BAG Urteil v. - 10 AZR 549/18

Verzugszinsen auf Sozialkassenbeiträge

Leitsatz

1. Der tarifliche Zinssatz auf ausstehende Sozialkassenbeiträge in der Bauwirtschaft in Höhe von 1 % der Beitragsforderung für jeden angefangenen Monat des Verzugs ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Er verstößt weder gegen Grundrechte noch gegen § 138 BGB.

2. Der Gesetzgeber ist gehalten und befugt, das System der Tarifautonomie auszugestalten. Er kann Rechtsformen schaffen und ändern, durch die die Geltung von Tarifverträgen auf Außenseiter erstreckt wird.

Gesetze: § 184 BGB, § 286 ZPO, § 286 Abs 4 BGB, § 4 Abs 1 S 1 TVGDV, § 288 Abs 1 BGB, § 288 Abs 2 BGB, § 138 BGB, Art 3 Abs 1 GG, § 7 SokaSiG, Art 9 Abs 3 GG, § 5 Abs 4 TVG, § 20 Abs 1 VTV-Bau, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG

Instanzenzug: ArbG Wiesbaden Az: 10 Ca 555/17 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 10 Sa 765/18 SK Urteilnachgehend Az: 1 BvR 2811/19 Beschluss

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Verzugszinsen auf Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft.

2Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft verpflichtet. Er verlangt vom Beklagten 1 % Zinsen für jeden angefangenen Monat auf Beiträge für den Zeitraum vom 21. Februar bis zum iHv. noch 58,38 Euro auf der Grundlage des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom in der Fassung vom (VTV 2014). Den Zinsen liegen Beiträge für den Zeitraum von Januar bis Mai 2015 zugrunde. Im Einzelnen macht der Kläger auf Beiträge für den Monat Januar 2015 iHv. 400,33 Euro Zinsen für fünf angefangene Monate iHv. jeweils 4,00 Euro geltend. Auf Beiträge für den Monat Februar 2015 iHv. 363,94 Euro verlangt der Kläger Zinsen für vier angefangene Monate iHv. jeweils 3,64 Euro. Zinsen für drei angefangene Monate iHv. jeweils 4,00 Euro fordert der Kläger vom Beklagten auf Beiträge iHv. 400,33 Euro für den Monat März 2015. Auf Beiträge für den Monat April 2015 iHv. 400,33 Euro verlangt der Kläger Zinsen für zwei angefangene Monate iHv. jeweils 4,00 Euro. Weitere Zinsen iHv. 3,82 Euro für einen angefangenen Monat macht der Kläger auf Beiträge für den Monat Mai 2015 geltend, die sich auf 382,13 Euro belaufen.

3Der nicht verbandsangehörige Beklagte unterhält im hessischen G einen Gewerbebetrieb, in dem Vollwärmeschutzarbeiten, Maurerarbeiten, Renovierungsarbeiten und sonstige Ausbauarbeiten ausgeführt werden.

4Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte unterfalle dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV 2014. Aufgrund des SokaSiG, das verfassungsgemäß sei, sei der Beklagte an den VTV 2014 gebunden. Der Beklagte habe sich mit der Beitragszahlung in Verzug befunden und schulde Verzugszinsen auf die nicht entrichteten Beiträge.

5Der Kläger hat zuletzt beantragt,

6Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat gemeint, nicht an den VTV 2014 gebunden zu sein. Die maßgebliche Allgemeinverbindlicherklärung sei unwirksam. Das SokaSiG sei verfassungswidrig.

7Das Arbeitsgericht hat der Klage auf der Grundlage des SokaSiG stattgegeben und die Berufung zugelassen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte weiterhin sein Ziel, dass die Klage abgewiesen wird.

Gründe

8Die Revision ist unbegründet.

9A. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Berufung des Beklagten zulässig ist.

10I. Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessfortsetzungsvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung. Sie ist vom Revisionsgericht deshalb von Amts wegen zu prüfen (st. Rspr., vgl.  - Rn. 12; - 10 AZR 278/17 - Rn. 13 mwN). Das gilt auch dann, wenn das Berufungsgericht das Rechtsmittel für zulässig gehalten hat. Zu den vom Senat zu prüfenden Voraussetzungen gehört auch die Statthaftigkeit der Berufung ( - Rn. 8 mwN).

11II. Der Statthaftigkeit der Berufung steht nicht entgegen, dass der Beklagte durch das erstinstanzliche Urteil nur iHv. 58,38 Euro beschwert war, die Grenze von 600,00 Euro nach § 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG also nicht überschritten ist. Die Berufung ist nach § 64 Abs. 2 Buchst. a ArbGG statthaft, weil das Arbeitsgericht sie zugelassen hat.

12III. Entgegen der Ansicht des Klägers hat der Beklagte die Berufung ausreichend begründet. Die Berufungsbegründung setzt sich ausführlich mit der Verfassungsmäßigkeit des SokaSiG auseinander. Darin liegt ein Berufungsangriff auf ein tragendes Argument des arbeitsgerichtlichen Urteils. Er ist geeignet, der angegriffenen Entscheidung die Tragfähigkeit zu nehmen, und genügt daher den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO (vgl.  - Rn. 18; - 10 AZR 275/16 - Rn. 12 f. mwN). Unschädlich ist, dass die Berufungsbegründung den Anspruch auf Prozesszinsen nach § 291 BGB nicht behandelt. Im Urteil des Arbeitsgerichts finden sich zu diesem Anspruch außer dem Normzitat keine Ausführungen. Es handelt sich um keine selbstständig tragende Begründung des Urteils, die anzugreifen gewesen wäre (vgl.  - Rn. 19; - 10 AZR 275/16 - Rn. 14 mwN).

13B. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat Anspruch auf die geltend gemachten Verzugszinsen. Der Anspruch ergibt sich aus § 20 Abs. 1 VTV 2014. An ihn ist der Beklagte sowohl nach § 5 Abs. 4 TVG iVm. der Allgemeinverbindlicherklärung vom (BAnz. AT B3; AVE VTV 2015) als auch nach § 7 Abs. 2 iVm. Anlage 27 SokaSiG gebunden.

14I. Der Kläger hat die zulässige Klage nicht geändert, indem er die Zinsforderungen zunächst allein auf die AVE VTV 2015 und später auch auf § 7 SokaSiG gestützt hat. Zinsansprüche nach dem VTV, für dessen Geltungserstreckung sowohl eine Allgemeinverbindlicherklärung als auch § 7 SokaSiG in Betracht kommen, werden von demselben den Streitgegenstand umgrenzenden Lebenssachverhalt erfasst ( - Rn. 30 mwN).

