Online-Nachricht - Donnerstag, 21.11.2019

Einkommensteuer | Steuerfreiheit von Zinsvergünstigungen sowie Einspruchsfrist des Arbeitnehmers bei Lohnsteuerhaftungsbescheiden (BFH)

Die Handwerkskammer führt als Körperschaft des öffentlichen Rechts einen öffentlichen Haushalt i.S. des § 3 Nr. 58 EStG. Eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 58 EStG kann nur gewährt werden, wenn die Einkommensgrenzen des einschlägigen Wohnraumförderungsgesetzes oder des Landesgesetzes zur Wohnraumförderung eingehalten sind. Wurde ein Lohnsteuerhaftungsbescheid dem Arbeitnehmer nicht bekannt gegeben, kann innerhalb der Jahresfrist nach § 356 Abs. 2 AO Einspruch eingelegt werden (, veröffentlicht am ).

Sachverhalt: Der Kläger ist Angestellter bei der Beigeladenen, einer Handwerkskammer. Diese gewährte ihm und seiner Ehefrau im Jahr 1999 ein Darlehen für die Finanzierung eines Eigenheims für 0,5 % Zinsen pro Jahr.

Das beklagte FA erließ am gegenüber der Handwerkskammer einen Haftungs- und Nachforderungsbescheid für Lohnsteuerbeträge aus den zinsgünstigen Wohnbaudarlehen des Klägers. Gegenüber der Handwerkskammer wurde der Haftungsbescheid bestandskräftig; die Steuerschuld wurde beglichen. Der Kläger erfuhr von der Haftungsinanspruchnahme durch ein Schreiben der Handwerkskammer aus Februar 2011, in dem ihm zugleich die Rückforderung der auf ihn entfallenden Steuer durch Verrechnung mit dem Gehalt angekündigt wurde.

Mit Schreiben vom legte er in seiner Eigenschaft als betroffener Arbeitnehmer/Steuerschuldner im Umfang des ihn betreffenden Teils Einspruch gegen den Lohnsteuerhaftungsbescheid ein. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Hiergegen wandte sich der Kläger mit der Begründung, dass der Zinsvorteil unter die Befreiungsvorschrift des § 3 Nr. 58 EStG falle. Die Klage hatte keinen Erfolg ().

Der BFH weist die Revision als unbegründet zurück:

  • Die Klage war zulässig, denn der Kläger konnte im Streitfall persönlich für die von der Handwerkskammer geforderten Lohnsteuerbeträge in Anspruch genommen werden, soweit sie auf ihn entfielen. Entsprechend stand ihm gegen den Haftungsbescheid ein eigenes Anfechtungsrecht zu (vgl. BFH, ; v. - VI R 72/82).

  • Der Einspruch wurde fristgerecht eingelegt. Der Einspruch ist grds. innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Da der Haftungsbescheid dem Kläger nicht bekannt gegeben worden war, konnte er den Bescheid jedenfalls bis zum Ablauf der Jahresfrist anfechten.

  • Nach § 3 Nr. 58 EStG sind u.a. Zinsvorteile bei Darlehen, die aus öffentlichen Haushalten gewährt werden, für eine zu eigenen Wohnzwecken genutzte Wohnung, soweit die Zuschüsse und Zinsvorteile die Vorteile aus einer entsprechenden Förderung mit öffentlichen Mitteln nicht überschreiten, steuerfrei.

  • Im Streitfall liegt ein Darlehen vor, das aus einem öffentlichen Haushalt gewährt wurde. Denn bei M handelt es sich um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die einen öffentlichen Haushalt führt (vgl. ).

  • Einer Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 58 EStG stehen im Streitfall aber die Einkommensgrenzen des WoFG bzw. des Gesetzes zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen entgegen.

  • • Denn die Vorschrift bezieht sich nicht lediglich auf die Höhe bestimmter Förderbeträge, sondern spricht allgemein von "Vorteilen" und erfasst mithin auch die in den entsprechenden Fördergesetzen festgelegten Einkommensgrenzen. Ließe man bei einer Förderung durch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts die Einkommensgrenzen nach den in § 3 Nr. 58 EStG genannten Gesetzen außer Betracht, käme es zu einer ungerechtfertigten Besserstellung gegenüber dem nach dem II. WoBauG, dem WoFG oder einem Landesgesetz zur Wohnraumförderung begünstigten Personenkreis. Eine solche Besserstellung ist weder dem Gesetzeswortlaut noch der Gesetzeshistorie zu entnehmen. Im Streitfall sind die maßgeblichen Einkommensgrenzen deutlich überschritten.

  • Im Ergebnis wurde die Handwerkskammer wegen der Zinsvergünstigung zu Recht in Haftung genommen, da keine Steuerbefreiung vorlag.

Anmerkung von Dr. Stephan Geserich, Richter am BFH:

Ohne viel Aufhebens (und Worte) hat der BFH im Besprechungsfall die bislang ungeklärte Rechtsfrage, innerhalb welcher Frist (Einspruchsfrist des § 355 AO oder Jahresfrist nach § 356 Abs. 2 AO) der Arbeitnehmer den an den Arbeitgeber gerichteten Haftungsbescheid anfechten muss, (mit)entschieden und auf die Maßgeblichkeit der Jahresfrist erkannt. Dies ist folgerichtig, wenn wie hier der Haftungsbescheid dem Arbeitnehmer nicht bekanntgegeben wird. Die Einspruchsfrist des § 355 AO kann folglich nur bei einer belastbaren Bekanntgabe des Bescheids (§ 122 AO) auch gegenüber dem Arbeitnehmer zum Tragen kommen.

Hiervon sehen die Finanzbehörden jedoch regelmäßig ab. Damit kann der Arbeitnehmer die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids, soweit die Haftungsschuld auf ihn entfällt, (gerichtlich) überprüfen lassen, auch wenn der Bescheid gegenüber dem Arbeitgeber bestandskräftig geworden ist. Der Arbeitgeber ist zu diesem Verfahren gem. § 360 Abs. 1 AO hinzuzuziehen bzw. nach § 60 Abs. 3 FGO notwendig beizuladen (, BFH/NV 2015, 1600, m.w.N.).

Nicht verhalten hat sich der BFH zum Beginn des Jahresfristlaufs. Insoweit ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Arbeitnehmers Kenntnis von dem Haftungsbescheid erlangt. Damit beginnt die Jahresfrist spätestens zu laufen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen der nachentrichteten Lohnsteuer zivilrechtlich in Rückgriff (siehe hierzu Karbe-Geßler, in: Kanzler/Kraft/Bäuml/Marx/Hechtner, EStG, § 42d Rz 124) nimmt (Hummel, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 42d Rz A 179).

Quelle: ; NWB Datenbank (ImA)

Fundstelle(n):
NWB YAAAH-35703