NWB Nr. 8 vom Seite 564

Ein Jahr Mindestlohn

Die zehn wichtigsten Erkenntnisse

Saskia Krusche und Eva Ratzesberger *

Es [i]Steinheimer/ Krusche, NWB 45/2014 S. 3410 und NWB 12/2015 S. 851sind mittlerweile erste Gerichtsentscheidungen ergangen, Frau Nahles ist bei den sog. Transitfällen zum Teil „zurückgerudert“, die Dokumentationspflichten für die Arbeitgeber wurden wieder etwas entschärft. Ende August 2015 nahm die Bundesregierung auf Anfrage der Partei „Die Linke“ auf 143 Seiten (BT-Drucks. 18/5807) erstmals Stellung zur wirtschaftlichen Entwicklung im Hinblick auf den neuen Mindestlohn. Zusammengefasst [i]Krusche/Ratzesberger/Steinheimer, Das neue Mindestlohngesetz, 2015, NWB Verlag Herne, ISBN: 978-3-482-65851-8kann festgehalten werden: Es kam nicht so schlimm, wie von den Kritikern befürchtet. Aus der anwaltlichen Praxis ist bekannt, dass die Einführung des neuen Mindestlohns viele Arbeitgeber, insbesondere Klein- und Mittelständler, teilweise hart getroffen hat. Doch alles in allem hat man sich mit der Situation arrangiert.

Arbeitshilfen:

Zum Thema sind in der NWB Datenbank (Login über www.nwb.de) u. a. aufrufbar:

  • Handlungsmöglichkeiten für Unternehmen – Checkliste NWB MAAAE-71142

  • Mandanten-Information zum Mindestlohn ab NWB RAAAE-78080

  • Mindestlohn-Rechner (BMAS), Berechnungsprogramm NWB FAAAE-85254

  • Mindestlohn: Online-FAQ und Hotline des BMAS, FAQ NWB LAAAE-78082

  • Mindestlohn: Allgemeinverbindliche Tarifabschlüsse nach Branchen – Übersicht NWB UAAAE-70432

  • Mindestlohn: Online-Informationen und Ansprechpartner (Zollverwaltung) – Übersicht NWB GAAAE-88492

  • Arbeitszeiterfassung Mindestlohn – Muster NWB DAAAE-83412

Eine Kurzfassung dieses Beitrags finden Sie in .

I. Was haben die Gerichte entschieden? – Das MiLoG auf dem Prüfstand

[i]BAG/LAG: Klagewellen sind ausgeblieben Ingrid Schmidt, Präsidentin des BAG äußerte gegenüber der Deutschen Presse Agentur, dass die prognostizierte Klagewelle im Zusammenhang mit dem neuen Mindestlohn ausgeblieben sei. Beim BAG seien lediglich zwei Streitfälle derzeit anhängig. Die MiLoG-Verfahren bei den Landesarbeitsgerichten lägen ebenfalls in einem niedrigen zweistelligen Bereich. [i]BVerfG: Verfassungsbeschwerden nicht angenommenNeben der Arbeitsgerichtsbarkeit hatte sich auch das BVerfG zeitweilig mit dem MiLoG auseinanderzusetzen. Eingereicht wurden drei Verfassungsbeschwerden, die von der 3. Kammer des Ersten Senats jedoch nicht zur Entscheidung angenommen S. 565und damit als unzulässig abgewiesen wurden (Beschluss vom - 1 BvR 20/15 NWB UAAAE-94159; Beschluss vom - 1 BvR 37/15 NWB RAAAE-94160; Beschluss vom - 1 BvR 555/15 NWB BAAAE-94161). Im Wesentlichen wurden die Beschwerdeführer darauf verwiesen, zunächst den Rechtsweg der Fachgerichte und damit der Arbeitsgerichtsbarkeit zu erschöpfen. Der Senat sah hier den Grundsatz der Subsidiarität verletzt.

Die ersten Arbeitsgerichtsverfahren, in welchen sich die Richter mit Fragen rund um das MiLoG auseinandersetzen mussten, wurden bereits bei Inkrafttreten zum mit Spannung erwartet – dies insbesondere deshalb, weil das MiLoG zu diversen für Arbeitnehmer sowie Arbeitgeber essenziellen Themenkomplexen keine Regelungen vorsieht.

