BGH Beschluss v. - X ZB 7/02

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 519 b Abs. 2; ZPO § 577 Abs. 2; ZPO § 234; ZPO § 235; ZPO § 85; EGZPO § 26 Nr. 10

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Klägerin begehrt in dem wegen eines Schenkungsvertrags geführten Rechtsstreit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, die nach Verlängerung durch den Vorsitzenden des Kammergerichts am ablief. Das Original der 14-seitigen, von Rechtsanwalt L. , einem der zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, auf der letzten Seite unterschriebenen Berufungsbegründungsschrift ging erst am beim Kammergericht ein. Zuvor, nämlich laut Eingangsstempel des Kammergerichts am , erreichte das Berufungsgericht lediglich die erste Seite dieser Berufungsbegründungsschrift als Telefax.

Das Kammergericht hat die Berufung der Klägerin durch am gefaßten Beschluß unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs als unzulässig verworfen, weil es im Zusammenhang mit der Übermittlung der Berufungsbegründungsschrift zu einer Häufung von Fehlern gekommen sei, die den Schluß rechtfertigten, daß entweder die erforderlichen Anweisungen an das Büropersonal in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin nicht umfassend oder nicht mit der hinreichenden Klarheit erfolgt seien oder daß eine ausreichende Kontrolle des Büropersonals bezüglich der Einhaltung der Anweisungen nicht stattgefunden habe.

Gegen diesen, den zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin laut Empfangsbekenntnis am zugegangenen Beschluß hat die Klägerin am sofortige Beschwerde einlegt, mit der sie ihren Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt und Aufhebung des angefochtenen Beschlusses begehrt.

II. 1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist nach §§ 519 b Abs. 2, 577 Abs. 2 ZPO in der bis zum geltenden Fassung statthaft. Diese Fassung ist nach § 26 Nr. 10 EGZPO maßgeblich, weil der die Berufung der Klägerin verwerfende der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts vor dem übergeben worden ist.

2. Das auch im übrigen zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg.

a) Der Klägerin ist gemäß §§ 234, 235 ZPO auf ihren in rechter Form und Frist angebrachten Antrag Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Daß die von Rechtsanwalt L. unterschriebene, 14 Seiten umfassende Berufungsbegründungsschrift erst am und damit verspätet beim Kammergericht eingegangen ist, beruhte darauf, daß sie am als einfacher Brief bei der Deutschen Post AG unter versehentlicher Angabe einer unrichtigen Postleitzahl bei im übrigen zutreffender Anschrift des Kammergerichts aufgegeben wurde. Dem liegt jedoch kein Verschulden eines Prozeßbevollmächtigten zugrunde, das die Klägerin gemäß § 85 ZPO zu vertreten hat, so daß die Klägerin ohne ihr Verschulden verhindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten.

(1) Den zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin kann nicht vorgeworfen werden, daß die Berufungsbegründungsschrift erst zwei Werktage vor Ablauf der geltenden Berufungsbegründungsfrist abgesandt worden ist. Einem Anwalt ist es nicht verwehrt, die einzuhaltende Frist bis zum letztmöglichen Tag auszunutzen (vgl. BGHZ 9, 118, 119). Außerdem darf - wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt ausgesprochen hat - damit gerechnet werden, daß von der mit der Beförderung eines Schriftstücks betrauten Post die von ihr nach ihren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten auch eingehalten werden (vgl. z.B. Beschl. v. - 1 BvR 1294/91, NJW 1992, 1952). Diese Rechtsprechung hat - jedenfalls in dem hier interessierenden Rahmen - ihre Berechtigung nicht durch die "Privatisierung" der Deutschen Bundespost verloren, weil die Deutsche Post AG hinsichtlich der Beförderung von normalen Briefen nach wie vor ein Monopol hat. Da die normale Postlaufzeit bei derartigen Briefen erfahrungsgemäß nicht mehr als zwei Werktage (Zustelltage; vgl. IVa ZB 7/89, NJW 1990, 188) beträgt, genügte es deshalb, die Berufungsbegründungsschrift - wie geschehen - am an das Kammergericht abzusenden.

