BSG Beschluss v. - B 9 SB 17/22 B

(Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - rechtliches Gehör - Ablehnung der Verlängerung einer Stellungnahmefrist durch das Gericht - Obliegenheit zur Gehörsverschaffung - Einreichung der beabsichtigten Stellungnahme bei Gericht trotz Ablehnung der Fristverlängerung - Möglichkeit zur Abgabe von Schriftsätzen bis zur Entscheidung des Gerichts - Amtsermittlungsgrundsatz - Übergehen von Beweisanträgen - Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 S 2 SGG - Erforderlichkeit der Stellung neuer oder Aufrechterhaltung früherer Beweisanträge - Darlegungsanforderungen)

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 62 SGG, § 65 SGG, § 103 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: SG Detmold Az: S 8 SB 924/17 Beschlussvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 13 SB 302 /21 Urteil

Gründe

1I. In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit hat das einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines Grads der Behinderung von mindestens 50 verneint.

2Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und mit Verfahrensmängeln begründet.

3II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Die Klägerin hat die von ihr geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in der danach vorgeschriebenen Weise bezeichnet.

41. Die Klägerin macht ausschließlich geltend, die angegriffene Entscheidung des LSG beruhe auf Verfahrensmängeln (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), weil das LSG ihren Anspruch auf rechtliches Gehör und die Amtsermittlungspflicht verletzt habe.

5Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl zB - juris RdNr 7; - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16, jeweils mwN). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

6a) Eine Verletzung des Amtsermittlungsprinzips wird schon deshalb nicht formgerecht bezeichnet, weil die Klägerin keinen Beweisantrag benennt, den sie im Berufungsverfahren gestellt hätte.

7Die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann - wie bereits ausgeführt - gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zudem kann ein - wie hier - in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt (stRspr; zB - juris RdNr 7; B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn - wie hier - das LSG von der ihm durch § 153 Abs 4 SGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen, weil es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der in einem solchen Fall den Beteiligten zugestellten Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 SGG muss jedenfalls ein rechtskundig vertretener Beteiligter auch entnehmen, dass das Berufungsgericht keine weitere Sachaufklärung mehr beabsichtigt und dass es etwaige schriftsätzlich gestellte Beweisanträge lediglich als Beweisanregungen, nicht aber als förmliche Beweisanträge iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ansieht. Nach Zugang der Anhörungsmitteilung muss daher der Beteiligte, der schriftsätzlich gestellte Beweisanträge aufrechterhalten oder neue Beweisanträge stellen will, dem LSG ausdrücklich die Aufrechterhaltung dieser Anträge mitteilen oder neue förmliche Beweisanträge stellen (vgl - juris RdNr 14; - juris RdNr 4 f mwN). Dass dies der Fall gewesen wäre, hat die Klägerin in der Beschwerdebegründung nicht dargetan. Sie verweist ausschließlich auf einen ohnehin nicht den Anforderungen des § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 ZPO genügenden Beweisantritt "Beweis: Ergänzendes Sachverständigengutachten" vor dem SG.

8b) Die von der Klägerin vorrangig gerügte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) wird ebenfalls nicht formgerecht dargetan. Insoweit macht sie geltend, das LSG habe einen Antrag auf Fristverlängerung zur weiteren Aufklärung der "vorhandenen Herzproblematik" abgelehnt. Im Hinblick hierauf habe das LSG sie zumindest persönlich anhören müssen, anstelle ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

9Wird - wie hier - eine Verletzung des Anspruchs eines Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör geltend gemacht, so muss auch dargetan werden, dass der Beteiligte seinerseits alles getan hat, um sich selbst rechtliches Gehör zu verschaffen (stRspr; zB - juris RdNr 12; - juris RdNr 6). An Ausführungen hierzu mangelt es jedoch. Insbesondere geht die Klägerin nicht darauf ein, dass sie mit ihrem in der Beschwerdebegründung vollständig wiedergegebenen Antrag eine Verlängerung der Stellungnahmefrist bis beantragt hatte, der Beschluss des LSG jedoch erst vom datiert. Vor diesem Hintergrund hätte die Klägerin ausführen müssen, dass sie alles ihr Zumutbare unternommen hat, um die beabsichtigte Stellungnahme bis zum Ende der von ihr beantragten Fristverlängerung oder jedenfalls noch vor Beschlussfassung durch das LSG abzugeben. Hierzu enthält die Beschwerdebegründung keine Angaben.

10Tatsächlich ist die Gehörsrüge der Klägerin im Kern auf eine Verletzung des Amtsermittlungsprinzips durch das LSG gerichtet, wie bereits die Verknüpfung beider Rügen in der Beschwerdebegründung zeigt. Jedoch können die für die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 103 SGG nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG geltenden Einschränkungen auch nicht durch die Berufung auf die vermeintliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör umgangen werden (vgl - juris RdNr 12; - juris RdNr 8 mwN).

11c) Dass die Klägerin die Entscheidung des LSG inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BH - juris RdNr 11; - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4).

12d) Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

132. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

143. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.Kaltenstein                Othmer                Ch. Mecke

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2022:300822BB9SB1722B0

Fundstelle(n):
GAAAJ-24113