1. Entscheidungen zur Anrechnung von Vergütungsbestandteilen

[i]Welche Vergütungsbestandteile sind anrechenbar und welche nicht?Die bloße Lektüre des Gesetzestextes hilft bei der Frage, welche Vergütungsbestandteile bei der Mindestlohnberechnung relevant und welche Bestandteile als zusätzliche Leistung des Arbeitgebers anzusehen sind, nicht weiter. Hier ist richterliche Rechtsfortbildung gefragt.

[i]Busch/Cordes, NWB 35/2015 S. 2596Das zu dieser Thematik als erstes nach Einführung des MiLoG entschieden. In der Sache ging es u. a. um die Frage der Berücksichtigung einer „Sonderzahlung zum Jahresende“ sowie um das dem Arbeitnehmer gewährte Urlaubsgeld. Das ArbG Berlin zog im Rahmen seiner Entscheidung folgenden Grundsatz heran:

Der Mindestlohn [i]Vergütung der Normalleistung oder einer überobligatorischen Leistung?dient lediglich der Vergütung der Normalleistung des Beschäftigten. Entscheidend ist, ob eine Zuwendung im konkreten Fall das vergütet, was der Arbeitnehmer „normalerweise“ tun muss oder ob eine Zahlung einen anderen Zweck, z. B. die Vergütung einer überobligatorischen Leistung verfolgt. Die Anrechenbarkeit auf den gesetzlichen Mindestlohn wurde sowohl für das Urlaubsgeld als auch für die Jahressonderzahlung verneint. Das Urlaubsgeld solle die Erholungskosten kompensieren, die Jahressonderzahlung die Betriebstreue belohnen. Beide Bestandteile dienen jedenfalls nicht der Vergütung der „normalen“ Tätigkeiten des Arbeitnehmers. Das Urteil hielt auch der zweiten Instanz stand.

Erste Erkenntnis

Auf den Mindestlohn anrechenbar sind nur Vergütungsbestandteile, mit denen die „normale“ Arbeitsleistung des Arbeitnehmers entlohnt werden soll.

[i]Busch/Cordes, NWB 35/2015 S. 2596Das ArbG Bautzen (Urteil vom - 1 Ca 1094/15 NWB YAAAF-02090) entschied mit selbiger Argumentation zugunsten eines Arbeitnehmers, der sein Urlaubsgeld nicht auf den Mindestlohn angerechnet wissen wollte. Daneben umfasste die Entscheidung die Feststellung, dass ein auf Basis eines Tarifvertrags gewährter Nachtarbeitszuschlag nicht der Vergütung der Normalleistung des Arbeitnehmers diene und daher zusätzlich zum gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen sei.

[i]ArbG Düsseldorf: Leistungsprämien sind bei der Berechnung des Mindestlohns zu berücksichtigenDas NWB ZAAAE-97215) hatte sich mit der Frage zu befassen, ob eine Aufstockung des Grundlohns auf 8,50 € brutto pro Zeitstunde unter gleichzeitiger Reduzierung einer Leistungsprämie mit den Regelungen des MiLoG in Einklang steht. Im Ergebnis entschied das ArbG Düsseldorf, dass Leistungsprämien bei der Berechnung des Mindestlohns zu berücksichtigen sind. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin erhielt zunächst einen vertraglich vereinbarten Bruttostundenlohn in Höhe von 8,10 €. Zusätzlich zu dieser Grundvergütung erhielt sie einen freiwilligen Leistungsbonus in Höhe von maximal 1 € pro Stunde. Anlässlich des Inkrafttretens des MiLoG zum schlug die Beklagte eine arbeitsvertragliche Änderung vor, wonach S. 566die Grundvergütung von 8,10 € auf 8,50 € erhöht, der freiwillige Bonus dagegen auf einen Betrag in Höhe von maximal 0,60 € reduziert werden sollte. Die Klägerin lehnte dieses Angebot ab und verklagte ihre Arbeitgeberin anschließend auf die sich im Rahmen der Lohnabrechnung für Januar 2015 ergebende Differenz von 0,40 € pro gearbeitete Stunde. Die Klägerin erhob ferner Feststellungsklage darauf gerichtet, dass die Beklagte verpflichtet sei, neben einer Grundvergütung in Höhe von 8,50 € pro Stunde zusätzlich den Leistungsbonus in Höhe von maximal 1 € pro Stunde zu zahlen.

