Hessisches Finanzgericht  Urteil v. - 6 K 306/18 EFG 2019 S. 1557 Nr. 18

Tarifbegünstigung für Zahlungen eines Arbeitgebers aus einem Langzeitvergütungsmodell

Leitsatz

1. Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten im Sinne des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG erfordern eine zweckbestimmte Verknüpfung der Vergütung mit der Tätigkeitsdauer, wobei sich aus den Umständen der Zahlung ergeben muss, dass mit ihnen eine mehrjährige Tätigkeit abgegolten werden soll.

2. Bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit ist nicht erforderlich, dass es sich bei der in mehreren Veranlagungszeiträumen erdienten Vergütung um eine von der regelmäßigen Erwerbstätigkeit abgrenzbare Sondertätigkeit handelt oder dass diese auf einem besonderen Rechtsgrund beruht, der die von den laufenden Einkünften unterscheidbar macht.

3. Zahlungen des Arbeitgebers aus einem sog. Langzeitvergütungsmodell (Long Term Incentive Modell – LTI) deren zusammengeballte Zahlung durch wirtschaftlich vernünftige Gründe gerechtfertigt ist, stehen einer Tarifbegünstigung nicht entgegen, auch wenn dieselbe Tätigkeit sowohl durch laufende als auch durch außerordentliche Einkünfte vergütet wird.

Gesetze: EStG § 34 Abs. 2 Nr. 4; EStG § 39b Abs. 3 S. 9; EStG § 42e

Instanzenzug:

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den Widerruf einer lohnsteuerlichen Ausrufungsauskunft bezüglich eines Langzeitvergütungsmodells der Klägerin.

Die Klägerin, eine im Handelsregister eingetragene Aktiengesellschaft, beantragte mit Schreiben vom beim Beklagten (dem Finanzamt, FA) eine Anrufungsauskunft gemäß § 42e des Einkommensteuergesetzes (EStG). Darin wurde um Bestätigung gebeten, dass folgendes Vergütungsmodell die Voraussetzungen einer Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit im Sinne von § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG erfüllt und die Auszahlung unter Anwendung der sogenannten ”Fünftelregelung“ gemäß § 39b Abs. 3 Satz 9 EStG zu erfolgen hat: Bestimmten Führungskräften wird seit dem Jahr 2010 jährlich die Teilnahme an einem ”Long Term Incentive Modell“, einem kurz ”LTI“ genannten langfristigen Vergütungsprogramm, angeboten. Abhängig von der Entwicklung des durchschnittlichen Geschäftserfolges abzüglich der Kapitalkosten innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren im Vergleich zu den vorangegangenen vier Jahren erhalten die betreffenden Beschäftigten nach Ablauf des sogenannten ”Performancezeitraumes“ eine entsprechende Vergütung. So waren Berechnungsbasis des LTI-Modells 2010 der Performancezeitraum bis sowie der Vergleichszeitraum bis . Unterschreitet die Entwicklung des Geschäftserfolges eine im Vorhinein festgelegte Grenze, erfolgen keinerlei Zahlungen aufgrund des LTI an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dies war in den Jahren 2017 bis 2019 der Fall. Berechtigte Beschäftigte, die an dem Programm teilnehmen möchten, müssen dies jeweils innerhalb der ersten Monate des Performancezeitraumes schriftlich erklären.

Hinzu kam ein sogenanntes ”Lückenfüller“-Programm, um zu vermeiden, dass es durch die Einführung des neuen Modells vorübergehend keinerlei Auszahlungen an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gab. Hierbei wurde fingiert, dass der erste Performancezeitraum bereits am begonnen hatte, so dass auch in den Jahren 2012 und 2013 Vergütungen ausgezahlt werden konnten. Wegen weiterer Einzelheiten zu dem LTI wird auf den Antrag der Klägerin vom (Bl. 1 bis 6 des Halbhefters Anrufungsauskunft LTI) verwiesen.

Mit Schreiben vom bestätigte das FA in einer Anrufungsauskunft die Rechtsauffassung der Klägerin. Hierzu wird auf Bl. 8 und 9 des Halbhefters Anrufungsauskunft LTI Bezug genommen.

Mit Schreiben vom widerrief das FA die Anrufungsauskunft vom mit der Begründung, bei den Zahlungen aus dem Langzeitvergütungsmodell handele es sich nicht um außerordentliche Einkünfte im Sinne von § 34 EStG. Es lägen ”Bonuszahlungen“ vor, durch die in der Vergangenheit erbrachte Leistungen honoriert würden, deren Berechnung und Auszahlung jährlich erfolge. Demgegenüber seien außerordentliche Einkünfte nur einmalige und für die jeweilige Einkunftsart ungewöhnliche Einkünfte, die das zusammengeballte Ergebnis mehrerer Jahre darstellten und im Vergleich zur sonstigen Besteuerung zu einer einmaligen und außergewöhnlichen Progressionsbelastung führten.

