BAG Urteil v. - 9 AZR 245/19 (A)

Vorabentscheidungsersuchen - Übertragung/Verfall des Urlaubsanspruchs - volle Erwerbsminderung - Mitwirkungsobliegenheiten

Gesetze: Art 7 EGRL 88/2003, Art 31 Abs 2 EUGrdRCh, Art 267 AEUV

Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 3 Ca 8481/15 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 9 Sa 145/17 Urteilnachgehend Az: C-518/20 und C-727/20 Urteilnachgehend Az: 9 AZR 245/19 Urteil

Gründe

1Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Richtlinie 2003/88/EG) und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta).

3Die Parteien streiten über das Bestehen von Urlaubsansprüchen des Klägers aus dem Jahr 2010, 2011 und 2014. Für das vorliegende Vorabentscheidungsverfahren ist lediglich der Urlaub aus dem Jahr 2014 von Bedeutung. Hinsichtlich der Urlaubsansprüche aus den Jahren 2010 und 2011 wird die Revision bereits deshalb zurückzuweisen sein, weil die Berufung des Klägers insoweit mangels einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Begründung unzulässig war und deshalb unionsrechtliche Fragestellungen insoweit nicht entscheidungserheblich sind.

4Der als schwerbehinderter Mensch anerkannte Kläger ist seit dem Jahr 2000 als Frachtfahrer bei der Beklagten beschäftigt. Seit dem bezieht er Rente wegen voller Erwerbsminderung, die zuletzt bis August 2019 verlängert wurde. Er hat - soweit für das Vorabentscheidungsverfahren von Relevanz - geltend gemacht, ihm stünden gegen die Beklagte noch 34 Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2014 zu. Diese Ansprüche seien nicht verfallen, weil die Beklagte ihren Obliegenheiten, an der Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub mitzuwirken, nicht nachgekommen sei. Die Beklagte hat demgegenüber die Auffassung vertreten, der im Jahr 2014 nicht genommene Urlaub des Klägers sei mit Ablauf des erloschen. Sei ein Arbeitnehmer - wie vorliegend der Kläger aufgrund der vollen Erwerbsminderung - aus gesundheitlichen Gründen langandauernd außerstande, seinen Urlaub anzutreten, trete der Verfall 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres unabhängig von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten ein.

5Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

7Im Bundesurlaubsgesetz, das auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, heißt es ua.:

8Im Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) heißt es auszugsweise:

10Die Richtlinie 2003/88/EG lautet auszugsweise:

11In der Charta der Grundrechte der Europäischen Union heißt es ua.:

13I. Der gesetzliche Mindesturlaub entsteht gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG für das Kalenderjahr als Urlaubsjahr und muss nach § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG grundsätzlich in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden; andernfalls erlischt er nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Bestimmungen unter Beachtung der Entscheidungen des Gerichtshofs unter zwei Aspekten richtlinienkonform ausgelegt:

141. Im Anschluss an die Entscheidung des Gerichtshofs vom (- C-684/16 - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften]) zu Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG sowie zu Art. 31 Abs. 2 der Charta hat das Bundesarbeitsgericht erkannt, dass bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung von § 7 BUrlG der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub grundsätzlich nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 4 BUrlG) erlischt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

15a) In richtlinienkonformer Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG trifft den Arbeitgeber die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG setzt grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge trägt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dazu muss er den Arbeitnehmer - erforderlichenfalls förmlich - auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt ( - Rn. 39 ff., BAGE 165, 376). Zudem darf der Arbeitgeber, will er seinen Mitwirkungsobliegenheiten genügen, den Arbeitnehmer nicht in sonstiger Weise daran hindern, den Urlaub in Anspruch zu nehmen (vgl.  - [King] Rn. 37 ff. mwN, 65; sh. auch - C-684/16 - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 41 f.;  - Rn. 50; - 9 AZR 423/16 - Rn. 40, BAGE 165, 376).

