Verwaltungsrechtliche Anwaltssache: Elektronische Wahl der Mitglieder der Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer
Gesetze: § 112f Abs 1 Nr 2 BRAO, § 191b Abs 2 S 2 BRAO, Art 20 GG, Art 38 Abs 1 GG
Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof München Az: BayAGH III - 4 - 7/19 Urteil
Gründe
I.
1Der Kläger ist zugelassener Rechtsanwalt und Mitglied der beklagten Rechtsanwaltskammer. Er beantragt, die nach § 191b Abs. 2 Satz 2 BRAO erstmals elektronisch durchgeführte Wahl zur 7. Satzungsversammlung 2019 bei der Bundesrechtsanwaltskammer im Bezirk der Beklagten für ungültig zu erklären.
2Der Kläger ist der Ansicht, eine elektronische Wahl sei bereits als solche verfassungswidrig, weil sie gegen das Demokratieprinzip und die allgemeinen Wahlgrundsätze der Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 GG verstoße. Dementsprechend sei auch § 191b Abs. 2 Satz 2 BRAO nichtig. Zudem habe die konkrete Ausgestaltung der Wahl zur 7. Satzungsversammlung 2019 im Bezirk der Beklagten, insbesondere das eingesetzte Wahlsystem, in mehrfacher Hinsicht gegen verfassungsrechtliche Wahlgrundsätze verstoßen.
3Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage abgewiesen. Nunmehr beantragt der Kläger die Zulassung der Berufung.
II.
4Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch ohne Erfolg. Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
51. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird. Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen füllen den Zulassungsgrund dann nicht aus, wenn sie nicht die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 44/19, juris Rn. 3 mwN).
6Entsprechende Zweifel vermag der Kläger nicht darzulegen. Die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs erweist sich jedenfalls im Ergebnis als richtig.
7a) Nach § 112f Abs. 1 Nr. 2 BRAO können Wahlen zu Organen der Bundesrechtsanwaltskammer für ungültig erklärt werden, wenn sie unter Verletzung des Gesetzes, worunter auch das Verfassungsrecht zu fassen ist (vgl. Senat, Urteil vom - AnwZ (Brfg) 19/19, NJW 2021, 2041 Rn. 36; Deckenbrock in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 112f Rn. 29a), oder der Satzung zustande gekommen sind.
8Liegt ein solcher Wahlfehler vor, steht die Ungültigerklärung der Wahl nach § 112f Abs. 1 BRAO nicht im Belieben des Gerichts. Vielmehr kann die Wahl grundsätzlich nur bei solchen Fehlern Bestand haben, die sich auf das Wahlergebnis weder tatsächlich ausgewirkt haben noch konkret und nicht nur theoretisch haben auswirken können (fehlende Ergebnis- bzw. Mandatsrelevanz, vgl. Senat, Urteil vom - AnwZ (Brfg) 19/19, NJW 2021, 2041 Rn. 74; BVerfGE 121, 266, 310; 146, 327 Rn. 40; Deckenbrock in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 112f Rn. 34; Schmidt-Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 112f BRAO Rn. 13a). Ausnahmsweise kann jedoch auch bei Vorliegen eines ergebnisrelevanten Fehlers von einer Ungültigerklärung abgesehen werden, wenn dies auf Grund des wahlprüfungsrecht-lichen Grundsatzes des geringstmöglichen Eingriffs geboten erscheint. Die Ungültigerklärung einer gesamten Wahl setzt regelmäßig einen erheblichen Wahlfehler von solchem Gewicht voraus, dass ein Fortbestand der in dieser Weise gewählten Vertretung unerträglich erschiene (Senat, Urteil vom - AnwZ (Brfg) 19/19, NJW 2021, 2041 Rn. 88 mwN; BVerfGE 103, 111, 134; 121, 266, 311 ff.). Zudem kann das Interesse am Bestandsschutz des im Vertrauen auf die Gesetzmäßigkeit der Wahl gewählten Organs den festgestellten Wahlfehler überwiegen (Senat, Urteil vom - AnwZ (Brfg) 19/19, NJW 2021, 2041 Rn. 88 mwN; BVerfGE 103, 111, 135; 121, 266, 312 f.).
