BFH Urteil v. - IX R 4/07 BStBl 2010 II S. 145

Kraftfahrzeugsteuer auch dann Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO); wenn Fahrzeug zwar vor Insolvenzeröffnung verkauft; aber nicht abgemeldet wurde

Leitsatz

Die nach Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer ist auch dann Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn sich das Kraftfahrzeug nicht mehr im Besitz des Schuldners befindet, die Steuerpflicht aber noch andauert (Bestätigung des , BFHE 58, 358, BStBl III 1954, 49).

Gesetze: KraftStG § 5 Abs. 5InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1

Instanzenzug: (EFG 2006, 1367) (Verfahrensverlauf)

Gründe

I.

Die Zulassungsstelle ließ im Jahr 2000 auf den Namen einer Service-GmbH (GmbH) ein Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen . zum Verkehr zu, das —jedenfalls bis zum Jahr 2005— weder abgemeldet noch auf einen anderen Halter umgeschrieben war. Nach einem Schreiben der GmbH an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) verkaufte sie das Fahrzeug im Juni 2001. Über ihr Vermögen wurde . 2004 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger und Revisionskläger (Kläger) zum Insolvenzverwalter bestellt.

Wegen der Änderung der Steuersätze zum erließ das FA am nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) einen Steuerbescheid, den es an den Kläger richtete.

Mit seinem Einspruch machte der Kläger geltend, er sei nicht Steuerschuldner, da sich das Fahrzeug nicht in seinem Besitze befinde und nicht durch die Insolvenzmasse genutzt werde. Einspruch und Klage blieben in diesem Punkt erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vertrat in seinem in Entscheidung der Finanzgerichte 2006, 1367, veröffentlichtem Urteil die Auffassung, die Steuerpflicht dauere nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG ab der Insolvenzeröffnung solange an, als das Fahrzeug nicht abgemeldet werde. Es sei Aufgabe des Insolvenzverwalters und nicht des FA oder der Zulassungsstelle, das Ende der Kraftfahrzeugsteuerpflicht herbeizuführen, und zwar selbst dann, wenn das Fahrzeug nicht mehr Bestandteil der Masse sei.

Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, die er auf die Verletzung von § 34 Abs. 1 und Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) und von § 55 Abs. 1 Nr. 1, 2. Fallgruppe der Insolvenzordnung (InsO) stützt. Die aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG abzuleitende Halterfiktion, von der das FG in Anwendung des (BFHE 58, 358, BStBl III 1954, 49) ausgehe, gelte allenfalls steuerrechtlich, nicht aber insolvenzrechtlich. Das Insolvenzrecht gehe dem Steuerrecht vor; der Fiskus dürfe nicht bevorzugt werden. Einen solchen Vorrang bewirke aber im Ergebnis die Fiktion. Tatsächlich sei das hier streitige Fahrzeug nie Bestandteil der Insolvenzmasse geworden. Deshalb sei die Festsetzung der Steuer als Masseverbindlichkeit unzutreffend.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung vom und den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Während des Revisionsverfahrens hat das FA am hinsichtlich des gesetzlich vorgeschriebenen Tarifwechsels einen geänderten Kraftfahrzeugsteuerbescheid erlassen.

II.

Das angefochtene Urteil ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Es kann keinen Bestand haben; denn es hat über den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom und damit über einen nicht mehr wirksamen Bescheid entschieden (vgl. dazu , BFH/NV 2005, 188, und vom IV R 20/02, BFHE 203, 143, BStBl II 2004, 10).

III.

Der Senat entscheidet nach §§ 100, 121 der Finanzgerichtsordnung auf der Grundlage der bestehen bleibenden Feststellungen in der Sache und weist die Klage ab.

Zutreffend hat das FG das FA als berechtigt angesehen, den Kläger für die ab Insolvenzeröffnung entstehende Kraftfahrzeugsteuer (1.) durch Erlass des angefochtenen Kraftfahrzeugsteuerbescheids in Anspruch zu nehmen (2.).

