Ordentliche Verdachtskündigung - Sachvortragsverwertungsverbot - mangelnde persönliche Eignung - Tankkartenmissbrauch
Leitsatz
1. Der dringende Verdacht einer Pflichtverletzung kann eine ordentliche Kündigung aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial rechtfertigen.
2. Die Einsichtnahme in auf einem Dienstrechner des Arbeitnehmers gespeicherte und nicht als "privat" gekennzeichnete Dateien setzt nicht zwingend einen durch Tatsachen begründeten Verdacht einer Pflichtverletzung voraus.
Gesetze: § 1 Abs 2 KSchG, Art 12 Abs 1 GG, § 32 Abs 1 BDSG 1990, § 138 ZPO, Art 6 Abs 2 MRK, Art 7 EUGrdRCh, § 242 BGB, § 626 BGB, § 622 BGB, § 102 BetrVG, § 286 ZPO
Instanzenzug: Az: 24 Ca 2/17 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 21 Sa 48/17 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und um Zahlungsansprüche.
2Die Beklagte produziert Kraftfahrzeuge. Der als schwerbehinderter Mensch anerkannte Kläger war seit 1996 bei ihr beschäftigt. Die Beklagte stellte ihm einen Pkw nebst Tankkarte auch zur privaten Nutzung zur Verfügung. Der Kraftstofftank des Wagens wies nach Angaben der Beklagten als Herstellerin ein Volumen von 93 Litern auf.
3Am eröffneten zwei Mitarbeiter der internen Revision dem Kläger, dass er verdächtigt werde, Inhalte eines Audit-Berichts unerlaubt an Dritte weitergegeben zu haben. Deshalb solle sein Dienst-Laptop untersucht werden. Der Kläger gab den Rechner heraus, nannte seine Passwörter und erklärte, kooperieren zu wollen. Kurze Zeit später wandte er sich noch einmal an die interne Revision und teilte mit, es befänden sich einige, von ihm näher bezeichnete private Daten auf dem PC.
4Die Beklagte ließ eine Kopie der Festplatte des Rechners computerforensisch begutachten. Die Untersuchung wurde am abgeschlossen. In einem vom Kläger angelegten Ordner „DW“ befand sich die Datei „Tankbelege.xls“. Sie enthielt eine Aufstellung über die vom Kläger mit der Tankkarte durchgeführten Betankungen. Aus den dort erfassten Kraftstoffmengen, den Tankdaten und den von ihr anschließend recherchierten Betankungsorten ergab sich aus Sicht der Beklagten zumindest der dringende Verdacht, der Kläger habe auf ihre Kosten nicht nur sein Dienstfahrzeug betankt. Zwischen Februar 2012 und Januar 2013 setzte der Kläger 89 Mal seine Tankkarte ein. Dabei tankte er in 14 Fällen mehr als 93 Liter, darunter am (Montag) 99,7 Liter, am (Sonntag) 101,38 Liter, am (Freitag) 101,17 Liter und am (Samstag) 99,61 Liter. Insgesamt elf der 14 Betankungen mit einem Volumen von mehr als 93 Litern fanden an Wochenenden, Feiertagen oder während des Urlaubs des Klägers statt. 88 der 89 Betankungen erfolgten nicht an internen Tankstellen der Beklagten, sondern an Fremdtankstellen. In acht Fällen wurde der Dienstwagen an ein und demselben Tag bei der Beklagten gewaschen, aber extern betankt.
5Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien unter dem außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Mit Schreiben vom selben Tag hörte sie den arbeitsunfähig erkrankten Kläger ua. zu dem Verdacht an, er habe mit der ihm überlassenen Tankkarte Treibstoff nicht nur für seinen Dienstwagen erworben. Nachdem sie von der zwischenzeitlich festgestellten Schwerbehinderung des Klägers erfahren hatte, beantragte die Beklagte die behördliche Zustimmung zu einer weiteren außerordentlichen und einer erneuten ordentlichen Kündigung. Im Verwaltungsverfahren nahm der Kläger zu den von der Beklagten in dem Anhörungsschreiben vom angeführten Verdachtsmomenten Stellung. Nach Zustimmung des Integrationsamts kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom nochmals außerordentlich sowie mit Schreiben vom hilfsweise ordentlich. Im Kündigungsschutzverfahren ließ sich der Kläger weiter zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen ein. Mit Urteil vom (- 2 AZR 700/15 -) befand der Senat alle vier Kündigungen mangels Zustimmung des Integrationsamts oder wegen unzureichender Anhörung des Betriebsrats für unwirksam.
6Auf Antrag der Beklagten vom erteilte das Integrationsamt mit Bescheiden vom die Zustimmung zu einer weiteren ordentlichen Tat- und Verdachtskündigung. Unter dem 19. September und dem hörte die Beklagte den Betriebsrat an. Mit Schreiben vom kündigte sie das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich „unter Einhaltung der geltenden Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Ende eines Kalendermonats zum nächstmöglichen Termin“. Dies sei nach ihrer Berechnung der .
7Dagegen hat der Kläger sich rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt. Er habe ausschließlich seinen Dienstwagen auf Kosten der Beklagten betankt. Dessen Tank fasse deutlich mehr als 93 Liter. Ein Sachverständiger habe ausweislich eines vom ihm - dem Kläger - eingeholten Privatgutachtens ein Nachfolgemodell gleicher Bauart und gleichen Typs mit 102,42 Litern befüllen können. Die Ergebnisse der Untersuchung seines Dienstrechners dürften nicht verwertet werden. Die Analyse sei „ins Blaue hinein“ erfolgt und er sei - insoweit unstreitig - nicht zu der Auswertung hinzugezogen worden. Die Beklagte habe den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört und die gesetzliche Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Monatsende nicht gewahrt.
8Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - sinngemäß beantragt,
9Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es bestehe zumindest der dringende Verdacht, dass der Kläger die ihm zur Verfügung gestellte Tankkarte mehrfach missbraucht habe, um andere Kraftfahrzeuge oder Behältnisse auf ihre Kosten zu betanken. Das Nennvolumen von 93 Litern könne zwar übertankt werden. Doch müsse man dafür sehr lange und buchstäblich schluckweise Kraftstoff einfüllen. Bereits bei einer Betankung mit 95 bis 97 Litern, ausgehend von einem komplett leeren Kraftstoffsystem, trete ein kritischer Zustand ein. Der Flüssigkeitspegel liege dann über der Notöffnung, sodass nichts mehr in den Tank gehe. Mithilfe der auf seinem Dienstrechner geführten Auswertung habe der Kläger sicherstellen wollen, dass sein Fehlverhalten nicht durch überhöhte Verbrauchswerte auffalle. Ein Verwertungsverbot bestehe nicht. Der Betriebsrat sei korrekt angehört worden. Die kraft vertraglicher Bezugnahme maßgebliche Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres nach § 4.5.2 des Manteltarifvertrags für Beschäftigte in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden vom (im Folgenden MTV) sei gewahrt.
10Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung der Beklagten teilweise entsprochen und den Kündigungsschutzantrag abgewiesen. Die Revision hat es nur für diesen und die Pauschalen nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB zugelassen. Der Kläger begehrt mit seiner Revision die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung, während die Beklagte mit ihrer Anschlussrevision die Abweisung der Zahlungsanträge weiterverfolgt.