15II. Ungeachtet der fehlenden Tarifbindung ist der Beklagte an den VTV 2014 nach § 5 Abs. 4 TVG gebunden. Der Senat hat die Allgemeinverbindlicherklärung des VTV 2014 für wirksam befunden ( - Rn. 51 ff., BAGE 162, 166). Der Beschluss wirkt nach § 98 Abs. 4 Satz 1 ArbGG für und gegen jedermann und damit auch für und gegen den Beklagten.

161. Der Geltungsbereich des VTV 2014 ist eröffnet.

17a) Der im hessischen G gelegene Betrieb des Beklagten unterfällt dem räumlichen Geltungsbereich des VTV 2014 (§ 1 Abs. 1 VTV 2014). Die vom Beklagten beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer werden vom persönlichen Geltungsbereich des VTV 2014 erfasst (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VTV 2014).

18b) Der betriebliche Geltungsbereich ist nach § 1 Abs. 2 VTV 2014 eröffnet. Im Betrieb des Beklagten werden arbeitszeitlich überwiegend bauliche Leistungen nach § 1 Abs. 2 VTV 2014 ausgeführt.

19aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats wird ein Betrieb vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst, wenn in ihm arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt werden, die unter die Abschnitte I bis V des § 1 Abs. 2 VTV fallen. Betriebe, die überwiegend eine oder mehrere der in den Beispielen des § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV genannten Tätigkeiten versehen, fallen unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV, ohne dass die Erfordernisse der allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III geprüft werden müssen. Nur wenn in dem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend nicht die in den Abschnitten IV und V genannten Beispielstätigkeiten versehen werden, muss darüber hinaus untersucht werden, ob die ausgeführten Tätigkeiten die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III erfüllen ( - Rn. 30; - 10 AZR 559/17 - Rn. 15; - 10 AZR 318/17 - Rn. 18).

20bb) Im Betrieb des Beklagten werden zeitlich überwiegend Tätigkeiten nach § 1 Abs. 2 VTV 2014 verrichtet. Der Kläger ist der Einlassung des Beklagten, er unterhalte einen Betrieb, in dem Vollwärmeschutzarbeiten, Maurerarbeiten, Renovierungsarbeiten und sonstige Ausbauarbeiten ausgeführt würden, nicht entgegengetreten. Trotz der beim Kläger liegenden Darlegungs- und Beweislast und unbeschadet des Umstands, dass der Kläger in der Berufungsinstanz zunächst von einem Fliesenlegerbetrieb ausgegangen ist, konnte das Landesarbeitsgericht seine Entscheidung auf diesen Vortrag stützen. Im Weg der freien Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO war es möglich, die vom Beklagten eingeführten Tatsachen zu berücksichtigen (vgl.  - Rn. 10; Zöller/Greger ZPO 32. Aufl. § 288 Rn. 3a).

21cc) Die einzelnen vom Beklagten geschilderten Tätigkeiten stellen baugewerbliche Tätigkeiten iSv. § 1 Abs. 2 VTV 2014 dar.

22(1) Vollwärmeschutzarbeiten unterfallen dem betrieblichen Geltungsbereich kumulativ oder alternativ nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 9, Nr. 12 und Nr. 40 VTV 2014 ( - zu II 1 b aa der Gründe).

23(2) Maurerarbeiten werden nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 23 VTV 2014 vom betrieblichen Geltungsbereich erfasst.

24(3) Renovierungsarbeiten unterfallen dem betrieblichen Geltungsbereich als Dämm-/Isolierarbeiten (§ 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 9 VTV 2014), als Estricharbeiten (§ 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 11 VTV 2014), als Fassadenbauarbeiten (§ 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 12 VTV 2014), als Fugarbeiten (§ 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 16 VTV 2014), als Maurerarbeiten (§ 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 23 VTV 2014), als Trocken- und Montagebauarbeiten (§ 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 VTV 2014) oder als Bodenverlegearbeiten im Zusammenhang mit anderen baulichen Leistungen (§ 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 38 VTV 2014). Jedenfalls ist der betriebliche Geltungsbereich aufgrund von baulichen Leistungen iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV 2014 eröffnet. Renovierungsarbeiten sind bauliche Leistungen, die dazu dienen, Bauwerke instand zu setzen. Mit Blick auf die verwendeten Werkstoffe, Arbeitsmittel und Arbeitsmethoden des Baugewerbes sind die Arbeiten baulich geprägt (vgl.  - Rn. 21).

25(4) Ausbauarbeiten unterfallen als Trocken- und Montagebauarbeiten dem betrieblichen Geltungsbereich nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 VTV 2014, jedenfalls aber nach § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV 2014. Die Tätigkeiten dienen dazu, Bauwerke zu erstellen, instand zu halten oder zu ändern und sie ihrem bestimmungsgemäßen Zweck zuzuführen ( - Rn. 13). Darüber hinaus sind die Arbeiten baulich geprägt.

262. Die Voraussetzungen für die Zahlung von Verzugszinsen nach § 20 Abs. 1 VTV 2014 sind erfüllt. Danach hat die Einzugsstelle Anspruch auf Verzugszinsen iHv. 1 % der Beitragsforderung für jeden angefangenen Monat, in dem sich der Arbeitgeber mit der Zahlung des Sozialkassenbeitrags oder des Beitrags für Angestellte in Verzug befindet.

27a) Der Beklagte schuldet auf Eigenmeldungen beruhende Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer iHv. jeweils 400,33 Euro für die Monate Januar, März und April 2015, iHv. 363,94 Euro für Februar 2015 und iHv. 382,13 Euro für Mai 2015. Der Kläger ist nach § 3 Abs. 3 Satz 1 VTV 2014 Einzugsstelle für die Beitragsforderungen.

28b) Der Beklagte war mit der Zahlung der Beiträge nach Eintritt der Fälligkeit mindestens bis zum in Verzug.

29aa) Ob sich der Beklagte in Verzug befand, ist am Maßstab von § 286 BGB zu beurteilen. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien den Begriff des Verzugs als Fachbegriff in seiner in fachlichen Kreisen bestimmten Bedeutung verwenden wollten ( - Rn. 52).

30bb) Der Verzug des Beklagten ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der AVE VTV 2015 Rückwirkung zukommt und die Beitragsansprüche in den Rückwirkungszeitraum fallen. Die zu § 184 BGB entwickelten Grundsätze, wonach im Rückwirkungszeitraum kein Verzug entstehen könne, sind auf die AVE VTV 2015 nicht übertragbar.

