BGH Beschluss v. - 3 StR 238/21

Strafverfahren wegen Betäubungsmitteldelikten: Voraussetzungen der erweiterten Einziehung von Wertersatz

Gesetze: § 73a Abs 1 StGB, § 73c S 1 StGB, § 73d StGB vom , § 267 StPO, § 29 BtMG, §§ 29ff BtMG

Instanzenzug: LG Wuppertal Az: 23 KLs 10/19nachgehend Az: 3 StR 238/21 Urteil

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in jeweils fünf Fällen sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs (Z.   ) bzw. fünf (M.    ) Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von zehn Jahren und sechs Monaten (Z.   ) bzw. 13 Jahren und sechs Monaten (M.    ) verurteilt und eine Vielzahl von Einziehungsentscheidungen getroffen.

2Gegen das Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, die sie auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts und der Angeklagte M.    darüber hinaus auf eine Verfahrensbeanstandung stützen. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Über die Rechtmäßigkeit der gegen den Angeklagten M.    angeordneten erweiterten Einziehung von Wertersatz wird gesondert entschieden; insoweit wird das Verfahren gemäß § 422 Satz 1 StPO abgetrennt. Im Übrigen hat die durch die Revisionen veranlasste Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler im Verfahren oder in der Sache aufgedeckt (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

3Das Landgericht hat festgestellt, dass sich die Angeklagten spätestens Anfang 2016 mit verschiedenen Kurierfahrern zusammenschlossen, um gemeinsam Kokain aus den Niederlanden über Deutschland in das europäische Ausland zu verbringen und dort zu verkaufen. Der Angeklagte M.    kümmerte sich von V.   (Niederlande) aus um die Beschaffung der Betäubungsmittel und pflegte den Kontakt mit den Abnehmern. Dem Angeklagten Z.   aus W.     oblag die Organisation der Transportfahrten, die er entweder selbst durchführte oder für die er einen Kurier der Gruppe einsetzte. Von Januar bis Juni 2018 schmuggelten die Angeklagten auf diese Weise in fünf Fällen insgesamt 80 kg Kokain für einen Kaufpreis von 30.000 € pro Kilogramm nach Skandinavien (Fälle III. 1 bis 3, 5 und 8 der Urteilsgründe). Mit zwei weiteren Fahrten verbrachten sie im Mai 2018 addiert 92 kg Amphetamin nach Dänemark (Fälle III. 6 und 7 der Urteilsgründe). Die Verkaufserlöse nahm der jeweilige Fahrer - mithin der Angeklagte Z.   oder der von ihm eingesetzte Kurier - im Ausland entgegen und beförderte sie auf der Rückfahrt nach W.     , von wo aus Z.   das Geld jeweils zum Angeklagten M.    nach V.   transportierte. Jener zahlte dann aus dem übergebenen Betrag einen Teil an Z.   aus - in Fall III. 7 der Urteilsgründe 2.000 €, in allen sieben Fällen zusammen 14.200 €.

4Nach dem beschriebenen modus operandi tätigten die Angeklagten von Juli 2017 bis Mai 2018 weitere 27 Betäubungsmittelgeschäfte, welche nach Zeit und Ort, nicht aber nach Art und Menge des transportierten und verkauften Betäubungsmittels festgestellt sind. Insoweit ist die Staatsanwaltschaft vor Anklageerhebung nach § 154 Abs. 1 StPO verfahren. Der Angeklagte Z.   erwirtschaftete durch jede dieser Taten 2.000 €, insgesamt mithin 54.000 €.

5Im April 2018 verfügten die Angeklagten gemeinsam über 800 g Kokain zum gewinnbringenden Verkauf (Fall III. 4 der Urteilsgründe), im Juni 2018 der Angeklagte M.    allein über weitere 7 kg (Fall III. 9 der Urteilsgründe). Von Januar bis Juni 2018 betrieben sie erfolgreich eine Marihuana-Plantage mit einer zum Verkauf bestimmten Ernte von wenigstens 7,6 kg und neuen Anpflanzungen, die einen Ertrag von mindestens 11 kg erzielt hätten (Fall III. 10/11 der Urteilsgründe). Schließlich veräußerte der Angeklagte Z.   in zwei Fällen insgesamt 38 kg Marihuana (Fälle III. 16 und 17 der Urteilsgründe).