Die 5. Kammer des ArbG Düsseldorf hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die Klägerin mit dem Grundlohn (8,10 €) und der Zusatzvergütung (1 €) eine mindestlohnwirksame Gesamtvergütung in Höhe von 9,10 € erhalten habe und kein Verstoß gegen das MiLoG vorliege. Die Kammer vertrat die Rechtsauffassung, dass beide Entgeltbestandteile, mithin [i]Vergütungsbestandteil mit unmittelbarem Bezug zur ArbeitsleistungGrundlohn und Leistungsbonus, in die Berechnung der Einhaltung des Mindestlohns einfließen würden. Solange der einzelne Vergütungsbestandteil unmittelbaren Bezug zur Arbeitsleistung und damit Entgeltcharakter habe, sei unerheblich, ob dieser als „Grundlohn“ oder „Leistungsbonus“ bezeichnet werde.

Zweite Erkenntnis

Da ein Leistungsbonus echten Entgeltcharakter besitzt und im unmittelbaren Bezug zur Arbeitsleistung steht, ist dieser auch mindestlohnrelevant, also anrechenbar.

In [i]LAG Berlin-Brandenburg: anteilig gezahlte Sonderzahlung auf Mindestlohn anrechenbareine ähnliche Richtung geht die jüngste Entscheidung zu dieser Thematik, die das ) getroffen hat. Es klagte eine Arbeitnehmerin, deren arbeitsvertraglich vereinbarter Stundenlohn weniger als 8,50 € brutto pro Zeitstunde betrug. Daneben wurde ihr zweimal jährlich eine Sonderzahlung in Höhe eines halben Monatslohns gewährt. Hierzu haben die Arbeitgeberin und der im Betrieb bestehende Betriebsrat vereinbart, diese Sonderzahlungen auf alle zwölf Monate zu verteilen, d. h. jeden Monat ein Zwölftel der Sonderzahlung auszuzahlen. Mit dieser zusätzlichen anteiligen Sonderzahlung ergibt sich ein Stundenlohn der Klägerin von mehr als 8,50 €.

Nach Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg handele es sich bei den Sonderzahlungen um eine Vergütung für die normale Arbeitsleistung der Klägerin, weshalb eine Anrechnung auf den gesetzlichen Mindestlohn möglich sei. Ob das Urteil im Rahmen einer möglichen Revision vor dem BAG Bestand haben wird, bleibt abzuwarten.

2. Entscheidungen zu Kündigungen

[i]Änderungskündigung ist unwirksamIn der bereits oben angeführten Entscheidung des kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zu den ursprünglichen Bedingungen und bot dem Arbeitnehmer die Fortsetzung zu einem Stundenlohn in Höhe von 8,50 € brutto pro Zeitstunde bei gleichzeitigem Wegfall der Jahressonderzulage und des Urlaubsgelds an. Die Arbeitsrichter haben in der ersten Instanz entschieden, dass eine solche Änderungskündigung unwirksam sei.

„Fehlt es an der Anrechenbarkeit der anderweitigen Vergütungsbestandteile auf den Mindestlohn, sind alle Handlungen, die darauf gerichtet sind, gleichwohl eine Anrechnung zu erreichen, objektiv als Umgehung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs und damit als unzulässig anzusehen.“

Dritte Erkenntnis

Änderungskündigungen, die eine rechtlich nicht mögliche Anrechnung von Vergütungsbestandteilen auf den Mindestlohn herbeiführen sollen, sind per se unwirksam.S. 567

[i]Busch/Cordes, NWB 35/2015 S. 2596Das ArbG Berlin hatte nochmals einen ähnlichen Fall zu entscheiden (Urteil vom - 28 Ca 2405/15). Hier wehrte sich ein Hausmeister, der einen Lohn weit unter der 8,50-€-Grenze erhielt und den Mindestlohnanspruch gegenüber seinem Arbeitgeber einforderte, gegen eine daraufhin ausgesprochene Kündigung. Nach Auffassung des ArbG ist diese Kündigung als verbotene Maßregelung (§ 612a BGB) anzusehen. Der Arbeitgeber habe das Arbeitsverhältnis gekündigt, weil der Kläger in zulässiger Weise den gesetzlichen Mindestlohn gefordert habe.