16b) Hat der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, tritt der am 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht. Für ihn gelten, wie für den neu entstandenen Urlaubsanspruch, die Regelungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BUrlG. Der Arbeitgeber kann deshalb das uneingeschränkte Kumulieren von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren dadurch vermeiden, dass er seine Mitwirkungsobliegenheiten für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren im aktuellen Urlaubsjahr nachholt. Nimmt der Arbeitnehmer in einem solchen Fall den kumulierten Urlaubsanspruch im laufenden Urlaubsjahr nicht wahr, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, verfällt der Urlaub am Ende des Kalenderjahres bzw. eines (zulässigen) Übertragungszeitraums (grundl.  - Rn. 44, BAGE 165, 376). Die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts bezogen sich jeweils auf Sachverhalte, in denen die Arbeitnehmer nicht voll erwerbsgemindert waren.

172. Das Bundesarbeitsgericht hat außerdem unter Beachtung der Rechtsprechung des Gerichtshofs vom (- C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff] Rn. 43, 49) und vom (- C-214/10 - [KHS] Rn. 28, 38, 44; bestätigt durch  - [King] Rn. 55 ff. und zuletzt - C-762/18 und C-37/19 - [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 71 ff.) entschieden, dass der gesetzliche Urlaub nach § 7 Abs. 3 BUrlG nicht verfällt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist und es ihm deshalb nicht möglich ist, den Urlaub zu nehmen. Der aufrechterhaltene Urlaubsanspruch tritt in diesem Fall zu dem im Folgejahr entstandenen Urlaubsanspruch hinzu und ist damit erneut nach § 7 Abs. 3 BUrlG befristet. Er erlischt allerdings bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres (grundl.  - Rn. 23, 32 ff., BAGE 142, 371; vgl. auch - 9 AZR 63/11 - Rn. 9; - 9 AZR 669/12 - Rn. 14). Der Senat hat diese Rechtsprechung auch in Fällen angewendet, in denen der Arbeitnehmer eine Rente wegen Erwerbsminderung bezogen hat (vgl.  - Rn. 25 f.).

18II. Im Nachgang zur Entscheidung des Gerichtshofs vom (- C-684/16 - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften]) bedurfte es bisher noch keiner Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts darüber, ob und in welchen Fällen Urlaubsansprüche voll erwerbsgeminderter Arbeitnehmer bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres erlöschen (vgl.  - Rn. 23; - 9 AZR 423/16 - Rn. 15, BAGE 165, 376). Mit dem Gerichtshof geht das Bundesarbeitsgericht davon aus, dass ein Erlöschen von Urlaubsansprüchen in Fällen, in denen es dem Arbeitnehmer nicht möglich war, den Urlaub zu nehmen, nur ausnahmsweise in Betracht kommt, wenn besondere Umstände vorliegen, die den Verfall des Urlaubs rechtfertigen (vgl. und C-37/19 - [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 73 ff.;  - Rn. 55 ff.; - 9 AZR 579/16 - Rn. 50; - 9 AZR 98/19 - Rn. 28). Solche besonderen Umstände bestehen nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich nicht, wenn der Arbeitnehmer nicht in der Lage war, seinen Urlaub zu nehmen, weil der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht nachgekommen ist ( - Rn. 39 ff., BAGE 165, 376), oder weil er den Arbeitnehmer in sonstiger Weise daran gehindert hat, seinen Urlaubsanspruch zu realisieren (vgl. im Einzelnen  - Rn. 55 ff.; - 9 AZR 579/16 - Rn. 50; - 9 AZR 98/19 - Rn. 28). Die vom Senat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelten Rechtsgrundsätze zum Verfall von Urlaubsansprüchen bei unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers sind jedoch in Fällen der vollen Erwerbsminderung von Arbeitnehmern weiter aufeinander abzustimmen. In den folgenden Fallkonstellationen ist - nach dem Verständnis des Senats - eine mit dem Unionsrecht in Einklang stehende Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG möglich, ohne dass es insoweit einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs bedarf.