Am legte die Klägerin Einspruch gegen den Widerruf ein, der mit Entscheidung vom als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Am hat die Klägerin beim Hessischen Finanzgericht Klage erhoben.

Zu deren Begründung führt sie aus, mit der Ablösung des zuvor praktizierten Aktienoptionsmodells durch das LTI habe sie den durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) vom geänderten regulatorischen Rahmenbedingungen Rechnung tragen wollen. § 87 Abs. 1 des Aktiengesetzes (AktG) fordere in seiner Neufassung, dass variable Vergütungsbestandteile eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben sollten, um das Unternehmen auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten. Dies entspreche weitgehend den Regelungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, wonach variable Vergütungsbestandteile grundsätzlich eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben sollten, die im Wesentlichen zukunftsbezogen sei. Deshalb sei es unverständlich, dass das FA dem LTI-Programm abspreche, eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit darzustellen.

Zwar handele es sich bei den streitgegenständlichen Zahlungen grundsätzlich um Erfolgsvergütungen, die sich an in der Vergangenheit liegenden Kennziffern des Unternehmens orientierten, durch die Zukunftsbezogenheit und die konkrete Ausgestaltung mittels des Performancezeitraumes werde aber deutlich, dass der zu honorierende Zeitraum zwölf Monate deutlich übersteige. Dass sich die Vergütung dagegen an externen Kennziffern orientiere und nicht nur an internen wie beim LTI-Programm, sei keine Voraussetzung für eine Besteuerung als außerordentliche Einkünfte.

Das LTI-Programm weise Parallelen zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zum Anreizlohn bei Aktienoptionen auf. In beiden Fällen führe die Ausübung bzw. Auszahlung zu einer Zusammenballung von Einkünften. Wenn Rechtsprechung und Finanzverwaltung übereinstimmend davon ausgingen, dass die Tarifermäßigung für Aktienoptionen dann in Betracht komme, wenn die Laufzeit zwischen Einräumung und Ausübung mehr als 12 Monate betragen und das Arbeitsverhältnis nach Einräumung des Optionsrechts mindestens noch 12 Monate fortbestanden habe, so sei ein wesentlicher Unterschied zum LTI-Programm nicht ersichtlich. Zwar müsse die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer bei Aktienoptionen diese bewusst ausüben, während bei dem LTI-Programm die Zahlungen automatisch erfolgten. Niemand übe die Option aber aus, wenn der aktuelle Kurs der Aktien unterhalb des Ausübungspreises notiere. Anderenfalls würde kein geldwerter Vorteil zufließen so wie auch beim LTI-Programm eine Auszahlung nicht stattfinde, wenn die maßgeblichen Kenn-zahlen unterhalb der des Vergleichszeitraumes lägen. In Folge dessen hätten die in der Vergangenheit gewährten LTI-Programme auch gerade nicht immer zu einer jährlich wiederkehrenden Auszahlung geführt.

Soweit das FA den Widerruf der Anrufungsauskunft auch damit begründe, dass die variable Vergütung nicht von der Arbeitsleistung der einzelnen Mitarbeiterin oder des einzelnen Mitarbeiters abhänge, sondern von der Gewinnentwicklung des Gesamtkonzerns, werde die Stichhaltigkeit dieser Argumentation nicht mit entsprechender Rechtsprechung unterlegt. Bereits ein Blick auf die Rechtsprechung zu Aktienoptionen, zu denen kein signifikanter Unterschied ersichtlich sei, belege, dass dieses Argument nicht greife. Sollte es dennoch stichhaltig sein, würde es sich bei den fraglichen Zahlungen im Übrigen nicht einmal um Arbeitslohn i.S.d. § 19 des Einkommensteuergesetzes (EStG) handeln, denn zu diesem gehörten Güter, die in Geld oder Geldeswert bestünden und die dem Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis für das Zurverfügungstellen seiner individuellen Arbeitszeit zuflössen.

