BFH Urteil v. - VI R 23/15 BStBl 2017 II S. 345

Keine Abzugsfähigkeit der die steuerfreie Reisekostenvergütung übersteigenden Reisekosten als Werbungskosten, wenn der Steuerpflichtige daneben eine Dienstaufwandsentschädigung nach §§ 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 LKomBesVO erhält

Leitsatz

1. Erhält ein hauptamtlicher Bürgermeister in Baden-Württemberg eine Dienstaufwandsentschädigung steuerfrei ausbezahlt, die nach der Auslegung durch das FG seine gesamten beruflich veranlassten Aufwendungen ersetzen soll, so kann er nur insoweit Werbungskosten geltend machen, als die Aufwendungen die Entschädigung übersteigen (Bestätigung des Senatsurteils vom VI R 33/86, BFHE 157, 526, BStBl II 1990, 119).

2. Infolge eines unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhangs zu § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG fallen auch die nicht durch die steuerfreie Reisekostenvergütung i.S. des § 3 Nr. 13 EStG abgegoltenen Reisekosten unter das Abzugsverbot des § 3c EStG, wenn die Dienstaufwandsentschädigung auch diese Aufwendungen abgelten soll.

Gesetze: FGO § 118 Abs. 1 Satz 1; EStG § 3 Nr. 12 Satz 2; EStG § 3 Nr. 13; EStG § 3c; EStG § 9 Abs. 1; LKomBesVO § 10 Abs. 1; LKomBesVO § 11 Abs. 1;

Instanzenzug: (EFG 2015, 1249),

Tatbestand

1 I. Der Kläger, Revisionsbeklagte und Anschlussrevisionskläger (Kläger) erzielte im Streitjahr (2009) als hauptamtlicher Bürgermeister des Dezernats X der Stadt Y Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er bezog vom Arbeitgeber als steuerfrei behandelte Aufwandsentschädigungen in Höhe von 4.116 € (Reisekosten) sowie zusätzlich in Höhe von 7.993 € gemäß der im Streitjahr geltenden §§ 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 der Landeskommunalbesoldungsverordnung des Landes Baden-Württemberg (LKomBesVO). Danach wurde einem Ersten Beigeordneten als Entschädigung für den durch das Amt allgemein verursachten erhöhten persönlichen Aufwand, dessen Bestreitung aus den Dienstbezügen dem Beamten nicht zugemutet werden kann, eine Dienstaufwandsentschädigung in Höhe von 9 % des festgesetzten Grundgehalts gewährt.

2


Tabelle in neuem Fenster öffnen
In der Einkommensteuererklärung des Streitjahres machte der Kläger folgende Werbungskosten geltend:      
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
245 €
Arbeitsmittel
142 €
Fortbildungskosten
150 €
sonstige Werbungskosten (Telefonkosten etc.)
220 €
Reisekosten (12.578 km x 0,68 €/km =)
8.553,04 €
 
Nebenkosten
132,00 €
 
 
8.685,04 €
 
./. Erstattungen
./. 4.116,00 €
 
 
4.569,04 €
4.569 €
Verpflegungsmehraufwand
72,00 €
 
./. Erstattungen
./.    15,00 €
 
 
57,00 €
57 €
 
5.383 €

3 Im Einkommensteuerbescheid 2009 vom berücksichtigte der Beklagte, Revisionskläger und Anschlussrevisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) lediglich den Arbeitnehmer-Pauschbetrag in Höhe von 920 €. Die Summe der geltend gemachten Aufwendungen liege unterhalb der steuerfreien Dienstaufwandsentschädigung, mit der grundsätzlich alle durch das Amt entstandenen Aufwendungen abgegolten seien.

4 Den Einspruch wies das FA als unbegründet zurück. Die dagegen erhobene Klage hatte aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 1249 veröffentlichten Gründen teilweise Erfolg. Zwar bezwecke die nach § 3 Nr. 12 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfreie Dienstaufwandsentschädigung nicht nur die Abgeltung des Aufwands für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, Arbeitsmittel, Fortbildungen und der sonstigen Werbungskosten, sondern auch der nicht durch Reisekostenvergütungen abgegoltenen Reisekosten. Aufgrund der spezielleren Vorschrift des § 3 Nr. 13 EStG greife das Abzugsverbot des § 3c Abs. 1 EStG hinsichtlich der Reisekosten jedoch nicht.

5 Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

6 Mit der Anschlussrevision begehrt der Kläger die Berücksichtigung der weiteren vom Finanzgericht (FG) nicht anerkannten Werbungskosten.

7 Das FA beantragt,

das Urteil des FG Baden-Württemberg aufzuheben, die Klage insgesamt abzuweisen und die Anschlussrevision zurückzuweisen.

8 Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Revision zurückzuweisen und im Wege der Anschlussrevision das FG-Urteil aufzuheben, soweit die Klage abgewiesen wurde, sowie den Einkommensteuerbescheid 2009 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahingehend zu ändern, dass weitere Werbungskosten in Höhe von 4.463 € berücksichtigt werden.

