FG Münster Urteil v. - 7 K 3799/14 E EFG 2016 S. 1170 Nr. 14

Kapitalerträge

Erlöse aus der aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs erfolgten Rückgabe von "Lehman-Zertifikaten"

Leitsatz

1) Zahlungen, die der Stpfl. aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs von der Bank Zug-um-Zug gegen Übertragung von "Lehman-Zertifikaten" erhält, stellen Entgelt für einen nicht steuerbaren Veräußerungsvorgang dar und sind keine Entschädigung i.S. des § 20 Abs. 3 EStG.

2) Ein erlittener Veräußerungsverlust ist nach §§ 22 Nr. 2, 23 EStG a.F. nicht steuerbar, da die Lehman-Zertifikate nicht als Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG a.F. (bis VZ 2008) anzusehen sind.

Gesetze: EStG § 20 Abs 3, EStG § 22 Nr 2, EStG § 23, EStG § 20 Abs 1 Nr 7

Instanzenzug:

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist nicht rechtskräftig

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung von Verlusten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen.

Die Kläger sind verheiratet und wurden im Streitjahr 2012 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärte der Kläger neben Kapitalerträgen in Höhe von 29.868 € auch nicht ausgeglichene Verluste in Höhe von 42.448 € aus der Veräußerung von Zertifikaten der Lehman Bank. Den Verlust ermittelte er aus der Differenz zwischen dem Veräußerungspreis in Höhe von 8.552 € und den Anschaffungskosten in Höhe von 51.000 €.

Der Kläger hatte am 10 Stück des Bonus Express Defensiv Zertifikats (WKN A0S116) für 10.200 € und am 40 Stück des Bonus Express Defensiv VIII Zertifikats (WKN A0SUEV) für 40.800 € von der B-Bank erworben, deren Emittent jeweils die Bank Lehman Brothers war. Wegen der Funktionsweise der Zertifikate wird auf den Anlegerprospekt (Bl. 21 ff. der Rechtsbehelfsakten) verwiesen. Die Zertifikatsanteile wurden nach Insolvenz des Emittenten aufgrund eines zwischen dem Kläger und der B-Bank vor dem Oberlandesgericht C-Stadt geschlossenen Vergleichs am gegen Zahlung in Höhe von 10.200 € abzüglich Ausschüttungen in Höhe von 1.647,23 €, d.h. für 8.552,77 € an die B-Bank zurückübertragen. Nach dem Vergleich erklärten die Beteiligten damit alle wechselseitigen Ansprüche sowie etwaige Schadensersatzansprüche als erledigt.

Der Beklagte berücksichtigte den Verlust aus den Lehman-Zertifikaten in den Einkommensteuerbescheiden vom und vom nicht. Mit nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid vom unterwarf er zudem erstmalig die Zahlung der B-Bank in Höhe von 8.552 € der Besteuerung.

Gegen den Einkommensteuerbescheid vom legten die Kläger Einspruch ein. Sie begründeten diesen damit, dass die Verluste aus der Veräußerung von Lehman-Zertifikaten nach dem (Az: 2 K 309/13, EFG 2014, 1584) bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen seien.

Mit der Einspruchsentscheidung vom wies der Beklagte den Einspruch der Kläger als unbegründet zurück. Die Zahlung der B-Bank an den Kläger in Höhe von 8.552 € gehöre zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 3 EStG, da es sich um eine Entschädigungszahlung für durch Beratungsfehler der Bank erlittene Verluste handele. Der vom FG Niedersachsen entschiedene Fall sei nicht mit dem Streitfall vergleichbar, da dort eine Rückveräußerung der Lehman Zertifikate ohne Transaktionskosten stattgefunden habe, während im Streitfall im Rahmen des gerichtlichen Vergleiches alle wechselseitigen Ansprüche sowie Schadensersatzansprüche als erledigt betrachtet worden seien.

Der Veräußerungsverlust in Höhe von 42.488 € sei nicht anzuerkennen, da die Anlagen im Jahr 2007 bzw. 2008 angeschafft worden seien. Für vor dem angeschaffte private Kapitalanlagen seien Veräußerungsgewinne und -verluste nach § 23 EStG a.F. nur zu berücksichtigen, wenn der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr betragen habe (sog. Spekulationsfrist). Im Streitfall habe eine Übertragung aber erst nach mehr als vier Jahren stattgefunden. Die Zertifikate stellten auch keine Finanzinnovationen dar, so dass ein Verlust auch nicht nach § 20 Abs. 2 Nr. 4 EStG zu berücksichtigen sei.

