BGH Urteil v. - VII ZR 319/20

Instanzenzug: OLG Celle Az: 7 U 585/19 (S.7a)vorgehend LG Lüneburg Az: 3 O 183/18

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.

2Der Kläger erwarb im November 2014 von einem Autohändler einen von der Beklagten hergestellten Pkw VW Touran 2.0 TDI zu einem Preis von 31.594,03 €, der durch ein Darlehen der Volkswagen Bank finanziert wurde. Dafür fielen Zinsen in Höhe von 1.584,76 € an. Die Darlehensbedingungen sahen ein sogenanntes verbrieftes Rückgaberecht vor. Danach bestand für den Käufer die Möglichkeit, bei Fälligkeit der Schlussrate das Fahrzeug an den Verkäufer zu einem bereits festgelegten Kaufpreis zu verkaufen. Der Kläger machte davon nach seinen Angaben keinen Gebrauch.

3Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet. Dieser verfügte über eine Motorsteuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchlief, und in diesem Fall eine höhere Abgasrückführungsrate und einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb bewirkte. Ein von der Beklagten angebotenes Software-Update wurde aufgespielt.

4Der Kläger hat die Beklagte erstinstanzlich auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung auf Basis einer Laufleistung von 500.000 km Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs, auf Deliktszinsen in Höhe von 4 % ab Kauf und Verzugszinsen ab dem , die Feststellung des Annahmeverzugs, Ersatz von Aufwendungen (Inspektion, Ölwechsel, Hauptuntersuchung) in Höhe von 544,73 € sowie Darlehenszinsen in Höhe von 1.584,76 € nebst Prozesszinsen sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Das Landgericht hat den Betrag der anzurechnenden Nutzungsentschädigung gegenüber der Klage erhöht, die Deliktszinsen und den Antrag auf Ersatz von Aufwendungen und Finanzierungskosten zurückgewiesen und im Übrigen der Klage stattgegeben. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg; auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger nur noch den Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Beklagten weiter.

Gründe

5Die Revision hat Erfolg.

I.

6Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

7Die Beklagte sei zwar Käufern von Fahrzeugen, die mit dem VW-Dieselmotor EA 189 ausgestattet seien, grundsätzlich wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Ein Schaden in Form eines ungewollten Vertragsschlusses könne hier indes nicht mehr angenommen werden, weil der Kläger nach seinem eigenen Vortrag das ihm im Rahmen der Finanzierung gewährte Rückgaberecht nicht ausgeübt habe. Indem er durch Ablösung der Restschuld das Fahrzeug während des laufenden Berufungsverfahrens freiwillig übernommen habe, anstatt den Wagen zum Ende der Vertragslaufzeit gegen Erstattung des vertraglich vereinbarten Restwerts an den Händler zurückzugeben, habe der Kläger seine Handlungsfreiheit entsprechend ausgeübt. Wähle der Kläger nach Vollerwerb des Fahrzeugs den Schadensersatz durch Rückzahlung des Kaufpreises einschließlich der Finanzierungskosten Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, setze er sich zu seinem eigenen Verhalten in Widerspruch. Die Befreiung vom ungewollten Vertrag und den Schutz seiner Handlungsfreiheit könne der Kläger nicht mehr erreichen, nachdem er den Vollerwerb bewusst herbeigeführt und so sein wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht ausgeübt habe.

8Ein Frustrationsschaden scheide aus, weil der Kläger das Fahrzeug trotz der Softwaremanipulation uneingeschränkt habe nutzen können, so dass seine Aufwendungen im Rahmen der Vertragsabwicklung gerade nicht vergeblich gewesen seien.

II.

9Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte nicht verneint werden.

10Das Berufungsgericht hat zu Unrecht dahinstehen lassen, ob eine Haftung der Beklagten für den im Fahrzeug des Klägers verbauten Motortyp EA 189 gemäß § 826 BGB wegen der Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Betracht kommt, da es rechtsfehlerhaft einen Schaden des Klägers verneint hat. Zutreffend rügt die Revision die Annahme, an einem ungewollten Vertragsschluss fehle es deshalb, weil der Kläger von dem ihm im Rahmen des Finanzierungsvertrages eingeräumten verbrieften Rückgaberecht keinen Gebrauch gemacht und den Wagen nicht bei Fälligkeit der Schlussrate an die Verkäuferin zurückgegeben, sondern ihn in Kenntnis der "Abgasproblematik" endgültig erworben habe.