1. Kraftfahrzeugsteuer ist für das Fahrzeug, um das es hier geht, auch für die Zeit ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden. Die Steuerpflicht dauert nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG bei einem —wie hier— inländischen Fahrzeug, solange das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen ist, wobei die GmbH als die Person, für die das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen ist, Steuerschuldnerin ist (§ 7 Nr. 1 KraftStG). Diese Steuerpflicht der GmbH endet selbst dann nicht, wenn sie —wie behauptet— das Fahrzeug vor Insolvenzeröffnung, nämlich bereits im Jahr 2001, verkauft hätte. Gemäß § 5 Abs. 5 KraftStG endet die Steuerpflicht für den Veräußerer —hier die GmbH— erst in dem Zeitpunkt, in dem die verkehrsrechtlich vorgeschriebene Veräußerungsanzeige bei der Zulassungsstelle eingeht, spätestens mit der Aushändigung des neuen Fahrzeugscheins an den Erwerber. Da diese Voraussetzungen im Streitfall nach den Feststellungen des FG nicht vorlagen, dauerte die Steuerpflicht der GmbH an.

2. Der Kläger muss als Insolvenzverwalter nach § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO die Steuer aus der Insolvenzmasse bezahlen.

a) Nach diesen Vorschriften hat der Insolvenzverwalter die steuerlichen Pflichten zu erfüllen, soweit seine Verwaltung reicht. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am…2004 ging das Recht der GmbH, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten, auf den Kläger als Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Das Insolvenzverfahren erfasst nach § 35 InsO u.a. das gesamte Vermögen, das dem Schuldner (der GmbH) zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört.

b) Zu dieser Insolvenzmasse gehört auch die Rechtsposition als Halter des Fahrzeugs, so dass der Kläger die Steuer als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO schuldet. Da die Kraftfahrzeugsteuer weder durch eine Handlung noch durch ein Unterlassen des Insolvenzverwalters entsteht, sondern kraft Gesetzes begründet wird (siehe 1.), ist sie eine Verbindlichkeit, die durch die Verwaltung der Insolvenzmasse begründet wurde (§ 55 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alternative InsO).

aa) Nach den Grundsätzen des BFH-Urteils in BFHE 58, 358, BStBl III 1954, 49, muss der Insolvenzverwalter auch solche Gegenstände verwalten, die zwar nicht rechtlich zur Insolvenzmasse gehören, sich aber in der Masse befinden, weil sie z.B. zur Verwendung im Geschäft des Schuldners bestimmt sind (vgl. zum Umfang der Insolvenzmasse bei einem Untermnehmen auch Henckel in Jaeger, Insolvenzordnung (2004), § 35 Rz 9). Dasselbe gilt für ein Kraftfahrzeug, das zwar tatsächlich von einem anderen gehalten wird, aber aufgrund einer unwiderlegbaren Rechtsvermutung noch als vom Schuldner gehalten gilt. Eine derartige Haltervermutung enthält das Kraftfahrzeugsteuergesetz. Es stellt die unwiderlegbare Vermutung auf, dass das Fahrzeug von demjenigen, für den es zugelassen ist, bis zum Eingang der Anzeige über den Übergang bei der Zulassungsstelle (siehe die Ausführungen zu 1.) gehalten wird.

bb) An dieser vom BFH im Urteil in BFHE 58, 358, BStBl III 1954, 49, zur Konkursordnung herausgearbeiteten Rechtsvermutung hält der erkennende Senat auch unter Geltung der Insolvenzordnung fest. Zunächst hat sich die Rechtslage gegenüber derjenigen, die Grundlage der Entscheidung von 1953 war, nicht wesentlich geändert. Dies gilt für das Kraftfahrzeugsteuergesetz (vgl. das BFH-Urteil in BFHE 58, 358, BStBl II 1954, 49, zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift § 8 KraftStG 1935; vgl. zu § 5 Abs. 5 KraftStG auch Strodthoff, Kraftfahrzeugsteuer, § 5 Rz 44) ebenso wie für die Insolvenzrechtslage: Die insoweit maßgebenden Bestimmungen der Konkursordnung (§§ 1, 6, 59, 117) unterscheiden sich —jedenfalls soweit hier von Interesse— nur unwesentlich von denjenigen der Insolvenzordnung (§§ 35, 55, 80, 148), so dass die Entscheidung von 1953 auf den Streitfall übertragen werden kann.