9b) Ausgehend davon hat der Anwaltsgerichtshof die Wahl zur 7. Satzungsversammlung 2019 im Bezirk der Beklagten jedenfalls im Ergebnis zu Recht nicht für ungültig erklärt.
10aa) Der Anwaltsgerichtshof ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Einwände des Klägers gegen die Verfassungsmäßigkeit einer elektronischen Wahl als solcher und damit gegen § 191b Abs. 2 Satz 2 BRAO unbegründet sind.
11Nach § 191b Abs. 2 Satz 2 BRAO kann die Wahl der stimmberechtigten Mitglieder der Satzungsversammlung auch als elektronische Wahl durchgeführt werden. Die Entscheidung, ob die Wahl als Briefwahl oder elektronisch durchgeführt werden soll, und die Regelung ihrer Ausgestaltung im Einzelnen ist den regionalen Rechtsanwaltskammern und ihren Wahlordnungen überlassen (vgl. RegE zum Gesetz zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich rechtsberatender Berufe, BT-Drucks. 18/9521, S. 134 zu § 191b BRAO-E sowie S. 124 f. zu § 64BRAO-E).
12Diese Regelung verstößt weder gegen das Demokratiegebot noch gegen die allgemeinen Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 GG.
13(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu staat-lichen Parlamentswahlen steht dem Gesetzgeber bei der ihm durch Art. 38 Abs. 3 GG übertragenen Ausgestaltung des Wahlrechts und Konkretisierung der allgemeinem Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 GG einschließlich der Gestaltung der technischen Aspekte des Wahlvorgangs ein weiter Ermessensspielraum zu, innerhalb dessen er entscheiden muss, ob und inwieweit Abweichungen von einzelnen Wahlgrundsätzen im Interesse der Einheitlichkeit des ganzen Wahlsystems und zur Sicherung der mit ihm verfolgten staatspolitischen Ziele gerechtfertigt sind. Das Bundesverfassungsgericht prüft nur nach, ob der Gesetzgeber sich in den Grenzen des ihm vom Grundgesetz eingeräumten Gestaltungsspielraums gehalten oder ob er durch Überschreitung dieser Grenzen gegen einen verfassungskräftigen Wahlgrundsatz verstoßen hat (BVerfGE 123, 39, 70 f.; BVerfG, NVwZ 2012, 161 Rn. 5 und Beschluss vom - 2 BvC 15/10, juris Rn. 5 jeweils mwN).
14Ausgehend davon hat das Bundesverfassungsgericht bei Wahlen zum Deutschen Bundestag den Einsatz von Wahlgeräten, die die Stimmen der Wähler elektronisch erfassen und das Wahlergebnis elektronisch ermitteln, für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt, wenn dabei die Wahlgrundsätze des Art. 38 GG nicht verletzt werden, insbesondere die verfassungsrechtlich gebotene Öffentlichkeit der Wahl in Form der Möglichkeit einer zuverlässigen Richtigkeitskontrolle gesichert ist (BVerfGE 123, 39, 71, 73, 79 ff. zu § 35 BWahlG in der Fassung vom ).
15Normativ sind Regelungen über den Einsatz von Wahlgeräten bei Parlamentswahlen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insoweit der parlamentarischen Entscheidung vorbehalten, als es um die wesentlichen Voraussetzungen für den Einsatz dieser Geräte geht, d.h. die Entscheidung über die Zulässigkeit ihres Einsatzes und die grundlegenden Voraussetzungen für ihren Einsatz, wohingegen die näheren Einzelheiten der Zulassung der Geräte, ihrer Verwendung und die Gewährleistung der Wahlgrundsätze bei ihrer konkreten Verwendung keiner parlamentarischen Detailregelung bedürfen (BVerfGE 123, 39, 79).