Vierte Erkenntnis

Kündigungen, die aufgrund der Geltendmachung des Mindestlohns durch den Arbeitnehmer ausgesprochen werden, sind ebenfalls unwirksam.

II. Welche rechtlichen Änderungen gab es?

Schon von Beginn an wurde [i] www.bmas.de dem MiLoG eine Detailarmut vorgeworfen, welche allseits zu Unsicherheiten führte. Aus diesem Grunde wurden noch vor dem ersten Geburtstag des Mindestlohns Änderungen vorgenommen.

1. Anpassung der Dokumentationspflicht

[i]Erste Änderungen durch die MindestlohndokumentationspflichtenverordnungDas MiLoG war keine acht Monate in Kraft, als am bereits die erste Änderungsverordnung, namentlich die Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung (MiLoDokV) vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erlassen wurde. Veranlasst durch die Empörung vieler Arbeitgeber, das MiLoG sei ein „Bürokratiemonster“ und bringe unzumutbare Aufzeichnungs- und Nachweispflichten mit sich, brachte der Gesetzgeber zügig die Lockerung dieser Pflichten auf den Weg. Von der MiLoDokV betroffen sind die §§ 16 und 17 MiLoG, welche diverse Melde- und Dokumentationspflichten regeln.

Ursprünglich war vorgesehen, dass Arbeitgeber, die geringfügig entlohnte Mitarbeiter beschäftigen oder im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung entleihen, ohne Ausnahme verpflichtet sind, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit aufzuzeichnen und die Unterlagen mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Diese Pflicht sollte ebenso für Arbeitgeber der besonderen Wirtschaftszweige (§ 2a SchwarzArbG) gelten.

Hinweis

Zu diesen besonderen Wirtschaftszweigen zählen:

  • Baugewerbe,

  • Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe,

  • Personenbeförderungsgewerbe,

  • Speditions-, Transport- und damit verbundene Logistikgewerbe,

  • Schaustellergewerbe,

  • Unternehmen der Forstwirtschaft,

  • Gebäudereinigungsgewerbe,

  • Unternehmen, die sich am Auf- und Abbau von Messen und Ausstellungen beteiligen, sowie

  • Unternehmen in der Fleischwirtschaft.

[i]Sinn und ZweckSinn und Zweck dieser strengen Dokumentationspflichten war (und ist noch immer), die Erfüllung der Arbeitgeberpflichten in Branchen mit sehr hoher personeller Fluktuation und die Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen nachweislich sicherzustellen.

[i]Lockerung der DokumentationspflichtenDie MiLoDokV entlässt nun die Arbeitgeber aus den vorbenannten Pflichten, die ihren Mitarbeitern ein „verstetigtes regelmäßiges Monatsentgelt“ von mindestens 2.958 € brutto bezahlen. Die Arbeitgeberverbände, die sich für die schnelle Umsetzung dieser Lockerung einsetzten, argumentierten hier, dass Arbeitnehmer, die selbst die maximal zulässige Höchstarbeitszeit nach dem ArbZG von wöchentlich 60 Stunden S. 568leisten, bei Erhalt des vorbezeichneten Bruttobetrags die Mindestlohngrenze faktisch nicht unterschreiten können.

Hinweis

Im Rahmen der Ermittlung des „verstetigten regelmäßigen Monatsentgelts“ sind sämtliche monatlich geleisteten Bruttozahlungen zu berücksichtigen. Wichtig ist die „monatsfeine“ Betrachtung. Nicht ausreichend ist ein durchschnittliches monatliches Bruttoentgelt in Höhe von 2.958 €.

Die MiLoDokV sieht ferner vor, dass die Dokumentationspflichten für einen Arbeitgeber nicht mehr greifen, wenn dieser seinen Mitarbeitern in den letzten zwölf Monaten nachweislich ein verstetigtes regelmäßiges Bruttoentgelt in Höhe von zumindest monatlich 2.000 € bezahlt hat.

