Inhaltliche Anforderung an Hinweispflicht in Hauptverhandlung bei Veränderung des Tatbildes
Gesetze: § 265 Abs 2 Nr 3 StPO
Instanzenzug: LG Essen Az: 65 KLs 41/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
2Die Verfahrensbeanstandung, das Landgericht habe den Angeklagten entgegen § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO nicht auf eine der Verurteilung zugrunde gelegte veränderte Sachlage hingewiesen, bleibt ohne Erfolg.
31. Die Rüge ist unzulässig, denn das Revisionsvorbringen genügt nicht den Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Revision trägt nicht alle Tatsachen vor, die für eine abschließende Prüfung des geltend gemachten Verfahrensfehlers heranzuziehen wären (vgl. allgemein Rn. 8; Beschluss vom – 4 StR 103/21 Rn. 4). Denn das Revisionsvorbringen verhält sich allein zu den Geschehnissen in der Hauptverhandlung vom 23. bis zum , nicht aber zu der ausgesetzten Hauptverhandlung vom . Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, denn ein in der ausgesetzten Hauptverhandlung – etwa vorsorglich oder bereits aufgrund damaliger Angaben der Mitangeklagten – erteilter Hinweis kann für eine Hinweispflicht im weiteren Verfahren bedeutsam sein (vgl. dazu Rn. 4 f.; Urteil vom – 5 StR 252/64; OLG Hamburg NJW 2020, 3794 Rn. 17; Kuckein/Bartel in KK-StPO, 8. Aufl., § 265 Rn. 23).
42. Die Verfahrensrüge wäre aber auch unbegründet. Dies gilt unabhängig davon, ob die sich wie im vorliegenden Fall aus der Veränderung der Sachlage ergebende Hinweispflicht nach dem Inkrafttreten von § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO weiterhin durch eine konkludente Information aus dem Gang der Hauptverhandlung heraus entfallen (vgl. ) oder nur noch durch einen protokollierten Hinweis erfüllt werden kann (vgl. Rn. 13 mwN; Beschluss vom – 3 StR 206/18; offen ; Beschluss vom – 4 StR 108/21; Beschluss vom – 2 StR 315/19 Rn. 2). Denn der von der Revision vermisste förmliche Hinweis ist dem Angeklagten unter den hier gegebenen Umständen durch den von der Strafkammer gegen ihn erlassenen und in der Hauptverhandlung vom verkündeten Haftbefehl erteilt worden.
5a) Die Hinweispflichten nach § 265 StPO dienen der Gewährleistung eines fairen Verfahrens und dem rechtlichen Gehör (BT-Drucks. 18/11277, S. 37). Sie sollen eine sachgemäße Verteidigung des Angeklagten sichern (vgl. , BGHSt 66, 20 Rn. 22; Beschluss vom – 1 StR 363/18 Rn. 25). Daher ist eine Hinweispflicht auf eine geänderte Sachlage gemäß § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO bei einer wesentlichen Veränderung des Tatbildes im Vergleich zu dem in der zugelassenen Anklage konkretisierten Sachverhalt etwa betreffend Tatzeit, Tatort, Tatrichtung oder die Person eines Beteiligten zu bejahen (vgl. Rn. 15; Beschluss vom – 3 StR 206/18 Rn. 9). Ein erforderlicher Hinweis muss in der Weise erfolgen, dass der Angeklagte eindeutig erkennen kann, es werde für das erkennende Gericht bei der Beurteilung seines strafbaren Verhaltens auf die geänderte Sachlage ankommen und er werde daher seine Verteidigung hierauf einzurichten haben (vgl. , BGHSt 22, 29, 30).
6b) Nach diesen Maßgaben lag eine nach § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO hinweispflichtige Veränderung des Tatbildes vor. Denn die Strafkammer hat den Angeklagten über die ihm mit der zugelassenen Anklage vorgeworfene Beobachteraufgabe bei einem Casinobesuch des Tatopfers hinaus deshalb verurteilt, weil er den Geschädigten in dessen Haus eigenhändig zusammen mit einem der Mitangeklagten überfallen habe. Insoweit hat das Landgericht bei dem Angeklagten auf einen anderen Tatort, eine spätere Tatzeit und eine gesteigerte Tatbeteiligung abgestellt.