111. Im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung stellt das Berufungsgericht noch zutreffend darauf ab, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Kläger den Kaufvertrag in Kenntnis der - revisionsrechtlich zu unterstellenden - unzulässigen Abschalteinrichtung und wegen des daraus resultierenden Stilllegungsrisikos nicht abgeschlossen hätte (vgl. Rn. 16, WM 2020, 1642; Urteil vom - VI ZR 252/19 Rn. 19, 49 ff., BGHZ 225, 316). Der Schaden liegt in der Eingehung einer ungewollten Verpflichtung; insoweit bewirkt § 826 BGB einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen (vgl. Rn. 47 f., BGHZ 225, 316). Für die Qualifizierung des "ungewollten" Vertragsschlusses als Schaden im Sinne des § 826 BGB ist es ausreichend, dass das Fahrzeug im Erwerbszeitpunkt für die Zwecke des Klägers nicht voll brauchbar war, da die - revisionsrechtlich zu unterstellende - unzulässige Abschalteinrichtung den Fahrzeugbetrieb gefährdete (vgl. Rn. 53 ff., BGHZ 225, 316).

122. Dass der Kläger das Darlehen vollständig ablöste, anstatt das Fahrzeug zu den beim Erwerb festgelegten Konditionen an die Verkäuferin zurückzugeben, macht die Verletzung seines wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts nicht ungeschehen. Das Berufungsgericht geht zu Unrecht davon aus, dass der Kläger dadurch den ungewollten Vertragsschluss zu einem gewollten gemacht habe, der den zuvor entstandenen Schaden im Nachhinein entfallen lasse. Ein widersprüchliches, womöglich anspruchsausschließendes Verhalten ist nicht erkennbar.

13a) Die Nichtausübung des "verbrieften Rückgaberechts" stellt die Anwendbarkeit des vorgenannten Erfahrungssatzes auf den Streitfall schon deshalb nicht infrage, weil der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die Schlussrate erst im Januar 2019 zahlte und so das Darlehen vollständig ablöste, nachdem er bereits im Mai 2018 die Beklagte unter Fristsetzung zum zur Rücknahme des Fahrzeugs aufgefordert hatte. Zu diesem Zeitpunkt war das Software-Update bereits beim Fahrzeug des Klägers durchgeführt worden. Dass nach dem Update noch ein Stilllegungsrisiko bestanden hätte und vom Kläger bewusst in Kauf genommen worden wäre, was möglicherweise Rückschlüsse hinsichtlich der Erwerbskausalität zuließe, macht die Beklagte nicht geltend und ist nicht ersichtlich.

14b) Die Ausübung des Rückgaberechts stellte sich im Verhältnis zur Schädigerin - der Beklagten - zudem als eine Weiterveräußerung des Fahrzeugs an einen Dritten, nämlich die ursprüngliche Verkäuferin dar. Mit der Ausübung der Rückgabeoption ändert der Käufer zwar seine ursprünglich auf den eigenen Eigentumserwerb gerichtete Investitionsentscheidung und nimmt eine Weiterveräußerung vor. Dies ließe den Schaden dem Grunde nach aber nicht entfallen, sondern wäre nur bei der Schadenshöhe zu berücksichtigen (vgl. Rn. 24 ff., WM 2021, 1817).

15Im Übrigen wird auf das Urteil des Senats vom - VII ZR 389/21 Rn. 14 ff., ZIP 2022, 220, Bezug genommen, das eine weitgehend parallele Entscheidung des hiesigen Berufungsgerichts zum Gegenstand hat.

III.

16Die angegriffene Entscheidung ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat ist nicht veranlasst, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zu den übrigen Anspruchsvoraussetzungen des § 826 BGB und der Nebenansprüche getroffen. Deshalb ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:110822UVIIZR319.20.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-22932