EuGH Urteil v. - C-344/14

Vorlage zur Vorabentscheidung - Zolltarif- und Statistiknomenklatur - Tarifierung der Waren - Aminosäuremischungen, die für die Nahrungszubereitung bei Säuglingen und Kleinkindern mit Kuhmilchproteinallergie verwendet werden - Einreihung in die Tarifposition 2106 ("Lebensmittelzubereitungen") oder 3003 ("Arzneiwaren")

Leitsatz

Die Kombinierte Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1214/2007 der Kommission vom ist dahin auszulegen, dass Aminosäuremischungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die für die Nahrungszubereitung für Säuglinge und Kleinkinder mit Kuhmilchproteinallergie verwendet werden, als „Lebensmittelzubereitungen“ in die Position 2106 dieser Nomenklatur einzureihen sind, soweit sie aufgrund ihrer objektiven Merkmale und Eigenschaften keine genau umschriebenen therapeutischen und prophylaktischen Eigenschaften aufweisen, deren Wirkung sich auf bestimmte Funktionen des menschlichen Organismus konzentriert, und daher nicht zur Verhütung oder Behandlung einer Krankheit oder eines Leidens angewandt werden können und auch nicht naturgemäß zu einer medizinischen Verwendung bestimmt sind; dies festzustellen ist Sache des nationalen Gerichts.

Gesetze: Pos 2106 UPos 9092 KN, Pos 3003 KN, EGV 1777/2001, Kap 30 Anm 1 KN

Instanzenzug: , Vorabentscheidungsersuchen ,

Gründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Tarifpositionen 2106 und 3003 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1214/2007 der Kommission vom (ABl. L 286, S. 1) (im Folgenden: KN).

2 Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Kyowa Hakko Europe GmbH (im Folgenden: Kyowa Hakko) und dem Hauptzollamt Hannover wegen verbindlicher Zolltarifauskünfte (vZTA) für die Einreihung von Aminosäuremischungen, die für die Nahrungszubereitung bei Säuglingen und Kleinkindern mit Kuhmilchproteinallergie verwendet werden.

Rechtlicher Rahmen

3 Die mit der Verordnung Nr. 2658/87 errichtete KN beruht auf dem Harmonisierten System für die Bezeichnung und Codierung der Waren, das vom Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens, jetzt Weltzollorganisation (WZO), ausgearbeitet und durch das am in Brüssel geschlossene Internationale Übereinkommen über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren (im Folgenden: HS) eingeführt wurde. Dieses Übereinkommen wurde mit dem dazugehörigen Änderungsprotokoll vom im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch den Beschluss 87/369/EWG des Rates vom (ABl. L 198, S. 1) genehmigt.

4 Teil II („Zolltarif“) der KN enthält einen Abschnitt IV, der u. a. das Kapitel 21 („Verschiedene Lebensmittelzubereitungen“) umfasst.

5 Kapitel 21 der KN enthält die Position 2106, die lautet:

„2106 Andere Lebensmittelzubereitungen, anderweit weder genannt noch inbegriffen“.

6 Dieses Kapitel enthält auch folgende Unterpositionen:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
„2106 10
– Eiweißkonzentrate und texturierte Eiweißstoffe:
2106 90
– andere:
– – andere:
2106 90 92
– – – kein Milchfett und keine Saccharose, Isoglucose, Glucose oder Stärke enthaltend oder weniger als 1,5 GHT Milchfett, 5 GHT Saccharose oder Isoglucose, 5 GHT Glucose oder Stärke enthaltend“.

7 Anmerkung 1 zu Kapitel 21 lautet:

„Zu Kapitel 21 gehören nicht:

f) Hefen, als Arzneiwaren aufgemacht, und andere Waren der Position 3003 oder 3004;

…“

8 Teil II („Zolltarif“) der KN enthält ferner einen Abschnitt VI, der u. a. das Kapitel 30 („Pharmazeutische Erzeugnisse“) umfasst.

9 Kapitel 30 der KN enthält die Position 3003, die lautet:

„3003 Arzneiwaren (ausgenommen Erzeugnisse der Position 3002, 3005 oder 3006), die aus zwei oder mehr zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken gemischten Bestandteilen bestehen, weder dosiert noch in Aufmachungen für den Einzelverkauf“.