cc) Steuergegenstand des Kraftfahrzeugsteuergesetzes ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG neben weiteren hier nicht bedeutsamen Tatbeständen (wie z.B. die widerrechtliche Benutzung von Fahrzeugen) das Halten von inländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen. Da das Kraftfahrzeugsteuergesetz sich in seinen Begriffsbestimmungen an den jeweils geltenden verkehrsrechtlichen Vorschriften orientiert (§ 2 Abs. 2 KraftStG) und die Dauer der (subjektiven) Steuerpflicht davon abhängig macht, wer Adressat der verkehrsrechtlichen Zulassung (vgl. § 1 des Straßenverkehrsgesetzes) ist, geht es davon aus, dass derjenige, auf den das Fahrzeug zugelassen ist, auch Halter des Fahrzeuges ist und damit das Kraftfahrzeug für eigene Rechnung in Gebrauch hat und die Verfügungsgewalt besitzt (vgl. grundlegend zum Halterbegriff Bundesgerichtshof —BGH—, Urteil vom VI ZR 111/53, BGHZ 13, 351). Es kommt für das Kraftfahrzeugsteuergesetz also nicht darauf an, ob das Fahrzeug veräußert wurde, solange nicht eine verkehrsrechtlich vorgeschriebene Veräußerungsanzeige bei der Zulassungsstelle eingeht. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob der Veräußerer das Fahrzeug noch nutzt. Das Gesetz stellt mithin eine Haltervermutung auf, die nicht durch den Vortrag widerlegt werden kann, ein anderer als der Zulassungsempfänger nutze das Fahrzeug oder sei dessen Eigentümer.

dd) Dieses unwiderlegbar rechtsvermutete Halten des Fahrzeugs gilt nicht nur für die Anwendung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes, sondern auch bei der Auslegung der insolvenzrechtlichen Normen mit der Folge, dass das Fahrzeug zur Insolvenzmasse (§ 35 InsO) gehört und die nach Insolvenzeröffnung entstehende Kraftfahrzeugsteuer Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist.

(1) Der von der Revisionsbegründung herausgestellte Vorrang des Insolvenzrechts gegenüber dem Steuerrecht bedeutet —wie zur Zeit der Konkursordnung— nicht, das Insolvenzrecht ginge dem Steuerrecht schlechthin vor, sondern nur, dass Steuerforderungen gegen den Insolvenzschuldner oder die Insolvenzmasse nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens lediglich nach den Regeln der Insolvenzordnung geltend gemacht werden können (siehe § 251 Abs. 2 Satz 1 AO; vgl. dazu Bringewat/Waza, Insolvenz und Steuern, 6. Aufl., 2004, Rz 143, m.w.N.). Allein nach Steuerrecht richtet sich aber, wann die Steuer (als Rechtsgrund i.S. der Insolvenzordnung) entsteht: Entsteht sie nach Verfahrenseröffnung, so ist die Steuerverbindlichkeit Masseverbindlichkeit (einhellige Auffassung, vgl. z.B. MünchKommInsO-Hefermehl, § 55 Rz 70, 78; Braun/Bäuerle, InsO, 2. Aufl., § 55 Rz 16; Uhlenbruck/Berscheid in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Aufl., § 55 Rz 37).