II.

61. Wie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend dargelegt, greift die vom Angeklagten M.    erhobene Verfahrensbeanstandung nicht durch.

72. Die materiellrechtliche Prüfung deckt für beide Angeklagte Rechtsfehler nur bei den Einziehungsentscheidungen auf.

8a) Die Strafkammer hat die Einziehung von Wertersatz für das durch die Taten Erlangte angeordnet, für jeden Angeklagten in Höhe von 14.200 €, für den Angeklagten Z.   zusätzlich als Gesamtschuldner in Höhe von 7.450 € (Kaufpreis aus Fall III. 7 der Urteilsgründe).

9Dass das Landgericht entgegen den zwingenden § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB somit nur einen Bruchteil der von den Angeklagten generierten Verkaufserlöse eingezogen hat, obwohl das im Ausland vereinnahmte Bargeld nach den getroffenen Feststellungen jeweils in voller Höhe durch ihrer beider Hände ging und sie im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses jeweils ungehinderten Zugriff darauf nahmen (vgl. hierzu etwa , NStZ-RR 2022, 109 f. mwN), beschwert die Angeklagten nicht. Zu korrigieren bleibt gleichwohl zweierlei:

10Weil sich aus den Urteilsgründen ergibt, dass die Angeklagten nacheinander über sämtliche von ihnen im Ausland erwirtschafteten Barerträge verfügten, gilt dies auch für die jeweils von ihnen erlangten 14.200 €. Den Wertersatz hierfür haben deshalb beide als Gesamtschuldner zu leisten (vgl. etwa , juris Rn. 4 mwN).

11Außerdem verfügte der Angeklagte Z.   in Fall III. 7 der Urteilsgründe nur über weitere 5.450 €, nicht über weitere 7.450 €. Denn er wurde nach den getroffenen Feststellungen auch in diesem Fall direkt aus dem Verkaufserlös in Höhe von 7.450 €, den er aus Dänemark nach V.   verbrachte und dort M.    übergab, mit einem Gewinnanteil in Höhe von 2.000 € bedacht. Diesen Betrag hat die Strafkammer jedoch bereits in die ihm insgesamt von M.    ausgehändigten 14.200 € einberechnet und damit im Ergebnis doppelt eingezogen. Der Senat entscheidet insoweit in der Sache selbst und reduziert die Einziehungsanordnung um 2.000 € (§ 354 Abs. 1 StPO analog).

12b) Die gegenüber dem Angeklagten Z.   angeordnete erweiterte Einziehung von Taterträgen in Höhe von 54.000 € hält rechtlicher Überprüfung nur in Höhe von 14.000 € stand.

13Die Strafkammer hat diese Einziehung auf den von ihr festgestellten Erlös aus den 27 nicht angeklagten Fahrten gestützt. Dies ist im Ansatz nicht zu beanstanden. Denn damit handelte es sich um den Ertrag aus "anderen rechtswidrigen Taten" im Sinne des § 73a Abs. 1 StGB, die nach Ausschöpfung aller Beweismittel nicht konkretisierbar sind und die deshalb nicht im Rahmen eines subjektiven Strafverfahrens geahndet werden können (vgl. zu diesem Erfordernis BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 219/20, juris Rn. 7; vom - 4 StR 297/18, NStZ 2019, 271 Rn. 8). Das durch oder für diese Taten Erlangte ist damit nach § 73a Abs. 1 StGB grundsätzlich taugliches Zugriffsobjekt der erweiterten Einziehung.