31(1) In der Rechtsprechung und in der Literatur wird angenommen, dass der Schuldner im Fall einer nach § 184 Abs. 1 BGB rückwirkenden Genehmigung in der Zeit bis zum Zugang der Genehmigungserklärung nicht in Verzug komme. Da in der Schwebezeit kein klagbarer Anspruch bestanden habe, könne der Schuldner nur „ex nunc“, dh. frühestens ab dem Zeitpunkt der Genehmigung, in Verzug geraten (OLG Rostock - 1 U 350/94 - zu A e der Gründe;  - zu II 1 der Gründe; BeckOK BGB/Bub Stand § 184 Rn. 9; BeckOGK/Regenfus Stand BGB § 184 Rn. 66; Palandt/Ellenberger 78. Aufl. § 184 Rn. 2; MüKoBGB/Bayreuther 8. Aufl. § 184 Rn. 13; Erman/Maier-Reimer BGB 15. Aufl. § 184 Rn. 15; Trautwein in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger jurisPK-BGB 8. Aufl. § 184 Rn. 24; Staudinger/Gursky [2014] § 184 Rn. 38).

32(2) Diese Erwägungen sind aus Sicht des Senats nicht auf die AVE VTV 2015 übertragbar.

33(a) Die Vorschrift des § 184 BGB betrifft die nachträgliche Zustimmung zu einem zustimmungsbedürftigen Rechtsgeschäft. Das Rechtsgeschäft ist bis zur Erteilung der Genehmigung schwebend unwirksam. Die am Rechtsgeschäft Beteiligten dürfen im Fall der Zustimmungsbedürftigkeit nicht davon ausgehen, dass das Rechtsgeschäft wirksam werden wird.

34(b) Demgegenüber handelt es sich bei der AVE VTV 2015 um einen staatlichen Rechtsakt. Sie hat die Geltung des VTV 2014 mit Wirkung zum angeordnet. Damit kommt dieser Geltungsanordnung zwar ebenfalls Rückwirkung zu. Im Unterschied zu einem schwebend unwirksamen Rechtsgeschäft war mit der Rückbeziehung der Allgemeinverbindlicherklärung zu rechnen. Betroffene müssen jedenfalls dann mit der rückwirkenden Geltungsanordnung rechnen, wenn ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird, der einen geltenden allgemeinverbindlichen Tarifvertrag erneuert oder ändert. Bei dieser Sachlage müssen die Tarifgebundenen nicht nur mit einer Allgemeinverbindlicherklärung des Folgetarifvertrags, sondern auch mit der Rückbeziehung der Allgemeinverbindlicherklärung auf den Zeitpunkt seines Inkrafttretens rechnen (st. Rspr., vgl.  - Rn. 19; - 10 AZR 744/11 - Rn. 20; - 3 AZR 102/06 - Rn. 27, BAGE 124, 1). Dies gilt umso mehr, wenn der Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung in Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung zur Durchführung des Tarifvertragsgesetzes (DVO TVG) bekannt gemacht und auf die mögliche Rückwirkung hingewiesen wurde.

35(c) Für die AVE VTV 2015 sind diese Voraussetzungen erfüllt. Der VTV 2014 erneuert den VTV vom in der Fassung vom . Der Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung wurde am im Bundesanzeiger mit dem Hinweis auf die mögliche Rückwirkung der Allgemeinverbindlicherklärung bekannt gemacht (BAnz. AT B4).

36cc) Der Beklagte befand sich jeweils nach dem 20. eines Monats mit den Beiträgen für den Vormonat in Verzug. Die im Streitfall erheblichen Beiträge wurden nach § 18 Abs. 1 Satz 1 VTV 2014 jeweils am 20. des Folgemonats fällig. Damit ist der Termin für die Leistung kalendermäßig bestimmt. Eine Mahnung war nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB entbehrlich. Verzug trat jeweils ab dem Folgetag der Fälligkeit ein ( - Rn. 58; - 5 AZR 767/13 - Rn. 38, BAGE 152, 315).

37dd) Der Beklagte unterließ schuldhaft, die Beiträge zu leisten.

38(1) Nach § 286 Abs. 4 BGB kommt der Schuldner nicht in Verzug, solange die Leistung aufgrund eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Zu vertreten hat der Schuldner nach § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses zu entnehmen ist. Der Gesetzgeber hat das fehlende Verschulden als Einwand ausgestaltet, für den der Schuldner darlegungs- und beweispflichtig ist. Er ist gehalten, im Einzelnen darzulegen und ggf. zu beweisen, dass die geschuldete Leistung zum Fälligkeitszeitpunkt unterblieben ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft ( - Rn. 61; - 4 AZR 167/09 - Rn. 49; - 3 AZR 171/07 - Rn. 31).

39(2) Ein Verschulden ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Beklagte davon ausgehen durfte, nicht zur Leistung von Beiträgen verpflichtet zu sein. Er kann sich insbesondere nicht auf einen unverschuldeten Rechtsirrtum berufen. Die strengen Anforderungen sind in Bezug auf die AVE VTV 2015 nicht erfüllt (vgl. dazu  - Rn. 63 mwN). Der Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung wurde am bekannt gemacht. Die Bekanntmachung enthielt den Hinweis auf eine mögliche Rückwirkung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 DVO TVG. Die Verfahrenstarifverträge waren in der Vergangenheit lückenlos für allgemeinverbindlich erklärt worden. Der Beklagte durfte im Verzugszeitraum deshalb nicht davon ausgehen, nicht der Beitragspflicht zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft zu unterliegen.

40c) Der Zinssatz von 1 % für jeden angefangenen Monat ist aus Sicht des Senats mit höherrangigem Recht vereinbar.

41aa) Den Tarifvertragsparteien ist es nicht verwehrt, für den Fall des Verzugs mit tariflichen Leistungen einen höheren als den gesetzlichen Zinssatz zu vereinbaren. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 und Abs. 2 BGB sind insoweit dispositiv ( - zu B IV 1 der Gründe; MüKoBGB/Ernst 8. Aufl. § 288 Rn. 40). § 288 Abs. 6 BGB beschränkt die Vertragsfreiheit der Parteien im Hinblick auf die Möglichkeiten, die Ansprüche auf Verzugszinsen, auf die Pauschale nach § 288 Abs. 5 BGB und den Ersatz von Beitreibungskosten ganz oder teilweise abzubedingen. Es bleibt ihnen jedoch unbenommen, strengere Regelungen zu treffen. Auch die der Vorschrift zugrunde liegende Richtlinie 2011/7/EU lässt eine Verschärfung zulasten des Schuldners zu. Nach Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2011/7/EU können die Mitgliedstaaten Vorschriften beibehalten oder erlassen, die für den Gläubiger günstiger sind als die zur Erfüllung der Richtlinie notwendigen Maßnahmen.

42bb) Der Zinssatz von 1 % für jeden angefangenen Monat kollidiert nicht mit dem Grundgesetz, insbesondere nicht mit Grundrechten.

43(1) Der Senat kann offenlassen, ob nur die AVE VTV 2015 oder auch die Tarifnorm des § 20 Abs. 1 VTV 2014 am Maßstab der Grundrechte zu prüfen ist.

