Online-Nachricht - Donnerstag, 18.03.2021

Verfahrensrecht | Akteneinsicht eines Dritten (FG)

Einem mutmaßlich durch einen Betrug in einem besonders schweren Fall (§ 263 Abs. 1 u. 3 StGB) Geschädigten steht kein Anspruch auf Akteneinsicht in Steuerakten des Verdächtigen zum Zweck der Beweisführung im Zivilprozess wegen Schadensersatzes zu (; Revision zugelassen).

Sachverhalt: Die Klägerin, Mitglied eines Bankenkonsortiums, hatte Geschäftsbeziehungen mit einer GmbH. Deren Gesellschafter-Geschäftsführer hatte sich im Jahr 2008 für Verbindlichkeiten der GmbH selbstschuldnerisch verbürgt. Im Jahr 2009 wurde auf Antrag der GmbH über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet und der Gesellschafter-Geschäftsführer aus der Bürgschaft in Anspruch genommen. Es folgten Vergleichsverhandlungen zwischen der Klägerin und dem Gesellschafter-Geschäftsführer. Dieser legte der Klägerin zum eine Vermögensübersicht vor und versicherte eidesstattlich deren Richtig- und Vollständigkeit. Diese führte zu einem Vergleich.

Im Jahr 2015 erstattete die Klägerin bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen den Gesellschafter-Geschäftsführer wegen des Verdachts des Betrugs. Die Klägerin erlangte aus den Ermittlungsakten Kenntnis über eine Selbstanzeige des Gesellschafter-Geschäftsführers und ein beim beklagten Finanzamt geführtes steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren. Daraufhin beantragte die Klägerin Einsicht in die bei der Straf- und Bußgeldsachenstelle des beklagten Finanzamts geführten Ermittlungsakten und Auskunft zu Schweizer Konten des Gesellschafter-Geschäftsführers. Das beklagte Finanzamt gewährte unter Bezugnahme auf das Steuergeheimnis keine Akteneinsicht. Es erteilte keine Auskünfte.

Das FG Baden-Württemberg wies die Klage auf Akteneinsicht ab:

  • § 30 AO reglt das Steuergeheimnis und abschließend die Voraussetzungen für eine Offenbarung oder Verwertung geschützter Daten.

  • Das beklagte Finanzamt ist nicht nach § 30 Abs. 4 AO zur Offenbarung seiner Kenntnisse befugt.

  • Diese sind nicht „in einem Verfahren wegen einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit erlangt worden“, sondern vor dessen Einleitung aufgrund der Selbstanzeige des Gesellschafter-Geschäftsführers.

  • Diese Mitteilung von Tatsachen ist nicht freiwillig erfolgt. Hierzu ist der Gesellschafter-Geschäftsführer nach den Vorschriften der AO verpflichtet gewesen.

  • Mit seiner Selbstanzeige hat er nicht zugleich eine allgemeine Straftat offenbart. Allein die Erkenntnis über (weitere) Einkünfte reicht für die Annahme eines Betrugs zulasten der Klägerin nicht aus.

  • Die von der Klägerin begehrte Mitteilung wird auch nicht zur Verfolgung eines Verbrechens benötigt. Ein Betrug ist kein Verbrechenstatbestand mit mindestens einjähriger Freiheitsstrafe. Dieser ist eine Wirtschaftsstraftat.

  • Daher besteht eine Offenbarungsbefugnis des beklagten Finanzamts nur, wenn sich die Straftat gegen die gesamtwirtschaftliche Ordnung richten würde. Solch gravierende Auswirkungen hat das Vorgehen des Gesellschafter-Geschäftsführers jedoch nicht.

  • Dessen Vorgehen ist auch nicht geeignet, das Vertrauen in die Redlichkeit des geschäftlichen Verkehrs erheblich zu erschüttern.

  • Geht es im Streitfall der Klägerin letztendlich um die zivilrechtliche Rechtsverfolgung - die Klägerin möchte Schadensersatzansprüche gegen den Gesellschafter-Geschäftsführer geltend machen – besteht auch kein „zwingendes öffentliches Interesse“ an der Offenbarung der Vermögenssituation des Gesellschafter-Geschäftsführers durch das beklagte Finanzamt.

Hinweis:

Das Gericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Die Entscheidung ist in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Baden-Württemberg abrufbar. Eine Aufnahme in die NWB Datenbank erfolgt in Kürze.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Pressemitteilung v. (il)

Fundstelle(n):
NWB AAAAH-74196