Gründe
11Die Revision des Klägers ist unbegründet, während sich die Anschlussrevision der Beklagten als unzulässig erweist.
12A. Die Anschlussrevision ist hinsichtlich der beiden von ihr umfassten Streitgegenstände nicht entsprechend den Anforderungen aus § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 554 Abs. 3, § 551 Abs. 3 ZPO begründet worden.
13I. Zur ordnungsgemäßen Begründung einer Revision müssen die Revisionsgründe angegeben werden. Bei Sachrügen sind diejenigen Umstände bestimmt zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO). Die Revisionsbegründung muss die Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Sie muss eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Prozessbevollmächtigte des Revisionsklägers das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und mit Blickrichtung auf die Rechtslage genau durchdacht hat. Außerdem soll die Revisionsbegründung durch ihre Kritik des angefochtenen Urteils zur richtigen Rechtsfindung durch das Revisionsgericht beitragen. Die bloße Darstellung anderer Rechtsansichten ohne jede Auseinandersetzung mit den Gründen des Berufungsurteils genügt den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung nicht (st. Rspr., vgl. - Rn. 16). Diese Grundsätze gelten nach § 554 Abs. 3 ZPO auch für die Begründung einer Anschlussrevision.
14II. Danach fehlt es hinsichtlich beider Zahlungsanträge an einer ausreichenden Begründung der Anschlussrevision.
151. Die Beklagte wiederholt in Bezug auf ihre Verurteilung zur Zahlung der Pauschalen nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB zum einen ihr vorinstanzliches Vorbringen, es wäre „systemwidrig“, wenn der Arbeitnehmer bei außergerichtlicher Geltendmachung die 40-Euro-Pauschale erhielte, aber auf den viel höheren Anwaltskosten sitzen bliebe. Zum anderen verweist sie auf die Pressemitteilung des in der Sache - 8 AZR 26/18 -, wonach § 12a ArbGG den Anspruch auf Pauschalen nach § 288 Abs. 5 BGB ausschließe. Damit negiert die Beklagte nur den vom Berufungsgericht eingenommenen Rechtsstandpunkt, ohne sich mit den Argumenten auseinanderzusetzen, die dieses für seine gegenteilige Auffassung gegeben hat. Das Landesarbeitsgericht hat im Einzelnen dargetan, warum gerade keine „Systemwidrigkeit“ vorliege und allenfalls § 12a ArbGG durch § 288 Abs. 5 BGB eingeschränkt werde.
162. Die Anschlussrevision ist auch hinsichtlich der Entschädigung für die Entziehung des Dienstwagens nicht ausreichend begründet. Die Beklagte wiederholt gegenüber der Annahme des Landesarbeitsgerichts, ein grober Pflichtverstoß in Gestalt von „Fremdbetankungen“ stehe nicht fest, lediglich die von ihr in den Tatsacheninstanzen vorgetragenen Indizien, ohne sich mit der zweitinstanzlichen Würdigung auseinanderzusetzen. Ebenso lässt sie jede Begründung dafür vermissen, warum die Auffassung des Berufungsgerichts rechtsfehlerhaft sei, ein bloßer Verdacht einer groben Pflichtverletzung könne selbst keine „grobe Pflichtverletzung“ iSd. Dienstwagenrichtlinie darstellen. Soweit die Beklagte schließlich ausführt, das Fahrzeug habe dem Kläger auch deshalb entzogen werden dürfen, weil er dieses gewerblich genutzt und es nicht nach Möglichkeit an internen Tankstellen betankt habe, setzt sie sich nicht mit der vom Landesarbeitsgericht durch Bezugnahme auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts gegebenen Begründung auseinander, damit habe der Kläger nicht in „grober“ Weise gegen seine Pflichten aus dem Überlassungsverhältnis verstoßen.
17III. Angesichts der unzureichenden Rechtsmittelbegründung bedarf es keiner Entscheidung, ob eine Anschlussrevision unzulässig ist, wenn sie einen Lebenssachverhalt betrifft, der mit dem von der Revision erfassten Streitgegenstand nicht in einem unmittelbaren rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang steht (zuletzt: - Rn. 19; - XI ZR 224/17 - Rn. 26; grundlegend - Rn. 38 ff., BGHZ 174, 244; dem folgend - Rn. 26; ebenso - Rn. 20 f.; - 5 AZR 312/08 - Rn. 25), und ob ggf. - wofür wenig spricht - ein solcher Zusammenhang bereits durch ein die Parteien verbindendes Arbeitsverhältnis begründet wird (so GMP/Müller-Glöge 9. Aufl. § 74 Rn. 74). Allerdings dürfte das Argument des Bundesgerichtshofs, es könne nicht hingenommen werden, dass der Revisionsbeklagte durch die Einlegung eines Anschlussrechtsmittels in unbegrenztem Ausmaß mehr als durch eine eigene Revision erreichen könne, nicht tragen, soweit - wie vorliegend für die Verzugspauschalen - hinsichtlich des Gegenstands der Anschlussrevision die Revision zugelassen war. Dann würde die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Beschränkung der Anschlussrevision einen Fehlanreiz setzen, weil sie den späteren Revisionsbeklagten dazu veranlassen könnte, nicht eine Anfechtung des Berufungsurteils durch den Gegner abzuwarten, sondern sofort eine eigene Revision zu führen. Der Gesetzgeber wollte aber gerade die Partei mit der Möglichkeit eines Anschlussrechtsmittels belohnen, die sich zunächst friedfertig zeigt, also auf die - ihr mögliche - Einlegung eines Rechtsmittels vorerst in der Hoffnung verzichtet, dass ein solches auch von der Gegenseite nicht eingelegt werde (BT-Drs. 14/4722 S. 98, 108).
18B. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Kündigungsschutzantrag zu Recht abgewiesen. Seine Annahme, die ordentliche Kündigung der Beklagten vom habe das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf des aufgelöst, lässt keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen.
19I. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, die streitbefangene Kündigung sei als Verdachtskündigung sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG.
201. Der Verdacht einer Pflichtverletzung stellt gegenüber dem verhaltensbezogenen Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung tatsächlich begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (vgl. - Rn. 20). Der Verdacht kann eine ordentliche Kündigung aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers bedingen.