44(a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind die Tarifvertragsparteien nicht unmittelbar grundrechtsgebunden. Daher besteht nur eine zurückgenommene Prüfungsdichte durch die Gerichte ( - Rn. 33 ff., BAGE 163, 144; - 10 AZR 856/15 - Rn. 29). Diese Rechtsprechung ist im Streitfall nicht maßgeblich, weil es sich um einen für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag handelt.

45(b) Im Zusammenhang mit allgemeinverbindlichen Tarifverträgen gilt ein strengerer Prüfungsmaßstab. Hier hat eine Prüfung unmittelbar am Maßstab der Grundrechte zu erfolgen. Da eine Allgemeinverbindlicherklärung einen staatlichen Rechtsakt darstellt, ist der Staat dabei nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden. Umstritten ist, ob sich die Bindung nur auf die Allgemeinverbindlicherklärung selbst beschränkt oder sie auch die für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge erfasst.

46(aa) Das Bundesverfassungsgericht ist davon ausgegangen, dass die für allgemeinverbindlich erklärten Tarifnormen der Bindung an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG unterliegen. Bei der Normsetzung durch die Tarifvertragsparteien handle es sich um Gesetzgebung im materiellen Sinn. Nach der Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags kämen dessen Rechtsnormen auch für die nicht organisierten Arbeitgeber und Arbeitnehmer, soweit sie unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fielen, zur Geltung (, 1 BvR 439/79 - zu B II 1 der Gründe, BVerfGE 55, 7; vgl. auch  - Rn. 67, BAGE 164, 201; - 10 AZR 371/92 - zu II 4 der Gründe, BAGE 74, 226).

47(bb) Teile der Literatur gehen deshalb davon aus, dass Prüfungsgegenstand auch die für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge seien (Dreier/Dreier GG 3. Aufl. Art. 1 Abs. 3 Rn. 41; MAH ArbR/Hamacher/van Laak 4. Aufl. § 70 Rn. 23; MHdB ArbR/Klumpp 4. Aufl. § 226 Rn. 12; Däubler/Lakies TVG 4. Aufl. § 5 Rn. 52; wohl auch Maunz/Dürig/Herdegen GG Stand März 2019 Art. 1 Abs. 3 Rn. 114, der als Prüfungsgegenstand die durch die Erklärung bewirkte Erstreckung ansieht).

48(cc) Andere Teile des Schrifttums befürworten, dass lediglich die Allgemeinverbindlicherklärung der unmittelbaren Grundrechtsbindung unterfalle, weil es sich nur insoweit um einen staatlichen Rechtsetzungsakt handle (Dieterich FS Schaub 1998 S. 117, 132; Sachs/Höfling GG 8. Aufl. Art. 1 Rn. 100; Wiedemann/Jacobs TVG 8. Aufl. Einleitung Rn. 383; Jarass/Pieroth/Jarass GG 14. Aufl. Art. 1 Rn. 51; ErfK/Schmidt 19. Aufl. Einleitung GG Rn. 23; von Mangoldt/Klein/Starck/Starck GG 7. Aufl. Art. 1 Abs. 3 Rn. 255). Der Tarifvertrag selbst unterliege nur der Kontrolle, der er auch ohne Allgemeinverbindlicherklärung unterfalle (Schliemann FS Wiedemann 2002 S. 543, 549).

49(2) Eine Entscheidung ist entbehrlich. § 20 Abs. 1 VTV 2014 verstößt selbst dann nicht gegen die Verfassung, wenn er unmittelbar am Maßstab der Grundrechte zu prüfen ist.

50(a) Die Regelung in § 20 Abs. 1 VTV 2014 ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

51(aa) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleichzubehandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleichzubehandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen. Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen müssen jedoch stets durch Sachgründe gerechtfertigt werden, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17 - Rn. 64, BVerfGE 149, 222). Eine Norm verletzt danach den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn durch sie eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten verschieden behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07 - Rn. 76 mwN, BVerfGE 133, 377).

52(bb) Eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung liegt nicht darin, dass zwar Arbeitgeber im Fall verspäteter Beitragszahlungen zusätzlich Zinsen zahlen müssen, nicht aber die Sozialkassen auf bestehende Erstattungsansprüche. Die unterschiedliche Behandlung ist jedenfalls durch sachliche Gründe, die unter Berücksichtigung des mit der Verzinsung verfolgten Zwecks zu bestimmen sind, gerechtfertigt.

53(aaa) Mit der Regelung, dass Arbeitgeber im Verzugsfall zusätzlich Zinsen entrichten müssen, soll vorrangig der Druck auf die beitragspflichtigen Arbeitgeber erhöht werden, ihrer Meldepflicht rechtzeitig und vollständig nachzukommen sowie die geschuldeten Beiträge termingerecht zu leisten. Einem ähnlichen Druck müssen die Sozialkassen nicht ausgesetzt werden. Die durch die Konzeption der Verfahrenstarifverträge zum Ausdruck kommende Annahme, dass die Sozialkassen ihre tarifvertraglichen Verpflichtungen ordnungsgemäß erfüllen, ist von dem den Tarifvertragsparteien eingeräumten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum gedeckt.

54(bbb) Der weitere in der Zinspflicht liegende Zweck - Wettbewerbsvorteile zu vermeiden und ggf. eingetretene Wettbewerbsvorteile auszugleichen - kommt mit Blick auf Erstattungsleistungen der Sozialkassen nicht zum Tragen. Arbeitgeber, die geschuldete Beiträge erst verspätet leisten, sind gegenüber Mitbewerbern am Markt, die sich tariftreu verhalten, im Vorteil, weil sie die freien finanziellen Mittel anderweitig einsetzen oder Aufträge im Vergleich zu Mitbewerbern günstiger anbieten können. Eine vergleichbare Situation besteht bei der jeweils zuständigen Sozialkasse nicht. Es gibt keinen Wettbewerb zwischen Sozialkassen.

55(cc) § 20 Abs. 1 VTV 2014 verstößt nicht deshalb gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil Arbeitgeber für jeden angefangenen Monat Zinsen entrichten müssen. Die mit der Beitragszahlung säumigen Arbeitgeber werden gleichbehandelt, ohne dass berücksichtigt wird, wie lange die Phase der Säumnis innerhalb eines Monats andauert. Diese Gleichbehandlung ist als pauschalierende Betrachtung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

56(aaa) Für eine gesetzliche Bestimmung hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass der Gesetzgeber zu einer Differenzierung bei ungleichen Sachverhalten nur verpflichtet ist, wenn die tatsächliche Ungleichheit so groß ist, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht unberücksichtigt bleiben darf. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Allerdings setzt eine zulässige Typisierung voraus, dass diese Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar sind, lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist. Bei der Frage, unter welchen Schwierigkeiten diese Härten vermeidbar wären, sind auch praktische Erfordernisse der Verwaltung von Gewicht ( - Rn. 114 ff.; - 1 BvR 100/15, 1 BvR 249/15 - Rn. 15). Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Begünstigungen oder Belastungen können in einer gewissen Bandbreite zum Zweck der Verwaltungsvereinfachung nach oben und unten pauschalierend bestimmt werden (vgl.  - Rn. 107, BVerfGE 145, 106). Der gesetzgeberische Spielraum für Typisierungen ist desto enger, je dichter die verfassungsrechtlichen Vorgaben außerhalb des Art. 3 Abs. 1 GG sind. Er endet dort, wo die speziellen Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG betroffen sind (, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07 - Rn. 88, BVerfGE 133, 377). Auch die Tarifvertragsparteien dürfen generalisieren und typisieren. Sie können bestimmte in wesentlichen Elementen gleichgeartete Lebenssachverhalte normativ zusammenfassen und typisieren ( - Rn. 22 mwN).