Beispiel 1

Ein Mitarbeiter wird auf Basis einer Bezahlung in Höhe von monatlich 2.400 € brutto eingestellt. Bevor die ersten zwölf Monate der Beschäftigung abgelaufen sind, ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitszeiten genau zu dokumentieren (§ 17 Abs. 1 MiLoG) und die Unterlagen aufzubewahren. Nach Ablauf der ersten zwölf Monate sowie unter der Prämisse, dass das Entgelt stets bezahlt worden ist, ist der Arbeitgeber aus den Pflichten zur Dokumentation i. S. des MiLoG entlassen. Die Aufzeichnungspflichten i. S. des ArbZG bleiben davon unberührt.

Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 MiLoDokV gelten die vorbenannten Entgeltgrenzen (2.958 € sowie 2.000 € brutto) zwar branchenunabhängig; die hiermit vonseiten des Gesetzgebers beabsichtigte Lockerung der Aufzeichnungspflichten kommt faktisch jedoch nur den Arbeitgebern der „gefährdeten Wirtschaftszweige“ gem. § 2a SchwarzArbG zugute, da für alle übrigen Arbeitgeber die Aufzeichnungspflichten weiterhin nur in Bezug auf die gem. § 8 Abs. 1 SGB IV geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer gelten.


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Aktueller Stand der Dokumentationspflichten nach § 17 MiLoG und der MiLoDokV
Verstetigtes Bruttomonatsgehalt
§ 2a SchwarzArbG-Arbeitgeber
Sonstige Arbeitgeber
450 € (Minijobber)
Aufzeichnungspflicht (+)
Aufzeichnungspflicht (+)
451 € - 2.957 bzw. 1.999 €
Aufzeichnungspflicht (+)
Aufzeichnungspflicht (-)
Ab 2.958 € bzw. 2.000 €
Aufzeichnungspflicht (-)
Aufzeichnungspflicht (-)

Fünfte Erkenntnis

Mit § 17 MiLoG ist der Gesetzgeber zunächst „über das Ziel hinausgeschossen“. Mit der MiLoDokV wurde nun „zurückgerudert“. Zahlt der Arbeitgeber also jeden Monat exakt 2.958 € brutto, ist er – gleichgültig, in welcher Branche er tätig ist – von den strengen Aufzeichnungspflichten des § 17 MiLoG entbunden. Selbiges gilt nach Ablauf von zwölf Monaten dann, wenn der Arbeitgeber mindestens 2.000 € brutto monatlich bezahlt.

Im Übrigen ist die [i]Aufzeichnungspflicht bei nahen AngehörigenAufzeichnung der Arbeitszeiten naher Angehöriger (Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Kinder, Eltern) zukünftig verzichtbar.

2. Lockerung beim ArbZG

Im Rahmen der Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) der Länder am wurde ein Beschluss zu Ausnahmemöglichkeiten nach dem ArbZG, insbesondere zu Ausnahmemöglichkeiten (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG) für Saisonbetriebe sowie zu Notfällen und außergewöhnlichen Fällen (§ 14 ArbZG) gefasst.

Hinweis

Hintergrund war, dass sich Arbeitgeber des Schausteller- und Gaststätten- bzw. Hotelgewerbes und aus der Landwirtschaft über die im Zusammenhang mit der Aufzeichnungspflicht im MiLoG geltende tägliche Höchstarbeitszeit (§ 3 ArbZG) in Höhe von zehn Stunden beschwert hatten. Diese wurde als zu kurz befunden. Bei Überschreiten würde man den Verstoß gegen das ArbZG aufgrund des § 17 MiLoG selbst dokumentieren müssen.

[i]Möglichkeiten der Flexibilisierung der täglichen Arbeitszeit bei bestimmten VoraussetzungenDas ArbZG bietet in § 15 und in § 14 ArbZG grds. Möglichkeiten der Flexibilisierung. So kann etwa die Aufsichtsbehörde nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG längere tägliche Arbeitszeiten für Saison- und Kampagnebetriebe bewilligen, wenn die Verlängerung über acht Stunden täglich durch eine entsprechende Kürzung der Arbeitszeit zu anderen S. 569Zeiten ausgeglichen wird. Selbiges gilt in Notfällen oder außergewöhnlichen Fällen nach § 14 ArbZG, etwa wenn Lebensmittel andernfalls verderben.

