BMF - IV A 3 - S 0550/10/10020-05 BStBl 2015 I S. 476

Insolvenzordnung; Anwendungsfragen zu § 55 Abs. 4 InsO

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt Folgendes:

I. Allgemeines

1. Durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011 wurde § 55 InsO um folgenden Absatz 4 erweitert:

„(4) Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, gelten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit.”

Diese neue Regelung ist auf alle Insolvenzverfahren anzuwenden, deren Eröffnung ab dem beantragt wurde.

II. Anwendung

II.1 Betroffene Personen

2 § 55 Abs. 4 InsO findet Anwendung auf den vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht nach § 22 Abs. 1 InsO übergegangen ist (so genannter „schwacher” vorläufiger Insolvenzverwalter). Hierbei ist es unbeachtlich, ob der schwache vorläufige Insolvenzverwalter vom Gericht mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattet wurde oder nicht. Auch ohne einen Zustimmungsvorbehalt i. S. d. § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO können entsprechende Steuerverbindlichkeiten durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter begründet werden, insbesondere wenn ihm zahlreiche Rechte durch das Insolvenzgericht eingeräumt oder Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden.

3 Für den vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 22 Abs. 1 InsO übergegangen ist (so genannter „starker” vorläufiger Insolvenzverwalter), ist § 55 Abs. 4 InsO nicht anwendbar, da insoweit sonstige Masseverbindlichkeiten bereits nach § 55 Abs. 2 InsO begründet werden.

II.2 Steuerrechtliche Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters

4 Die steuerrechtliche Stellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters wird durch die Regelung des § 55 Abs. 4 InsO nicht berührt. Der schwache vorläufige Insolvenzverwalter ist kein Vermögensverwalter i. S. d. § 34 Abs. 3 AO, so dass er während des Insolvenzeröffnungsverfahrens weder die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners zu erfüllen hat noch diese erfüllen darf.

II.3 Verbindlichkeiten/Forderungen

5 Die Vorschrift ist lediglich auf Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis anwendbar. Steuererstattungsansprüche und Steuervergütungsansprüche werden von der Vorschrift nicht erfasst. Zur Ermittlung der Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO bei der Umsatzsteuer vgl. Rz. 33 und 34.

II.4 Betroffene Steuerarten und steuerliche Nebenleistungen

6 Der Anwendungsbereich des § 55 Abs. 4 InsO erstreckt sich auf alle Steuerarten.

7 Steuerliche Nebenleistungen zu den von § 55 Abs. 4 InsO erfassten Steuerarten teilen grundsätzlich das Schicksal der Hauptforderung (z. B. Säumniszuschläge auf als Masseverbindlichkeiten zu qualifizierende Steuern aus dem Eröffnungsverfahren). Die bis zur Festsetzung gegen den Insolvenzverwalter entstandenen Säumniszuschläge auf als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO zu qualifizierende Umsatz- und Lohnsteuerforderungen (vgl. Rz. 34 und 46) sind aber nach allgemeinen Grundsätzen als Insolvenzforderungen zur Insolvenztabelle anzumelden.

8 Verspätungszuschläge, Zwangsgelder oder Verzögerungsgelder, die gegen den Insolvenzschuldner im Insolvenzeröffnungsverfahren festgesetzt worden sind, fallen nicht unter den Anwendungsbereich des § 55 Abs. 4 InsO, da diese nicht vom schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. durch seine Zustimmung begründet worden sind.

II.4.1 Umsatzsteuer
II.4.1.1 Umsatzsteuerverbindlichkeiten aufgrund ausgeführter Lieferungen und sonstiger Leistungen

9 Umsatzsteuerrechtliche Verbindlichkeiten aufgrund von Lieferungen und sonstigen Leistungen werden nach § 55 Abs. 4 InsO im Rahmen der für den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse begründet.

Eine solche rechtliche Befugnis liegt insbesondere dann vor, wenn der schwache vorläufige Insolvenzverwalter durch das Insolvenzgericht zum Forderungseinzug ausdrücklich ermächtigt wurde (vgl. BStBl 2015 II S. 506). Dabei ist auf die Entgeltvereinnahmung durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter sowie auf die Entgeltvereinnahmung durch den Schuldner mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters abzustellen.

10 Von einer Befugnis zur Entgeltvereinnahmung ist auch dann auszugehen, wenn der schwache vorläufige Insolvenzverwalter nur mit einem allgemeinen Zustimmungsvorbehalt ausgestattet wurde, denn der Drittschuldner kann schuldbefreiend nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters leisten (§ 24 Abs. 1 und § 82 InsO). Gleiches gilt, wenn der schwache vorläufige Insolvenzverwalter zur Kassenführung berechtigt ist.