Mit der form- und fristgerecht erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie sind der Auffassung, dass es sich bei der Zahlung der B-Bank nicht um eine Entschädigungszahlung für erlittene Verluste, sondern um ein Veräußerungsgeschäft handele. Als Gegenleistung für die Zahlung seien die Zertifikate an die Bank übertragen worden. Die Zahlung der Bank habe sich auch nicht an der Höhe des erlittenen Verlustes orientiert, sondern am Restwert der Zertifikate, der entsprechend der erwarteten Insolvenzquote der Bank Lehman Brothers etwa 15-20% betragen hätte. Ferner seien die Lehman-Zertifikate ertragsteuerlich als Finanzinnovationen zu behandeln, denn es habe eine variable Verzinsung bestanden.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteueränderungsbescheid 2012 vom dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen, die der tariflichen Einkommensteuer unterliegen, um die Zahlung der B-Bank in Höhe von 8.552 € vermindert werden und bei den Einkünften aus Kapitalvermögen ein Verlust aus der Veräußerung der Lehman Zertifikate in Höhe von 42.448 € berücksichtigt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung.

In der Sache hat am ein Erörterungstermin vor dem Berichterstatter stattgefunden. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf das Protokoll des Erörterungstermins verwiesen.

Der Senat hat in der Sache am mündlich verhandelt, auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat teilweise Erfolg.

Der Einkommensteueränderungsbescheid vom ist insoweit rechtswidrig, als dass Einkünfte aus Kapitalvermögen, die der tariflichen Einkommensteuer unterliegen, in Höhe von 8.552 € aufgrund der gerichtlichen Vergleichszahlung der B-Bank angesetzt worden sind. Im Übrigen ist der angefochtene Einkommensteuerbescheid rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

1. Die Zahlung der B-Bank in Höhe von 8.552 € Zug-um-Zug gegen Übertragung der Lehman-Zertifikate stellt nach Auffassung des Senates keine Entschädigung im Sinne des § 20 Abs. 3 EStG, sondern einen nicht steuerbaren Veräußerungsvorgang dar.

Gem. § 20 Abs. 3 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch besondere Entgelte oder Vorteile, die neben den in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Einnahmen oder an deren Stelle gewährt werden.

Hierunter fallen grundsätzlich auch Entschädigungszahlungen nach Beratungsfehlern ( Weber-Grellet, in: Schmidt, EStG, 34. Auf. 2015, § 20 Rdn. 157 unter Verweis auf BStBl I 2012 953 Rz. 83; Knoblauch, DStR 2012, 1952, 1953).

Für eine Entschädigung bleibt jedoch nur insoweit Raum, als es sich nicht bereits um einen Veräußerungsvorgang handelt (vgl. Knoblauch, DStR 2012, 1952, 1953). Unter Veräußerung versteht man die entgeltliche Übertragung von Kapitalvermögen auf einen Dritten. Unerheblich ist dabei, ob die Weggabe von Kapitalanteilen freiwillig oder unter rechtlichem oder wirtschaftlichem Zwang erfolgt ( Buge, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 20 Rdn. 431).

Im Streitfall war die B-Bank nach dem vor dem Oberlandesgericht C-Stadt mit dem Kläger geschlossenen Vergleich nicht zu einer Entschädigungszahlung, sondern zu einer Teilzahlung Zug-um-Zug gegen Rückgabe der Lehman-Zertifikate verpflichtet. Dies entspricht der gängigen Praxis in einem Schadensersatz-Prozess. Sofern die Kläger noch im Besitz der Wertpapiere sind, verurteilen die Gerichte die Banken regelmäßig nicht zu einer Entschädigung, sondern zu einer Erstattung der Anschaffungskosten Zug-um-Zug gegen Rückgabe der Wertpapiere. Ein solcher Vorgang ist aber als entgeltliche Übertragung von Wertpapieren auf einen Dritten und damit als Veräußerungsvorgang anzusehen (vgl. Knoblauch, DStR 2012, 1952, 1953).

Gegen eine Entschädigung spricht darüber hinaus im Streitfall auch die Tatsache, dass die B-Bank nach dem Vergleich nicht zur Zahlung der ursprünglichen Anschaffungskosten verpflichtet war, sondern – offensichtlich mit Blick auf den Zeitwert der Anteile wegen der prognostizierten Insolvenzquote – nur 20% der ursprünglichen Anschaffungskosten schuldete.

2. Der erlittene Veräußerungsverlust in Höhe von 42.448 € ist jedoch nach §§ 22 Nr. 2, 23 EStG a.F. nicht steuerbar, da die Lehman Zertifikate nicht als Kapitalforderungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG a.F. anzusehen sind.

a) Im Streitfall ist der Verlust nicht bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen. Die Lehman-Zertifikate stellen keine Kapitalforderungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der bis zum Veranlagungszeitraum 2008 geltenden Fassung dar.