10 Dieses Kapitel enthält auch folgende Unterpositionen:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
„3003 10 00
– Penicilline oder ihre Derivate (mit Penicillansäuregerüst) oder Streptomycine oder ihre Derivate enthaltend
3003 20 00
– andere Antibiotika enthaltend
– Hormone oder andere Erzeugnisse der Position 2937, jedoch keine Antibiotika enthaltend:
3003 40 00
– Alkaloide oder ihre Derivate, jedoch weder Hormone noch andere Erzeugnisse der Position 2937 noch Antibiotika enthaltend
3003 90
– andere“.

11 Kapitel 30 der KN enthält ferner die Position 3004, die lautet:

„3004 Arzneiwaren (ausgenommen Erzeugnisse der Position 3002, 3005 oder 3006), die aus gemischten oder ungemischten Erzeugnissen zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken bestehen, dosiert (einschließlich solcher, die über die Haut verabreicht werden) oder in Aufmachungen für den Einzelverkauf“.

12 Anmerkung 1 zu Kapitel 30 der KN lautet:

„Zu Kapitel 30 gehören nicht:

a) Nahrungsmittel oder Getränke (wie diätetische, diabetische oder angereicherte Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel, tonische Getränke und Mineralwasser), andere nicht intravenös zu verabreichende Nährstoffzubereitungen (Abschnitt IV)“.

13 Die zusätzliche Anmerkung 1 zu Kapitel 30 der KN lautet:

„Zu Position 3004 gehören pflanzliche Arzneizubereitungen und Zubereitungen auf der Grundlage folgender Wirkstoffe: Vitamine, Mineralstoffe, essentielle Aminosäuren oder Fettsäuren, in Aufmachungen für den Einzelverkauf. Diese Zubereitungen sind in Position 3004 einzureihen, wenn auf dem Etikett, der Verpackung oder dem Beipackzettel folgende Angaben gemacht werden:

a) die spezifischen Krankheiten, Leiden oder deren Symptome, bei denen diese Erzeugnisse verwendet werden sollen;

b) die Konzentration des enthaltenen Wirkstoffs oder der enthaltenen Wirkstoffe;

c) die zu verabreichende Menge und

d) die Art der Anwendung.

In diese Position gehören homöopathische Arzneizubereitungen, vorausgesetzt, sie erfüllen die unter den Buchstaben a, c und d genannten Bedingungen.

Bei Zubereitungen auf der Grundlage von Vitaminen, Mineralstoffen, essentiellen Aminosäuren oder Fettsäuren muss die Menge eines dieser Stoffe pro auf dem Etikett angegebener empfohlener Tagesdosis deutlich höher sein als die für den Erhalt der allgemeinen Gesundheit oder des allgemeinen Wohlbefindens empfohlene Tagesdosis.“

14 Darüber hinaus heißt es in den von der Weltzollorganisation veröffentlichten Erläuterungen zum HS (Ausgabe 2007) zu Position 30.03 des HS, die Position 3003 der KN entspricht (im Folgenden: HS-Erläuterungen):

„Die verschiedenen Bestimmungen in der Überschrift zu dieser Position gelten weder für Lebensmittel noch für Getränke (z. B. für diätetische Lebensmittel, angereicherte Lebensmittel, Lebensmittel für Diabetiker, tonische Getränke und natürliche oder künstliche Mineralwässer), die nach ihrer Beschaffenheit einzureihen sind. Dies gilt vor allem für Lebensmittelzubereitungen, die nur Nährstoffe enthalten. Die wichtigsten Nährstoffe, die in Lebensmitteln vorkommen, sind Eiweißstoffe, Kohlenhydrate und Fette. Vitamine und Mineralsalze spielen in der Ernährung ebenfalls eine Rolle.

Das gleiche gilt für Lebensmittel und Getränke mit Zusatz von arzneilichen Wirkstoffen, sofern diese Wirkstoffe keinen anderen Zweck haben, als ein besseres diätetisches Gleichgewicht zu schaffen, den Energie- oder Nährwert des Erzeugnisses zu heben oder seinen Geschmack zu verbessern, ihm aber nicht den Charakter einer Lebensmittelzubereitung nehmen.