16(2) Diesen Anforderungen genügt § 191b Abs. 2 Satz 2 BRAO.
17Mit § 191b Abs. 2 Satz 2 BRAO hat der Gesetzgeber die grundsätzliche Entscheidung über die Zulässigkeit einer elektronischen Wahl zur Satzungsversammlung getroffen. Außerdem hat er die grundlegenden Voraussetzungen für die Durchführung einer elektronischen Wahl im Wesentlichen selbst bestimmt: In § 191b Abs. 2 Satz 1 BRAO sind die verfassungsrechtlichen Wahlgrundsätze der geheimen und unmittelbaren Wahl ausdrücklich vorgeschrieben. Die Allgemeinheit der Wahl ergibt sich aus der Bestimmung der (aktiv und passiv) Wahlberechtigten in § 191b Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, §§ 65 ff. BRAO; die Gleichheit der Wahl folgt aus § 191b Abs. 2 Satz 4 BRAO. Die Grundsätze der Wahlfreiheit und der Öffentlichkeit der Wahl sind zwar nicht ausdrücklich geregelt; ihre Geltung folgt aber bereits unmittelbar aus der Verfassung. Da die Beklagte als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung auch hoheitliche Kompetenzen ausübt, muss sie - trotz der Lockerung des demokratischen Legitimationserfordernisses im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung - bei der Bildung ihrer Organe durch diese legitimierende Wahlen auch demokratischen Grundsätzen genügen (zur Wahlfreiheit und Chancengleichheit der Bewerber vgl. Senat, Urteil vom - AnwZ (Brfg) 19/19, NJW 2021, 2041 Rn. 37 ff.).
18Dass der Gesetzgeber die Entscheidung über die Durchführung einer elektronischen Wahl und die Regelung ihrer organisatorischen und technischen Ausgestaltung im Einzelnen der Satzungsautonomie der Rechtsanwaltskammern im Vertrauen darauf überlassen hat, dass diese im Rahmen der ihnen zugebilligten Verbandsautonomie eine angemessene und mit den verfassungsrechtlichen Wahlgrundsätzen vereinbare Regelung treffen werden, ist nach der obigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu beanstanden (vgl. AnwZ (B) 2/92, NJW 1992, 1962).
19Danach kann offenbleiben, ob und inwieweit die vom Bundesverfassungsgericht zu staatlichen Parlamentswahlen entwickelten Grundsätze auf Wahlen der Selbstverwaltungsorgane der Beklagten möglicherweise aufgrund der Besonderheiten der funktionalen Selbstverwaltung nur eingeschränkt übertragbar wären (vgl. dazu BVerfGE 39, 247, 254; 54, 363, 388 f.; 60, 162, 169; 111, 289, 300; , juris Rn. 34 ff.; , juris Rn. 63).
20(3) Die geringe Wahlbeteiligung bei der von der Beklagten erstmals elektronisch durchgeführten Wahl zur 7. Satzungsversammlung 2019 gibt entgegen der Ansicht des Klägers keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung.
21Der Kläger verweist darauf, dass die Wahlbeteiligung mit 2.121 abgegebenen Stimmen bei unter 10 % der Wahlberechtigten lag, während bei der im Jahr 2015 von der Beklagten als Briefwahl durchgeführten Wahl zur 6. Satzungsversammlung noch 4.231 Stimmen abgegeben worden seien. Das allein lässt aber nicht den Schluss zu, dass die elektronische Wahl - wie der Kläger meint - von den meisten Wählern nicht akzeptiert wird und damit das erklärte Ziel des Gesetzgebers, mit der Einführung der Briefwahl bzw. elektronischen Wahl der geringen Beteiligung der Mitglieder der Rechtsanwaltskammern an den bislang durchgeführten Wahlen entgegenzuwirken und damit eine stärkere Legitimationsbasis der gewählten Organe zu erreichen (RegE zum Gesetz zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich rechtsberatender Berufe, BT-Drucks. 18/9521, S. 125), von vorneherein nicht erreicht werden kann. Eine geringe Wahlbeteiligung kann vielmehr stets auch auf andere, von den Wahlmodalitäten unabhängige insbesondere konkret kammerspezifische Gründe zurückzuführen sein. Dass generell ein vergleichbarer Rückgang der Wahlbeteiligung auch bei anderen elektronisch durchgeführten Wahlen von Rechtsanwaltskammern zu verzeichnen wäre, ist nicht ersichtlich und wird auch vom Kläger nicht dargetan.
22bb) Soweit der Anwaltsgerichtshof auch Verstöße gegen die verfassungsrechtlichen Wahlgrundsätze bei der konkreten Durchführung der Wahl zur 7. Satzungsversammlung 2019 verneint hat, erweist sich seine Begründung zwar nicht in jedem Punkt als zweifelsfrei richtig. Auch wenn man insoweit aber von Wahlfehlern ausgehen wollte, führte dies jedenfalls im Ergebnis bei der nach obigen Grundsätzen gebotenen Fehlergewichtung und Interessenabwägung nicht zur Ungültigerklärung der hier angefochtenen Wahl (hierzu unter II.1.b) cc)).
23(1) Die Rüge des Klägers, das eingesetzte Wahlsystem habe keine für den Wähler erkennbare Möglichkeit der Wahlenthaltung oder der Abgabe einer ungültigen Stimme vorgesehen, um auf diesem Weg seinen Protest gegen die Beklagte bzw. die zur Wahl stehenden Kandidaten zum Ausdruck zu bringen, hat der Anwaltsgerichtshof zu Recht für unbegründet erachtet.
24(a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, NVwZ 2012, 161 Rn. 6 ff.; Beschluss vom - 2 BvC 15/10, juris Rn. 6 ff.) ergibt sich auch aus dem Grundsatz der freien Wahl bereits kein Anspruch darauf, auf dem Stimmzettel eine Neinstimme abgeben oder sich dort der Stimme ausdrücklich enthalten zu können. Eine solche Gestaltung wäre zudem zweckwidrig, wenn es - wie bei der Bundestagswahl, aber auch bei der Wahl zur Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer - darum geht, die zu Wählenden positiv zu bestimmen. Für diese Mandatsverteilung ist es unerheblich, ob und mit welchem Anteil Stimmenthaltungen oder "Nein"- bzw. "Proteststimmen" abgegeben werden (vgl. BVerfG, jeweils aaO). Entgegen der Ansicht des Klägers handelt es sich bei diesen Ausführungen in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auch nicht "nur um die Ansicht des Berichterstatters" in den dortigen Verfahren. Die Ausführungen stammen zwar ursprünglich aus einem vorangegangenen Hinweisschreiben des Berichterstatters. Der entscheidende Spruchkörper hat sich ihnen aber mit der Bemerkung, dass die Stellungnahme der dortigen Beschwerdeführer zu diesem Hinweisschreiben keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung gebe (BVerfG, aaO jeweils Rn. 9), angeschlossen und sie zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht.
25(b) Darüber hinaus hat der Anwaltsgerichtshof aber auch rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Wahlberechtigten bei dem von der Beklagten eingesetzten Wahlsystem tatsächlich und für sie erkennbar die Möglichkeit hatten, eine ungültige Stimme abzugeben oder sich zu enthalten.
26Ausweislich des von der Beklagten vorgelegten Screenshots (Anl. B 1 = GA 11 ff.) wurde dem Wähler in Schritt 4 des Wahlvorgangs unter der Überschrift "Bestätigung der Stimmabgabe" mit dem Zusatz "Ihre Stimmabgabe wird Ihnen in diesem Schritt zur Bestätigung angezeigt. Sie können Ihre Wahl korrigieren oder Ihre Stimme wird wie folgt gezählt:" bei Abgabe zu vieler Stimmen folgender, von der Zeugin U. als "Fehlermeldung" bezeichneter Hinweis erteilt: "Ihre Stimmabgabe enthält aktuell mehr als die zulässige Anzahl Stimmen auf mindestens einer der beiden Listen." Damit wurde dem Wähler nicht nur deutlich gemacht, dass seine Stimmabgabe in dieser Form ungültig war, sondern er konnte der einleitenden Formulierung ("oder ihre Stimme wird wie folgt gezählt") auch entnehmen, dass er auch in dieser ungültigen Form abstimmen konnte, indem er keine Korrektur seiner Wahl vornahm und das Wahlprogramm mit seiner ungültigen Stimmabgabe fortsetzte bzw. abschloss. Dem entspricht die Aussage der Zeugin U. , dass bei Abgabe zu vieler oder keiner Stimme(n) eine "Fehlermeldung" erschienen sei und der Wahlberechtigte dann entweder seine Stimmabgabe korrigieren "oder verbindlich abstimmen" konnte bzw. dass das System "weiterhin die verbindliche Stimmabgabe trotz des Hinweises, dass die Stimme dann als ungültig gewertet werde," erlaubt habe.
27(2) Zu Recht hat der Anwaltsgerichtshof es auch für unschädlich erachtet, dass die Wahlordnung der Beklagten keine "Härtefallregelung" für Wahlberechtigte vorsieht, die keinen Computer besitzen oder - wie der Kläger meint - aufgrund ihres Alters geringere oder gar keine Computerkenntnisse haben.
28Wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend angenommen hat, stellt es - jedenfalls bei den hier wahlberechtigten Mitgliedern einer Rechtsanwaltskammer - keinen Verstoß gegen die allgemeinen Wahlgrundsätze, sondern einen hinnehmbaren geringfügigen Aufwand dar, sich des Computers eines Internetcafés oder der technischen Hilfe einer sonstigen Privatperson zu bedienen. Dabei kann auch der Grundsatz der geheimen Wahl ohne besonderen Aufwand gewahrt werden. Überdies müssen Rechtsanwälte nach der - verfassungsrechtlich unbedenklichen (vgl. AnwZ (Brfg) 2/20, BGHZ 229, 172 Rn. 99 mwN; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom - 1 BvR 2233/17, juris Rn. 10) - Regelung in § 31a Abs. 6 BRAO ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach unterhalten, so dass auch davon ausgegangen werden kann, dass sie mit der erforderlichen EDV ausgestattet und hinreichend vertraut sind.
29(3) Nicht zweifelsfrei ist dagegen die Begründung, mit der der Anwaltsgerichtshof die Rüge des Klägers, es habe keine dem Grundsatz der geheimen Wahl entsprechende Trennung von elektronischem Wählerverzeichnis und elektronischer Wahlurne gegeben, zurückgewiesen hat.
30Eine solche Trennung war zwar nach § 13 Nr. 6 der damals geltenden Wahlordnung der Beklagten (Amtliche Bekanntmachung der Beschlüsse der ordentlichen Kammerversammlung vom , Sonderausgabe der Kammermitteilungen 03/2018 S. 9 ff.) vorgeschrieben. Fraglich ist aber, ob der Anwaltsgerichtshof seine Überzeugung, dass diese Trennung bei dem eingesetzten Wahlsystem P. auch tatsächlich vorhanden war, allein aufgrund der Aussage der bei der P. GmbH beschäftigten Zeugin U. und der von der Beklagten als Anlage B 2 vorgelegten einzigen Seite des Sicherheitszertifikats für dieses System bilden durfte, oder ob dafür - wie der Kläger geltend macht - eine Begutachtung des Wahlsystems durch einen neutralen Sachverständigen geboten gewesen wäre.