Nach § 52a Abs. 10 S. 6 EStG gilt § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG grundsätzlich für nach dem erzielte Gewinne. Die Vorschrift findet jedoch keine Anwendung für Gewinne (und Verluste) aus der Veräußerung von Kapitalforderungen, die noch vor 2009 erworben wurden und nicht unter die bis Ende 2008 geltende Fassung des § 20 EStG fielen, also keine Kapitalforderungen im bisherigen Sinne darstellten; diese Veräußerungsgewinne werden von § 23 EStG a.F. erfasst ( Weber-Grellet, in: Blümich, EStG, 31. Aufl. 2012, § 52a Rdn. 6).

Im Streitfall waren die Zertifikate in den Jahren 2007 und 2008 und damit vor dem erworben worden.

Gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 2008 geltenden Fassung sind sonstige Kapitalforderungen Erträge jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängig ist. Gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 c) Alt. 2 EStG a.F. zählen zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Einnahmen aus der Veräußerung oder Einlösung von sonstigen Kapitalforderungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, bei denen die Höhe der Erträge von einem ungewissen Ereignis abhängt.

Waren dagegen die Rückzahlung des überlassenen Kapitals und ein Ertrag für die Überlassung des Kapitals ungewiss, z.B. weil Rückzahlungsbetrag und -modalitäten allein von der Wertentwicklung eines Basiswertes abhingen, lag keine von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG a.F. erfasste Kapitalforderung vor. Es handelte sich dann um Rechtsgeschäfte über Wertpapiere und Kapitalforderungen mit rein spekulativem Charakter, bei denen eine Umgehung der Steuerpflicht durch Verlagerung des Ertrags auf die Vermögensebene nicht zu befürchten war. Diese unterfielen allenfalls der Besteuerung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 a.F. EStG ( Ratschow, in: Blümich, EStG, 130. Aufl. 2015, § 20 Rdn. 302).

War die Kapitalrückzahlung oder das Entgelt nur teilweise garantiert, so kam es nach der Rechtsprechung des BFH auf den garantierten Teil an (, BStBl II 2008, 563; Ratschow, in: Blümich, EStG, 130. Aufl. 2015, § 20 Rdn. 304). Nach Auffassung des BFH ist der Überschuss aus der Veräußerung von Indexzertifikaten mit einer garantierten Mindestrückzahlung nur hinsichtlich des Teils im Rahmen des § 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 c) EStG steuerbar, der der garantierten Mindestrückzahlung zuzuordnen ist (, BStBl II 2008, 563).

Ein Bonus-Zertifikat wandelt sich, sofern während der Laufzeit der Kurs des Basiswertes unterschritten wird, in ein normales Index-Zertifikat auf den Basiswert um ( Gratz, BB 2005, 2678, 2680). Eine Mindestrückzahlung ist im Streitfall jedoch nicht vereinbart worden, so dass die vom BFH verlangte Aufteilung nicht vorgenommen werden kann. Anders als das , EFG 2014, 1584) sieht der Senat einen Mindestbetrag in Abhängigkeit vom Stand eines Indexes an einem bestimmten Stichtag in der Zukunft – im Streitfall des Dow Jones Euro Stoxx 50 – insoweit nicht als hinreichend an. Vielmehr muss die Mindestzahlung von vornherein der Höhe nach feststehen. Anderenfalls könnte die vom BFH vorgenommene Aufteilung der Steuerbarkeit nicht vorgenommen werden.

Im Übrigen ist nach den Prospekten der Zertifikate im schlimmsten Fall sogar ein Totalverlust möglich. Es ist damit weder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens noch die Rückzahlung des Kapitalvermögens zugesagt oder gewährt, so dass außerhalb der Einjahresfrist des § 23 EStG weder Gewinne noch Verluste aus Bonus-Zertifikaten für den Privatanleger steuerlich relevant sind (so auch Gratz, BB 2005, 2678, 2680).

b) Die Veräußerung der Zertifikate an die B-Bank ist auch nicht als privates Veräußerungsgeschäft gem. §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG steuerbar.

Gem. § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG in der in den Jahren 2007 und 2008 geltenden Fassung waren private Veräußerungsgeschäfte (§ 22 Nr. 3 EStG) auch Veräußerungsgeschäfte, insbesondere bei Wertpapieren, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt.

Im Streitfall hat der Kläger die Lehman-Zertifikate im Jahr 2007 bzw. im Jahr 2008 gekauft und erst mehr als vier Jahre später im Jahr 2012 an die B-Bank veräußert.

Mangels Vorliegens eines steuerbaren Veräußerungsgeschäfts im Sinne der §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist der aus der Veräußerung erlittene Verlust steuerlich unbeachtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Der Senat hat die Revision gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Hinblick auf das abweichende (Az: 2 K 309/13, EFG 2014, 1584) zugelassen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
DStZ 2016 S. 685 Nr. 18
EFG 2016 S. 1170 Nr. 14
ErbStB 2016 S. 272 Nr. 9
IAAAF-76379