Hierher gehören ferner nicht ‚Ergänzungslebensmittel‘, die Vitamine und Mineralsalze enthalten und zur Erhaltung der Gesundheit oder des Wohlbefindens dienen, sofern sie keine Angaben über die Verhütung oder Behandlung einer Krankheit enthalten. Diese Erzeugnisse, die gewöhnlich in flüssiger Form vorliegen, aber auch Pulver- oder Tablettenform aufweisen können, gehören im Allgemeinen zu Position 2106 oder zu Kapitel 22.

Andererseits bleiben bei dieser Position solche Zubereitungen, in denen die Lebensmittel oder Getränke nur als Trägerstoff, Bindemittel oder Süßungsmittel für den oder für die arzneilichen Wirkstoffe dienen sollen, insbesondere um die Einstellung des Wirkungsgrades oder die Aufnahme zu erleichtern.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

15 Kyowa Hakko stellt Aminosäuremischungen mit den Bezeichnungen RM0630 und RM0789 her, die aus verschiedenen, hochrein hergestellten Einzelaminosäuren bestehen (im Folgenden: streitige Erzeugnisse). Die streitigen Erzeugnisse werden so hergestellt, dass sie keine Kuhmilchproteine enthalten. Kyowa Hakko liefert die Erzeugnisse in loser Form an ein anderes Unternehmen, das sie unter Zugabe von Kohlehydraten und Fetten für die Nahrungszubereitung für Säuglinge und Kleinkinder mit Kuhmilchproteinallergie verwendet. Durch den Ersatz der allergenen Kuhmilchproteine führen die streitigen Erzeugnisse die für die Entwicklung des Immunsystems und das Wachstum dieser Kinder notwendigen Substanzen zu.

16 Am beantragte Kyowa Hakko bei der zuständigen deutschen Zollbehörde (Bundesfinanzdirektion B) die Erteilung von vZTA zur Einreihung der streitigen Erzeugnisse in die KN. Sie schlug in ihrem Antrag die Einreihung dieser Erzeugnisse in die Unterposition 3003 90 der KN vor. In den ihr von der Behörde am erteilten vZTA wurden die Erzeugnisse jedoch in eine Unterposition der Position 2106 der KN, und zwar in die Unterposition 2106 90 92, eingereiht.

17 Am legte Kyowa Hakko gegen die von der Bundesfinanzdirektion B vorgenommene Einreihung der streitigen Erzeugnisse in die KN Einspruch beim Hauptzollamt Hannover ein. Sie machte darin geltend, die streitigen Erzeugnisse seien in die Position 3003 der KN einzureihen, da sie zu Produkten verarbeitet würden, die hauptsächlich zur Therapie einer Kuhmilchallergie, anderer Nahrungsmittelallergien und von Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts sowie zur Prophylaxe verwendet würden. Das Hauptzollamt Hannover wies den Einspruch mit Entscheidung vom als unbegründet zurück.

18 Kyowa Hakko erhob am gegen diese Entscheidung Klage beim Finanzgericht Hamburg. Das Finanzgericht wies die Klage mit Entscheidung vom ab, da die streitigen Erzeugnisse nicht in die Position 3003 der KN einzureihen seien. Gestützt auf die HS-Erläuterungen wies das Gericht u. a. darauf hin, dass die streitigen Erzeugnisse, die nur die für die Ernährung erforderlichen Eiweißbestandteile zur Verfügung stellten, im geltenden System der KN als „Nährstoffe“ und nicht als „arzneiliche Wirkstoffe“ angesehen werden müssten, so dass sie nicht als „Arzneiwaren“, sondern als „Lebensmittelzubereitungen“ einzustufen seien. Zudem hätten die streitigen Erzeugnisse keine therapeutische Wirkung.

19 Am legte Kyowa Hakko gegen die Entscheidung des Finanzgerichts Hamburg beim vorlegenden Gericht Revision ein. Sie hält darin ihr Vorbringen aufrecht, dass die streitigen Erzeugnisse in die Position 3003 der KN einzureihen seien. Im Wesentlichen macht sie geltend, die HS-Erläuterungen seien nicht rechtsverbindlich. Hierbei beruft sie sich auch auf eine im Rechtsmittelverfahren ergangene Entscheidung des Upper Tribunal (Tax and Chancery Chamber) (Vereinigtes Königreich) vom , das die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Aminosäuremischung in die Position 3003 der KN eingereiht habe.

20 Das vorlegende Gericht weist im Vorabentscheidungsersuchen im Wesentlichen darauf hin, dass die KN keine Definition des Begriffs „Arzneiware“ enthalte. Gleichwohl ist es der Auffassung, dass die streitigen Erzeugnisse nicht als „Arzneiwaren“ im Sinne der Position 3003 der KN eingestuft werden könnten. Insoweit sei bei diesen Erzeugnissen, die als Ersatz für allergene Milchprodukte verwendet würden, solange das Immunsystem des Kindes mit Kuhmilchproteinallergie nicht vollständig entwickelt sei, kein therapeutischer oder prophylaktischer Zweck ersichtlich. Die streitigen Erzeugnisse ersetzten nämlich nur einen krankheitsauslösenden Bestandteil der normalen Säuglingsnahrung, ohne auf die Allergie einzuwirken, sie zu beseitigen oder zu mindern.

21 Auch wenn das vorlegende Gericht der Einreihung der streitigen Erzeugnisse in die Position 2106 der KN und den entsprechenden Entscheidungen des Hauptzollamts und des Finanzgerichts Hamburg beipflichtet, hält es jedoch angesichts der in der Entscheidung des Upper Tribunal (Tax and Chancery Chamber) vom geäußerten gegenteiligen Ansicht eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs für erforderlich, um die ordnungsgemäße Einreihung dieser Erzeugnisse in die KN zu klären und damit eine einheitliche Auslegung des Unionsrechts zu gewährleisten.

22 Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

  1. Handelt es sich bei Aminosäuremischungen wie denen des Streitfalls (RM0630 bzw. RM0789), aus welchen (in Verbindung mit Kohlehydraten und Fetten) ein Nahrungsmittel hergestellt wird, mit dem ein grundsätzlich lebensnotwendiger, in der normalen Ernährung vorhandener, im Einzelfall aber allergieauslösender Stoff ersetzt wird und dadurch allergiebedingte Gesundheitsbeeinträchtigungen vermieden und die Linderung oder sogar Heilung bereits eingetretener Schäden ermöglicht werden, um eine zu prophylaktischen oder therapeutischen Zwecken aus mehreren Bestandteilen gemischte Arzneiware im Sinne der Position 3003 der KN?

  2. Für den Fall, dass Frage 1 zu verneinen sein sollte: Handelt es sich bei den Aminosäuremischungen um Nährstoffzubereitungen der Position 2106 der KN, die nach Anmerkung 1 Buchst. a zu Kapitel 30 der KN aus diesem Kapitel ausgewiesen sind, weil sie keine über die Zuführung von Nahrung hinausgehende prophylaktische oder therapeutische Wirkung entfalten?

Zu den Vorlagefragen

23 Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die KN dahin auszulegen ist, dass Aminosäuremischungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die für die Nahrungszubereitung für Säuglinge und Kleinkinder mit Kuhmilchproteinallergie verwendet werden, als „Arzneiwaren, die aus zwei oder mehr zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken gemischten Bestandteilen bestehen“, in die Position 3003 der KN oder als „Lebensmittelzubereitungen“ in die Position 2106 der KN einzureihen sind.

24 Vorab ist hervorzuheben, dass es in einem Vorabentscheidungsverfahren auf dem Gebiet der zolltariflichen Einreihung Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht die Kriterien aufzuzeigen, anhand deren es die betreffenden Erzeugnisse ordnungsgemäß in die KN einreihen kann, nicht aber, diese Einreihung selbst vorzunehmen, zumal der Gerichtshof nicht immer über alle hierfür erforderlichen Angaben verfügt. Das nationale Gericht ist zu der fraglichen Einreihung jedenfalls besser in der Lage (vgl. Urteile Proxxon, C-500/04, EU:C:2006:111, Rn. 23, Digitalnet u. a., C-320/11, C-330/11, C-382/11 und C-383/11, EU:C:2012:745, Rn. 61, sowie Vario Tek, C-178/14, EU:C:2015:152, Rn. 18).

25 Sodann ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Interesse der Rechtssicherheit und der leichteren Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zolltarifliche Einreihung von Waren grundsätzlich in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen ist, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu ihren Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (vgl. u. a. Urteile Thyssen Haniel Logistic, C-459/93, EU:C:1995:160, Rn. 8, sowie Nutricia, C-267/13, EU:C:2014:277, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26 Zudem sind nach ständiger Rechtsprechung die von der Kommission zur KN und von der WZO zum HS ausgearbeiteten Erläuterungen ein wichtiges, wenn auch nicht rechtsverbindliches Hilfsmittel für die Auslegung der Tragweite der einzelnen Tarifpositionen (vgl. u. a. Urteil TNT Freight Management [Amsterdam], C-291/11, EU:C:2012:459, Rn. 32).

27 Angesichts der objektiven Merkmale und Eigenschaften der streitigen Erzeugnisse, bei denen es sich um Aminosäuremischungen handelt, die so hergestellt sind, dass sie keine Kuhmilchproteine enthalten, und die für die Nahrungszubereitung für Säuglinge und Kleinkinder verwendet werden, müssten diese Erzeugnisse grundsätzlich zu Kapitel 21 („Verschiedene Lebensmittelzubereitungen“) der KN gehören und daher in die Position 2106 („Lebensmittelzubereitungen, anderweit weder genannt noch inbegriffen“) eingereiht werden.

28 Nach Anmerkung 1 Buchst. f zu Kapitel 21 sind jedoch von diesem Kapitel „andere Waren der Position 3003 oder 3004“ ausgeschlossen, nämlich die als „Arzneiwaren“ im Sinne dieser Positionen einzustufenden Erzeugnisse. Daher stellt sich die Frage, ob die streitigen Erzeugnisse in dieser Weise einzustufen sind.

29 Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Einreihung der Erzeugnisse in Kapitel 30 der KN zu prüfen, ob sie genau umschriebene therapeutische und prophylaktische Eigenschaften aufweisen, deren Wirkung sich auf bestimmte Funktionen des menschlichen Organismus konzentriert, und ob sie zur Verhütung oder Behandlung einer Krankheit oder eines Leidens angewandt werden können. Auch wenn das betreffende Erzeugnis keine eigene therapeutische oder prophylaktische Wirkung hat, aber bei der Verhütung oder Behandlung einer Krankheit oder eines Leidens Anwendung findet, ist es als zu einem therapeutischen oder prophylaktischen Zweck zubereitet anzusehen, sofern es eigens für diese Verwendung bestimmt ist (vgl. u. a. Urteil Nutricia, C-267/13, EU:C:2014:277, Rn. 20).

30 Aus der in den Rn. 25 und 29 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung folgt, dass der Verwendungszweck eines Erzeugnisses ein objektives Tarifierungskriterium sein kann, sofern er dem Erzeugnis innewohnt, was anhand seiner objektiven Merkmale und Eigenschaften zu beurteilen ist. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann ein Erzeugnis, das aufgrund seiner objektiven Merkmale und Eigenschaften naturgemäß zu einer medizinischen Verwendung bestimmt ist, in Kapitel 30 der KN eingereiht werden (vgl. u. a. Urteile Thyssen Haniel Logistic, C-459/93, EU:C:1995:160, Rn. 13 und 14, sowie Nutricia, C-267/13, EU:C:2014:277, Rn. 21).

31 Im vorliegenden Fall werden die streitigen Erzeugnisse, wie in Rn. 23 des vorliegenden Urteils ausgeführt, für die Nahrungszubereitung für Säuglinge und Kleinkinder mit Kuhmilchproteinallergie verwendet. Solche Erzeugnisse könnten nur dann in Kapitel 30 der KN eingereiht werden, wenn sie aufgrund ihrer objektiven Merkmale und Eigenschaften eine eigene therapeutische oder prophylaktische Wirkung hätten oder zumindest naturgemäß zu einer medizinischen Verwendung bestimmt wären; dies festzustellen ist Sache des nationalen Gerichts.

32 Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass Erzeugnisse, die, ohne auf die Allergie einwirken oder sie heilen zu können, als bloße Austauschstoffe verwendet werden, die nur dazu dienen, die allergenen Eiweißstoffe zu ersetzen, indem sie die für die Ernährung von Säuglingen mit Kuhmilchproteinallergie erforderlichen Eiweißbestandteile zur Verfügung stellen, diese Allergie jedoch nicht selbst beseitigen, nicht als Mittel mit einem eigenen therapeutischen Zweck in Bezug auf diese Säuglinge angesehen werden können.

