zugleich eines der in § 96 Abs. 1 AufenthG geregelten Schleusermerkmale erfüllt. Trotz dieser tatbestandlichen Verselbständigung zur Täterschaft gelten für die Tathandlungen des § 96 Abs. 1 AufenthG die allgemeinen Regeln der Teilnahme, einschließlich des Grundsatzes der limitierten Akzessorietät (Senat, Beschluss vom - 1 StR 173/21 -, Rn. 9 m. w. N.). Ob bei der akzessorischen Beihilfe Tateinheit oder Tatmehrheit anzunehmen ist, hängt sowohl von der Anzahl der Beihilfehandlungen als auch von der Zahl der vom Gehilfen geförderten Haupttaten ab. Beziehen sich mehrere Unterstützungshandlungen auf dieselbe Haupttat, liegt Tateinheit vor (Senat, Beschluss vom - 1 StR 267/19 -, Rn. 9 m. w. N.). Das gilt auch, wenn es sich bei der Haupttat um mehrere Taten handelt, die in Tateinheit stehen ( -, Rn. 13; Beschluss vom - 4 StR 440/14 -, Rn. 8).
Reist ein Ausländer unerlaubt ins Bundesgebiet ein und hält sich im Anschluss dort auf, stehen die unerlaubte Einreise und der unerlaubte Aufenthalt in Idealkonkurrenz (Senat, Urteil vom - 1 StR 118/00 -; siehe auch Urteil vom - 1 StR 289/20 -, Rn. 31). Dient die durch § 96 Abs. 1 AufenthG tatbestandlich verselbständigte Beihilfe daher sowohl der Förderung der unerlaubten Einreise als auch des anschließenden unerlaubten Aufenthalts eines Ausländers, ist nur eine Tat gegeben. Da bei der Tenorierung der Strafbarkeit des Schleusers nicht zwischen unerlaubter Einreise und unerlaubtem Aufenthalt unterschieden wird, handelt es sich um ein (einheitliches) Einschleusen von Ausländern (vgl. Senat, Urteil vom - 1 StR 289/20 -, Rn. 31).“
10bb) Der Schuldspruch ist daher insoweit von Tatmehrheit (§ 53 StGB) auf Tateinheit (§ 52 StGB) abzuändern. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, da auszuschließen ist, dass sich die Angeklagten hiergegen effektiver als geschehen hätten verteidigen können. Die Schuldspruchänderung zieht die Aufhebung beider Einzelstrafen nach sich. Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht darf bei Festsetzung der neuen Einzelstrafe die Summe der beiden bisherigen Einzelstrafen nicht überschreiten ( Rn. 9).
11b) Der Strafausspruch hat auch in den in den Fällen II.2.18. bis II.2.20. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen keinen Bestand. Zur fehlerhaften Bemessung des Schuldumfangs hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt:
„Die Schätzung der Umsätze, für die Umsatzsteuer hinterzogen wurde (UA S. 46), begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Das Tatgericht ist gehalten, eine Schätzungsmethode zu wählen, die dem Ziel, der Wirklichkeit durch Wahrscheinlichkeitsrechnung möglichst nahe zu kommen, am besten gerecht wird. Bei der Auswahl kommt ihm ein Beurteilungsspielraum zu. Die revisionsgerichtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob das Tatgericht nachvollziehbar dargelegt hat, warum es sich der gewählten Schätzungsmethode bedient hat und weshalb diese dafür geeignet ist ( -, Rn. 14 m. w. N.).
Es ist nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer auf Grundlage der Einlassung der Angeklagten (UA S. 26 f.) von mindestens fünf Prostituierten ausgeht, die für die Angeklagte und den Mitangeklagten zeitgleich tätig waren, dass eine Prostituierte an 230 Arbeitstagen im Jahr zur Verfügung stand, am Tag mindestens vier Freier bediente und hierfür im Durchschnitt zumindest 60 Euro erhielt. Wird das Produkt aus diesen Faktoren durch 12 geteilt, erhält man nach zutreffender Auffassung der Strafkammer mit 23.000 Euro einen annähernden Wert für die Umsätze in einem Monat.