14Die Anwendung des § 73a Abs. 1 StGB in Verbindung mit § 73c Satz 1 StGB setzt jedoch voraus, dass der Gegenstand oder sein Surrogat bei Begehung der Anknüpfungstat noch im Vermögen des betroffenen Täters oder Teilnehmers vorhanden war. Ein solcher zeitlicher Zusammenhang zwischen der urteilsgegenständlichen Tat und den abzuschöpfenden Erträgen aus anderen Delikten war bereits im Rahmen des erweiterten Verfalls nach § 73d StGB aF erforderlich. Daran hat sich durch das neue Recht der Vermögensabschöpfung nichts geändert (, juris Rn. 13 mwN; MüKoStGB/Joecks/Meißner, 4. Aufl., § 73a Rn. 20). Abgeschöpft werden kann im Wege der erweiterten Einziehung von Wertersatz nur dasjenige illegal Erlangte, das der Angeklagte zur Tatzeit der abgeurteilten Delikte in seiner Verfügungsgewalt hatte. Das zuvor Verbrauchte oder erst später Erworbene unterfällt den §§ 73a, 73c StGB nicht.

15Danach kann die Entscheidung über die Einziehung des Wertes der Erlöse aus den ersten 20 eingestellten Taten keinen Bestand haben. Denn diese Betäubungsmittelgeschäfte datieren nach den getroffenen Feststellungen vor dem Tatzeitraum der abgeurteilten Fälle. Das Urteil verhält sich nicht dazu, in welchem Umfang die daraus erzielten Erlöse im Vermögen des Angeklagten Z.   als Bargeld oder dessen Surrogat verblieben waren. Damit sind die Voraussetzungen der erweiterten Wertersatzeinziehung in Höhe der vor dem Tatzeitraum erzielten Gewinne nicht belegt.

16Insoweit sind jedoch zusätzliche Feststellungen möglich. Der Angeklagte kann das durch die Taten Erlangte etwa in seine Immobilie investiert (s. UA S. 11, 86) oder für den Kauf der sichergestellten zwei Porsche eingesetzt haben. In beiden Fällen hätte das Surrogat der 40.000 € im Zeitpunkt der Anknüpfungstaten ganz oder teilweise weiter in seiner Verfügungsgewalt gestanden. Dem Antrag des Generalbundesanwalts, den Ausspruch über die Einziehung des Betrags entfallen zu lassen, ist vor diesem Hintergrund nicht zu entsprechen.

17In Höhe von 14.000 € hat die erweiterte Einziehung von Wertersatz Bestand. Sie betrifft die Erlöse aus den sieben eingestellten Fällen, die in den Zeitraum der abgeurteilten Taten fallen. In dieser Höhe sind die Voraussetzungen von § 73a Abs. 1 StGB in Verbindung mit § 73c Satz 1 StGB erfüllt.

18c) Die gegen den Angeklagten Z.   angeordnete selbständige Einziehung von zwei sichergestellten Porsche-Fahrzeugen nach § 76a Abs. 4 Satz 3 Nr. 6 Buchst. b StGB ist nicht tragfähig begründet. Das Urteil führt hierzu aus, diese Autos habe er mit Erträgen aus den nicht angeklagten 27 Betäubungsmittelgeschäften bezahlt.

19aa) Entgegen der in der Antragschrift des Generalbundesanwalts vertretenen Rechtsansicht steht der selbständigen Einziehung allerdings nicht das Verfahrenshindernis der fehlenden Anhängigkeit entgegen. Denn den für ein selbständiges Einziehungsverfahren nach § 435 Abs. 1, 2 StPO, § 76a StGB erforderlichen Antrag hat die Staatsanwaltschaft in der Anklage gestellt. Darin hat sie die sichergestellten Fahrzeuge als Einziehungsobjekte konkret bezeichnet, Tatsachen angegeben, die die selbständige Einziehung begründen sollen ("da der Angeklagte Z.   diese Vermögenswerte nicht aus legalen Mitteln erworben haben kann"), und im Übrigen den Voraussetzungen des § 200 StPO genügt.

20bb) Die Einziehung der Autos begegnet auch nicht deshalb Bedenken, weil die erweiterte selbständige Einziehung nach § 76a Abs. 4 StGB die Unmöglichkeit des subjektiven Verfahrens voraussetzt (vgl. , BGHSt 64, 186 Rn. 13 mwN). Die Vorschrift hat zwar Auffangfunktion und ist gegenüber den §§ 73 ff. StGB subsidiär. Gibt es eine Anklage wegen einer Katalogtat, geht grundsätzlich die erweiterte Einziehung nach § 73a StGB vor (LK/Lohse, StGB, 13. Aufl., § 76a Rn. 28; MüKoStGB/Joecks/Meißner, 4. Aufl., § 76a Rn. 17; Schönke/Schröder/Eser/Schuster, 30. Aufl., § 76a Rn. 15). Hier jedoch greift die erweiterte Einziehung nach § 73a Abs. 1 StGB nicht. Denn jene erfasst nicht das Surrogat (§ 73 Abs. 3 StGB) des erlangten Gegenstands (, juris Rn. 14 f. mwN).