Laut o. g. Beschluss der ASMK können nunmehr bei Anträgen der Schaustellerbranche im Falle des Vorliegens der entsprechenden Voraussetzungen nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG die Arbeitszeiten bis max. zwölf Stunden täglich bewilligt werden, da das Schaustellergewerbe hier als Saisonbetrieb zu bewerten ist. Dies gilt nun auch für Betriebe aus der Landwirtschaft oder dem Gaststätten- und Hotelgewerbe, soweit diese ebenfalls als Saisonbetrieb eingeordnet werden können. Ein Ausgleich für eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden kann bei Saisonarbeitskräften auch durch den Nachweis beschäftigungsloser Zeiten oder solcher mit nur einer geringen Beschäftigung geschaffen werden.

Sechste Erkenntnis

In Saisonbetrieben kann von den Aufsichtsbehörden eine höhere als in § 3 ArbZG genannte tägliche Arbeitszeit bewilligt werden. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Dokumentationspflichten (§ 17 MiLoG) besonders wichtig, da hier jeder Verstoß „mitdokumentiert“ wird. Der schlaue Arbeitgeber stellt also gleich einen Antrag nach § 15 ArbZG.

3. Transitfälle

Im Hinblick auf den Mindestlohn im Transitverkehr befindet sich das BMAS derzeit nach eigenen Angaben in intensiven Gesprächen mit der EU-Kommission. Man wolle zu einer europarechtskonformen Auslegung kommen. Bis auf Weiteres seien die Kontrolle und Ahndung von Mindestlohnverstößen im reinen Transitverkehr ausgesetzt.

[i]Steinheimer/ Krusche, NWB 12/2015 S. 851Anfang des Jahres 2015 kam man nämlich zu der paradoxen Erkenntnis, dass Lkw-Fahrer, die beispielsweise von Polen über Deutschland nach Frankreich Güter transportieren, ebenfalls unter den neuen gesetzlichen Mindestlohn fallen, jedenfalls für die Strecke durch Deutschland. Denn der Mindestlohn gilt ja grds. für jeden Arbeitnehmer auf deutschem Hoheitsgebiet (§ 20 MiLoG).

Der Aufschrei der Arbeitgeber war verständlicherweise groß. Denn der polnische Lkw-Fahrer, der in Polen lebe und der „lediglich“ polnischen Lebenserhaltungskosten unterliege, könne doch nicht plötzlich Anspruch auf den (teuren) deutschen Mindestlohn haben, oder etwa doch?

Dem folgte ein mehr oder weniger klares „Nein“ der Bundesarbeitsministerin Frau Nahles. Anscheinend hatte man mit dieser Auslegung des MiLoG im BMAS nicht gerechnet. Um die Gemüter wieder zu beruhigen, kündigte man an, das MiLoG finde auf die reinen Transitfälle keine Anwendung. Selbiges dürfte für die Fälle gelten, in denen der Lkw-Fahrer seinen Laster schnell be- oder entlädt und dann sogleich weiterfährt.

Siebte Erkenntnis

Das MiLoG findet im reinen Transitverkehr keine Anwendung. Ausländische Arbeitgeber können also aufatmen.

4. Weitere geplante Änderungen

Mitte des Jahres 2015 verlautbarte das BMAS, dass ein halbes Jahr nach Einführung des Mindestlohns festgestellt werden könne, dass „eine der größten arbeitsmarktpolitischen Reformen unseres Landes eine Erfolgsgeschichte“ sei. Klingt nach gerade einmal einem halben Jahr ein bisschen nach Wunschdenken. Vielmehr bleibt es doch weiterhin abzuwarten, wie sich die Lage in drei oder vier Jahren darstellt.