31(4) Fraglich ist auch, ob die Begründung des Anwaltsgerichtshofs, nach der Aussage der Zeugin U. und dem von der Beklagten vorgelegten Screenshot (Anl. B 4 = GA 11 ff.) habe es sich um eine sichere, den Anforderungen von § 12 Nr. 6 der Wahlordnung genügende Wahl gehandelt, sämtlichen diesbezüglichen Einwänden des Klägers Rechnung trägt.
32Der Kläger hat u.a. gerügt, dass die Wahlordnung keine Sicherheitshinweise an die Wahlberechtigten zur Löschung und Vermeidung privater Browser-Dateien vorschreibe, und behauptet, jedenfalls er habe tatsächlich auch keine solchen Hinweise erhalten. Die vom Anwaltsgerichtshof insoweit angeführte Regelung in § 12 Nr. 6 schreibt einen solchen Hinweis nicht ausdrücklich vor, sondern bestimmt, dass der Wähler - wie mit dem von der Beklagten vorgelegten Screenshot geschehen - vor der Stimmabgabe verbindlich in elektronischer Form zu bestätigen hat, dass der von ihm genutzte Computer nach dem jeweils aktuellen Stand der Technik gegen Angriffe Dritter von außen geschützt ist; außerdem ist er auf kostenfreie Bezugsquellen geeigneter Software hinzuweisen. Dies betrifft indes vorrangig die Frage der Manipulierbarkeit der Stimmabgabe und weniger die - mit der Speicherung des Browser-Verlaufs angesprochene - Möglichkeit ihrer Nachverfolgung. Die hierzu getroffene Regelung in § 13 Nr. 3 der Wahlordnung hat zwar eine Speicherung der Stimmabgabe im Computer des Wählers durch das verwendete Wahlsystem zum Gegenstand, nicht aber durch den eigenen Browser des Wählers. Aus der von der Beklagten als Anlage B 3 vorgelegten Seite 22 des Zertifizierungsreports ergibt sich zudem, dass diesbezüglich eine "Handreichung Wähler" vorgesehen war, die angemessene Sicherheitsmaßnahmen zur Löschung der privaten Daten des Browsers nach dem Ende der Wahlhandlung und Empfehlungen zur Vermeidung der Speicherung durch Verwendung eines privaten Betriebsmodus des Browsers enthalten sollte. Hierzu behauptet der Kläger, jedenfalls er habe eine solche Handreichung nicht erhalten.
33Ob aus dem Fehlen eines solchen Hinweises - wie der Kläger meint - aber auch ein Wahlfehler wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der geheimen Wahl folgt, oder ob die übrigen, in § 12 Nr. 6, § 13 Nr. 3 bis 5, § 14 Nr. 2, §§ 15, 16 Nr. 3 der Wahlordnung der Beklagten vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen und -hinweise insoweit als ausreichend anzusehen waren, bedarf indes vorliegend im Ergebnis keiner Entscheidung (siehe dazu unter II.1.b) cc)).
34(5) Letzteres gilt auch für die weitere Rüge des Klägers, dass die Wahlordnung der Beklagten - unstreitig - keinen Hinweis an die Wähler auf die Notwendigkeit einer unbeobachteten Stimmabgabe vorschreibt und die Beklagte - ebenfalls unstreitig - tatsächlich keinen solchen Hinweis erteilt hat. Insoweit dürfte der Anwaltsgerichtshof überdies zutreffend angenommen haben, dass es primär im Verantwortungsbereich des Wählers liegt, seine Stimmabgabe vor einer aus seiner Sphäre stammenden Beobachtungsmöglichkeit zu schützen, und dies jedenfalls den hier Wahlberechtigten auch ohne besonderen Hinweis bewusst sein dürfte (offen gelassen im Urteil des OVG Thüringen, vom - 4 N 124/15, juris Rn. 128, 130 bei Hochschulwahlen).