191. Hat der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten rechtzeitig erfüllt, ist § 7 Abs. 3 BUrlG unverändert richtlinienkonform dahin auszulegen, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch eines seit Beginn oder im Verlauf des Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers bei ununterbrochen fortbestehender Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfällt. Besteht die Arbeitsunfähigkeit bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres fort, liegen besondere Umstände vor, die die Befristung des Urlaubsanspruchs zum Schutz eines überwiegenden Interesses des Arbeitgebers vor dem unbegrenzten Ansammeln von Urlaubsansprüchen rechtfertigen, obwohl es dem erkrankten Arbeitnehmer nicht möglich war, den Urlaubsanspruch zu verwirklichen. Dies ist durch das Urteil des Gerichtshofs vom (- C-762/18 und C-37/19 - [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 71 ff.) geklärt (vgl. hierzu auch  - [KHS] Rn. 28, 38, 44; - C-214/16 - [King] Rn. 55 ff.).

202. Hat der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt und war es dem Arbeitnehmer bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres allein aufgrund durchgehend bestehender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht möglich, den Urlaub zu nehmen, ist § 7 Abs. 3 BUrlG richtlinienkonform dahin auszulegen, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub erlischt. Dies betrifft den Urlaub für Urlaubsjahre, in denen der Arbeitnehmer durchgehend arbeitsunfähig krank war und deshalb - unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten erfüllt hat - überhaupt keinen Urlaub nehmen konnte. Auch in diesem Fall ist von besonderen Umständen auszugehen, die den Verfall des Urlaubsanspruchs rechtfertigen.

21a) Allerdings bestehen - anders als von den Vorinstanzen im vorliegenden Rechtsstreit angenommen - die Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers regelmäßig auch, wenn und solange der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist. Sie können ihren Zweck erfüllen, weil sich die Dauer der Erkrankung nicht von vornherein absehen lässt.

22aa) Dem Arbeitgeber ist es möglich, den voll erwerbsgeminderten Arbeitnehmer entsprechend den gesetzlichen Vorgaben (vgl.  - Rn. 41, 43, BAGE 165, 376) rechtzeitig und zutreffend über den Umfang und die Befristung des Urlaubsanspruchs unter Berücksichtigung des bei einer langandauernden Erkrankung geltenden Übertragungszeitraums zu unterrichten. Der Arbeitgeber ist nicht gehindert, den Arbeitnehmer rechtzeitig aufzufordern, den Urlaub bei Wiedererlangung seiner Erwerbsfähigkeit vor Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums zur Vermeidung des Verfalls so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums gewährt und genommen werden kann.

23bb) Die Aufforderungen und Hinweise des Arbeitgebers sind auch nicht entbehrlich. Das Bundesurlaubsgesetz ermöglicht es dem Arbeitnehmer mit den Regelungen in § 7 Abs. 1 und Abs. 2 BUrlG, durch seine Urlaubswünsche, die sich auf das gesamte Urlaubsjahr bzw. ggf. den zulässigen Übertragungszeitraum beziehen können, bei Bedarf über Erholungszeiträume zu verfügen, die längerfristig gestaffelt und geplant werden können (vgl. zum Urlaub im Übertragungszeitraum  - [KHS] Rn. 38). Die rechtzeitige Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten stellt sicher, dass der Arbeitnehmer die durch das Bundesurlaubsgesetz mit § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG intendierte Dispositionsmöglichkeit hinsichtlich des Zeitraums der Inanspruchnahme des Urlaubs nutzen und ab dem ersten Arbeitstag nach Wiedererlangung seiner Erwerbsfähigkeit Urlaub in Anspruch nehmen kann, sofern der Arbeitgeber nicht berechtigt ist, die Gewährung von Urlaub nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BUrlG abzulehnen.

24b) Jedoch ist die Befristung des Urlaubsanspruchs bei einem richtlinienkonformen Verständnis des § 7 Abs. 3 BUrlG nicht von der Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten abhängig, wenn es - was erst im Nachhinein feststellbar ist - objektiv unmöglich gewesen wäre, den Arbeitnehmer durch Mitwirkung des Arbeitgebers in die Lage zu versetzen, den Urlaubsanspruch zu realisieren.

