OFD Frankfurt/M. - S 2470 A - 02 - St 223

Kindergeld – Persönliche Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten

Bezug:

Mit hat der BFH entschieden, dass eine im EU-Ausland lebende geschiedene Ehefrau, in deren Haushalt die gemeinsamen Kinder leben, einen vorrangigen Anspruch auf Kindergeld hat, Art. 60 Abs. 1 Satz 1 der VO Nr. 987/2009 sowie Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004, §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 64 Abs. 2 Satz 1 EStG.

1. Verfahrensgang

Das entschieden, dass die Familienkasse dem in Deutschland lebenden und unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Vater Kindergeld zu gewähren habe, da ihm ein Kindergeldanspruch nach deutschem Recht zustehe: er habe seinen Wohnsitz in Deutschland und sein Kind lebe in einem Land der Europäischen Union. Die Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt der Mutter (geschiedene Ehefrau) stehe dem nicht entgegen. Zudem sei die Vorschrift des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht einschlägig, weil die Kindsmutter in ihrer Person nicht die Anspruchsvoraussetzungen nach §§ 62 ff. EStG erfülle. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (VO) Nr. 987/2009 führe zu keiner anderen Beurteilung, da mit dieser Vorschrift keine Rechte Dritter begründet werden, durch die Rechte des Klägers (Vater) geschmälert oder ausgeschlossen würden.

Die Familienkasse legte hiergegen Revision ein. Mit setzte der zuständige Senat des BFH das Revisionsverfahren aus und legte dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Rechtsfragen zur Anwendung der Art. 60 Abs. 1 Satz 2+3 der VO Nr. 987/2009 und Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004 vor.

Der EuGH hat diese Vorlagefragen mit beantwortet. Der BFH wies daraufhin unter Berücksichtigung der Beantwortung des EuGH mit die Klage des Vaters ab. Das FG Düsseldorf habe zu Unrecht entschieden, dass der Kindergeldanspruch dem Vater zustehe. Vielmehr habe die im EU-Ausland lebende Kindsmutter einen vorrangigen Anspruch auf Kindergeld.

2. Voraussetzungen

Der in Deutschland lebende Elternteil A hat grundsätzlich Anspruch auf Kindergeld nach den Vorschriften des EStG (§§ 62 ff. EStG)

Art. 60 Abs. 1 der VO Nr. 987/2009 und Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004 sind anzuwenden

  • Grenzüberschreitender Sachverhalt mit Unionsbezug

  • Persönlicher Anwendungsbereich nach Art. 2 der VO Nr. 883/2004 durch deutsche Staatsbürgerschaft des einen Elternteils

  • Sachlicher Anwendungsbereich durch Kindergeld, das eine Familienleistung im Sinne des Art. 1 Bst. z, Art. 3 Abs. 1 Bst. j der VO Nr. 883/2004 darstellt

  • Deutsche Zuständigkeit für die Erbringung von Familienleistungen, Art. 11 Abs. 3 Bst. a und e der VO Nr. 883/2004

  • Familienangehörige im Sinne des Art. 1 Bst. i Nr. 1 Bst. i der VO Nr. 883/2004 (z. B. Eltern und Kinder)

3. Rechtsfolgen

Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 fingiert unter Anwendung der Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004, dass die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen ist, als würden alle Beteiligten – insbesondere, was das Recht zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt – unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates (hier: Deutschland) fallen und dort wohnen. Die Vorschrift unterstellt also dem im EU-Ausland lebenden (geschiedenen) Elternteil B, dass dieser zusammen mit seinem Kind in einem eigenen Haushalt in Deutschland lebt und somit auch nach den §§ 62 ff. EStG kindergeldberechtigt ist. Hieraus ergeben sich konkurrierende Kindergeldansprüche, die durch § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG geregelt werden. Nach dieser Vorschrift ist derjenige Elternteil vorrangig kindergeldberechtigt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat – hier der im EU-Ausland lebende Elternteil B. Die Anspruchsberechtigung gilt solange die Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach in der Person des im Inland lebenden Elternteils A erfüllt sind, vgl. , Rz. 21.

Dem Elternteil A steht trotz Kindergeldberechtigung des Elternteils B gem. § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG ein Freibetrag für das sächliche Existenzminimum des Kindes sowie ein Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf zu, da das Kind nach § 32 EStG zu berücksichtigen ist. Ihm steht zudem der doppelte Freibetrag zu, da Elternteil B nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist, § 32 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 EStG.

Dieser Anrechnung steht der vorrangige Kindergeldanspruch des Elternteils B nicht entgegen, vgl. Rz. 30.

Das Fehlen eines im EU-Ausland gestellten Antrags auf Familienleistungen führt nicht dazu, dass die Fiktionswirkung des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 entfällt. Auch geht der Kindergeldanspruch des im Ausland lebenden Elternteils bei fehlender Antragstellung im Ausland nicht auf denjenigen im Inland über, der im Inland das Kindergeld beantragt.

Beispiel:

Die geschiedene Ehefrau (Polin) lebt mit dem gemeinsamen Kind in Polen. Das Kind ist über 18 Jahre alt (unter 25) und befindet sich noch in Ausbildung. In Polen besteht kein Anspruch (mehr) auf Kindergeld.

Der Vater ist in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.

Der Vater des Kindes kann grundsätzlich für sein Kind Kindergeld beantragen, da die Voraussetzungen der §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a und § 63 Abs. 1 Satz 3 UKS EStG erfüllt sind:

  • Der Vater ist in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, da er seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG)

  • Das Kind ist als leibliches Kind im ersten Grad mit dem Vater verwandt (§ 32 Abs. 1 Nr. 1)

  • Das Kind ist über 18, jedoch unter 25, und befindet sich in Ausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a))

  • Das Kind lebt in Polen und somit in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG UKS).

Er ist somit für das Kindergeld anspruchsberechtigt.

Die Mutter des Kindes und zugleich geschiedene Ehefrau des Vaters, die mit dem Kind in Polen lebt, ist gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG ebenfalls anspruchsberechtigt.

Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 1 der VO Nr. 987/2009 sowie Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004 wird unterstellt, dass die Mutter zusammen mit ihrem Kind in einem eigenen Haushalt in Deutschland lebt. Sie erfüllt also gleichermaßen die o. g. Vorschriften.

Beide Elternteile sind daher anspruchsberechtigt. Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG ist die Mutter des Kindes vorrangig anspruchsberechtigt, da sie das Kind in ihrem Haushalt aufgenommen hat.

Die Kindsmutter kann demnach deutsches Kindergeld beantragen.

Dem Vater steht gem. § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG ein Freibetrag für das sächliche Existenzminimum des Kindes sowie ein Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf zu, da sein Kind nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a) EStG zu berücksichtigen ist. Ihm steht zudem der doppelte Freibetrag zu, da die Mutter nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist, § 32 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 EStG.

OFD Frankfurt/M. v. - S 2470 A - 02 - St 223

Fundstelle(n):
BAAAF-88002