BGH Beschluss v. - VI ZB 26/21

Anhörungsrüge: Einfluss auf den Ablauf prozessualer Fristen

Leitsatz

Die Erhebung einer Anhörungsrüge hat keinen Einfluss auf den Ablauf prozessualer Fristen und hindert den Eintritt der formellen Rechtskraft nicht (hier: Frist zur Einlegung der Berufung).

Gesetze: § 321a ZPO, § 517 ZPO

Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 2-01 S 143/20vorgehend AG Frankfurt Az: 29 C 1318/20 (11)

Gründe

I.

1Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Das Urteil ist dem Kläger am zugestellt worden.

2Der Kläger hat Anhörungsrüge erhoben und sich sowohl gegen die Entscheidung in der Sache als auch gegen die Nichtzulassung der Berufung gewandt. Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht die Anhörungsrüge zurückgewiesen. Dieser Beschluss ist dem Kläger am zugestellt worden.

3Der Kläger hat gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung eingelegt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die Berufung als unzulässig verworfen. Die Berufungsschrift sei erst nach Ablauf der Frist zur Einlegung der Berufung (Montag, den ) am eingegangen. Das Rechtsmittel sei daher verfristet. Es könne dahinstehen, ob trotz Nichterreichens der Beschwerdesumme nach der Erschöpfung des Ergänzungsverfahrens gemäß § 321a ZPO ausnahmsweise die Möglichkeit der Berufung grundsätzlich offenstehen könnte. Eine verspätete Einlegung der Berufung könne auf diesem Wege nicht geheilt werden. Der Kläger sei mit Schreiben vom auf die Verfristung der Berufung und deren Unzulässigkeit hingewiesen worden. Die darauf folgende Stellungnahme des Klägers gebe dem Gericht keinen Anlass, von seiner Ansicht abzuweichen. Der Kläger trage zwar zur Beschwer vor, nicht jedoch zur Einhaltung der Berufungsfrist. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht gestellt worden und ergebe sich auch nicht aus sonstigen Anhaltspunkten.

II.

4Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, da eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts - anders als der Kläger meint - weder zur Rechtsfortbildung noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, 1. und 2. Alt. ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt auch den Anspruch des Klägers auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) nicht.

51. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat die Frist zur Einlegung der Berufung mit Zustellung des Urteils des Amtsgerichts begonnen (§ 517 ZPO) und nicht erst mit Zustellung der Entscheidung des Amtsgerichts über die Anhörungsrüge. Die Erhebung einer Anhörungsrüge hat keinen Einfluss auf den Ablauf prozessualer Fristen und hindert den Eintritt der formellen Rechtskraft nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 37/21, NJW-RR 2022, 346 Rn. 7; vom - VIII ZB 80/20, juris Rn. 15; vom - IV ZB 2/09, juris Rn. 12; BAGE 168, 235 Rn. 8; MünchKomm-ZPO/Musielak, 6. Aufl., ZPO § 321a Rn. 6 a.E.; jew. mwN).

6Abweichendes ergibt sich entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht daraus, dass die Frist zur Erhebung und Begründung einer Verfassungsbeschwerde (§ 93 Abs. 1 BVerfGG), mit der die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend gemacht wird, mit Bekanntgabe der fachgerichtlichen Entscheidung über die Anhörungsrüge beginnt. Denn erst nach Durchführung des Anhörungsrügeverfahrens ist in diesem Fall gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG der Rechtsweg erschöpft (siehe dazu BVerfGE 134, 106 Rn. 22 mwN; BVerfG [K], Beschluss vom - 2 BvR 1880/21, juris Rn. 2; O. Klein, in: Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht 4. Aufl., Rn. 604, 633 ff.; Hettche, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl., § 93 BVerfGG Rn. 16). Demgegenüber setzt eine Berufung, auch wenn sie auf die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gestützt wird, nicht die Durchführung des Anhörungsrügeverfahrens voraus. Vielmehr ist das Anhörungsrügeverfahren gemäß § 321a Abs. 1 Nr. 1 ZPO nur statthaft, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist (vgl. , BGHZ 161, 343, 346 [juris Rn. 9]; BAGE 168, 235 Rn. 6 f.).

72. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hätte dem Kläger durch das Berufungsgericht nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden müssen. Denn es ist schon nicht dargelegt (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO) und auch sonst nicht ersichtlich (§ 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO), dass der Kläger ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Frist zur Einlegung der Berufung gehindert gewesen ist. Vom Rechtsanwalt, an den insoweit hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen sind, wird die Kenntnis des Rechtsmittelsystems der Zivilprozessordnung erwartet. Zugleich ist es seine Aufgabe, alle gesetzlichen Anforderungen an die Zulässigkeit des danach bestimmten Rechtsmittels in eigener Verantwortung zu prüfen und dafür Sorge zu tragen, dass dieses Rechtsmittel innerhalb der jeweils gegebenen Rechtsmittelfrist bei dem zuständigen Gericht eingeht (vgl. , NJW-RR 2022, 346 Rn. 9). Die Rechtslage, wonach die Frist zur Einlegung der Berufung mit der Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils begonnen hat und die Einlegung der Anhörungsrüge keinen Einfluss auf den Beginn und Lauf dieser prozessualen Frist hatte, war eindeutig (oben II.1.).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:140622BVIZB26.21.0

Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 10 Nr. 31
YAAAJ-17540