25aa) Der Zweck der aus § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG abgeleiteten Obliegenheiten, zu verhindern, dass der Arbeitnehmer den Urlaubsanspruch verliert, weil er ihn in Unkenntnis der Befristung und des damit einhergehenden Risikos des Erlöschens nicht rechtzeitig gegenüber dem Arbeitgeber geltend macht (vgl.  - Rn. 25, BAGE 165, 376), bestimmt nicht nur den Inhalt der rechtlich gebotenen Aufforderungen und Hinweise (vgl. hierzu  - Rn. 40 f., aaO), sondern ist auch auf der Rechtsfolgenseite zu berücksichtigen.

26(1) Regelmäßig ist dem Arbeitgeber die Berufung auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs versagt, wenn er seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt hat, denn ein verständiger Arbeitnehmer hätte bei gebotener Aufforderung und Unterrichtung seinen Urlaub typischerweise rechtzeitig vor dem Verfall beantragt (vgl.  - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 45 f.;  - Rn. 16, 25, BAGE 165, 376).

27(2) Anders verhält es sich, wenn auch bei Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten deren Zweck nicht hätte erreicht werden können, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt (vgl.  - Rn. 40, BAGE 165, 376). Unter diesen Umständen ist es dem Arbeitgeber, der seinen Obliegenheiten nicht nachgekommen ist, nicht verwehrt, sich auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu berufen. War der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres voll erwerbsgemindert oder trat die bis zu diesem Zeitpunkt fortbestehende volle Erwerbsminderung im Verlauf des Urlaubsjahres ein, ohne dass dem Arbeitnehmer vor deren Beginn (weiterer) Urlaub hätte gewährt werden können, sind nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die volle Erwerbsminderung des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal. Der Urlaubsanspruch ist auf eine bezahlte Befreiung von der Arbeitspflicht gerichtet (st. Rspr., vgl.  - Rn. 50; - 9 AZR 321/16 - Rn. 17). Kann der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung aufgrund einer vollen Erwerbsminderung nicht erbringen, wird ihm die Arbeitsleistung unmöglich. Er wird nach § 275 Abs. 1 BGB von der Pflicht zur Arbeitsleistung frei. Eine Befreiung von der Arbeitspflicht durch Urlaubsgewährung ist deshalb rechtlich unmöglich (vgl.  - Rn. 16).

28bb) Dieses Ergebnis steht nach Überzeugung des Senats im Einklang mit der durch den Gerichtshof gefundenen Auslegung des Unionsrechts. Die gemäß Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta bestehende Obliegenheit des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer ua. erforderlichenfalls mittels entsprechender Aufforderungen und Hinweise in die Lage zu versetzen, den Urlaub wahrzunehmen ( - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 45 f.), dient nach Feststellung des Gerichtshofs der Vermeidung einer Situation, in der die Aufgabe, für die tatsächliche Wahrnehmung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub zu sorgen, vollständig auf den Arbeitnehmer verlagert würde, während der Arbeitgeber die Möglichkeit erhielte, sich unter Berufung auf den fehlenden Urlaubsantrag des Arbeitnehmers seinen eigenen Pflichten zu entziehen ( - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 43). Ein Arbeitnehmer, der während des Bezugs- und/oder Übertragungszeitraums krankheitsbedingt voll erwerbsgemindert ist, kann seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben (st. Rspr. des EuGH, vgl.  - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 24; - C-214/10 - [KHS] Rn. 27). Eine freie Entscheidung über die Verwirklichung des Anspruchs ist - ohne dass es auf die Aufforderungen und Hinweise des Arbeitgebers ankäme - von vornherein ausgeschlossen, weil die volle Erwerbsminderung auf psychischen oder physischen Beschwerden beruht und vom Willen des Arbeitnehmers unabhängig ist (st. Rspr., vgl. und C-37/19 - [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 66; - C-12/17 - [Dicu] Rn. 32, 33 mwN).