7c) Der gegen den Angeklagten erlassene Haftbefehl vom erfüllt die Voraussetzungen eines Hinweises nach § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO.
8Der in der Hauptverhandlung vom selben Tag als „Kammerbeschluss“ verkündete und ohne Unterschriften als Anlage zum Sitzungsprotokoll genommene (vgl. § 274 Satz 1 StPO) Haftbefehl wird allen inhaltlichen Anforderungen an einen Hinweis gerecht. Er enthält – ausführlicher als dies im Rahmen von § 265 StPO erforderlich gewesen wäre (vgl. hierzu allgemein Kuckein/Bartel in KK-StPO, 8. Aufl., § 265 Rn. 20 mwN) – eine Schilderung der Tathandlungen im Haus des Tatopfers, derer der Angeklagte über die zugelassene Anklage hinaus dringend verdächtig war. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass als Grundlage für den dringenden Tatverdacht ausdrücklich auf die belastenden Angaben der Mitangeklagten vom selben Tag abgestellt und die bisherige Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung als Grund dafür benannt wird, dass der Angeklagte nunmehr mit der Verurteilung zu einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen habe. Hierbei hat sich die Strafkammer in ihrer Hauptverhandlungsbesetzung (§ 76 Abs. 2 GVG) als das für die Inhaftierung des Angeklagten zuständige Kollegialgericht verstanden, wie auch die dem Sitzungsprotokoll zufolge ausgehändigte Rechtsmittelbelehrung zeigt (§ 115 Abs. 4 Satz 1 StPO; vgl. zur Besetzung Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 126 Rn. 8, 8a).
9Im Unterschied zu Konstellationen, in denen eine Haftentscheidung als ungeeignet angesehen wurde, die rechtlichen Grenzen der Hauptverhandlung zu bestimmen (vgl. ; Beschluss vom – 1 StR 298/18; Urteil vom – 4 StR 485/67, BGHSt 22, 29, 31; s. auch Rn. 8), konnte der verteidigte Angeklagte wie von § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO gefordert eindeutig erkennen, dass er sich auch gegen einen Schuldvorwurf auf geänderter tatsächlicher Grundlage zu verteidigen haben werde. Der als „Kammerbeschluss“ verkündete Haftbefehl, in dem der dringende Tatverdacht mit der bisherigen Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung begründet wurde, musste für den Angeklagten die hohe Wahrscheinlichkeit indizieren, von dem erkennenden Gericht wie geschehen auf einer entsprechenden Tatsachengrundlage verurteilt zu werden.
10Ein Hinweis gemäß § 265 StPO wird zwar in der Hauptverhandlung in der Regel von dem Vorsitzenden erteilt, kann aber – wie im vorliegenden Fall – auch durch Gerichtsbeschluss erfolgen (vgl. Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 265 Rn. 58). Darüber hinaus muss das Wort „Hinweis“ in der an den Angeklagten gerichteten Erklärung (vgl. Kuckein/Bartel in KK-StPO, 8. Aufl., § 265 Rn. 19) nicht notwendig enthalten sein. So können selbst Ausführungen des Rechtsmittelgerichts in einer dem Angeklagten bekannt gemachten zurückverweisenden Entscheidung einen Hinweis beinhalten (vgl. Rn. 7; Urteil vom – 4 StR 485/67, BGHSt 22, 29, 31). Hieraus folgt zugleich, dass ein solcher auch nicht „für sich stehen“ muss. Vielmehr kann er mit einer anderen Zweckbestimmung der gerichtlichen Anordnung, wie sie in der Verfahrenssicherung durch die Untersuchungshaft liegt, verbunden sein, sofern nur für den Angeklagten die Betroffenheit seiner Verteidigungsinteressen – wie hier – eindeutig erkennbar bleibt. Durch die Einführung von § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO im Jahr 2017 hat sich an diesen Grundsätzen nichts geändert, denn der Gesetzgeber wollte insoweit keine weiterreichenden Hinweispflichten als in der Rechtsprechung entwickelt kodifizieren (vgl. Rn. 15; Beschluss vom – 3 StR 206/18 Rn. 14; jew. mwN).
II.
11Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat – auch unter Berücksichtigung der weiteren Ausführungen in der Gegenerklärung des Verteidigers vom – keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:150922B4STR307.22.0
Fundstelle(n):
VAAAJ-24403