21a) Jedes Arbeitsverhältnis setzt als personenbezogenes Dauerschuldverhältnis ein gewisses gegenseitiges Vertrauen der Vertragspartner voraus ( - zu II 3 c der Gründe, BAGE 78, 18). Ein schwerwiegender Verdacht einer Pflichtverletzung kann zum Verlust der vertragsnotwendigen Vertrauenswürdigkeit des Arbeitnehmers und damit zu einem Eignungsmangel führen, der einem verständig und gerecht abwägenden Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht (für eine ordentliche Kündigung vgl. - Rn. 34, BAGE 146, 303; für eine außerordentliche Kündigung vgl. - zu II 3 d der Gründe; - 2 AZR 164/94 - zu II 3 c der Gründe, BAGE 78, 18; siehe auch - zu II 1 a der Gründe, BVerfGK 14, 507). Der durch den Verdacht bedingte Eignungsmangel stellt einen Kündigungsgrund in der Person des Arbeitnehmers dar, auch wenn die den Verdacht und den daraus folgenden Vertrauensverlust begründenden Umstände nicht unmittelbar mit seiner Person zusammenhängen müssen. Dies entspricht auch der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum (siehe nur BeckOK ArbR/Rolfs Stand KSchG § 1 Rn. 194; ErfK/Oetker 19. Aufl. KSchG § 1 Rn. 177; HaKo/Denecke 6. Aufl. KSchG § 1 Rn. 630; HaKo/Zimmermann 6. Aufl. KSchG § 1 Rn. 458; HWK/Thies 8. Aufl. § 1 KSchG Rn. 164; LSSW/Schlünder 11. Aufl. § 1 Rn. 276; MüKoBGB/Hergenröder 7. Aufl. KSchG § 1 Rn. 184; SPV/Preis 11. Aufl. Rn. 703; vHH/L/Krause 15. Aufl. § 1 Rn. 465; im Grundsatz auch KR/Fischermeier 12. Aufl. § 626 BGB Rn. 226; Schlegeit Das BAG und die Verdachtskündigung S. 151 f. sowie nach seinem Konzept der Vertrauenskündigung Gilberg DB 2006, 1555, 1559; ders. RdA 2015, 209, 210 f.; zweifelnd KR/Rachor 12. Aufl. § 1 KSchG Rn. 423; aA Enderlein RdA 2000, 325, 328).
22b) Eine Verdachtskündigung kommt nicht nur in einem Kleinbetrieb, in dem der einzelne Arbeitnehmer und sein Arbeitgeber oder dessen Repräsentant unmittelbar zusammenarbeiten, oder bei Arbeitnehmern in einer besonderen Vertrauensstellung in Betracht. Die Betriebsgröße oder die Unterscheidung zwischen einem „normalen“ Arbeitsverhältnis und einem solchen mit besonderer Vertrauensstellung sind keine tauglichen Kriterien, um die grundsätzliche Zulässigkeit einer Verdachtskündigung zu beurteilen. Ein gewisses Vertrauen ist für die Durchführung jedes Arbeitsverhältnisses unerlässlich. Der Arbeitgeber muss sich darauf verlassen können, dass seine Mitarbeiter die Integrität seiner Rechtsgüter, die von anderen Arbeitnehmern oder ggf. von Dritten nicht vorsätzlich verletzen. Ein darüber hinausgehendes Maß an Vertrauen kann beispielsweise erforderlich sein, wenn ein Arbeitnehmer Kenntnis von Betriebsgeheimnissen erlangt, gefährliche Maschinen bedient, die auch Dritte gefährden können, oder Zugang zu Bargeldbeständen oder anderen Wertgegenständen hat. Eine solche besondere Vertrauensstellung ist aber keine zwingende Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung. Vielmehr ist sie bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber im jeweiligen Einzelfall die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten ist, in die Interessenabwägung einzustellen (für die Verdachtskündigung eines Berufungsausbildungsvertrags vgl. - Rn. 40 f., BAGE 151, 1).
23c) Die Verdachtskündigung ist „keine unterentwickelte Tatkündigung“ (zutreffend vHH/L/Krause 15. Aufl. § 1 Rn. 464) im Sinn einer Absenkung des von § 286 Abs. 1 ZPO verlangten Beweismaßes (aA Grunsky ZfA 1977, 167, 169 ff.). Vielmehr unterscheidet sich der materiell-rechtliche Bezugspunkt der richterlichen Überzeugungsbildung. Bei einer Tatkündigung muss das Gericht davon überzeugt sein, der Arbeitnehmer habe eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung begangen. Die diese Würdigung tragenden (Indiz-)Tatsachen müssen entweder unstreitig oder bewiesen sein. Hingegen muss das Gericht bei einer Verdachtskündigung mit dem nach § 286 Abs. 1 ZPO erforderlichen Grad an Gewissheit zu der Überzeugung gelangen, der Arbeitnehmer weise aufgrund des Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung einen Eignungsmangel auf. Dazu müssen die den Verdacht begründenden (Indiz-)Tatsachen ihrerseits unstreitig sein oder vom Arbeitgeber „voll“ bewiesen werden.
24d) Eine Verdachtskündigung ist stets eine personenbedingte Kündigung. Sie wird nicht deshalb zu einer Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers, weil dieser die entscheidungserheblichen Verdachtsmomente selbst gesetzt hat. Ein Arbeitnehmer begeht nicht dadurch eine eigenständige Pflichtverletzung, dass er sich durch ein für sich genommen pflichtwidriges Verhalten einer weiter gehenden, schwerer wiegenden Pflichtverletzung (nur) verdächtig macht (so wohl auch KR/Fischermeier 12. Aufl. § 626 BGB Rn. 226). Ist zB der Arbeitnehmer - insoweit unstreitig - immer wieder in dem Bereich „herumgeschlichen“, aus dem Gegenstände abhandengekommen sind, kann dies nur unter zwei Umständen eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen: Das Gericht muss entweder - auch - aufgrund des „Herumschleichens“ davon überzeugt sein, der Arbeitnehmer habe die Gegenstände entwendet, oder das „Herumschleichen“ muss als solches eine Pflichtverletzung darstellen, weil der Arbeitnehmer den betreffenden Bereich nicht betreten durfte. In beiden Fällen handelte es sich um Tatkündigungen. Stellt das „Herumschleichen“ für sich genommen keine Pflichtverletzung dar und vermag sich das Gericht nicht davon zu überzeugen, der Arbeitnehmer sei der „Täter“, kommt - unter den weiteren Voraussetzungen einer Verdachtskündigung - allenfalls eine personenbedingte Kündigung in Betracht.
25e) Die in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerte Unschuldsvermutung steht der Zulässigkeit einer Verdachtskündigung nicht entgegen. Diese Vermutung bindet unmittelbar lediglich den Richter, der über die Begründetheit der Anklage zu entscheiden hat ( - zu II 3 c der Gründe, BAGE 78, 18). Hingegen können Rechtsfolgen, die - wie die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses - keinen Strafcharakter besitzen, in gerichtlichen Entscheidungen an einen Verdacht geknüpft werden (, 2 BvR 1343/88 - zu C I 4 der Gründe, BVerfGE 82, 106; - Rn. 30, BAGE 151, 1; EGMR - 15374/11 - [Güç/Türkei] Rn. 38). Zwar darf durch staatliche Stellen die strafrechtliche Verantwortung eines beschuldigten, angeschuldigten oder angeklagten Arbeitnehmers nicht vorweggenommen oder gar ein erfolgter Freispruch infrage gestellt werden. Doch hindern ein anhängiges Strafverfahren und selbst ein rechtskräftiger Freispruch jedenfalls dann nicht die Annahme, eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei wirksam, wenn dem eine eigene richterliche Würdigung auf der Grundlage eines geringeren Beweismaßes (§ 286 ZPO gegenüber § 261 StPO) zugrunde liegt und sich das Arbeitsgericht einer strafrechtlichen Bewertung enthält (vgl. EGMR - 15374/11 - [Güç/Türkei] Rn. 38 ff.; - 21107/07 - [Alkaşi/Türkei] Rn. 30 f.; ErfK/Niemann 19. Aufl. BGB § 626 Rn. 133a, 176). Das gilt für eine verhaltensbedingte Tatkündigung und erst recht für eine personenbedingte Verdachtskündigung.