57(bbb) Gemessen daran ist die tatsächliche Ungleichheit, die durch die monatsweise Staffelung des Zinszeitraums entsteht, nicht so groß, dass sie dem Gerechtigkeitsdenken widerspricht. Es handelt sich um einen überschaubaren Zeitraum von nur 30 Tagen, der eine Zusammenfassung aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung rechtfertigt. Die Tarifvertragsparteien haben sich an gesetzlichen Bestimmungen orientiert. Bei den sozialversicherungsrechtlichen und den steuerrechtlichen Säumniszuschlägen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV, § 240 Abs. 1 Satz 1 AO) hat der Gesetzgeber ebenso wie im Recht der Kraftfahrzeugsteuer (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG 2002) eine Staffelung nach Monaten vorgenommen. Die Pauschalierung knüpft weder unmittelbar noch mittelbar an personenbezogene Merkmale an, so dass ein Konflikt mit Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG ausgeschlossen ist.

58(b) Der Zinssatz verstößt weder isoliert noch unter Berücksichtigung, dass Zinsen pro angefangenem Monat geschuldet werden, gegen das Übermaßverbot aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG.

59(aa) Ist die den Verfahrenstarifverträgen entstammende Pflicht, im Verzugsfall Zinsen auf geschuldete Beiträge zu entrichten, wie im Steuerrecht am Maßstab des in Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Verhältnismäßigkeitsprinzips zu messen, wird die Zinsregelung in § 20 Abs. 1 VTV 2014 dieser Voraussetzung gerecht (vgl. für das Steuerrecht  - Rn. 27 mwN).

60(bb) Die Tarifvertragsparteien verfolgen mit der Pflicht, im Verzugsfall Zinsen zu zahlen, legitime Zwecke. Es geht darum, Druck auf die beitragspflichtigen Arbeitgeber aufzubauen, um zu forcieren, dass die geschuldeten Beiträge rechtzeitig geleistet werden. Daneben schafft die Zinspflicht Bedingungen für einen fairen Wettbewerb, indem Wettbewerbsverzerrungen vermieden und finanzielle Vorteile, die aus der verspäteten Leistung von Beiträgen folgen, abgeschöpft werden. Mit der Zinspflicht soll zudem der Schaden pauschal ausgeglichen werden, der dadurch entstanden ist, dass die Beiträge der Sozialkasse nicht rechtzeitig zur Verfügung standen und die Sozialkasse daher nur unter erschwerten Bedingungen in der Lage war, ihren tarifvertraglichen Verpflichtungen nachzukommen und ihren Verwaltungsaufwand zu bestreiten. Auf diese Weise wird zugleich sichergestellt, dass die tariftreuen Arbeitgeber nicht an den Verwaltungsmehrkosten beteiligt werden, die durch die verspätete Zahlung der Beiträge verursacht werden.

61(cc) Die Verpflichtung, Zinsen von 1 % für jeden angefangenen Monat des Verzugs zu entrichten, ist geeignet, diesen Zweck zu erreichen. Verfassungsrechtlich muss es nur möglich sein, dass der erstrebte Erfolg gefördert wird. Es genügt, dass es möglich ist, den Zweck zu erreichen. Die Regelungen dürfen lediglich nicht von vornherein untauglich sein.

62(aaa) Dem Gesetzgeber billigt das Bundesverfassungsgericht einen Einschätzungsspielraum für die Beurteilung der tatsächlichen Grundlagen einer Regelung zu. Die Grenze liegt dort, wo sich deutlich erkennbar abzeichnet, dass eine Fehleinschätzung vorgelegen hat (, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1043/16, 1 BvR 1477/16 - Rn. 159 mwN, BVerfGE 146, 71;  - Rn. 38).

63(bbb) Wie auch dem Gesetzgeber ein Beurteilungs- und Prognosespielraum zusteht, verfügen die Tarifvertragsparteien aufgrund von Art. 9 Abs. 3 GG über eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen. Bei der Lösung tarifpolitischer Konflikte sind sie nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Vereinbarung zu treffen ( - Rn. 36, BAGE 163, 144; - 10 AZR 34/17 - Rn. 43, BAGE 162, 230).

64(ccc) Anhaltspunkte, dass die Tarifvertragsparteien den ihnen eingeräumten Beurteilungs- und Prognosespielraum überschritten hätten, sind nicht gegeben.

65(dd) Bedenken gegen die Erforderlichkeit der Zinsregelung greifen im Ergebnis nicht durch.

66(aaa) Eine Regelung ist erforderlich, wenn jedenfalls kein eindeutig sachlich gleichwertiges, also zweifelsfrei gleich wirksames, die Grundrechtsberechtigten aber weniger beeinträchtigendes Mittel zur Verfügung steht, um den mit dem Gesetz verfolgten Zweck zu erreichen. Wie bei einem Gesetz ist nicht zu prüfen, ob es bessere Lösungen für die hinter einer Regelung stehenden Probleme gibt (vgl. , 1 BvR 1588/15, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1043/16, 1 BvR 1477/16 - Rn. 162, BVerfGE 146, 71;  - Rn. 40; - 10 AZR 318/17 - Rn. 49). Aufgrund der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie verfügen die Tarifvertragsparteien auch insoweit über einen Gestaltungsspielraum (vgl.  - Rn. 36, BAGE 163, 144; - 10 AZR 34/17 - Rn. 43, BAGE 162, 230).

67(bbb) Gemessen daran ist der Zinssatz von 1 % pro angefangenem Monat erforderlich. Er hält sich im Rahmen des den Tarifvertragsparteien eröffneten Gestaltungsspielraums. Es ist nicht ersichtlich, dass ein geringerer Zinssatz zweifelsfrei gleich wirksam wäre.