33 Zweitens kann Erzeugnissen kein eigener, auf die Verhütung einer Krankheit oder eines Leidens abzielender prophylaktischer Zweck beigemessen werden, wenn durch ihre Verabreichung bei einem allergischen Säugling, der allergene Kuhmilchproteine aufgenommen hat, eine allergische Reaktion auf diese Proteine nicht vermieden werden kann, sondern wenn sie durch Verwendung eines nicht allergenen Austauschstoffs zur Verringerung oder Vermeidung der allergenen Proteine in der Ernährung des betreffenden Säuglings dienen.

34 Drittens können Erzeugnisse, aus denen Säuglingsnahrung hergestellt wird, die nicht notwendigerweise im Rahmen einer medizinischen Behandlung zugeführt wird und deren Aufnahme auch keine medizinische Überwachung erfordert, nicht als im Sinne der in den Rn. 29 und 30 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs naturgemäß zu einer medizinischen Verwendung bestimmt angesehen werden. Darüber hinaus könnten solche Erzeugnisse, die auch nicht als Trägerstoff, Bindemittel oder Süßungsmittel für arzneiliche Wirkstoffe dienen können, um deren Aufnahme zu erleichtern, gemäß den HS-Erläuterungen nicht in die Position 3003 der KN eingereiht werden.

35 Darüber hinaus folgt schon aus dem Wortlaut von Anmerkung 1 Buchst. a zu Kapitel 30 der KN, dass diätetische Nahrungsmittel oder Getränke, die ausschließlich zu ernährungsbedingten Zwecken verwendet werden, mit Ausnahme von intravenös zu verabreichenden Nährstoffzubereitungen nicht zu diesem Kapitel gehören (vgl. in diesem Sinne Urteil Nutricia, C-267/13, EU:C:2014:277, Rn. 28). Daher können Erzeugnisse, die ausschließlich für zur täglichen Ernährung gehörende Nährstoffzubereitungen hergestellt werden, nicht als „Arzneiwaren, die aus zwei oder mehr zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken gemischten Bestandteilen bestehen“ im Sinne der Position 3003 der KN eingereiht werden.

36 Zudem ergibt sich aus den HS-Erläuterungen, dass Lebensmittelzubereitungen, die nur Nährstoffe enthalten, nicht als „Arzneiwaren“ in die Position 30.03 des HS, die der Position 3003 der KN entspricht, eingereiht werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil LTM, C-201/96, EU:C:1997:523, Rn. 48). Dies trifft insbesondere auf Erzeugnisse zu, bei denen es sich um eine reine Austauschnahrung handelt, die keine arzneilichen Wirkstoffe gegen Allergien enthält.

37 Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die KN dahin auszulegen ist, dass Aminosäuremischungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die für die Nahrungszubereitung für Säuglinge und Kleinkinder mit Kuhmilchproteinallergie verwendet werden, als „Lebensmittelzubereitungen“ in die Position 2106 dieser Nomenklatur einzureihen sind, soweit sie aufgrund ihrer objektiven Merkmale und Eigenschaften keine genau umschriebenen therapeutischen und prophylaktischen Eigenschaften aufweisen, deren Wirkung sich auf bestimmte Funktionen des menschlichen Organismus konzentriert, und daher nicht zur Verhütung oder Behandlung einer Krankheit oder eines Leidens angewandt werden können und auch nicht naturgemäß zu einer medizinischen Verwendung bestimmt sind; dies festzustellen ist Sache des nationalen Gerichts.

Kosten

38 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

Die Kombinierte Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1214/2007 der Kommission vom ist dahin auszulegen, dass Aminosäuremischungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die für die Nahrungszubereitung für Säuglinge und Kleinkinder mit Kuhmilchproteinallergie verwendet werden, als „Lebensmittelzubereitungen“ in die Position 2106 dieser Nomenklatur einzureihen sind, soweit sie aufgrund ihrer objektiven Merkmale und Eigenschaften keine genau umschriebenen therapeutischen und prophylaktischen Eigenschaften aufweisen, deren Wirkung sich auf bestimmte Funktionen des menschlichen Organismus konzentriert, und daher nicht zur Verhütung oder Behandlung einer Krankheit oder eines Leidens angewandt werden können und auch nicht naturgemäß zu einer medizinischen Verwendung bestimmt sind; dies festzustellen ist Sache des nationalen Gerichts.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2015:615

Fundstelle(n):
PAAAF-81516