262. Angesichts der jeweils aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden, gegenläufigen Grundrechtspositionen der Arbeitsvertragsparteien bedarf das Rechtsinstitut der Verdachtskündigung gleichwohl der besonderen Legitimation. Die verfassungskonforme Auslegung von § 1 Abs. 2 KSchG ergibt, dass eine Verdachtskündigung auch als ordentliche Kündigung sozial nur gerechtfertigt ist, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten.
27a) Dies gilt zunächst für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen. In dieser Hinsicht bestehen keine Unterschiede zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung ( - Rn. 22; - 2 AZR 797/11 - Rn. 32, BAGE 146, 303). Der Verdacht muss auf konkreten, vom Kündigenden darzulegenden und ggf. - mit dem „vollen“ Maß des § 286 Abs. 1 ZPO (dazu Rn. 23) - zu beweisenden Tatsachen beruhen. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus ( - Rn. 22; - 2 AZR 256/14 - Rn. 21).
28b) Die (auch) für eine ordentliche Kündigung erforderliche Annahme, das für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses objektiv unabdingbare Vertrauen sei bereits aufgrund des Verdachts eines erheblichen Fehlverhaltens des Arbeitnehmers zerstört, ist zumindest solange nicht gerechtfertigt, wie der Arbeitgeber die zumutbaren Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts nicht ergriffen hat. Dazu gehört insbesondere, dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Verdachtsmomenten zu geben, um dessen Einlassungen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können. Versäumt der Arbeitgeber dies, kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen; die hierauf gestützte Kündigung ist unwirksam ( - Rn. 31).
29c) Auch im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG muss die Interessenabwägung zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer dringend verdächtig ist, - wäre es erwiesen - sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt hätte ( - Rn. 22). Die Verdachtskündigung beruht auf der Erwägung, dass dem Arbeitgeber von der Rechtsordnung die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses unter dem dringenden Verdacht auf ein Verhalten des Arbeitnehmers, das ihn - den Arbeitgeber - zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen würde, nicht zugemutet werden kann. Besteht dagegen der Verdacht auf das Vorliegen eines solchen Grundes nicht, weil selbst erwiesenes Fehlverhalten des Arbeitnehmers die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen könnte, überwiegt bei der Güterabwägung im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG dessen Bestandsinteresse. In einem solchen Fall nimmt die Rechtsordnung das im Fall einer Verdachtskündigung besonders hohe Risiko, einen „Unschuldigen“ zu treffen, nicht in Kauf ( - Rn. 32 ff., BAGE 146, 303).
30d) Anders als für eine außerordentliche Verdachtskündigung besteht keine starre Frist, innerhalb derer der Arbeitgeber das Recht zur ordentlichen Verdachtskündigung ausüben müsste. Allerdings kann ein längeres Abwarten zu der Annahme berechtigen, die Kündigung sei nicht iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch den Verlust des vertragsnotwendigen Vertrauens „bedingt“.
31aa) Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gilt nur für außerordentliche Kündigungen. Eine entsprechende Anwendung auf ordentliche Kündigungen scheidet aus (vgl. - zu B I 1 der Gründe). Für die ordentliche Verdachtskündigung gilt nichts anderes. Zwar ist für diese Voraussetzung, dass das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist, wäre es erwiesen, auch eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt hätte. Jedoch folgt dies nicht aus einer analogen Anwendung von § 626 Abs. 1 BGB, sondern aus einer verfassungskonformen Auslegung von § 1 Abs. 2 KSchG. Letztere verlangt nicht nach einer starren Ausschlussfrist (vgl. - zu III der Gründe für ein Sonderkündigungsrecht nach dem Einigungsvertrag; siehe auch - zu II 2 der Gründe für die fristlose Kündigung eines Musikverlagsvertrags).
32bb) Ein längeres Zuwarten des Arbeitgebers trotz Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Umständen kann indes zu der Annahme berechtigen, die Kündigung sei nicht iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch einen objektiv vorliegenden Grund - hier: den Verlust des vertragsnotwendigen Vertrauens - „bedingt“. Wann dies der Fall ist, hängt letztlich von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei ist einerseits zu bedenken, dass der Arbeitgeber nicht zu einer voreiligen Kündigung gedrängt werden darf, sondern in Ruhe prüfen können soll, ob es zumutbar ist, den Arbeitnehmer auf Dauer weiterzubeschäftigen. Dies liegt auch im wohlverstandenen Eigeninteresse des Arbeitnehmers ( - zu B I 3 d bb der Gründe). Andererseits ist zu beachten, dass eine ordentliche Verdachtskündigung durch den eingetretenen Vertrauensverlust nur dann iSv. § 1 Abs. 2 KSchG „bedingt“ sein kann, wenn das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist, - wäre es erwiesen - sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt hätte. Das spricht dafür, dass sich der Arbeitgeber auch bei einer ordentlichen Verdachtskündigung zügig entscheiden muss. Es ist jedenfalls nicht mit Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG zu vereinbaren, wenn er einen Kündigungsgrund über längere Zeit „auf Vorrat“ hält, um ihn bei passend erscheinender Gelegenheit geltend zu machen und ein beanstandungsfrei fortgesetztes Arbeitsverhältnis zu einem beliebigen Zeitpunkt kündigen zu können (für eine verhaltensbedingte Kündigung vgl. - zu B I 3 c der Gründe; für ein Sonderkündigungsrecht nach dem Einigungsvertrag vgl. - zu III der Gründe; für die fristlose Kündigung eines Vertragshändlervertrags vgl. - zu II 3 der Gründe). Auf das Entstehen eines Vertrauenstatbestands beim Arbeitnehmer kommt es insofern nicht an. Es genügt, wenn der Arbeitgeber Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, er für einen mit der Annahme eines irreparablen Vertrauensverlusts unvereinbar lang erscheinenden Zeitraum untätig bleibt und keine besonderen Umstände ersichtlich sind, die das lange Zuwarten zwischen der Kenntnis vom Kündigungsgrund und dem Kündigungsausspruch erklärlich machen. Hingegen kann die Beurteilung sich ändern, wenn der Arbeitgeber bei Kenntnis neuer, weiterer Umstände den Sachverhalt neu bewerten und sich erst dann zur Kündigung entschließen darf ( - zu B I 3 d cc der Gründe).
333. Nach diesen Grundsätzen ist die Annahme des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, die streitbefangene ordentliche Kündigung sei als Verdachtskündigung sozial gerechtfertigt.
34a) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler erkannt, es bestehe der dringende Verdacht, dass der Kläger nicht nur seinen Dienstwagen auf Kosten der Beklagten betankt habe.
35aa) Die entsprechende Würdigung des Berufungsgerichts hält einer revisionsrechtlichen Prüfung stand, wenn man das gesamte Vorbringen der Beklagten als verwertbar unterstellt.
36(1) Das Landesarbeitsgericht ist von dem zutreffenden Begriff des dringenden Tatverdachts ausgegangen. Es hat nach § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO die wesentlichen Grundlagen seiner Überzeugungsbildung in Bezug auf einen solchen Verdacht nachvollziehbar dargelegt (vgl. zu dieser Anforderung - Rn. 24; - 2 AZR 57/17 - Rn. 38, BAGE 160, 221) und nicht verkannt, dass die den Verdacht begründenden Tatsachen entweder unstreitig oder mit dem Maß des § 286 Abs. 1 ZPO bewiesen sein müssen. Daraus, dass es die Anforderungen an die volle richterliche Überzeugung im Hinblick auf eine Tatkündigung überspannt hat, kann der Kläger nichts zu seinen Gunsten ableiten. Allerdings reicht es für eine Tatkündigung, dass ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit hinsichtlich der „Täterschaft“ erreicht ist, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen. Die „Täterschaft“ muss nicht - wie das Berufungsgericht angenommen hat - mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ feststehen und das Gericht muss ggf. begründen, warum es „Restzweifel“ nicht überwinden konnte. Insbesondere darf es das Nichterreichen eines ausreichenden Grads an Gewissheit der „Täterschaft“ nicht allein darauf stützen, es seien andere Erklärungen „theoretisch denkbar“ (vgl. - Rn. 24 ff.).
37(2) Das Landesarbeitsgericht musste in seine Würdigung nur das von ihm festgestellte Vorbringen der Parteien einbeziehen. Einer Beweisaufnahme bedurfte es nicht. Der Senat hat die darauf bezogenen Verfahrensrügen (§ 559 Abs. 1 iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO) geprüft und für nicht durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).
38(3) Das Berufungsgericht hat alle beachtlichen Umstände berücksichtigt und bei seiner Würdigung nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen.
39(a) Das Landesarbeitsgericht durfte davon ausgehen, dass an einer Tankstelle mit einer Zapfpistole maximal 102,42 Liter in den Tank des Dienstwagens des Klägers eingefüllt werden konnten. Damit hat es die Behauptung des Klägers so als wahr unterstellt, wie dieser sie unter Bezugnahme auf das von ihm beigebrachte Privatgutachten aufgestellt hatte (vgl. - Rn. 26).
40(aa) Soweit der Kläger rügt, er habe den Sachverständigen nicht beauftragt, die maximale Betankungsmenge zu bestimmen, sondern lediglich zu bestätigen, die von ihm - dem Kläger - behaupteten Betankungen seien möglich, ändert dies nichts daran, dass der Sachverständige, der zuvor das gesamte Kraftstoffsystem mithilfe einer Pumpe entleert hatte, im Ergebnis ein „Gesamtvolumen von 102,42 Litern“ festgestellt und der Kläger sich darauf im Prozess berufen hat.
41(bb) Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, es sei nicht dargetan, unter welchen Bedingungen ein anderer Nutzer in den Tank eines baugleichen Pkw die - minimal größere - Menge von 103,2 Litern eingefüllt haben will.
42(cc) Die Beklagte ist nicht selbst davon ausgegangen, der Dienstwagen des Klägers habe an einer Tankstelle mit einer Zapfpistole mit mehr als 102,42 Litern betankt werden können. Mit 106 Litern hat sie nur das physikalische Bruttovolumen des Tanks angegeben, das in der Praxis unter keinen Umständen erreicht werden könne.
43(dd) Daraus, dass bei einer Auswertung von 19.805 Betankungen, die Nutzer von 790 vergleichbaren Fahrzeugen durchgeführt haben, einige Vorgänge mit einer Tankmenge von über 100 Litern identifiziert worden sind, ergibt sich selbst dann nicht ein mögliches Betankungsvolumen von mehr als 102,42 Litern, wenn man unterstellt, dass in den betreffenden Fällen ausschließlich die jeweiligen Fahrzeuge befüllt wurden.
44(b) Ausgehend von einer maximalen Betankungsmenge von 102,42 Litern bei vollständig entleertem Kraftstoffsystem hat das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler angenommen, es bestehe die hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger zumindest am (99,7 Liter), am (101,38 Liter), am (101,17 Liter) und am (99,61 Liter) nicht nur seinen Dienstwagen auf Kosten der Beklagten befüllt habe.
45(aa) Die Beklagte, die außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs stand, hat - zumindest konkludent - behauptet, der Kläger habe den Tank des Dienstwagens nicht fast punktgenau leergefahren und dann so befüllt wie der von ihm beauftragte Sachverständige. Diese Behauptung war nicht völlig „aus der Luft gegriffen“ (vgl. - Rn. 41). Der Kläger hat entgegen § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO jede Darstellung des tatsächlichen, aus seiner Sicht wahrhaftigen Geschehensablaufs unterlassen (vgl. - Rn. 44). Er hat weder erklärt, dass er immer wieder mit der Gefahr des Liegenbleibens gespielt habe, noch angegeben, dass und ggf. warum es in dem vergleichsweise kurzen Zeitraum vom bis zum viermal notwendig gewesen sei, die im Tank befindliche Kraftstoffmenge fast vollständig auszunutzen. Er hat auch nicht behauptet, den Tank in der in dem von ihm beigebrachten Privatgutachten geschilderten Weise befüllt zu haben. Der Kläger hat sich - ungeachtet der Frage, ob dies glaubhaft gewesen wäre - schließlich nicht darauf berufen, sich an die damaligen Geschehnisse nicht erinnern zu können.
46(bb) Die weitere Annahme des Berufungsgerichts, mit der Begleitung durch einen anderen Pkw und dem Mitführen eines Kanisters seien jedenfalls zwei Möglichkeiten „zwanglos denkbar“, wie der Kläger nicht bloß seinen Dienstwagen betankt hat, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
47(c) Das Landesarbeitsgericht hat schlussendlich auch ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze gemeint, es spreche für einen dringenden Verdacht, dass der Kläger in der Datei „Tankbelege.xls“ ausführliche, von ihm nicht nachvollziehbar erklärte Analysen zu seinem Kraftstoffverbrauch vorgenommen habe.
48bb) Das Berufungsgericht durfte die Inhalte der Datei „Tankbelege.xls“ in seine Würdigung einbeziehen. Der entsprechende Sachvortrag der Beklagten unterliegt keinem Verwertungsverbot.
49(1) Nach der inzwischen gefestigten Senatsrechtsprechung greift in einem Kündigungsrechtsstreit jedenfalls dann kein Verwertungsverbot zugunsten des Arbeitnehmers ein, wenn der Arbeitgeber die betreffende Erkenntnis oder das fragliche Beweismittel im Einklang mit den einschlägigen datenschutzrechtlichen Vorschriften erlangt und weiterverwandt hat (ausführlich - Rn. 14 ff.). So liegt es im Streitfall. Die Einsichtnahme in die Datei „Tankbelege.xls“ sowie die weitere Verarbeitung und Nutzung der aus ihr gewonnenen Erkenntnisse durch die Beklagte waren nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG in der bis zum geltenden Fassung (im Folgenden BDSG aF) zulässig.
50(2) Nach dieser Bestimmung dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses ua. dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Zur Durchführung gehört die Kontrolle, ob der Arbeitnehmer seinen Pflichten nachkommt, zur Beendigung iSd. Kündigungsvorbereitung die Aufdeckung einer Pflichtverletzung, die die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen kann. Sofern nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF zulässig erhobene Daten den Verdacht einer solchen Pflichtverletzung begründen, dürfen sie für die Zwecke und unter den Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF auch verarbeitet und genutzt werden. Der Begriff der Beendigung umfasst dabei die Abwicklung eines Beschäftigungsverhältnisses. Der Arbeitgeber darf deshalb alle Daten speichern und verwenden, die er benötigt, um die ihm obliegende Darlegungs- und Beweislast in einem potenziellen Kündigungsschutzprozess zu erfüllen ( - Rn. 22; - 2 AZR 681/16 - Rn. 28, BAGE 159, 380).