[i]Wickert, NWB 11/2015 S. 758Geplant ist jedenfalls derzeit eine definitorische Klarstellung des Begriffs „Ehrenamt“ im BGB. Hier waren bei Arbeitgebern, insbesondere in Sportvereinen, Unsicherheiten entstanden, da das MiLoG ausdrücklich keine ehrenamtlichen Tätigkeiten umfasst. Was alles unter den Begriff „Ehrenamt“ fällt, weiß allerdings niemand so genau. Dem soll nun Abhilfe geleistet werden. S. 570

[i]Steinheimer/ Krusche, NWB 32/2015 S. 2376Große Probleme bereitete insbesondere auch die weitreichende Auftraggeberhaftung des MiLoG. Wir erinnern uns: Bei Werk- und Dienstverträgen haftet der Auftraggeber dafür, dass der von ihm eingeschaltete Nachunternehmer seinen Arbeitnehmern den neuen Mindestlohn bezahlt. Diese umfangreiche Auftraggeberhaftung ist die wohl am stärksten kritisierte Regelung des MiLoG. Das BMAS und das Bundesfinanzministerium planen daher, gegenüber den Behörden der Zollverwaltung, welche zur Kontrolle der Einhaltung des MiLoG berufen sind, klarzustellen, dass sowohl bei der zivilrechtlichen Haftungsfrage als auch im Rahmen der Bußgeldvorschriften der im Hinblick auf das Arbeitnehmerentsendegesetz vom BAG entwickelte „eingeschränkte“ Unternehmerbegriff zugrunde zu legen ist. Konkret soll die Auftraggeberhaftung demnach nur denjenigen treffen, der eigene vertraglich übernommene Pflichten an einen Subunternehmer weitergibt.

Beispiel 2

Eine Rechtsanwaltskanzlei, die die Kanzleiräume von einem Reinigungsunternehmen putzen lässt, ist nicht verpflichtet zu kontrollieren, ob den Reinigungskräften auch der gesetzliche Mindestlohn bezahlt wird. Die Reinigung der Kanzleiräume hat nichts mit den eigenen, vertraglich gegenüber den Mandanten übernommenen Pflichten zu tun.

Achte Erkenntnis

Die Auftraggeberhaftung soll doch nicht so allumfassend ausgestaltet sein wie befürchtet. Eine Exkulpationsmöglichkeit – wie übrigens im Gesetzesentwurf noch vorgesehen – wird allerdings auch in Zukunft nicht möglich sein.

III. Wie hat die Wirtschaft reagiert?

Prognostiziert wurden steigende Arbeitslosenzahlen, ein Einbruch der Wirtschaft u. Ä. Doch was lässt sich nach einem Jahr Mindestlohn wirklich in Zahlen festhalten?

1. Entwicklung der Arbeitslosenzahlen und der Verbraucherpreise

Die Zahl [i]Zahl der Minijobs gesunkender sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist im August letzten Jahres im Vergleich zum Vorjahr um 691.000 Arbeitnehmer gestiegen. Die Zahl der „Minijobber“ ist um 127.800 gesunken. Allerdings wurden viele dieser Stellen anscheinend – so jedenfalls hoffnungsvoll der Deutsche Gewerkschaftsbund – in ein „normales“ (Teilzeit-)Arbeitsverhältnis umgewandelt, da sich die Einsparungen des Minijobs für Arbeitgeber nicht mehr in dem Maße wie zuvor lohnten.

[i]Gestiegene Lohnkosten führten zu höheren VerbraucherpreisenUnternehmen mussten aufgrund der gestiegenen Lohnkosten in Konsequenz die Verbraucherpreise erhöhen. Anders wäre die Umstellung auf den Mindestlohn nicht zu bewerkstelligen gewesen. Allerdings sind hauptsächlich die Niedriglohn-Branchen hiervon betroffen. Während sich in gewissen Branchen deutliche Auswirkungen des Mindestlohns auf die Verbraucherpreise zeigen, etwa im Taxigewerbe, ist der Preisanstieg insgesamt jedoch als moderat zu bewerten. In vielen Branchen gab es schließlich auch schon vor Einführung des MiLoG Branchenmindestlöhne, jetzt sind alle anderen nachgezogen. Laut der Deutschen Bundesbank ist der Preisanpassungsprozess allerdings noch nicht abgeschlossen. Es bleibt also weiter abzuwarten.