30Für die Entscheidung des Rechtstreits, soweit er den Urlaub aus dem Jahr 2014 betrifft, bedarf es einer Klärung durch den Gerichtshof, ob das Unionsrecht den Verfall des Urlaubsanspruchs bei ununterbrochen fortbestehender voller Erwerbsminderung 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres oder ggf. einer längeren Frist auch dann gestattet, wenn der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt hat und der Arbeitnehmer den Urlaub im Urlaubsjahr bis zum Eintritt der vollen Erwerbsminderung zumindest noch teilweise hätte nehmen können. Seit dem Ablauf der Umsetzungsfrist für die erste Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG am ist das Unionsrecht bei der Auslegung und Anwendung des § 7 Abs. 3 BUrlG zu berücksichtigen (vgl.  - Rn. 101 ff., BAGE 134, 1; - 9 AZR 353/10 - Rn. 25, BAGE 142, 371; - 9 AZR 423/16 - Rn. 18, BAGE 165, 376). Für das Verständnis der Bestimmung kommt es daher auf die Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG sowie von Art. 31 Abs. 2 der Charta an. Darüber kann der Senat nicht befinden, ohne den Gerichtshof anzurufen, dem nach Art. 267 AEUV die Aufgabe der verbindlichen Auslegung des Unionsrechts zugewiesen ist.

321. Nach Erkenntnis des Gerichtshofs ist Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten nicht entgegensteht, die die Möglichkeit für einen während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränken, dass sie einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsehen, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Urlaub erlischt ( - [KHS] Rn. 28, 38, 44; zuletzt und C-37/19 - [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 71 ff.; - C-214/16 - [King] Rn. 55 ff.). Ein Zeitraum von 15 Monaten, in dem die Übertragung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub möglich ist, entspricht nach der Feststellung des Gerichtshofs unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber den Anforderungen der Richtlinie 2003/88/EG und läuft dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub nicht zuwider, weil er dessen positive Wirkung für den Arbeitnehmer als Erholungszeit gewährleistet ( - [KHS] Rn. 43).

33a) Gestattete es das Unionsrecht, diese Grundsätze auch im Fall einer im Verlauf des Urlaubsjahres eintretenden vollen Erwerbsminderung anzuwenden, obwohl der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben und der Urlaub vor der Arbeitsunfähigkeit infolge voller Erwerbsminderung im Urlaubsjahr - zumindest teilweise - noch hätte genommen werden können, wäre die Revision des Klägers in vollem Umfang unbegründet. Sein Urlaubsanspruch für das Jahr 2014 wäre gemäß § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG spätestens mit Ablauf des erloschen (st. Rspr., vgl. grundl.  - Rn. 32, BAGE 142, 371).

34b) Demgegenüber wäre die Revision des Klägers hinsichtlich des Urlaubsanspruchs für das Jahr 2014 begründet, wenn das Unionsrecht unter den genannten Umständen bei unterlassenen Aufforderungen und Hinweisen des Arbeitgebers eine Auslegung von § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG nicht zuließe, der zufolge der aus gesundheitlichen Gründen nicht erfüllbare gesetzliche Urlaubsanspruch bei fortdauernder vollen Erwerbsminderung des Arbeitnehmers mit Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten untergeht, es sei denn, der Urlaubsanspruch wäre zu einem späteren Zeitpunkt erloschen (vgl. dazu die zweite Vorlagefrage).

352. Durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs ist bislang - soweit ersichtlich - nicht zweifelsfrei geklärt, ob und unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub eines Arbeitnehmers, bei dem im Verlauf des Urlaubsjahres eine volle Erwerbsminderung eintritt, bei seither ununterbrochen fortbestehender voller Erwerbsminderung 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres erlöschen kann, wenn der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht nachgekommen ist. Für diesen Fall stellt sich mit Blick - einerseits - auf die Entscheidung des Gerichtshofs vom (- C-214/10 - [KHS]) und - andererseits - ua. die Entscheidung des Gerichtshofs vom (- C-684/16 - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften]) die Frage, ob mit Rücksicht auf den Erholungszweck des Urlaubs der Grundsatz, dass das Erlöschen des Anspruchs von der Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten abhängt, nur eingeschränkt gilt.