(2) Daß bei dieser Absendung der Kanzlei der zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ein Fehler unterlief, weil die Anschrift des Kammergerichts mit einer unrichtigen Postleitzahl angegeben war, gereicht den Prozeßbevollmächtigten ebenfalls nicht zum Verschulden. Aufgrund der eidesstattlichen Versicherungen von Rechtsanwältin Dr. H. und der in der Berliner Praxis als Büroleiterin tätigen Rechtsanwaltsfachangestellten A. L. , deren Richtigkeit in dieser Hinsicht keinen greifbaren Zweifeln unterliegt, ist insoweit als glaubhaft gemacht davon auszugehen, daß diese zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, als sie die hergestellte Berufungsbegründungsschrift am Vormittag des auf Vollständigkeit und inhaltliche Richtigkeit überprüfte, die Büroleiterin anwies, vor Absendung, die noch am selben Tag erfolgen sollte, die auf der Schrift vermerkte Postleitzahl zu kontrollieren und im Falle eines Fehlers zu berichtigen, daß die Büroleiterin dieser Anweisung jedoch versehentlich nicht Folge leistete. Hiernach ist durch einen zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin eine konkrete Einzelanweisung an eine bestimmte weisungsgebundene Angestellte gegeben worden, die für den betreffenden Einzelfall bestimmt, geeignet und ausreichend war, bei entsprechender Befolgung den dann aufgetretenen Fehler zu verhindern. Die Kontrolle und eventuell notwendig werdende Korrektur einer Postleitzahl der Anschrift eines ortsansässigen Gerichts sind einfache Aufgaben, von denen ein Rechtsanwalt ohne weiteres annehmen darf, daß sie auf entsprechende Anweisung hin von einer ausgebildeten Rechtsanwaltsfachangestellten ohne weitere Anleitung und Überprüfung erledigt werden (vgl. , NJW 2000, 2823; auch Sen.Beschl. v. - X ZB 20/98, NJW 1999, 429). Sie durften deshalb - ohne sich einem Verschuldensvorwurf auszusetzen - auch Frau L. übertragen werden, die ausweislich der bereits genannten eidesstattlichen Versicherungen und der eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwältin N. damals bereits seit fünf Jahren im Beruf der Rechtsanwaltsfachangestellten tätig war und sich bisher als zuverlässig und gewissenhaft erwiesen hatte. Unter den glaubhaft gemachten Umständen beruhte die Fristversäumung mithin ausschließlich auf einem schuldhaften Fehlverhalten einer durch eine konkrete Einzelanweisung herangezogenen Kanzleiangestellten. Für deren Fehlverhalten hat eine Partei nach § 85 ZPO jedoch nicht einzustehen.

(3) Daran, daß die Klägerin, ohne es vertreten zu müssen, verhindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten, ändert auch der ebenfalls durch die eidesstattlichen Versicherungen der Rechtsanwältin Dr. H. und der Büroleiterin L. glaubhaft gemachte Umstand nichts, daß erst nach der Einzelanweisung an Frau L. die Berufungsbegründungsschrift Rechtsanwalt L. zur Unterschrift vorgelegt wurde und dieser zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Klägerin seine Unterschrift leistete, ohne den Fehler bei der Angabe der Postleitzahl zu bemerken. Denn ein Prozeßbevollmächtigter ist bei Unterzeichnung eines fristwahrenden Schriftstücks nach ständiger Rechtsprechung nicht gehalten, die Vollständigkeit einer im übrigen richtigen Anschrift des Empfängers selbst zu prüfen (z.B. , NJW 2000, 82).

(4) Da die Überprüfung der Postleitzahl durch einen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin mittels einer Einzelanweisung an eine Kanzleiangestellte veranlaßt war, die - nach Maßgabe des unter (1) Ausgeführten - bei Befolgung die Fristversäumung verhindert hätte, berührt es die Verschuldensfrage im vorliegenden Fall auch nicht, ob in der Berliner Kanzlei der zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin allgemein geeignete anwaltliche Maßnahmen ergriffen waren, die sicherstellten, daß fristwahrende Schriftstücke von den Mitarbeitern vollständig und richtig adressiert werden (vgl. , NJW 2000, 2823).

(5) Unter den gegebenen Umständen ist es schließlich auch ohne Belang, ob ein Fehlverhalten der zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin dazu beigetragen hat, daß bei der am ebenfalls versuchten Telefaxübermittlung der Berufungsbegründungsschrift nur deren erste Seite an das Kammergericht übertragen wurde. Die Übermittlung einer Berufungsbegründungsschrift per Telefax stellt gegenüber der Übersendung des Originals per Post eine zusätzliche Maßnahme dar, zu welcher ein Prozeßbevollmächtigter nicht verpflichtet ist. Daß sie und wie sie im Einzelfall tatsächlich durchgeführt wurde, kann deshalb der vertretenen Partei nicht zum Nachteil gereichen (vgl. , NJW-RR 1992, 1020, 1021 m.w.N.).

3. Da sonach der Klägerin Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zu gewähren ist, ist die Verwerfung der Berufung durch das Kammergericht gegenstandslos (vgl. , MDR 2002, 1095, 1096 m.w.N.).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
NAAAC-04829

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein