BGH Beschluss v. - 2 StR 114/20

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Voraussetzung der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit

Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB

Instanzenzug: Az: 50 KLs 20/19

Gründe

1Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die mit der nicht ausgeführten Sachrüge begründete Revision des Beschuldigten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

21. Nach den Feststellungen schlug der vielfach – auch einschlägig – vorbestrafte Beschuldigte im Zeitraum vom 10. bis zum in drei Fällen jeweils auf andere Personen ein; im letzten Fall hatte er zuvor auf den schlafenden Geschädigten eine Mülltonne geworfen. Der Beschuldigte, der jeweils zeitnah am Tatort bzw. in Tatortnähe festgenommen werden konnte, machte in allen Fällen „wirre Angaben (und) redete zusammenhangslos“.

3Nach Überzeugung des sachverständig beratenen Landgerichts war die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten während aller drei Taten aufgrund einer hebephrenen Schizophrenie sicher erheblich eingeschränkt. Nicht auszuschließen sei zudem, dass seine Steuerungsfähigkeit und Einsichtsfähigkeit vollständig aufgehoben waren. Ob die Einschränkung oder Aufhebung der Steuerungsfähigkeit (auch) auf die Suchterkrankung des Beschuldigten zurückzuführen sei, hat die Strafkammer nicht feststellen können.

42. Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die Ausführungen des angefochtenen Urteils nicht belegen, dass die Anlasstaten zweifelsfrei im Zustand verminderter Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB begangen wurden.

5a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Unterzubringenden zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfordert prinzipiell eine mehrstufige Prüfung (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom – 2 StR 57/17, StV 2019, 235 f.; , NStZ-RR 2017, 165, 166 jew. mwN; vgl. auch Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß, NStZ 2005, 57 ff.). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Täter eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist der Richter für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds ebenso wie bei der Prüfung einer aufgehobenen oder erheblich beeinträchtigten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Täters zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Täters in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. Senat, aaO; , NStZ-RR 2017, 165, 166; Beschluss vom – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135).

6b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.

7aa) Es fehlt bereits eine Auseinandersetzung mit dem Schweregrad der angenommenen psychischen Störung. Damit ist aber zu besorgen, dass das Landgericht in rechtsfehlerhafter Weise davon ausgegangen ist, bereits die Diagnose einer hebephrenen Schizophrenie führe ohne Weiteres zur Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB.

8bb) Das Urteil nimmt zudem keinerlei wertende Betrachtung zur Tatrelevanz der Störung vor. Dies darf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch regelmäßig nicht offenbleiben (vgl. Senat, aaO; , NJW 2016, 341, 342; Beschluss vom – 4 StR 136/08, NStZ-RR 2009, 46 f.; Senat, Beschluss vom – 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 351).

9Für die Frage eines Ausschlusses oder einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit kommt es maßgeblich darauf an, in welcher Weise sich die festgestellte und unter eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumierende psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation ausgewirkt hat. Die Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit kann daher – von offenkundigen Ausnahmefällen abgesehen (vgl. , NStZ 1997, 485, 486) – nicht abstrakt, sondern nur in Bezug auf eine bestimmte Tat erfolgen (vgl. , NJW 2016, 728, 729; Urteil vom – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 54). Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass zur Tat, die Motivlage des Beschuldigten und sein Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können (vgl. aaO mwN; vom – 5 StR 122/91, BGHSt 37, 397, 402).

10An einer solchen spezifisch tatbezogenen Auseinandersetzung fehlt es hier. Sie folgt auch nicht daraus, dass das Nachtatverhalten des Beschuldigten – stereotyp – damit beschrieben wird, er habe „wirre und zusammenhanglose Angaben (gemacht), die keinen Sinn ergaben“. Die von der Strafkammer mitgeteilte gutachterliche Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen, wonach bei dem Beschuldigten die – näher beschriebenen – typischen Symptome einer hebephrenen Schizophrenie vorlägen, ist ebenfalls nicht geeignet, eine Beeinflussung der von dem Beschuldigten begangenen Taten durch dessen psychotische Erkrankung tragfähig zu belegen.

11c) Die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten als Grundlage für die Anordnung nach § 63 StGB bedarf daher insgesamt neuer Prüfung durch den Tatrichter.

123. Sollte gemäß § 416 Abs. 2 StPO das Sicherungsverfahren in das Strafverfahren überzuleiten sein (zur Möglichkeit einer Überleitung nach Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht vgl. KK-StPO/Maur, 8. Aufl., § 416 Rn. 8 mwN), wird auf § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO hingewiesen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:260520B2STR114.20.0

Fundstelle(n):
NAAAH-63734