36a) Ausgangspunkt ist die Entscheidung des Gerichtshof vom (- C-684/16 - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften]), dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein Arbeitnehmer, der im Bezugszeitraum keinen Antrag auf Wahrnehmung seines gemäß diesen Bestimmungen erworbenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gestellt hat, automatisch, ohne vorherige Prüfung, ob der Arbeitgeber ihn tatsächlich in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch wahrzunehmen, am Ende des Bezugszeitraums die ihm für diesen Zeitraum zustehenden Urlaubstage verliert( - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 55).

37aa) In diesem Urteil hat der Gerichtshof betont, dass jede Praxis oder Unterlassung eines Arbeitgebers, die den Arbeitnehmer davon abhalten kann, den Jahresurlaub zu nehmen, gegen das mit dem Recht auf Jahresurlaub verfolgte Ziel verstößt ( - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 42; - C-214/16 - [King] Rn. 39). Der Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzt hat, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben, habe die sich hieraus ergebenden Folgen zu tragen ( und C-37/19 - [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 77; - C-214/16 - [King] Rn. 63).

38bb) Gölten diese Grundsätze auch bezogen auf das Urlaubsjahr, in dem die seither ununterbrochen fortbestehende volle Erwerbsminderung des Arbeitnehmers eingetreten ist, träte ein Verfall des Urlaubs auch 15 Monate nach Ablauf dieses Urlaubsjahres insoweit nicht ein, als der Arbeitnehmer seinen Jahresurlaub bei rechtzeitiger Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten vor Beginn seiner vollen Erwerbsminderung noch hätte in Anspruch nehmen können. Der Arbeitgeber hätte bei Unterlassen der gebotenen Aufforderung und Hinweise das Risiko zu tragen, dass der Urlaubsanspruch nicht vollständig verfällt, auch wenn der Arbeitnehmer über den 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Urlaubsjahres hinaus voll erwerbsgemindert ist. Er könnte dieses Risiko faktisch nur dann ausschließen, wenn er seinen Obliegenheiten bereits zu Beginn des Kalenderjahres nachkäme. Der Arbeitnehmer hätte unter den genannten Voraussetzungen (nur dann) das Risiko zu tragen, den Urlaubsanspruch wegen einer im Verlauf des Urlaubsjahres eintretenden, unter Umständen langandauernden vollen Erwerbsminderung nicht mehr in vollem Umfang realisieren zu können, wenn der Arbeitgeber die Mitwirkungsobliegenheiten - in diesem Sinne - rechtzeitig erfüllt und damit die Voraussetzungen der Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG geschaffen hat.

39b) Demgegenüber hat der Gerichtshof mit Urteil vom (- C-214/10 - [KHS]) erkannt, dass mit dem in Art. 31 Abs. 2 der Charta und in Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG verankerten Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ein doppelter Zweck verfolgt wird, der darin besteht, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen. Ein Recht auf ein unbegrenztes Ansammeln von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub aus mehreren Bezugszeiträumen, die während eines Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit erworben wurden, entspräche nicht mehr dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub ( - [KHS] Rn. 30 f.). Dessen positive Wirkung für die Sicherheit und die Gesundheit des Arbeitnehmers verliere zwar nicht an Bedeutung, wenn der Urlaub zu einer späteren Zeit genommen werde. Der Urlaub könne seiner Zweckbestimmung jedoch nur insoweit entsprechen, als der Übertrag eine gewisse zeitliche Grenze nicht überschreite. Über eine solche Grenze hinaus fehle dem Jahresurlaub seine positive Wirkung für den Arbeitnehmer als Erholungszeit; erhalten bleibe ihm lediglich seine Eigenschaft als Zeitraum für Entspannung und Freizeit ( - [KHS] Rn. 33).