Gründe

9 II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat zu Unrecht weitere Werbungskosten des Klägers in Höhe von 2.837 € berücksichtigt. Die Anschlussrevision des Klägers ist demzufolge unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

10 1. Zwischen den Beteiligten ist zu Recht nicht streitig, dass es sich bei den geltend gemachten Aufwendungen des Klägers dem Grunde nach um Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 EStG handelt.

11 2. Die Aufwendungen einschließlich der nicht erstatteten Reisekosten sind jedoch nach § 3c EStG vom Abzug ausgeschlossen, da die betreffenden Aufwendungen mit der steuerfreien Dienstaufwandsentschädigung (§ 3 Nr. 12 Satz 2 EStG) in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen.

12 a) Die Antwort auf die Frage, wofür eine Aufwandsentschädigung gezahlt wird, ist dem jeweiligen Bundes- oder Landesgesetz zu entnehmen, in welchem die Zahlung der betreffenden Aufwandsentschädigung vorgesehen ist (, BFHE 157, 526, BStBl II 1990, 119; vom VI R 154/86, BFHE 157, 530, BStBl II 1990, 121; vom VI R 27/88, BFHE 157, 535, BStBl II 1990, 123). Demnach ist im Streitfall auf § 10 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 1 LKomBesVO abzustellen. Gemäß § 10 Abs. 1 LKomBesVO wird eine Dienstaufwandsentschädigung gewährt „als Entschädigung für den durch das Amt allgemein verursachten erhöhten persönlichen Aufwand, dessen Bestreitung aus den Dienstbezügen dem Beamten nicht zugemutet werden kann“. Nach der vom FG vorgenommenen Auslegung ist die Aufwandsentschädigung dazu bestimmt, alle mit dem Dienstverhältnis des Beamten zusammenhängenden Aufwendungen abzugelten, also nicht nur seine Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, Arbeitsmittel, Fortbildungen und sonstigen Werbungskosten, sondern auch die nicht durch die zusätzlich gewährten steuerfreien Reisekostenvergütungen (§ 3 Nr. 13 EStG) abgegoltenen Reisekosten. Soweit das FG Bestand und Inhalt, also auch die Zweckbestimmung des § 10 Abs. 1 LKomBesVO, festgestellt hat, ist der Senat hieran wie an tatsächliche Feststellungen des FG gebunden (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO; Senatsurteile in BFHE 157, 526, BStBl II 1990, 119; in BFHE 157, 530, BStBl II 1990, 121; in BFHE 157, 535, BStBl II 1990, 123, jeweils m.w.N.). Denn bei § 10 Abs. 1 LKomBesVO handelt es sich um Landesrecht. Die Einwände des Klägers gegen die Auslegung des § 10 Abs. 1 LKomBesVO durch das FG können daher keine Beachtung finden.

13 b) Hiernach ist im Streitfall ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang (auch) zwischen den von dem Kläger geltend gemachten Reisekosten und der Dienstaufwandsentschädigung zu bejahen.

14 Da die steuerfreien Einnahmen des Klägers nach den den Senat bindenden Feststellungen der Vorinstanz dazu bestimmt sind, alle mit dem Dienstverhältnis des Klägers zusammenhängenden Aufwendungen abzugelten, stehen die geltend gemachten Werbungskosten dazu in einer klar erkennbaren Beziehung (vgl. , BFHE 148, 460, BStBl II 1989, 351; in BFHE 157, 526, BStBl II 1990, 119). Die Ausgaben des Klägers für seine Berufsausübung als Bürgermeister (wie Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, Arbeitsmittel, Fortbildungskosten und sonstige Kosten) einschließlich der Aufwendungen für dienstlich veranlasste Fahrten und seine Einnahmen gemäß §§ 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 LKomBesVO sind nach Entstehung und Zweckbestimmung so verbunden, dass die Ausgaben ursächlich und unmittelbar auf Vorgänge zurückzuführen sind, die die Einnahmen betreffen. Einerseits ist die Dienstaufwandsentschädigung dem Kläger nur seiner Aufwendungen als Bürgermeister wegen ausgezahlt worden. Andererseits sind ihm nur dieser Tätigkeit wegen die geltend gemachten Aufwendungen einschließlich der nicht erstatteten Reisekosten entstanden.

15 Die Steuerfreiheit der Aufwandsentschädigung hat zur Folge, dass der Arbeitnehmer nur diejenigen Aufwendungen als Werbungskosten geltend machen kann, die diese Entschädigung übersteigen (Senatsurteil in BFHE 157, 526, BStBl II 1990, 119). Dies folgt aus dem Grundgedanken des § 3c EStG, wonach bei steuerfreien Einnahmen kein doppelter steuerlicher Vorteil durch Abzug der damit unmittelbar zusammenhängenden Ausgaben erzielt werden soll (, BFHE 153, 11, BStBl II 1988, 635).

