BVerwG Beschluss v. - 5 C 26.12 (5 C 17.11)

Instanzenzug: OVG

Gründe

11. Die Anhörungsrüge ist unzulässig, weil sie nicht die durch Zustellung des beanstandeten Urteils an den Prozessbevollmächtigten des Klägers in Lauf gesetzte Rügefrist wahrt.

2Nach § 152a Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 VwGO ist die Rüge innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Kenntnis von der Verletzung rechtlichen Gehörs meint positive Kenntnis der Umstände, aus denen sich die Berechtigung zur Erhebung der Anhörungsrüge ergibt. Der Zeitpunkt der Kenntnis kann, muss aber nicht mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der beanstandeten Entscheidung an den betroffenen Beteiligten zusammenfallen. Hat dieser die Entscheidung beispielsweise erst später gelesen, weil er im Zeitpunkt der Bekanntgabe urlaubsbedingt abwesend war, fallen die Zeitpunkte auseinander ( BVerwG 4 B 4.13 - NVwZ-RR 2013, 340 Rn. 4). Knüpft eine Bestimmung an die positive Kenntnis bestimmter Umstände Rechtsfolgen, so kann es einer solchen Kenntnis gleichstehen, wenn der Betroffene sich dieser bewusst verschließt und vorsätzlich eine gleichsam auf der Hand liegende Kenntnisnahmemöglichkeit, die jeder andere in seiner Lage wahrgenommen hätte, übergeht (vgl. - BGHZ 129, 136 <175 f.>, vom - VI ZR 5/95 - BGHZ 133, 192 <198> und vom - XI ZR 56/07 - BGHZ 176 Rn. 46; - BAGE 102, 242 <248>). Dementsprechend wird die Frist für die Einlegung der Anhörungsrüge auch zu dem Zeitpunkt in Lauf gesetzt, in dem sich der Betroffene der erforderlichen Kenntnis von einer (angeblichen) Verletzung des rechtlichen Gehörs bewusst verschließt (vgl. Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 152a Rn. 33; Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: August 2012, § 152a Rn. 22; Kautz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2013, § 152a Rn. 21; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 321a Rn. 14, Schwab, in: ders./Weth, ArbGG, 3. Aufl. 2011, § 78a Rn. 18). Dieses Verständnis steht mit Verfassungsrecht im Einklang (vgl. - NJW-RR 2010, 1215 Rn. 5). Gemessen daran ist die Rüge nicht fristgerecht erhoben.

3Die beanstandete Entscheidung vom wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich des Empfangsbekenntnisses am zugestellt. Der Prozessbevollmächtigte hat nach seinen eigenen Angaben in dem Begründungsschriftsatz vom nach Empfang der Entscheidung und erteilten Empfangsbekenntnis die Entscheidung bis zum Beginn seines Urlaubs am "nicht durchgelesen und daraufhin überprüft", ob der Vortrag des Klägers, er habe nach dem (vermeintlichen) Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit seine bisherige kasachische Staatsangehörigkeit verloren, vom Senat in seinen Entscheidungsgründen Verwendung gefunden habe. Vielmehr habe er erst nach Rückkehr aus dem Urlaub, der bis zum gedauert habe, Kenntnis vom Inhalt der Entscheidung und der Gehörsverletzung genommen. Damit hat er sich im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Kenntnisnahme bewusst verschlossen (vgl. auch a.a.O. Rn. 7). Dieses Verhalten ist dem Kläger zuzurechnen (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). In einem solchen Fall ist jedenfalls in der Regel - und so auch hier - kein Raum für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO.

42. Die Rüge wäre auch unbegründet. Der Senat hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht, wie in § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO vorausgesetzt, in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

5Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (stRspr, vgl. - BVerfGE 96, 205 <216>). Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings nur dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (stRspr, vgl. etwa - BVerfGE 40, 101 <104 f.>). Die Gerichte sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (BVerfG, u.a. - BVerfGE 42, 364 <368>). Deshalb müssen, wenn ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt werden soll, im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfG, u.a. Beschlüsse vom - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <146> und vom - 1 BvR 426/77 - BVerfGE 47, 182 <187 f.>). Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht dargetan und auch nicht erkennbar.

6Der Kläger rügt, der Senat habe sein Vorbringen im Berufungsverfahren, wonach er nach dem (vermeintlichen) Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit seine bisherige kasachische Staatsangehörigkeit verloren habe, nicht zur Kenntnis genommen. Er nimmt insoweit ausdrücklich Bezug auf sein Vorbringen zu Nummer 2.4 in seiner Berufungsbegründungsschrift vom (Seite 5). Dort hat er dargelegt, das Verwaltungsgericht habe auch vernachlässigt, dass der Beklagte bei der Ausübung des Rücknahmeermessens nicht den Umstand eingestellt habe, "dass der Kläger nach dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit seine bisherige kasachische Staatsangehörigkeit verloren hat". Dieses Vorbringen war für die Entscheidung des Senats nicht erheblich. In seinem Urteil vom hat der Senat angenommen, dass der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erlangt hat. Deshalb war auf dieses Vorbringen, das der Kläger im Revisionsverfahren nicht wieder aufgegriffen hat, in den Entscheidungsgründen nicht einzugehen.

7Soweit der Kläger in der Begründung seiner Anhörungsrüge darlegt, die Rücknahme der Spätaussiedlerbescheinigung komme tatsächlich dem Entzug einer Staatsangehörigkeit gleich und dem müsse entweder durch eine bestimmte Auslegung des § 7 des Staatsangehörigkeitsgesetzes oder im Rahmen des Rücknahmeermessens Rechnung getragen werden, vermögen diese Erwägungen zum materiellen Recht die Annahme einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht zu begründen.

83. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Fundstelle(n):
UAAAE-43728