40aa) Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG einzelstaatlichen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die in Fällen der Langzeiterkrankung von Arbeitnehmern einen auf 15 Monate begrenzten Übertragungszeitraum vorsehen, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt ( - [KHS] Rn. 43 f.).

41bb) Fänden diese Grundsätze auch bezogen auf das Urlaubsjahr Anwendung, in dem die seither ununterbrochen fortbestehende volle Erwerbsminderung des Arbeitnehmers eingetreten ist, könnte dieser Urlaub 15 Monate nach Ablauf dieses Urlaubsjahres auch dann verfallen, wenn der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht nachgekommen ist. Vor der vollen Erwerbsminderung liegende Ansprüche aus dem Urlaubsjahr würden dann erlöschen, auch soweit der Arbeitnehmer seinen Jahresurlaub bei rechtzeitiger Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten vor Beginn seiner Erkrankung noch hätte in Anspruch nehmen können.

42c) Die Bewertung, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta im Hinblick auf den Erholungszweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub eine Einschränkung des Grundsatzes, dem zufolge die Befristung des Urlaubsanspruchs die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten voraussetzt, zulassen, wenn Arbeitnehmer wegen einer vollen Erwerbsminderung daran gehindert waren, den Urlaub zu nehmen, sie den Urlaubsanspruch aber vor Eintritt ihrer vollen Erwerbsminderung im Verlauf des Urlaubsjahres bei Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten noch hätten realisieren können, hat der Gerichtshof bisher nicht vorgenommen; die unter Rn. 36 f. genannten Entscheidungen betrafen nicht den Urlaubsanspruch von Arbeitnehmern, die - wie der Kläger - über einen langen Zeitraum voll erwerbsgemindert waren. Die mit den Vorabentscheidungsersuchen gestellte erste Frage ist daher aus Sicht des Senats bisher durch den Gerichtshof nicht geklärt. Ebenso ist durch den Gerichtshof bisher nicht geklärt, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta einen Zeitpunkt im Urlaubsjahr vorgeben, bis zu dem der Arbeitgeber spätestens seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nachzukommen hat, um den Anforderungen an deren „Rechtzeitigkeit“ im Sinne des Unionsrechts zu genügen, was für die unter Rn. 38 dargestellte und ggf. - unter Beachtung der Beantwortung des Vorlageersuchens durch den Gerichtshof - vorzunehmende Risikoverteilung von Bedeutung ist.

433. Der Senat kann erst nach der Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta durch den Gerichtshof beurteilen, ob und inwieweit § 7 Abs. 3 BUrlG - unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der danach anerkannten Auslegungsmethoden - so ausgelegt werden kann, dass die volle Wirksamkeit des Unionsrechts gewährleistet wird, ohne eine Auslegung contra legem zu erfordern (vgl.  - [Dansk Industri] Rn. 31;  - Rn. 37;  - Rn. 19, BAGE 165, 376; - 8 AZR 501/14 - Rn. 39 f., BAGE 164, 117). Dabei schließt der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung im deutschen Recht - wo dies nötig und möglich ist - das Gebot einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung ein ( (A) - Rn. 35, BAGE 156, 23; - 8 AZR 501/14 (A) - Rn. 51 mwN, BAGE 154, 285).

444. Der Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom (- C-684/16 - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften]) ausgeführt, dass eine nationale Regelung über den Verfall des Urlaubs nicht anzuwenden sei, wenn sie nicht im Einklang mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta ausgelegt werden könne. Das nationale Gericht habe aber auch dann dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber nicht nachweisen könne, dass er ihn tatsächlich in die Lage versetzt habe, den ihm nach dem Unionsrecht zustehenden bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, seine erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht verliere (vgl.  - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 81). Stehe dem Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit ein staatlicher Arbeitgeber gegenüber, ergebe sich dieses Ergebnis aus Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und aus Art. 31 Abs. 2 der Charta. Stehe ihm ein privater Arbeitgeber gegenüber, folge dies aus Art. 31 Abs. 2 der Charta (vgl.  - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 63 f., 74 ff.). Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft (AG), dh. ein privater Arbeitgeber. Sollte § 7 Abs. 3 BUrlG einer unionsrechtskonformen Auslegung nicht zugänglich sein, was allerdings erst auf der Grundlage der Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta durch den Gerichtshof festgestellt werden könnte, stellte sich die Frage, ob § 7 Abs. 3 BUrlG - ggf. teilweise - unangewendet zu lassen wäre.