Die Klägerin beantragt,

den Widerruf der Lohnsteuer-Anrufungsauskunft nach § 42e EStG

zur lohnsteuerlichen Behandlung von Zahlungen aus dem Langzeit-

vergütungsmodell (Long Term Incentive – LTI) vom in

Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben,

hilfsweise, die Revision zuzulassen,

dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen,

die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung im Vorverfahren für notwendig zu erklären,

das Urteil wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hierzu wird seitens des FA – auch unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung – vorgebracht, durch die Möglichkeit jährlich an dem LTI-Programm teilzunehmen, komme es nach Ablauf des jeweiligen Performancezeitraums zu jährlichen Zahlungen, so dass nicht von einer zusammengeballten Auszahlung von Arbeitslohn ausgegangen werden könne, der durch eine mehrjährige Tätigkeit erdient worden sei.

Auch unter Vertrauensschutzgründen sei der Widerruf der Anrufungsauskunft zulässig gewesen. Zwar seien die Finanzbehörden durch die erteilte Auskunft an diese im Lohnsteuerabzugsverfahren gebunden, die betreffenden Wohnsitzfinanzämter der Beschäftigten könnten aber im Veranlagungsverfahren zur Einkommensteuer einen anderen, günstigeren oder ungünstigeren Rechtsstandpunkt vertreten als das Betriebsstättenfinanzamt in der Anrufungsauskunft. Ermessensgerecht sei der Widerruf der Anrufungsauskunft regelmäßig dann, wenn sich der Inhalt der Auskunft als materiell-rechtlich unzutreffend und damit als rechtswidrig erweise. Im Übrigen sei den Wohnsitzfinanzämtern der Arbeitnehmer im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung durch Kontrollmitteilungen mitgeteilt worden, dass auf die Auszahlungsbeträge aus dem vorliegenden LTI-Modell für das Jahr 2016 die Fünftelregelung keine Anwendung finde, so dass ein Widerruf der erteilten Auskunft für das Lohnsteuerabzugsverfahren geboten sei.

Schließlich berufe sich die Klägerin bezüglich des LTI-Programms auf die geänderten gesetzlichen Rahmenbedingungen, insbesondere § 87 Abs.1 AktG, welcher u.a. regele, dass die Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitgliedes in einem angemessenen Verhältnis zu seinen Aufgaben und Leistungen sowie zur Lage der Gesellschaft stünden und die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen dürften. Da die Auszahlungsbeträge aus dem LTI-Programm somit zu den ”üblichen Vergütungen“ nach § 87 Abs. 1 AktG ge-hörten und damit dem typischen Ablauf der Einkünfteerzielung entsprächen, es sich also nicht um außerordentliche Einkünfte handele, könne die Fünftel-regelung keine Anwendung finden.

Ergänzend wird auf die vom FA vorgelegten Akten (ein Halbhefter Anrufungsauskunft LTI) sowie auf die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

Gründe

1. Die zulässige Klage ist begründet.

Der angefochtene Bescheid des FA vom , mit dem dieser die Anrufungsauskunft zur lohnsteuerlichen Behandlung von Zahlungen aus dem Langzeitvergütungsmodell (Long Term Incentive – LTI) vom widerrufen hat, ist rechtswidrig, verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-) und ist deshalb aufzuheben.

Zwar kann in entsprechender Anwendung von § 207 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) die Anrufungsauskunft mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben oder geändert werden. Indem die Aufhebung oder Änderung in das Ermessen der Behörde (”kann“) gestellt wird, ist sie aber von sachgerechten Erwägungen der Behörde abhängig. Abzuwägen ist insbesondere, ob das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Einhaltung der verbindlichen Zusage größeres Gewicht hat als der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der die Durchsetzung des ”richtigen Rechts“ verlangt (, BFHE 230, 500, BStBl II 2011, 233).

Vorliegend ist das FA beim Widerruf zu Unrecht davon ausgegangen, dass die mit Anrufungsauskunft vom bestätigte Rechtsauffassung, nach der es sich bei den Zahlungen aus dem Langzeitvergütungsmodell der Klägerin um außerordentliche und nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG begünstigt besteuerte Einkünfte handelt, falsch ist. Tatsächlich handelt es sich sehr wohl um außerordentliche Einkünfte in Form von Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten, für welche die Steuer nach § 34 Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG zu berechnen ist.

a) Nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG kommen als außerordentliche Einkünfte u.a. in Betracht die Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten; mehrjährig ist eine Tätigkeit, soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst.