35(6) Soweit der Kläger schließlich geltend macht, der Grundsatz der Öffentlichkeit sei nicht gewahrt, weil der Wähler entgegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 123, 39, 71 f.) die wesentlichen Schritte von Wahlhandlung und Ergebnisermittlung nicht zuverlässig und ohne besondere Sachkunde, d.h. nähere computertechnische Kenntnisse, überprüfen könne, hat er dies bereits nicht hinreichend dargetan. Wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat, bestand gemäß § 16 Nr. 3 der Wahlordnung der Beklagten die Möglichkeit, den Auszählungsprozess für jeden Wähler reproduzierbar zu machen, und hatte der Wahlausschuss auf Antrag bei berechtigtem Interesse die Möglichkeit zu gewährleisten, anhand der von der elektronischen Wahlurne erzeugten Datei die Ordnungsgemäßheit der Auszählung zu überprüfen. Dies ist jedoch von keinem Wahlberechtigten, auch nicht vom Kläger, beantragt worden. Dass den Wahlberechtigten eine Überprüfung auf diesem Weg nicht möglich gewesen wäre, ist daher nicht ersichtlich.
36cc) Selbst wenn man aber hinsichtlich der unter II.1.b) bb) (3) bis (6) aufgeführten Beanstandungen des Klägers Wahlfehler annehmen wollte, führt dies hier bei der nach obigen Grundsätzen bei § 112f BRAO gebotenen Fehlergewichtung und Interessenabwägung nicht zur Ungültigerklärung der angefochtenen Wahl.
37Soweit man einen Wahlfehler (allein) darin sieht, dass die Wahlordnung der Beklagten keine hinreichende Regelung zu Sicherheitshinweisen an den Wähler enthielt (zur Löschung des eigenen Browserverlaufs oder Notwendigkeit einer unbeobachteten Stimmabgabe), es mithin insoweit an einer wirksamen (untergesetzlichen) Rechtsgrundlage fehlte, ergäbe sich daraus keine Mandatsrelevanz. Die Zulassung und der Einsatz elektronischer Wahlsysteme trotz unzureichender Ausgestaltung der rechtlichen Grundlagen führt als solche noch nicht zu einer Beeinflussung des Wahlergebnisses (vgl. BVerfGE 123, 39, 86 f.).
38Der Wahlfehler, der sich möglicherweise daraus ergibt, dass ein elektronisches Wahlsystem verwendet wurde, dessen tatsächliche Beschaffenheit den Anforderungen an eine Trennung von Wahlurne und Wählerverzeichnis und Kontrollierbarkeit durch den Wähler nicht vollständig genügte, und/oder keine Hinweise auf die Geheimhaltung des Wahlvorgangs durch Löschung des Browserverlaufs und eine unbeobachtete Stimmabgabe erteilt wurden, lässt im vorliegenden Fall ebenfalls keine Mandatsrelevanz erkennen. Gleiches gilt für die vom Kläger gerügte fehlende Öffentlichkeit der Wahl. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass das Wahlprogramm fehlerhaft funktioniert hätte oder manipuliert worden wäre und das Wahlergebnis deswegen oder aber wegen nicht geheimer Stimmabgaben anders ausgefallen wäre, wenn das elektronische Wahlprogramm nicht eingesetzt worden wäre, liegen nicht vor und werden auch vom Kläger nicht dargetan. Sein Vorbringen beschränkt sich auf die bloße Vermutung, dass "viele Wähler bestimmt anders abgestimmt" hätten bzw. das Wahlergebnis "bestimmt anders ausgefallen und mancher Bewerber … gar nicht erst gewählt oder abgewählt worden" wäre, ohne dass dies durch tatsächliche Angaben untermauert würde. Auf dieser Grundlage kann - anders als der Kläger meint - auch nicht nach der allgemeinen Lebenserfahrung von der konkreten, nicht ganz fernliegenden Möglichkeit einer relevanten Auswirkung dieser (unterstellten) Wahlfehler auf das Wahlergebnis ausgegangen werden.
39Im Hinblick auf die danach allenfalls marginalen und ungewissen Auswirkungen der - möglichen - Wahlfehler überwiegt jedenfalls bei der gebotenen Abwägung das Interesse am Bestandsschutz der im Vertrauen auf die Verfassungsmäßigkeit der Wahlordnung und der eingesetzten Wahlsoftware zusammengesetzten Satzungsversammlung. Nach den gegebenen Umständen liegt insgesamt kein Wahlfehler vor, der den Fortbestand der gewählten Satzungsversammlung unerträglich erscheinen ließe (vgl. BVerfGE 123, 39, 87 f.).
402. Dem Anwaltsgerichtshof sind keine Verfahrensfehler unterlaufen, auf denen die Entscheidung beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
41a) Die vom Kläger als unrichtig gerügten Entscheidungen des Anwaltsgerichtshofs über seine Ablehnungsgesuche stellen keine im Zulassungsverfahren zu berücksichtigenden Verfahrensfehler dar, da solche Entscheidungen nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 146 Abs. 2, § 152 VwGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden können und folglich gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 173 Satz 1 VwGO, § 512 ZPO einer inhaltlichen Überprüfung durch das Berufungsgericht entzogen sind (vgl. AnwZ (Brfg) 46/11, juris Rn. 7; Schmidt-Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 112e BRAO Rn. 45).
42b) Die weitere Rüge, der Anwaltsgerichtshof habe seine Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt, indem er die Frage der Trennung von elek-tronischer Wahlurne und elektronischem Wählerverzeichnis nicht weiter aufgeklärt habe, greift nicht durch, da auch ein in einer unzureichenden Trennung möglicherweise liegender Wahlfehler - wie oben ausgeführt - im Ergebnis nicht zur Ungültigerklärung der Wahl führen würde.
433. Der Fall hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Der Rechtsstreit wirft keine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage auf, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ( AnwZ (Brfg) 53/16, NJW 2017, 1181 Rn. 21 mwN).
44Die vom Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehene Frage, ob das bei der Wahl der Beklagten zur 7. Satzungsversammlung 2019 eingesetzte Wahlsystem die Möglichkeit vorzusehen hatte, eine (bewusst) ungültige Stimme abzugeben, ist nach den obigen Ausführungen bereits (verneinend) geklärt und darüber hinaus nicht entscheidungserheblich. Gleiches gilt für die Frage, ob es eines Hinweises an den Wahlberechtigten bedarf, dass er auch absichtlich ungültig wählen kann.
45Die weitere Frage, ob dem Wahlberechtigten bei der elektronischen Wahl ein Hinweis auf die Notwendigkeit einer unbeobachteten Stimmabgabe gegeben werden muss, ist ebenfalls im Ergebnis nicht entscheidungserheblich.
464. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten weist die Rechtssache nicht auf (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
47Voraussetzung dafür wäre, dass die Rechtssache wegen einer erheblich über dem Durchschnitt liegenden Komplexität des Verfahrens oder der ihr zu Grunde liegenden Rechtsmaterie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht und sich damit von den üblichen verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen deutlich abhebt (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 30/11, NJW-RR 2012, 189 Rn. 10; vom - AnwZ (Brfg) 10/17, juris Rn. 31 und vom - AnwZ (Brfg) 43/17, juris Rn. 22; jeweils mwN). Das ist nicht der Fall. Der Sachverhalt ist übersichtlich und besondere, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende rechtliche Schwierigkeiten wirft der Fall nicht auf.
III.
48Die Kostenentscheidung folgt aus § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 194 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 52 Abs. 1 GKG.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:300522BANWZ.BRFG.47.21.0
Fundstelle(n):
DStR-Aktuell 2022 S. 11 Nr. 37
NJW-RR 2023 S. 53 Nr. 1
NJW-RR 2023 S. 53 Nr. 1
LAAAJ-22847