68(aaaa) Aus der drohenden Pflicht, im Verzugsfall Zinsen zahlen zu müssen, muss ein so großer Druck auf die beitragspflichtigen Arbeitgeber erwachsen, dass sie Alternativen zur Finanzierung der Beiträge oder anderweitiger Investitionen in Anspruch nehmen und nicht auf die verspätete Beitragszahlung als Liquiditätsvorteil ausweichen. Nicht ausreichend ist daher ein Verzugszinssatz, der niedriger ist als ein entsprechender Zinssatz bei einem Bankdarlehen. Mit dem tariflichen Zinssatz von 12 % haben die Tarifvertragsparteien einen Wert festgelegt, der sich jedenfalls innerhalb des Rahmens der Darlehenszinsen in Deutschland hält. Diese bewegten sich im Jahr 2013 zwischen 0,15 % und 14,70 % (Monatsbericht der Deutschen Bundesbank März 2014 Statistischer Teil S. 43 ff.; vgl. auch  - Rn. 35 f., BFHE 260, 9). Der Erforderlichkeit steht nicht entgegen, dass der gewählte Zinssatz über den Zinssätzen für Darlehen im unternehmerischen Bereich liegt. Zu berücksichtigen ist vielmehr, dass die subjektiven Entscheidungen der Arbeitgeber zu wesentlich höheren Renditen führen können. Die mit den Zinsen abzuschöpfenden Liquiditätsvorteile bestehen nicht allein darin, bei Anlagen Zinsen zu erzielen oder im Fall eines nicht erforderlichen Darlehens Zinsen zu sparen, sondern auch darin, die nicht für die Beitragszahlung aufgewendeten Mittel für Investitionen einzusetzen, die deutlich höhere Renditen erbringen (vgl.  - Rn. 33, 50, aaO; aA  - Rn. 23 ff., 34, BFHE 260, 431).

69(bbbb) Mit der Verpflichtung, im Verzugsfall Zinsen zu entrichten, soll zudem die Funktionsfähigkeit und finanzielle Stabilität der Sozialkassen sichergestellt werden (vgl. für den Säumniszuschlag nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV  - Rn. 21 mwN). Das System der Sozialkassen ist wie das der Sozialversicherung als Solidargemeinschaft auf den ordnungsgemäßen Beitragseinzug angewiesen. Dieses Erfordernis rechtfertigt, dass die Tarifvertragsparteien die Verzugszinsen ebenso hoch festgelegt haben wie der Gesetzgeber den Säumniszuschlag im Recht der Sozialversicherung. Die privatrechtliche Ausgestaltung des Systems der Sozialkassen steht dem nicht entgegen. Das Erfordernis der rechtzeitigen Beitragszahlung ist deshalb nicht anders zu beurteilen.

70(cccc) Es ist nicht sichergestellt, dass mit einem niedrigeren Zinssatz der weitere Zweck der Verzugszinsen erreicht werden kann, den durch die verspätete Beitragszahlung verursachten Verwaltungsmehraufwand auszugleichen. Der den Tarifvertragsparteien eröffnete Gestaltungsspielraum trägt die Annahme, dass der gewählte Zinssatz es ermöglicht, die infolge der verspäteten Beitragszahlung angefallenen Mehrkosten nicht auf die rechtzeitig leistenden Arbeitgeber umlegen zu müssen.

71(ccc) § 20 Abs. 1 VTV 2014 ist erforderlich, obwohl die Anknüpfung der Zinspflicht an den jeweils angefangenen Monat im Einzelfall - hochgerechnet - zu einem deutlich höheren Zinssatz führt. Der Bundesgerichtshof ist in Banksachen beispielsweise davon ausgegangen, dass pauschale Kosten im Fall einer geduldeten Überziehung Zinsen mit einem fünfstelligen Zinssatz gleichkämen. Die als Allgemeine Geschäftsbedingung eingeordnete Regelung wurde für unwirksam erklärt, weil sie die Bankkunden nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unangemessen benachteilige ( - Rn. 30 ff., BGHZ 212, 329). Diese Erwägungen sind auf den tariflichen Verzugszins nicht übertragbar. Während es bei den Vorschriften des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen um den Ausgleich eines strukturellen Ungleichgewichts der Verhandlungspartner geht, wird bei Tarifverträgen die bei Individualverträgen typischerweise zu verneinende Verhandlungsparität aus verfassungsrechtlichen Gründen vorausgesetzt (vgl.  - Rn. 29, BAGE 148, 139). Mit § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB, wonach Tarifverträge von der Prüfung am Maßstab des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgenommen sind, kommt diese Erwägung zum Ausdruck (vgl.  - Rn. 14). Dies gilt auch für Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien. Auch insoweit können sich die vertragsschließenden Verbände auf die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie berufen, die eine zurückgenommene Kontrolldichte gebietet (vgl. BT-Drs. 14/6857 S. 54). Zudem sind die Tarifvertragsparteien befugt, bestimmte in wesentlichen Elementen gleichgeartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen und zu typisieren ( - Rn. 22 mwN). Mit dieser Befugnis ist das Prinzip der kundenfeindlichsten Auslegung, das das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen kennt, nicht vereinbar (vgl. etwa  - Rn. 31).

72(ee) Schließlich sind die mit § 20 VTV 2014 verbundenen Belastungen zumutbar. Zinsen sind nur im Verzugsfall zu entrichten. Damit können beitragspflichtige Arbeitgeber durch ihr eigenes Verhalten beeinflussen, ob es zu einer Zinszahlungspflicht kommt. Zudem ist die Pflicht, Zinsen entrichten zu müssen, wegen § 286 Abs. 4 BGB verschuldensabhängig ausgestaltet. Bei fehlendem Verschulden sind keine Zinsen geschuldet. Damit sind die Beeinträchtigungen der Interessen der Arbeitgeber trotz des nicht unerheblichen Zinssatzes zumutbar. Die Arbeitgeber können es selbst beeinflussen, die Verzinsung zu vermeiden. Gegenüber den gewichtigen Belangen, die mit der Zinszahlungspflicht verfolgt werden, muss das Interesse, von Verzugszinsen verschont zu bleiben, zurücktreten.

73(3) Der Zinssatz nach § 20 Abs. 1 VTV 2014 ist auch mit einfachem Gesetzesrecht vereinbar. Insbesondere verstößt die Tarifnorm nicht gegen § 138 BGB.

74(a) Dies wäre der Fall, wenn ein auffälliges, dh. grobes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung bestünde und entweder die in § 138 Abs. 2 BGB angeführten besonderen Umstände hinzuträten oder ein subjektives Moment, zB eine verwerfliche Gesinnung, vorläge (vgl.  - Rn. 38; - 5 AZR 814/14 - Rn. 20).