51(3) § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG aF entfaltet keine „Sperrwirkung“ dergestalt, dass eine anlassbezogene Datenerhebung durch den Arbeitgeber ausschließlich zur Aufdeckung von Straftaten zulässig wäre und sie nicht nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF zulässig sein könnte ( - Rn. 30, BAGE 159, 380; ausführlich - Rn. 28 ff., BAGE 159, 278). Allerdings muss die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der personenbezogenen Daten auch nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF „erforderlich“ sein. Es hat eine „volle“ Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen. Die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der personenbezogenen Daten müssen geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) ist gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht. Die Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung darf keine übermäßige Belastung für den Arbeitnehmer darstellen und muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen. Dies beurteilt sich ggf. für jedes personenbezogene Datum gesondert ( - Rn. 24).
52(4) Der vom Senat bei der Anwendung von § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF herangezogene Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt dem durch die Richtlinie 95/46/EG sowie Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (dazu - [Ryneš] Rn. 28) und Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (dazu und C-93/09 - [Volker und Markus Schecke] Rn. 52; - Rn. 20 f.) garantierten Schutzniveau für die von einer Datenerhebung Betroffenen ( - Rn. 25; EGMR - 420/07 - [Köpke/Deutschland]).
53(5) Bei der Interessenabwägung stellt eine „berechtigte Privatheitserwartung“ des Betroffenen einen beachtlichen Faktor dar (EGMR - 1874/13, 8567/13 - [López Ribalda ua./Spanien] Rn. 57; [Große Kammer] - 61496/08 - [Bărbulescu/Rumänien] Rn. 119 - 122; vgl. auch Erwägungsgrund 47 zur Verordnung [EU] 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG [Datenschutz-Grundverordnung; DS-GVO]: „vernünftige Erwartungen“), der selbst dann zugunsten des Nichtverarbeitungsinteresses des Arbeitnehmers den Ausschlag geben kann, wenn das Verarbeitungsinteresse des Arbeitgebers hoch ist. So dürfen Arbeitnehmer grundsätzlich erwarten, dass besonders eingriffsintensive Maßnahmen nicht ohne einen durch Tatsachen begründeten Verdacht einer Straftat oder schweren Pflichtverletzung ergriffen werden und insbesondere nicht „ins Blaue hinein“ oder wegen des Verdachts bloß geringfügiger Verstöße eine heimliche Überwachung und ggf. „Verdinglichung“ von ihnen gezeigter Verhaltensweisen erfolgt (für die verdeckte Videoüberwachung vgl. - Rn. 28, BAGE 156, 370; für die verdeckte Observation durch einen Detektiv vgl. - Rn. 26 ff., BAGE 159, 278; für ein verdecktes Keylogging vgl. - Rn. 30, BAGE 159, 380).
54(6) Demgegenüber können weniger intensiv in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingreifende Datenerhebungen, -verarbeitungen und -nutzungen nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF ohne Vorliegen eines durch Tatsachen begründeten Anfangsverdachts - zumal einer Straftat oder anderen schweren Pflichtverletzung - erlaubt sein. Das gilt vor allem für nach abstrakten Kriterien durchgeführte, keinen Arbeitnehmer besonders unter Verdacht stellende offene Überwachungsmaßnahmen, die der Verhinderung von Pflichtverletzungen dienen ( - Rn. 31, BAGE 159, 380). So kann es aber auch liegen, wenn der Arbeitgeber aus einem nicht willkürlichen Anlass prüfen möchte, ob der Arbeitnehmer seine vertraglichen Pflichten vorsätzlich verletzt hat, und er - der Arbeitgeber - dazu auf einem Dienstrechner gespeicherte Dateien einsieht, die nicht ausdrücklich als „privat“ gekennzeichnet oder doch offenkundig „privater“ Natur sind. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Maßnahme offen erfolgt und der Arbeitnehmer im Vorfeld darauf hingewiesen worden ist, welche legitimen Gründe eine Einsichtnahme in - vermeintlich - dienstliche Ordner und Dateien erfordern können (vgl. EGMR [Große Kammer] - 61496/08 - [Bărbulescu/Rumänien] Rn. 119 - 122), und dass er Ordner und Dateien durch eine Kennzeichnung als „privat“ von einer Einsichtnahme ohne „qualifizierten“ Anlass ausschließen kann (vgl. EGMR - 588/13 - [Libert/Frankreich]). Der Arbeitnehmer muss dann billigerweise mit einem jederzeitigen Zugriff auf die vermeintlich rein dienstlichen Daten rechnen. Zugleich kann er „private“ Daten in einen gesicherten Bereich verbringen.
55(7) In Anwendung dieser Grundsätze durfte die Beklagte die Datei „Tankbelege.xls“ kopieren, öffnen und einsehen. Die damit verbundene Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten des Klägers war verhältnismäßig.
56(a) Die Beklagte hat aus einem nicht willkürlichen Anlass ein legitimes Ziel verfolgt. Sie wollte letztlich prüfen, ob der Kläger vorsätzlich seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt hat.
57(b) Das Kopieren, Öffnen und Einsehen der Datei „Tankbelege.xls“ war geeignet, diesen Zweck zu fördern.
58(c) Die vorgenannte Datenverarbeitung war erforderlich, um den verfolgten Zweck zu erreichen. Es standen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung.
59(aa) Eine Einsichtnahme in die Datei unter Heranziehung eines Mitglieds des Betriebsrats oder des Datenschutzbeauftragten hätte kein milderes Mittel dargestellt. Dadurch hätte nicht die Möglichkeit bestanden, die Datenerhebung ganz abzuwenden oder doch auf die Art und Weise ihrer Durchführung „abschwächenden“ Einfluss zu nehmen (zu einem solchen Fall - Rn. 31, BAGE 145, 278). Die Untersuchung musste auch nicht im Beisein des Klägers erfolgen. Dieser hatte sich im Nachgang zur Herausgabe seines Dienstrechners noch einmal an die interne Revision gewandt und mitgeteilt, dass sich einige, von ihm näher bezeichnete private Daten auf der Festplatte befänden. Die Beklagte durfte annehmen, dass der Kläger gegen die Auswertung anderer Daten keine Einwände habe. Das betraf ua. den Ordner „DW“ und die Datei „Tankbelege.xls“. Beide hatte der Kläger nicht als „privat“ angeführt.
60(bb) Die Maßnahme stellt sich nicht deshalb als unnötig schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers dar, weil die Beklagte die Festplatte des Dienstrechners zum Zweck der computerforensischen Untersuchung kopiert hat. Durch das Kopieren ist der Inhalt der Dateien nicht verändert worden. Auch wurde die Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung der Daten nicht erhöht. Das gilt umso mehr, als der Kläger unmittelbar nach dem Kopieren aufgefordert worden ist, die auf der Original-Festplatte befindlichen Daten zu löschen.
61(d) Das Kopieren, Öffnen und Einsehen der Datei war nicht unangemessen. Das Nichtverarbeitungsinteresse des Klägers überwog nicht das Verarbeitungsinteresse der Beklagten.
62(aa) Die Beklagte hatte ein erhebliches Interesse daran, vorsätzliche Pflichtverletzungen des Klägers aufzudecken.