aa) Die besondere Steuerberechnung für außerordentliche Einkünfte bezweckt, erhöhte Steuerbelastungen durch Zusammenballung der in § 34 Abs. 2 EStG genannten Arten von Einkünften abzumildern. Angesichts dieses Regelungszwecks muss die Zahlung Entgelt für die mehrjährige Tätigkeit gewesen sein. Entscheidend ist daher die zweckbestimmte Verknüpfung der Vergütung mit der Tätigkeitsdauer, dass nämlich Vergütungen nur dann ”für mehrjährige Tätigkeiten“ gewährt werden, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass mit ihnen gerade diese mehrjährige Tätigkeit abgegolten werden soll (, BFH/NV 2015, 181). Diese mehrjährige Zweckbestimmung kann sich entweder aus dem Anlass der Zuwendung oder aus den übrigen Umständen ergeben. Soweit andere Hinweise auf den Verwendungszweck fehlen, kommt der Berechnung des Entgelts maßgebliche Bedeutung zu ( BFHE 182, 161, BStBl II 1997, 222; vom VI R 44/13 BFHE 249, 523, BStBl II 2015, 890 und vom  VI R 53/14, BFHE 255, 120, BStBl II 2017, 322).

bb) Darüber hinaus bedarf der Wortlaut von § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG bei Einkünften aus nichtselbständiger – insbesondere im Vergleich zu Einkünften aus Gewerbebetrieb – keiner Einschränkung dahingehend, dass es sich um eine von der regelmäßigen Erwerbstätigkeit abgrenzbare Sondertätigkeit handelt oder die in mehreren Veranlagungszeiträumen erdiente Vergütung auf einem besonderen Rechtsgrund beruht, der diese von den laufenden Einkünften unterscheidbar macht. Deshalb ist bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit jede Vergütung für eine Tätigkeit, die sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst, atypisch zusammengeballt und damit ”außerordentlich“ im Sinne des § 34 Abs.1 Satz 1 EStG. (, BFH/NV 2015, 1465). Zu den geldwerten Vorteilen aus einem Aktienoptionsprogramm hat der BFH demgemäß entschieden, dass diese im Regelfall als Anreizlohn eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit darstellen, wenn die Laufzeit zwischen Einräumung und Ausübung der Optionsrechte mehr als zwölf Monate beträgt und der Arbeitnehmer in dieser Zeit auch bei seinem Arbeitgeber beschäftigt ist (, BFHE 216, 251, BStBl II 2007, 456; vom  VI R 59/05, BFH/NV 2008, 779 und vom VI R 70/06, BFH/NV 2008, 1828). Auch die wiederholte Einräumung von Aktienoptionen steht der Tarifermäßigung nicht entgegen (

VI R 136/01, BFHE 216, 251, BStBl II 2007, 456 und vom VI R 3/03, BFH/NV 2007, 1301).

cc) Schließlich müssen für die zusammengeballte Entlohnung wirtschaftlich vernünftige Gründe vorliegen, die sowohl in der Person des Arbeitnehmers als auch des Arbeitgebers vorliegen können (, BFHE 117, 149, BStBl II 1976, 65 und vom VI R 6/02, BFHE 217, 547, BStBl II 2007, 581).

b) Unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze erfüllen die Zahlungen der Klägerin aus dem Langzeitvergütungsmodell LTI den Tatbestand des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG.

aa) Die Zahlungen erfolgten zweckbestimmt für die Tätigkeit der jeweiligen Berechtigten in einem mehrjährigen Zeitraum, der im konkreten Fall vier Jahre umfasste. Die Verknüpfung der mehrjährigen Tätigkeit mit der Zahlung ergibt sich aus den Regeln des Vergütungsmodells, nach denen anhand bestimmter unternehmensinterner Kennzahlen der Geschäftserfolg in dem vierjährigen sogenannten Performancezeitraum ermittelt und dem durchschnittlichen Geschäftserfolg in dem die vorangegangenen Jahre umfassenden Vergleichszeitraum gegenübergestellt wird. Ebenso wie bei Aktienoptionsprogrammen handelt es sich bei diesem Vergütungsmodell, zu dem die berechtigten Beschäftigten der Klägerin jeweils im Voraus ihre Teilnahme erklären müssen, um eine zusätzliche besondere Erfolgsmotivation für die Zukunft. Während Aktienoptionen regelmäßig als Anreizlohn für die Laufzeit der Option bis zu ihrer Erfüllung anzusehen sind und deshalb dann eine mehrjährige Tätigkeit vergüten, wenn die tatsächliche Laufzeit mehr als 12 Monate beträgt und der Arbeitnehmer in dieser Zeit auch bei seinem Arbeitgeber beschäftigt ist (vgl. , BFHE 216, 251, BStBl II 2007, 456), ist der Zeitraum, für den nach dem LTI eine Vergütung erfolgt, durch die Berechnung des Entgelts und die damit einhergehenden Auszahlungstermine auf vier Jahre festgelegt.