46Sollte der Gerichtshof die erste Vorlagefrage bejahen, ist es für den Rechtsstreit entscheidungserheblich, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta unter den in der Frage zu 1. genannten Umständen der Auslegung einer nationalen Regelung wie § 7 Abs. 3 BUrlG entgegen steht, der zufolge der bisher nicht erfüllte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub zu einem späteren Zeitpunkt als 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres erlischt, wenn die volle Erwerbsminderung - wie bei dem Kläger - über den 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres hinaus ununterbrochen fortbesteht. Auch diese Frage ist bislang - soweit ersichtlich - durch die Entscheidung des Gerichtshofs vom (- C-684/16 - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften]) nicht zweifelsfrei geklärt, denn der Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom (- C-214/10 - [KHS]) erkannt, dass ein unbegrenztes Ansammeln von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub aus mehreren Bezugszeiträumen, die während eines Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit erworben wurden, nicht mehr dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub entspricht ( - [KHS] Rn. 30 f.).

471. Im Anschluss an die Entscheidung des Gerichtshofs vom (- C-684/16 - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften]) tritt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der infolge unterlassener Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten am 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht. Für ihn gelten, wie für den neu entstandenen Urlaubsanspruch, die Regelungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BUrlG ( - Rn. 44, BAGE 165, 376; seither st. Rspr., vgl. zuletzt  - Rn. 16).

482. Aus Sicht des Senats ist - bejahte der Gerichtshof die erste Vorlagefrage - durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs bisher nicht geklärt, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG sowie Art. 31 Abs. 2 der Charta es zuließen, dass der ggf. wegen unterlassener Aufforderung und Hinweise nicht verfallene Urlaubsanspruch aus dem fraglichen Urlaubsjahr - im Streitfall das Urlaubsjahr 2014 - bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit uneingeschränkt das Schicksal des im ersten Folgejahr - hier das Urlaubsjahr 2015 - entstehenden Urlaubsanspruchs teilt. Der Urlaub aus dem ersten Folgejahr wäre unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten erfüllt hat, nach Ablauf von 15 Monaten verfallen, weil es objektiv unmöglich gewesen wäre, den schon zu Beginn des ersten Folgeurlaubsjahres weiterhin durchgehend voll erwerbsgeminderten Arbeitnehmer durch Mitwirkung des Arbeitgebers in die Lage zu versetzen, den Urlaubsanspruch zu realisieren (vgl. die Ausführungen unter Rn. 27 f.). Ließe das Unionsrecht diese zeitliche Begrenzung der Übertragung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub zu, wäre der Urlaubsanspruch des Klägers aus dem Jahr 2014 aufgrund fortbestehender voller Erwerbsminderung spätestens 15 Monate nach Ablauf des auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres erloschen, dh. am .

493. Ebenfalls ungeklärt ist aus Sicht des Senats, ob der Arbeitgeber auch nach Eintritt der vollen Erwerbsminderung des Arbeitnehmers seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten noch erfüllen und so die Befristung des Urlaubsanspruchs und dessen Erlöschen zu einem späteren Zeitpunkt als 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres herbeiführen kann, wenn der Arbeitnehmer während der gesamten Zeit fortdauernd voll erwerbsgemindert bleibt und deshalb seinen Urlaubsanspruch nicht realisieren kann.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2020:070720.B.9AZR245.19A.0

Fundstelle(n):
BB 2020 S. 2420 Nr. 43
BB 2020 S. 2746 Nr. 48
UAAAH-60191