16 Da die beruflich veranlassten Gesamtausgaben des Klägers im Streitfall die steuerfrei ausgezahlte Dienstaufwandsentschädigung nicht übersteigen, konnte die Klage keinen Erfolg haben (im Ergebnis ebenso Senatsurteil in BFHE 157, 526, BStBl II 1990, 119; , juris; Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg vom bzw. 3-S233.7/61; Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach —HHR—, § 3 Nr. 12 EStG Rz 22 „Umfang der Abgeltungswirkung"; Handzik in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 3 Rz 472; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, „Aufwandsentschädigungen“ Rz 57/1; Stache in Horowski/Altehoefer, Kommentar zum Lohnsteuerrecht, § 3 Nr. 12 Rz 62; Ross in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 3 Nr. 12 Rz 4, 27; Offerhaus, Die steuerliche Betriebsprüfung 1989, 291; Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1990, 70; a.A. Schmidt/ Levedag, EStG, 35. Aufl., § 3 Rz 50).

17 c) Entgegen der Ansicht des FG ergibt sich aus § 3 Nr. 13 EStG nichts Abweichendes. Soweit § 3 Nr. 13 EStG als speziellere Vorschrift dem weiteren Anwendungsbereich des § 3 Nr. 12 EStG vorgeht, bedeutet dies zunächst nur, dass sich die Steuerfreiheit von Aufwandsentschädigungen, die aus öffentlichen Kassen als Reisekosten gezahlt werden, (vorrangig) nach § 3 Nr. 13 EStG richtet (HHR/Bergkemper, § 3 Nr. 12 EStG Rz 7; Blümich/ Erhard, § 3 Nr. 12 EStG Rz 1). Jedenfalls in Bezug auf die Reisekosten, die die nach § 3 Nr. 13 EStG steuerfreien Erstattungen übersteigen, ist § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG ergänzend anzuwenden (, juris; im Ergebnis so schon Senatsurteil in BFHE 157, 526, BStBl II 1990, 119; s. auch , BFHE 198, 554, BStBl II 2002, 827, unter II.2.b, und in BFHE 157, 535, BStBl II 1990, 123, unter 2.c; im Ergebnis ebenso Handzik in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 3 Rz 491; Blümich/Erhard, § 3 Nr. 13 EStG Rz 2; a.A. Schmidt/Levedag, a.a.O., § 3 Rz 50 und 54).

18 Dient die Dienstaufwandsentschädigung des § 10 Abs. 1 LKomBesVO —wie das FG bindend festgestellt hat— der Abgeltung des gesamten durch das Amt verursachten persönlichen Aufwands einschließlich der Reisekosten, die nicht durch die nach § 3 Nr. 13 EStG steuerfreie Reisekostenvergütung abgegolten werden, fällt hierunter auch der aufgrund der PKW-Wahl des Klägers entstandene erhöhte Reisekostenaufwand für seine dienstlichen Fahrten im Rahmen seiner Bürgermeistertätigkeit.

19 d) Auch das (BFHE 223, 139, BStBl II 2009, 405) steht dem nicht entgegen. Denn der VIII. Senat des BFH hatte dort lediglich über die Frage zu entscheiden, ob nach einer öffentlich-rechtlichen Satzung geleistete pauschale Reisekostenvergütungen unter die Befreiungsvorschrift des § 3 Nr. 13 EStG fallen. Nicht streitig war, ob eventuell höhere tatsächliche Reisekosten als Werbungskosten abzugsfähig gewesen wären. Solche hatte der dortige Kläger nicht geltend gemacht.

20 3. Die Anschlussrevision ist zurückzuweisen, weil im Streitfall ein über den Ansatz des Arbeitnehmer-Pauschbetrags hinausgehender Werbungskostenabzug nicht in Betracht kommt. Folglich konnte das Begehren des Klägers nach einer weitergehenden Berücksichtigung der geltend gemachten Werbungskosten keinen Erfolg haben.

21 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 und Abs. 2 FGO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2016:U.191016.VIR23.15.0

Fundstelle(n):
BStBl 2017 II Seite 345
BB 2017 S. 85 Nr. 3
BFH/NV 2017 S. 359 Nr. 3
BFH/PR 2017 S. 105 Nr. 4
BStBl II 2017 S. 345 Nr. 8
DB 2017 S. 6 Nr. 1
DStR 2017 S. 6 Nr. 1
DStRE 2017 S. 321 Nr. 6
DStZ 2017 S. 143 Nr. 5
EStB 2017 S. 51 Nr. 2
FR 2017 S. 593 Nr. 12
HFR 2017 S. 117 Nr. 2
KÖSDI 2017 S. 20164 Nr. 2
NWB-Eilnachricht Nr. 3/2017 S. 164
StB 2017 S. 42 Nr. 3
OAAAF-89561