21cc) Das Landgericht hat es jedoch versäumt, die von ihm getroffene Feststellung beweiswürdigend zu unterlegen, der Angeklagte habe die Autos im Wert von zusammen 165.000 € (offenbar im Mai 2018) mit Geld aus den eingestellten 27 Betäubungsmittelgeschäften finanziert. Für diesen Umstand ergeben sich aus den Urteilsgründen keine Anhaltspunkte. Dass der Angeklagte aus den nicht angeklagten Taten weitere 165.000 € erlöst haben soll, steht vielmehr im Widerspruch zu der Angabe, er habe mit eben jenen Delikten (nur) die vom Landgericht abgeschöpften 54.000 € erwirtschaftet. Hinzu kommt, dass nach den Urteilsausführungen unklar bleibt, weshalb er für den Erwerb der Fahrzeuge nicht (auch) Gewinne aus den abgeurteilten Taten eingesetzt haben sollte. Diese nicht belegte und nicht ohne Weiteres widerspruchsfreie Feststellung bringt die Anordnung der selbständigen Einziehung zu Fall.

22dd) Für die Einziehung nach § 76a Abs. 4 StGB muss der sichergestellte Gegenstand aus (irgend-)einer Straftat herrühren, die sich nicht konkretisieren lässt. Diesem Erfordernis wäre vorliegend auch dann Genüge getan, wenn sich nicht feststellen ließe, ob das für den Ankauf der Fahrzeuge eingesetzte Geld aus den Anknüpfungstaten, aus den 27 eingestellten Fällen oder aus weiteren Betäubungsmitteldelikten stammte. Hier gilt insoweit nichts anderes als bei der ebenfalls subsidiären erweiterten Einziehung nach § 73a Abs. 1 StGB (vgl. dazu etwa , NStZ-RR 2021, 104). Derartige weitere Feststellungen sind möglich. Deshalb muss über die Einziehung der beiden Porsche entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts neu verhandelt werden.

23d) Die Einziehung der beim Angeklagten M.    sichergestellten, in der Beschlussformel näher bezeichneten Betäubungsmittel ist aufzuheben, weil es an einer rechtlichen Grundlage für deren Einziehung fehlt. Die Voraussetzung des § 33 Satz 1 BtMG, dass die Drogen Gegenstand der von der Anklage umschriebenen und vom Gericht festgestellten Taten sind (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 471/20, juris Rn. 4; vom - 3 StR 324/21, juris Rn. 6), liegt nicht vor.

24e) Schließlich stellen die Urteilsgründe nicht den für § 74 StGB erforderlichen Zusammenhang zwischen den Einziehungsgegenständen "Elektroteil" und "mobiles Navigationsgerät" sowie den abgeurteilten Taten des Angeklagten M.    her, so dass die ihn betreffende Einziehung auch insoweit zu entfallen hat.

253. Vor dem Hintergrund des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das Verfahren gemäß § 422 Satz 1 StPO abzutrennen, soweit sich die Revision des Angeklagten M.    gegen die vom Landgericht angeordnete erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 99.810 € richtet. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Zuschrift die Aufhebung dieser Anordnung beantragt. Nach Beratung kommt eine Erledigung im Beschlusswege allerdings nicht in Betracht (§ 349 Abs. 5 StPO). Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Einziehung nach § 421 Abs. 1 StPO sind ebenfalls nicht erfüllt. Ohne die Abtrennung würde die Entscheidung über die anderen Rechtsfolgen der Tat deshalb unangemessen verzögert (vgl. , BGHSt 66, 83 Rn. 55).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:080322B3STR238.21.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-23274