Neunte Erkenntnis

Der Mindestlohn führt bisher nicht zu höheren Arbeitslosenzahlen, allerdings in bestimmten Branchen zu einer Erhöhung der Verbraucherpreise

2. Der Mindestlohn in der Flüchtlingskrise

Die Flüchtlingskrise beherrscht derzeit die Medien. Selbstverständlich bleibt davon auch der Mindestlohn nicht ausgenommen. Diskutiert wird, ob der Mindestlohn für Flüchtlinge S. 571gesenkt oder gar gestrichen werden soll, vordergründig, um deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Die Gewerkschaften gehen auf die Barrikaden und wenden den Missbrauch von Flüchtlingen als „Billig-Arbeitskräfte“ ein.

Die [i]Keine Differenzierung möglichDiskussion ist jedoch in rechtlicher Hinsicht bereits obsolet. Jeder Arbeitnehmer hat zunächst einmal – ohne Einschränkung – Anspruch auf den Mindestlohn (§ 1 Abs.1 MiLoG). Dies gilt im gesamten deutschen Hoheitsgebiet. Eine Differenzierung nach der Nationalität oder gar nach dem Asylstatus findet nicht statt und wird auch in Zukunft nicht stattfinden. Insbesondere da eine solche Unterscheidung ohnehin mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) unvereinbar wäre.

Zehnte Erkenntnis

Auch Flüchtlinge haben Anspruch auf Zahlung des Mindestlohns.

Hinweis

[i]Zu den Prüfungsbefugnissen des Zolls Hamminger, NWB 24/2015 S. 1783Im ersten Halbjahr 2015 leiteten die Behörden der Zollverwaltung übrigens 297 Ordnungswidrigkeitsverfahren (davon 141 im Gaststätten- und Hotelgewerbe) ein. 146 Mal wurde wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen § 20 MiLoG (Zahlungspflicht des Mindestlohns) und in 134 Fällen wegen des Verdachts des Verstoßes gegen die Dokumentationspflicht des § 17 MiLoG ermittelt.

Fazit

Ein Jahr MiLoG – letztlich sind die großen Schlagzeilen sowie die teilweise vorhergesagten drastischen wirtschaftlichen Einbrüche ausgeblieben. Vielmehr leistet das MiLoG all denjenigen Arbeitnehmern seinen Dienst, die zuvor mit einem Lohn unterhalb der nun „flächendeckenden“ 8,50-€-Grenze vergütet wurden. Die Grundidee, die hinter der Einführung des MiLoG steht, ist somit in die Tat umgesetzt worden. Allerdings ist klar: Das MiLoG war ein Prüfstein für alle Klein- und Mittelständler, insbesondere für die Branchen des Niedriglohnsektors, wie etwa das Gaststättengewerbe. Einfach war es nicht, doch die Meldungen von Existenzvernichtungen aufgrund des MiLoG blieben aus. In der Judikative wird das MiLoG in den kommenden Jahren dagegen noch eine große Rolle spielen. Die in diesem Aufsatz aufgegriffenen arbeitsgerichtlichen Verfahren sind hier nur der Anfang. Mit besonderem Interesse werden die Entscheidungen auf höchstrichterlicher Ebene zur Thematik „Anrechnung von Vergütungsbestandteilen auf den gesetzlichen Mindestlohn“ erwartet. Die damit einhergehenden aufgeworfenen Rechtsfragen sind abschließend vom BAG zu klären.

Autorinnen

Saskia Krusche ist Rechtsanwältin in der Kanzlei LIEB.Rechtsanwälte in Nürnberg. Sie ist dort schwerpunktmäßig im Arbeitsrecht tätig und promoviert berufsbegleitend zu einem arbeitsrechtlichen Thema.

Eva Ratzesberger ist Rechtsanwältin in der Kanzlei AfA Arbeitsrecht für Arbeitnehmer am Standort Nürnberg, die die Interessen von Betriebsräten und Arbeitnehmern vertritt. Rechtsanwältin Ratzesberger ist bei AfA Ansprechpartnerin für alle Fragen rund um das Mindestlohngesetz.

Fundstelle(n):
NWB 2016 Seite 564 - 571
HAAAF-66360