Die weiteren Rechenoperationen der Strafkammer, nämlich die Multiplikation dieses Ergebnisses mit dem Faktor 21 sowie - abhängig vom jeweiligen Besteuerungszeitraum - den Faktoren 0,15, 0,7 und 0,1 sind jedoch nicht nachzuvollziehen und erschließen sich auch aus den sonstigen Urteilsgründen nicht ausreichend.
Dass die Strafkammer nur diejenigen Monate ihrer Berechnung zu Grunde legen will, bei denen auf Grund von Geldüberweisungen nach China, die durch Chatprotokolle belegt sind (vgl. UA S. 9 ff., 29), von erzielten Umsätzen auszugehen ist, begegnet keinen Bedenken. Nach den Urteilsfeststellungen ist es jedoch in den urteilsgegenständlichen Besteuerungszeiträumen nicht in 21, sondern nur in 15 Monaten zu Überweisungen nach China gekommen. Nimmt man die in der Anklage enthaltene und gemäß § 154 StPO von der Verfolgung ausgenommene Umsatzsteuerhinterziehung bezüglich des dritten Quartals 2020 hinzu, handelt es sich um 18 Monate. Dies gilt jeweils unabhängig davon, ob die in einem bestimmten Monat erfolgten Überweisungen sich auf Umsätze aus dem Vormonat beziehen, wie die Strafkammer meint, oder nicht.
Die Faktoren von 0,15 für das Jahr 2018, von 0,7 für das Jahr 2019 und von 0,1 für das erste Quartal 2020 (sowie von 0,05 für das dritte Quartal 2020) sollen das Verhältnis der in den Besteuerungszeiträumen erzielten Umsätze zueinander abbilden, das die Strafkammer an Hand der Höhe der durchgeführten Überweisungen bestimmt. Damit knüpft sie an eine Geldverkehrsrechnung an (die eine zulässige Schätzungsmethode ist, vgl. Senat, Beschluss vom - 1 StR 484/21 -, Rn. 7 m. w. N.), lässt jedoch außer Acht, dass ein Nachweis nicht verbuchter Einnahmen durch eine Geldverkehrsrechnung nicht erbracht wird, wenn die ermittelten Beträge aus anderen Quellen stammen können (vgl. -, Juris Rn. 25). Nach den Urteilsgründen enthielten die Überweisungsbeträge auch treuhänderisch nach China weitergeleitete Einnahmen einzelner Prostituierter und Einnahmen Dritter aus Gastronomiebetrieben. In Anbetracht der starken, offensichtlich jahreszeitlich bedingten Schwankungen der Überweisungen kann auch nicht ohne Weiteres von einem stetig gleichbleibenden Anteil der Umsätze des eigenen Unternehmens an den Überweisungsbeträgen ausgegangen werden, der die Ableitung eines wirklichkeitsnahen Verhältnisses zwischen den Umsätzen in den unterschiedlichen Besteuerungszeiträumen ermöglichen würde. Dies hätte zumindest einer näheren Begründung bedürft.
Abgesehen davon sind die Faktoren nicht mit dem Verhältnis der Überweisungsbeträge, die auf einen Besteuerungszeitraum entfallen, in Einklang zu bringen. Unter Berücksichtigung der Verschiebung der Umsätze auf den Folgemonat entfällt auf das Kalenderjahr 2018 die Summe von 111.400 Euro, auf das Kalenderjahr 2019 die Summe von 444.744 Euro, auf das erste Quartal 2020 die Summe von 33.205 Euro und auf das dritte Quartal 2020 die Summe von 59.000 Euro. Dies entspricht Anteilen von rund 0,17 (2018), 0,69 (2019), 0,05 (I/2020) und 0,09 (III/2020) an der Gesamtsumme. Ohne Berücksichtigung der Verschiebung ergeben sich im Jahr 2018 die Summe von 87.000 Euro (0,14), im Jahr 2019 die Summe von 405.644 Euro (0,66), im ersten Quartal 2020 die Summe von 96.705 Euro (0,16) und im dritten Quartal 2020 die Summe von 20.900 Euro (0,03). In beiden Varianten sind die Anteile somit zum Teil höher, zum Teil aber auch merklich niedriger als die von der Strafkammer zu Grunde gelegten Faktoren.
Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil. Eine alternative Berechnung an Hand der nicht zu beanstandenden Grundannahmen der Strafkammer und einem sich daraus ergebenden monatlichen Umsatz von 23.000 Euro in allen Monaten von September 2018 bis März 2020 würde zwar für das Jahr 2018 und das erste Quartal 2020 zu einem höheren Hinterziehungsbetrag als von der Strafkammer festgestellt führen, aber für das Jahr 2019 zu einem erheblich niedrigeren Hinterziehungsbetrag.
Die in den Fällen 18, 19 und 20 verhängten Einzelstrafen können daher keinen Bestand haben.“
12c) Die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen II.2.4. und II.2.5. sowie – insoweit mit den zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) – in den Fällen II.2.18. bis II.2.20. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafen nach sich.
13d) Die Einziehungsentscheidung erweist sich als rechtsfehlerhaft, soweit das Landgericht die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von mehr als 7.650 € angeordnet hat.
14aa) Ungeachtet der vom Generalbundesanwalt zurecht beanstandeten Schätzung der Verkürzungsbeträge und damit der durch die Taten in den Fällen II.2.18. bis II.2.20. der Urteilsgründe bewirkten Steuerersparnis kann die Einziehungsentscheidung hinsichtlich des Wertes der Taterträge in diesen Fällen schon deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht nicht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, dass die Angeklagten überhaupt eine Steuerersparnis hatten. Die Angeklagten hatten sich – dies hat die Strafkammer verkannt – zu einer offenen Handelsgesellschaft mit dem Zweck eines gemeinsamen Prostitutionsbetriebs zusammengeschlossen. Diese war Steuerschuldnerin (§ 13a Abs. 1 Nr. 1, § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG) und nicht etwa die beiden Angeklagten als deren Gesellschafter. Eine Einziehungsanordnung wäre daher in den Fällen II.2.18. bis II.2.20. der Urteilsgründe gegen die Gesellschaft als Dritteinziehungsbeteiligte (§ 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB) zu richten gewesen (vgl. Rn. 23; Urteil vom – 1 StR 265/18 Rn. 56). Die Einziehung hat daher insoweit aus Rechtsgründen zu entfallen (§ 354 Abs. 1 StPO entsprechend).
15bb) Demgegenüber hat das Landgericht den Wert der von den Angeklagten in den Fällen II.2.16. und II.2.17. der Urteilsgründe für die Beschaffung von falschen Ausweispapieren vereinnahmten Beträge von insgesamt 7.650 € zurecht gemäß § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB bei diesen eingezogen. Diese Beträge sind den Angeklagten nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe unmittelbar persönlich zugeflossen (vgl. im Übrigen Rn. 38 und Urteil vom – 3 StR 294/19, BGHSt 64, 234, Rn. 26 ff.).
16cc) Die Einziehungsentscheidung ist, soweit sie Bestand hat, dahin zu ergänzen, dass die Angeklagten für den Einziehungsbetrag als Gesamtschuldner haften.
173. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4, § 465 Abs. 2 StPO analog (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 423/20 Rn. 6 ff. und vom – 1 StR 311/20 Rn. 9 ff.).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:270722B1STR106.22.0
Fundstelle(n):
BFH/NV 2023 S. 255 Nr. 2
VAAAJ-24562