75(b) Die vom Bundesgerichtshof zu Darlehenszinsen ergangene Rechtsprechung, wonach ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, wenn der effektive Vertragszins den marktüblichen Effektivzins relativ um etwa 100 % oder absolut um zwölf Prozentpunkte überschreitet, kann nicht übertragen werden (vgl. dazu  - Rn. 34, BGHZ 212, 329). Tarifverträge genießen im Unterschied zu Individualverträgen ein größeres „Richtigkeitsvertrauen“. Sie bieten nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine materielle Richtigkeitsgewähr. Aufgrund des Verhandlungsgleichgewichts der Tarifvertragsparteien ist davon auszugehen, dass die vereinbarten tariflichen Regelungen den Interessen beider Seiten gerecht werden und keiner Seite ein unzumutbares Übergewicht vermitteln ( - Rn. 47 mwN, BAGE 117, 308). Im Unterschied zu einem Darlehensvertrag geht es nicht um die Frage, ob sich der Kreditnehmer auf die erhöhten Zinsen einlassen muss, sondern um die Frage, ob das Risiko einer verspäteten Beitragszahlung angemessen zwischen Arbeitgeber und Sozialkasse verteilt ist (vgl.  - zu B IV 2 b dd der Gründe). Mit Blick darauf, dass sich die tarifliche Regelung der Verzinsung als verhältnismäßig, insbesondere als zumutbar erweist, ist von einer angemessenen Risikoverteilung in diesem Sinn auszugehen.

76d) Der Beklagte hat die im Einzelnen ermittelten Zinsbeträge nicht angegriffen. Sie sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Für den am beginnenden Zeitraum von einem Monat stehen dem Kläger Zinsen iHv. 4,00 Euro, für den Monatszeitraum ab weitere 7,64 Euro, für den Monatszeitraum ab weitere 11,64 Euro, für den Monatszeitraum ab weitere 15,64 Euro und für den Monatszeitraum ab weitere 19,46 Euro zu.

77III. Daneben ist der Beklagte auch auf Grundlage von § 7 Abs. 2 iVm. Anlage 27 SokaSiG an den VTV 2014 gebunden.

781. Nach § 7 Abs. 2 SokaSiG gelten die Rechtsnormen des VTV 2014 für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum . Die Anlage 27 enthält den vollständigen Text des Verfahrenstarifvertrags in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (vgl. den Anlageband zum BGBl. I Nr. 29 vom S. 269 bis 282). Gegen die gesetzliche Geltungserstreckung auf den nicht tarifgebundenen Beklagten bestehen aus Sicht des Senats keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl.  - Rn. 42 ff., BAGE 164, 201).

792. Die Voraussetzungen für den Anspruch auf Verzugszinsen nach § 20 Abs. 1 VTV 2014 sind erfüllt.

80a) Der Verzug des Beklagten ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil dem SokaSiG Rückwirkung zukommt. Der Senat teilt die in der Literatur vertretene Auffassung nicht, die die zu § 184 BGB entwickelten Grundsätze heranzieht und annimmt, im Rückwirkungszeitraum habe kein Verzug entstehen können (so Hütter jM 2018, 285, 286 f.). Die Erwägungen der Rechtsprechung und der Literatur zu § 184 BGB sind auch auf das SokaSiG nicht übertragbar. Die Vorschrift des § 184 BGB betrifft die nachträgliche Zustimmung zu einem zustimmungsbedürftigen Rechtsgeschäft, das bis zur Erteilung der Genehmigung schwebend unwirksam ist. Demgegenüber handelt es sich beim SokaSiG um ein Gesetz, das an die Stelle einer unwirksamen bzw. neben eine wirksame Allgemeinverbindlicherklärung tritt und die Geltung der bezeichneten Tarifverträge anordnet. Im Unterschied zu einem schwebend unwirksamen Rechtsgeschäft kommt einer Allgemeinverbindlicherklärung als staatlichem Rechtsakt der erste Anschein der Rechtmäßigkeit zugute. Bestand zwischen den Parteien über die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung kein Streit und waren auch von Amts wegen keine ernsthaften Zweifel gerechtfertigt, war ihre gerichtliche Überprüfung entbehrlich. Diese Erwägung kommt in der Konzeption des Gesetzgebers zum Ausdruck. Aus § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ergibt sich, dass ein Rechtsstreit fortgesetzt wird, wenn keine erheblichen Zweifel beim erkennenden Gericht bestehen. Die Allgemeinverbindlicherklärung ist in diesem Fall als wirksam zu werten ( - Rn. 53 ff., vor allem Rn. 57).

81b) Der Beklagte unterließ schuldhaft, die geschuldeten Beiträge zu leisten.

82aa) Die Voraussetzungen nach § 286 Abs. 4 BGB, wonach der Schuldner nicht in Verzug kommt, solange die Leistung aufgrund eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat, sind nicht erfüllt.

83bb) Ein Verschulden ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Beklagte davon ausgehen durfte, nicht zur Leistung von Beiträgen verpflichtet zu sein. Es handelt sich nicht um den Fall eines unverschuldeten Rechtsirrtums, der zum Ausschluss des Verschuldens führte. Die strengen Voraussetzungen hierfür erfüllt der Beklagte nicht (vgl. dazu  - Rn. 63 mwN). Er konnte und durfte im Verzugszeitraum nicht davon ausgehen, nicht der Beitragspflicht zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft zu unterliegen. Bis zum Zeitpunkt der Entscheidungen des Senats vom (- 10 ABR 33/15 - BAGE 156, 213; - 10 ABR 48/15 - BAGE 156, 289) entsprach es der weit überwiegenden Rechtsansicht, dass die Verfahrenstarifverträge wirksam für allgemeinverbindlich erklärt worden waren. Der erste Anschein sprach für die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen. Erstmals mit Urteil vom hatte das Hessische Landesarbeitsgericht die Rechtmäßigkeitsvermutung für erschüttert gehalten. Es hatte inzidenter die Wirksamkeit der maßgeblichen Allgemeinverbindlicherklärungen geprüft und bejaht (- 18 Sa 619/13 -). Das Bundesarbeitsgericht hat dieses Urteil bestätigt ( - Rn. 19).

843. Gegen die Geltungserstreckung des VTV 2014 auf den nicht tarifgebundenen Beklagten durch § 7 Abs. 2 iVm. Anlage 27 SokaSiG bestehen aus Sicht des Senats keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl.  - Rn. 81 ff.; - 10 AZR 559/17 - Rn. 29 ff.; - 10 AZR 121/18 - Rn. 42 ff., BAGE 164, 201).

85a) § 7 SokaSiG ist mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar (vgl.  - Rn. 30 ff.; - 10 AZR 121/18 - Rn. 45 ff., BAGE 164, 201).