63(bb) Zwar lag kein durch Tatsachen begründeter Anfangsverdacht - zumal einer Straftat oder schweren Pflichtverletzung - vor. Auch ist nicht festgestellt, ob die Beklagte im Vorfeld des Verlangens, den Dienstrechner herauszugeben, gegenüber dem Kläger die Gründe (allgemein) bezeichnet hatte, die eine Einsichtnahme in dienstliche Ordner und Dateien erfordern können und ob sie ihn auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht hat, Ordner und Dateien durch eine Kennzeichnung als „privat“ von einer Einsichtnahme ohne „qualifizierten“ Anlass auszuschließen.
64(cc) Gleichwohl stellte sich die von der Beklagten durchgeführte Maßnahme, was die hier allein interessierende Einsichtnahme in nicht ausdrücklich als „privat“ gekennzeichnete oder doch offenkundig als „privat“ zu erkennende Dateien anbelangt, nicht als so eingriffsintensiv dar, dass sich das Nichtverarbeitungsinteresse des Klägers in einer Abwägung gegen das Verarbeitungsinteresse der Beklagten durchsetzen könnte. Die Untersuchung wurde offen durchgeführt. Ihre mögliche Reichweite war klar. Der Kläger wusste, dass die gesamte Festplatte seines Dienst-Laptops einer computerforensischen Analyse unterzogen werden sollte. In eben diesem Bewusstsein hat er bestimmte Daten gegenüber der internen Revision als „privat“ benannt. Die Beklagte durfte hernach davon ausgehen, dass die übrigen, von ihm nicht angeführten Daten für ihre „Augen“ bestimmt waren. Es geht nicht zu ihren Lasten, wenn der Kläger den Ordner „DW“ nebst der Datei „Tankbelege.xls“ vergessen oder das Einsehen von deren Inhalten durch die Beklagte für „ungefährlich“ erachtet haben sollte.
65(8) Durfte die Datei „Tankbelege.xls“ kopiert, geöffnet und eingesehen werden, stellte sich ihre weitere Verwendung im Hinblick auf einen potenziellen Rechtsstreit um die Wirksamkeit einer auszusprechenden Kündigung unproblematisch als rechtmäßig dar. Das Führen einer derartigen Aufstellung, aber auch die in der Aufstellung enthaltenen Daten stellten ein Indiz für ein schweres, ggf. zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsvertrags berechtigendes Fehlverhalten dar (Rn. 47).
66(9) Die Verwertung der von der Beklagten in zulässiger Weise ermittelten Inhalte der Datei „Tankbelege.xls“ im vorliegenden Rechtsstreit ist nach Maßgabe der DS-GVO und des BDSG in der seit dem geltenden Fassung ebenfalls rechtmäßig (vgl. - Rn. 45 ff.).
67(10) Für den vorliegenden Rechtsstreit ist es ohne Belang, ob die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung der anderen personenbezogenen Daten im Zug der computerforensischen Untersuchung des Dienstrechners den Vorgaben des BDSG aF entsprach. Sollte die Beklagte insofern gegen die Vorgaben des BDSG aF verstoßen haben, folgte daraus nicht ein Verbot, die in der Datei „Tankbelege.xls“ enthaltenen personenbezogenen Daten zu verwerten (vgl. - Rn. 33).
68(11) Die mögliche Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats, Verfahrensregelungen in einer Betriebsvereinbarung oder „internen Regeln“ des Arbeitgebers ist für die Frage, ob ein Sachvortragsverwertungsverbot eingreift, irrelevant (vgl. - Rn. 36, BAGE 157, 69; - 2 AZR 848/15 - Rn. 44, BAGE 156, 370). Es ist weder festgestellt noch sonst ersichtlich, dass in einer einschlägigen Betriebsvereinbarung ein „eigenständiges Verwertungsverbot“ bestimmt gewesen wäre. Deshalb bedarf es keiner Entscheidung, ob die Betriebsparteien gegenüber den Gerichten über das formelle Recht hinausgehende Verwertungsverbote begründen oder doch dem Arbeitgeber die Berufung auf einen Sachvortrag in einem Rechtsstreit mit dem betreffenden Arbeitnehmer wirksam versagen können.
69b) Die Beklagte hat alle ihr zumutbaren Anstrengungen unternommen, den Sachverhalt aufzuklären.
70aa) Entgegen der Auffassung des Klägers musste sie vor Ausspruch der streitbefangenen Kündigung weder weitere Untersuchungen zum Tankvolumen seines Dienstwagens noch eine Auswertung der vorhandenen Daten aller Betankungen vergleichbarer Firmenfahrzeuge unter Ermittlung der durchschnittlichen Verbrauchswerte vornehmen. Der Arbeitgeber braucht nicht jeder noch so entfernten Möglichkeit einer Entlastung des Arbeitnehmers nachzugehen ( - Rn. 38).
71bb) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe vor Ausspruch der auf den Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung gestützten Kündigung ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt, ist frei von Rechtsfehlern.
72(1) Die Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom zu dem Verdacht angehört, er habe auf ihre Rechnung Kraftstoff nicht nur für seinen Dienstwagen erworben. Der Kläger hat sich dazu gegenüber dem Integrationsamt sowie in dem Rechtsstreit betreffend die Kündigungen aus dem Jahr 2013 geäußert. Einer neuerlichen Anhörung vor Ausspruch der nun streitbefangenen Kündigung bedurfte es nicht (vgl. - Rn. 36 f.).
73(2) Die Beklagte musste den Kläger nicht zur Auswertung der Daten aller Betankungen vergleichbarer Firmenfahrzeuge anhören. Der Kläger konnte dazu keine eigenen Beobachtungen beitragen (vgl. - Rn. 38).
74c) Die Pflichtverletzung, derer der Kläger verdächtig ist, hätte, wäre sie erwiesen, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses dargestellt.
75aa) Das mögliche Verhalten des Klägers ist „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Verschafft sich ein Arbeitnehmer vorsätzlich auf Kosten des Arbeitgebers einen ihm nicht zustehenden Vermögensvorteil, verletzt er erheblich seine Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB). Eine solche Pflichtverletzung kommt typischerweise als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht. Das gilt unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung und der Höhe eines dem Arbeitgeber durch die Pflichtverletzung entstandenen Schadens. Maßgebend ist vielmehr der mit der Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch (vgl. - Rn. 16, BAGE 156, 370).
76bb) Die Interessenabwägung des Berufungsgerichts ist rechtlich nicht zu beanstanden. Es hat alle wesentlichen Aspekte berücksichtigt und die beiderseitigen Interessen vertretbar abgewogen.
77(1) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, im Fall einer erwiesenen Pflichtverletzung hätte es einer vorherigen Abmahnung nicht bedurft. Dabei hat es nicht auf die - nicht genau bekannte - Menge des nicht dem Dienstwagen zugeführten Kraftstoffs, sondern zu Recht auf die offenkundig irreparable Zerstörung des Vertrauens in die Redlichkeit des Klägers abgestellt.
78(2) In die weitere Abwägung hat es die Betriebszugehörigkeit des Klägers, seine unbeanstandete Beschäftigung bis zu den Kündigungen im Jahr 2013, seine Schwerbehinderung sowie die dieser zugrunde liegende Erkrankung ausdrücklich einbezogen und diesen Umständen nur nicht das vom Kläger gewünschte Gewicht beigemessen.