(2) Zwar werden die Vorschriften des Kraftfahrzeugsteuergesetzes durch die Vorschriften der Insolvenzordnung überlagert und modifiziert: Der Steuerfiskus darf nach dem Rechtsgedanken, der dem Insolvenzrecht zugrunde liegt, aufgrund der steuerrechtlichen Regelungen keinen Vorteil gegenüber anderen Insolvenzgläubigern erlangen - aber auch keinen Nachteil. Deshalb ist die nach Verfahrenseröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer aus der Masse zu befriedigen, wenn das Fahrzeug für die Masse genutzt wird, anderenfalls bei Nutzung außerhalb der Masse aus dem insolvenzfreien Vermögen (so , BFHE 207, 371, BStBl II 2005, 309, m.w.N.). Das unwiderlegbar rechtsvermutete Halten des Fahrzeugs führt zu einer gesetzlich unterstellten Verwendungsmöglichkeit des Fahrzeugs „im Geschäft” des Schuldners (so BFH-Urteil in BFHE 58, 358, BStBl III 1954, 49) und damit im Rahmen der Insolvenzmasse.

(3) Wollte man die unwiderlegbare Vermutung nicht auch im Insolvenzrecht gelten lassen, würde der Steuerfiskus gegenüber anderen Insolvenzgläubigern schlechter gestellt. Denn er darf dem Einwand des Steuerschuldners nicht nachgehen, er habe das Fahrzeug verkauft und/oder halte es nicht mehr. Das FA kann von sich aus —abgesehen von den Fällen des § 14 KraftStG— die Dauer der Steuerpflicht nicht beeinflussen und den Übergang der Steuerpflicht auf den Erwerber nicht herbeiführen. Damit steht der Steuerfiskus so, wie er stünde, wenn er aufgrund eines Dauerschuldverhältnisses berechtigt und verpflichtet wäre. Auch in diesem Fall sind die für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu erfüllenden Verbindlichkeiten bis zur —gegebenenfalls nach § 109 InsO— ausgesprochenen Kündigung durch den Insolvenzverwalter Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO), selbst wenn die Gegenleistung vom Insolvenzverwalter nicht in Anspruch genommen werden kann (vgl. dazu MünchKommInsO-Hefermehl, § 55 Rz 140). Es ist mithin Aufgabe des Insolvenzverwalters, durch Abgabe einer verkehrsrechtlich vorgeschriebenen Veräußerungsanzeige bei der Zulassungsstelle die Dauer der Steuerpflicht zu beenden. Lediglich eine Freigabe reicht dazu nicht aus. Unbeschadet ihrer insolvenzrechtlichen Zulässigkeit (vgl. dazu , BGHZ 163, 32; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 3. Aufl., Rz 13.14 ff., m.w.N.) änderte sie an der rechtsvermuteten Halterzuordnung nichts. Dies geschieht erst, wenn der Insolvenzverwalter der Meldepflicht des § 27 Abs. 3 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (—StVZO—; ab dem gelten entsprechende Mitteilungspflichten nach §§ 13, 14 Fahrzeug-Zulassungsverordnung —FZV— vom , BGBl I 2006, 988, z.B. § 13 Abs. 4 FZV beim Halterwechsel oder § 14 FZV bei Außerbetriebsetzung) nachkommt (vgl. dazu Hentschel, Straßenverkehrsrecht, § 27 StVZO Rz 24 ff.).

3. Nach diesen Grundsätzen ist die angefochtene Entscheidung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das FA durfte den Kläger für die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Kraftfahrzeugsteuer durch den angefochtenen Steuerbescheid unabhängig davon in Anspruch nehmen, ob die GmbH das Fahrzeug bereits vor der Eröffnung veräußerte und/oder weiterhin dessen Halterin war.

Fundstelle(n):
BStBl 2010 II Seite 145
BB 2007 S. 2446 Nr. 45
BFH/NV 2007 S. 2429 Nr. 12
BStBl II 2010 S. 145 Nr. 2
DB 2007 S. 2576 Nr. 47
DStRE 2008 S. 116 Nr. 2
HFR 2007 S. 1222 Nr. 12
KÖSDI 2008 S. 15924 Nr. 3
NWB-Eilnachricht Nr. 44/2007 S. 3856
StB 2007 S. 444 Nr. 12
StBW 2007 S. 5 Nr. 23
StuB-Bilanzreport Nr. 22/2007 S. 873
ZIP 2007 S. 2081 Nr. 44
IAAAC-61545