bb) Die Einkünfte aufgrund des LTI sind zudem ”außerordentlich“ im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG. Dem steht insbesondere nicht das Vorbringen des FA entgegen, nach Ablauf des jeweiligen Performancezeitraums komme es zu jährlichen Zahlungen, so dass nicht von einer zusammengeballten Auszahlung von Arbeitslohn ausgegangen werden könne. Da es sich bei den streitgegenständlichen Einkünften bei den berechtigten Beschäftigten der Klägerin um solche aus nichtselbständiger Arbeit handelt, kommt es nicht auf ihre Abgrenzbarkeit zu den laufenden Einkünften an, sondern im Wesentlichen darauf, dass sie für eine Tätigkeit gezahlt werden, die sich über mehrere Veranlagungszeiträume erstreckt. Insoweit besteht ein wesentlicher Unterschied zu dem Sachverhalt, der dem vom FA in Bezug genommenen Urteil vom (X R 23/15, BFHE 255, 209, BStBl II 2017, 347) zu Grunde liegt. Der BFH hat entschieden, dass es der einmaligen Kapitalabfindung laufender Ansprüche gegen eine der betrieblichen Altersversorgung dienende Pensionskasse an der Außerordentlichkeit mangelt, wenn das Kapitalwahlrecht schon in der ursprünglichen Versorgungsregelung enthalten war. Hierbei handelte es sich allerdings um sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG, bei welchen hinsichtlich der Frage, ob bestimmte Einkünfte gegenüber anderen derselben Einkunftsart atypisch bzw. außerordentlich sind, andere Kriterien zu Grunde zu legen sind.

Im Hinblick auf die üblicherweise erfolgende zeitnahe und gleichmäßige Vergütung nichtselbständiger Arbeit ist die Außerordentlichkeit der Einkünfte vorliegend in ihrer mehrere Veranlagungszeiträume umfassenden Berechnung begründet. Deshalb steht einer Tarifbegünstigung weder entgegen, dass dieselbe Tätigkeit sowohl durch laufende als auch – unter Umständen mehrfach – durch außerordentliche Einkünfte vergütet wird, noch, dass es durch die den Beschäftigten regelmäßig eröffnete Möglichkeit der Teilnahme am LTI zu jährlichen Zahlungen kommen kann.

cc) Die Zusammenballung der Entlohnung ist schließlich durch wirtschaftlich vernünftige Gründe gerechtfertigt, denn die Klägerin reagierte mit der Einführung des LTI auf geänderte Rahmenbedingungen, die sich – zumindest hinsichtlich der Vergütung von Vorständen – unmittelbar u.a. aus dem Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) ergeben. So ist nach Teilziffer 4.2.2 Abs. 2 die Vergütungsstruktur auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten. Die monetären Vergütungsteile sollen fixe und variable Bestandteile umfassen. Variable Vergütungsbestandteile haben grundsätzlich eine mehrjährige Bemessungsgrundlage, die im Wesentlichen zukunftsbezogen sein soll. Sowohl positiven als auch negativen Entwicklungen soll bei der Ausgestaltung der variablen Vergütungsteile Rechnung getragen werden.

Entsprechend diesen Vorgaben werden nach dem LTI Führungskräfte der Klägerin zum Teil variabel vergütet, orientiert sich die Höhe dieser Vergütung an der Entwicklung des Geschäftserfolges in den kommenden bzw. vergangenen vier Jahren und kann bei einer negativen Entwicklung die variable Vergütung auch vollständig entfallen.

Ob die gemachten Ausführungen auch auf das von der Anrufungsauskunft umfasste sogenannte ”Lückenfüller“-Programm zutreffen, bei dem die berechtigten Führungskräfte ihre Teilnahme an dem Programm vor Beginn des vierjährigen Performancezeitraumes in den Jahren 2008 und 2009 deshalb nicht erklären konnten, weil das Programm erst 2010 aufgelegt wurde, und bei dem deshalb der Beginn des Performancezeitraums jeweils fingiert wurde, kann dahinstehen. Der Widerruf der Anrufungsauskunft am hat unstreitig allein Wirkung für die Zukunft und deshalb keine Bedeutung mehr für die lohnsteuerliche Behandlung von Zahlungen in den Jahre 2012 und 2013 aufgrund der dargestellten Übergangslösung.

2. Die Kosten des Verfahrens hat das FA als unterliegender Verfahrensbeteiligter nach § 135 Abs. 1 FGO zu tragen.

3. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der erstattungsfähigen Kosten folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung, die zur Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren aus § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.

4. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
EFG 2019 S. 1557 Nr. 18
EStB 2020 S. 31 Nr. 1
GStB 2019 S. 390 Nr. 11
KÖSDI 2019 S. 21513 Nr. 12
CAAAH-29320