79(3) Soweit der Kläger darauf verweist, die Arbeitsverhältnisse anderer Mitarbeiter, denen vergleichbare Dienstwagen überlassen waren und die ähnliche Kraftstoffmengen getankt haben, seien nicht gekündigt worden, übersieht er, dass der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz mittelbare Auswirkung auf die Interessenabwägung nur bei gleicher Ausgangslage haben kann ( - Rn. 40, BAGE 159, 267). Eine solche hat der Kläger nicht ausreichend dargelegt.
80d) Die Kündigung vom war iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch den gegen den Kläger bestehenden Verdacht und den dadurch objektiv eingetretenen Vertrauensverlust „bedingt“, obwohl die Beklagte seit spätestens August 2013 Kenntnis von den die Kündigung begründenden Umständen hatte. Die Beklagte hat nach dem festgestellten Sachverhältnis keinerlei Anhaltspunkte dafür gesetzt, dass das nach ihrer Ansicht für die dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen - entgegen der objektiven Lage - nicht verloren war. Sie hat nicht in mit dem Kündigungsgrund nicht zu vereinbarender Weise zugewartet, sondern umgehend mehrere Vorkündigungen hierauf gestützt.
81II. Die Beklagte hatte das Recht, die streitbefangene Kündigung zu erklären, nicht nach § 242 BGB verwirkt (zu den Voraussetzungen: - zu B I 2 der Gründe; - 2 AZR 500/87 - zu B III 1 der Gründe). Der Kläger durfte nicht darauf vertrauen, die Beklagte werde sein Arbeitsverhältnis nicht - mehr - wegen des dringenden Verdachts kündigen, er habe auf ihre Kosten nicht nur seinen Dienstwagen betankt. Dagegen spricht schon, dass sie zweimal außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt und die „materielle“ Berechtigung der Vorkündigungen stets verteidigt hatte. Die nun streitbefangene Kündigung hat sie noch vor der Senatsentscheidung vom (- 2 AZR 700/15 -) vorbereitet und sodann zügig ausgesprochen. Der Kläger durfte zu keinem Zeitpunkt davon ausgehen, dass die Beklagte nicht unter Beseitigung „formaler“ Mängel aus demselben Grund eine weitere - ordentliche - Kündigung erklären werde. Nach alledem kann dahinstehen, ob es sich bei der Verwirkung gemäß § 242 BGB um einen eigenständigen Unwirksamkeitsgrund handelt, auf den sich der Arbeitnehmer gemäß § 6 Satz 1 KSchG rechtzeitig berufen muss, und ob der Kläger dies vorliegend getan hat.
82III. Die Beklagte hat die dem Kläger am Folgetag zugegangene Kündigung vom wirksam zum erklärt.
831. Für das Arbeitsverhältnis der Parteien galt kraft Bezugnahme eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres gemäß § 4.5.2 MTV. Nach § 622 Abs. 4 Satz 2 BGB sind im Geltungsbereich eines Tarifvertrags die dort bestimmten, von § 622 Abs. 1 bis Abs. 3 BGB abweichenden Bestimmungen maßgebend, wenn dies einzelvertraglich vereinbart ist. Die Parteien haben ihr Arbeitsverhältnis durch Nr. 15 und Nr. 16 des Arbeitsvertrags vom ohne Modifikation den Kündigungsfristenregelungen des einschlägigen MTV unterstellt. Daran ändert es nichts, dass sie einen (überflüssigen) Hinweis auf die tarifliche Grundkündigungsfrist für Fälle der Nichtvereinbarung einer Probezeit aufgenommen haben.
842. Die Kündigung ist nicht deshalb unwirksam, weil die Beklagte erklärtermaßen von einer Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Ende eines Kalendermonats ausgegangen ist. Für den Kläger war nicht zweifelhaft, zu welchem Termin die Kündigung nach der Vorstellung der Beklagten wirksam werden sollte. Sie wollte das Arbeitsverhältnis eindeutig zum beenden.
85IV. Die Kündigung ist schließlich nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, die Beklagte habe den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört.
861. Die Beklagte hat den Betriebsrat mit Schreiben vom 19. September und unter Angabe des aus ihrer Sicht maßgeblichen Kündigungssachverhalts und der Sozialdaten des Klägers über eine beabsichtigte ordentliche Tat- und Verdachtskündigung unterrichtet. Dabei hat sie sich in zulässiger Weise auf die Anhörung des Gremiums vor Ausspruch der Kündigungen im Jahr 2013 bezogen und die erforderlichen Änderungen und Ergänzungen vorgenommen. Insbesondere hat sie den Betriebsrat über die Erkrankung des Klägers und dessen Stellungnahme vom gegenüber dem Integrationsamt informiert (vgl. dazu - Rn. 33).
872. Die Beklagte hat den Betriebsrat in ausreichend konkreter Weise zu dem von ihr behaupteten Kündigungsgrund angehört. Zwar hat sie den Anhörungsschreiben Anlagen im Umfang von mehreren tausend Seiten beigefügt. Jedoch ist sie im Schreiben vom im Einzelnen auf diese Anlagen eingegangen. Zudem hat der Kläger nicht dargetan, welche für die beabsichtigte Kündigung maßgeblichen Umstände der Betriebsrat allein den beigefügten Anlagen habe entnehmen können.
883. Der Kläger hat nicht aufgezeigt, dass die Unterrichtung - zumal bewusst - fehlerhaft war.
89a) Entgegen seiner Ansicht hat die Beklagte dem Betriebsrat weder mitgeteilt, der Tank des Dienstwagens könne mit maximal 97 Litern befüllt werden, noch hat sie dem Gremium verschwiegen, dass das Volumen des Tanks 106 Liter betrage. Vielmehr hat sie im Anhörungsschreiben vom ausgeführt, dass das „physikalische, rein theoretische Bruttovolumen des Tanks … knapp unter 106 Litern“ betrage, aber „bereits bei einer Betankung mit 95-97 Litern ein kritischer Zustand eintrete, wobei kritisch bedeute, dass der Kraftstofftank irgendwann so voll sei, dass der Flüssigkeitspegel über der Notentlüftung liege“. Im Übrigen hat sie erklärt, „das genaue Volumen, das faktisch maximal an einer Tankstelle mit Hilfe einer Zapfpistole getankt werden“ könne, lasse sich nicht angeben.
90b) Die Beklagte konnte und musste den Betriebsrat nicht über die Auswertung der Betankungen anderer Firmenfahrzeuge des gleichen Typs informieren. Sie hat die Auswertung erst während des vorliegenden Rechtsstreits vorgenommen. Deshalb kann dahinstehen, ob das Ergebnis objektiv geeignet war, den Kläger zu entlasten.
91c) Schließlich ist es unschädlich, dass die Beklagte dem Betriebsrat eine objektiv falsche Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Monatsende mitgeteilt hat. Das gilt schon deshalb, weil sie in dem Schreiben vom mit dem gleichwohl den rechtlich zutreffenden Kündigungstermin benannt hat.
92C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2019:310119.U.2AZR426.18.0
Fundstelle(n):
BB 2019 S. 1395 Nr. 24
DB 2019 S. 7 Nr. 23
NJW 2019 S. 10 Nr. 25
NJW 2019 S. 2883 Nr. 39
IAAAH-16079