86aa) Die Tarifautonomie wird entgegen der Auffassung des Beklagten nicht dadurch verletzt, dass mit dem SokaSiG eine weitere Grundlage zur Erstreckung der Verfahrenstarifverträge auf Außenseiter geschaffen wurde. Der Gesetzgeber darf aus formellen Gründen nichtige Allgemeinverbindlicherklärungen durch eine gesetzliche Regelung ersetzen. Er kann sich dabei insbesondere für eine andere Rechtsform als die in § 5 TVG geregelte Allgemeinverbindlicherklärung entscheiden ( - zu II 2 der Gründe). Er ist dazu befugt, die Funktionsfähigkeit des Systems der Tarifautonomie durch gesetzliche Regelungen herzustellen und zu sichern. Er kann und muss ggf. auch bereits bestehende gesetzliche Rahmenbedingungen für das Handeln der Koalitionen ändern oder ergänzen, um dem Handeln der Koalitionen und insbesondere der Tarifautonomie Geltung zu verschaffen (vgl. , 1 BvR 1588/15, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1043/16, 1 BvR 1477/16 - Rn. 144, 147, BVerfGE 146, 71).

87bb) Ein etwaiger Eingriff in die Tarifautonomie ist jedenfalls gerechtfertigt. Das Gesetz verfolgt einen legitimen Zweck. Es dient dazu, den Fortbestand der Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft und damit die Funktionsfähigkeit des Systems der Tarifautonomie zu sichern, indem es die Anwendung der seit dem geltenden Verfahrenstarifverträge auf Nichtverbandsmitglieder ausdehnt. Darüber hinaus schafft es Bedingungen für einen fairen Wettbewerb. Das Gesetz ist geeignet, weil es jedenfalls förderlich ist, diese Ziele zu erreichen. Es ist ferner erforderlich. Die vom Gesetzgeber angestellten Erwägungen sind von seinem Einschätzungsspielraum gedeckt. Schließlich sind die mit § 7 SokaSiG verbundenen Belastungen zumutbar. Die bezweckte Sicherung der Sozialkassenverfahren in der Bauwirtschaft sowie die Herstellung von Bedingungen für einen fairen Wettbewerb stehen im allgemeinen Interesse und stellen einen gewichtigen Belang im Rahmen der durchzuführenden Abwägung dar. Demgegenüber wird die Tarifautonomie der vom SokaSiG erfassten Arbeitgeber und Verbände nur mit geringer Intensität beeinträchtigt ( - Rn. 83; - 10 AZR 559/17 - Rn. 35 ff.).

88b) § 7 SokaSiG verstößt aus Sicht des Senats nicht gegen Art. 14 Abs. 1 GG. Der Senat hat bereits entschieden, dass die aufgrund des SokaSiG bestehenden Pflichten, Beiträge und ggf. Verzugszinsen zu entrichten, den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit unberührt lassen und etwaige Eingriffe jedenfalls gerechtfertigt wären ( - Rn. 42; - 10 AZR 499/17 - Rn. 86 ff.; - 10 AZR 318/17 - Rn. 54 ff. mwN). Dies gilt nicht nur für den Zinssatz in gesetzlicher Höhe, sondern auch für den Zinssatz von 1 % für jeden angefangenen Monat. Die vom Senat angestellten Erwägungen gelten in entsprechender Weise für den höheren Zinssatz.

89c) § 7 SokaSiG „kassiert“ nicht unter Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung. Mit der gesetzlichen Erstreckungsanordnung sollte - letztlich mit Rücksicht auf die Forderungen der Rechtsstaatlichkeit und der Rechtssicherheit - statt anfechtbaren Rechts unanfechtbares Recht gesetzt werden. Das hält der Senat für verfassungsrechtlich unbedenklich ( - Rn. 95; - 10 AZR 121/18 - Rn. 92 ff., BAGE 164, 201).

90d) § 7 SokaSiG verletzt nach Auffassung des Senats nicht das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen tariffreier Arbeitgeber, von rückwirkenden Gesetzen nicht in unzulässiger Weise belastet zu werden ( - Rn. 68 ff., BAGE 164, 201). Der gegenteiligen Auffassung des Beklagten stimmt der Senat nicht zu.

91aa) Der Beklagte musste wie alle Betroffenen mit der nachträglichen - gesetzlichen - Bestätigung der Beitragspflicht aufgrund der Verfahrenstarifverträge rechnen. Ob der Sachverhalt einer der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten, nicht abschließend definierten Fallgruppen zugeordnet werden kann, ist nicht von Belang. Für die Frage, ob mit einer rückwirkenden Änderung der Rechtslage zu rechnen war, kommt es allein darauf an, ob die bisherige Regelung bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen Personengruppe auf ihren Fortbestand zu begründen (vgl.  - Rn. 64, BVerfGE 135, 1;  - Rn. 91; - 10 AZR 559/17 - Rn. 47).

92bb) Bis zum bestand keine Grundlage für ein Vertrauen auf die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV in der Fassung der Anlage 27 des SokaSiG, auf die Absatz 2 des § 7 SokaSiG verweist (vgl.  - Rn. 77 ff., BAGE 164, 201). Über die Wirksamkeit der AVE VTV 2015 war bei Inkrafttreten des SokaSiG noch nicht rechtskräftig entschieden. Schon deshalb konnte kein zu schützendes Vertrauen der tariffreien Arbeitgeber darauf entstanden sein, nicht von der Rechtsnormerstreckung erfasst zu werden. Die von dem Beklagten und anderen in Anspruch genommenen Arbeitgebern gehegten Zweifel waren keine geeignete Grundlage für die Bildung von Vertrauen dahin, dass auf der Annahme der fehlenden Normwirkung der Verfahrenstarifverträge beruhenden Dispositionen nicht nachträglich die Grundlage entzogen werden würde ( - Rn. 93; - 10 AZR 559/17 - Rn. 49; - 10 AZR 121/18 - Rn. 79 ff., aaO).

93cc) Der Beklagte beruft sich vergeblich darauf, die „Ersetzung“ der unwirksamen Allgemeinverbindlicherklärung durch eine gesetzliche Regelung sei nicht vorhersehbar gewesen. Dem Gesetzgeber steht die Wahl einer anderen Rechtsform als der in § 5 TVG geregelten Allgemeinverbindlicherklärung für die Erstreckung eines Tarifvertrags auf Außenseiter frei. Die Rechtsform ändert nichts an Inhalt und Ergebnis der Erwägungen zu der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen ( - Rn. 94; - 10 AZR 559/17 - Rn. 50; - 10 AZR 121/18 - Rn. 51, BAGE 164, 201). Dass die Rechtsformen mit unterschiedlichen Rechtsschutzmöglichkeiten verbunden sind, führt zu keiner anderen Bewertung.

94C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2019:280819.U.10AZR549.18.0

Fundstelle(n):
BB 2019 S. 2995 Nr. 50
DStR 2020 S. 14 Nr. 5
NJW 2019 S. 10 Nr. 51
ZIP 2019 S. 2369 Nr. 49
AAAAH-36213