11 Darüber hinaus können auch Handlungen des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters zur Entstehung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO führen (z. B. Verwertung von Anlagevermögen durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter im Rahmen einer Einzelermächtigung, sofern nicht bereits § 55 Abs. 2 InsO einschlägig ist).

12 Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten. Daher führt auch der Erhalt einer Gegenleistung, z. B. beim Tausch oder bei tauschähnlichen Umsätzen, zu einer Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO.

Unentgeltliche Wertabgaben nach Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters i. S. v. § 3 Abs. 1b und 9a UStG fallen ebenfalls in den Anwendungsbereich des § 55 Abs. 4 InsO.

II.4.1.2 Umsatzberichtigung wegen Uneinbringlichkeit aus Rechtsgründen ()

13 Aufgrund der Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative InsO), mit Recht zum Forderungseinzug (§§ 22 Abs. 2, 23 InsO) oder mit Berechtigung zur Kassenführung werden bei der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten die noch ausstehenden Entgelte für zuvor erbrachte Leistungen im Augenblick vor der Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens aus Rechtsgründen uneinbringlich. Uneinbringlich werden auch die Entgelte für die Leistungen, die der Insolvenzschuldner nach Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt, mit Recht zum Forderungseinzug oder mit Berechtigung zur Kassenführung bis zur Beendigung des Insolvenzeröffnungsverfahrens (§§ 26, 27 InsO) erbringt.

14 Maßgeblich hierfür ist nach Auffassung des BFH, dass entsprechend § 80 Abs. 1 InsO die Empfangszuständigkeit für alle Leistungen, die auf die zur Insolvenzmasse gehörenden Forderungen erbracht werden, auf den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Recht zum Forderungseinzug übergeht und dass der Insolvenzschuldner somit aus rechtlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, rechtswirksam Entgeltforderungen in seinem eigenen vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil selbst zu vereinnahmen, da sie im Rahmen der Masseverwaltung und Masseverwertung zu vereinnahmen sind und damit zum Bereich der Masseverbindlichkeiten gehören. Die rechtlichen Auswirkungen des BStBl 2011 II S. 996 werden somit auf den Zeitpunkt der Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters vorverlegt.

15 Die in den Rz. 13 und 14 dargelegten Ausführungen des BFH gelten auch bei der Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt ohne ausdrücklichem Recht zum Forderungseinzug.

16 Nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG ist der Steuerbetrag für steuerpflichtige Ausgangsleistungen des Unternehmens zu berichtigen, wenn das vereinbarte Entgelt uneinbringlich geworden ist.

Beispiel 1

Der Insolvenzschuldner hat Forderungen aus steuerpflichtigen Umsätzen, die er vor der Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters erbracht hat, in Höhe von 11.900 €. Er hat diese Umsätze zwar angemeldet, die Entrichtung des Entgelts vom Leistungsempfänger steht aber noch aus. Durch die Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters werden diese Forderungen aus rechtlichen Gründen uneinbringlich, da der Leistungsempfänger nicht mehr an den Insolvenzschuldner leisten kann. Die für diese Umsätze geschuldeten Steuerbeträge sind nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG zu berichtigen.

Beispiel 2

Nach der Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters erbringt der Insolvenzschuldner steuerpflichtige Umsätze i. H. v. 5.950 €. Diese Umsätze hat er im Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung grundsätzlich zu versteuern. Gleichzeitig sind die Steuerbeträge für diese Umsätze nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG zu berichtigen, da die Forderung aus rechtlichen Gründen uneinbringlich wird.

II.4.1.3 Forderungseinzug bei der Besteuerung nach vereinbarten und nach vereinnahmten Entgelten im vorläufigen Insolvenzverfahren

17 Im Fall der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten kommt es im Anschluss an die Uneinbringlichkeit durch die Vereinnahmung des Entgeltes gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu einer zweiten Berichtigung. Dem steht nicht entgegen, dass die erste Berichtigung aufgrund Uneinbringlichkeit und die zweite Berichtigung aufgrund nachfolgender Vereinnahmung ggf. im selben Voranmeldungs- oder Besteuerungszeitraum zusammentreffen ( BFHE 243, 451, unter II.2.d).

Beispiel 3

Von den berichtigten Umsätzen aus den vorherigen Beispielen vereinnahmt der schwache vorläufige Insolvenzverwalter 2.000 €. Durch die Vereinnahmung des Entgelts sind die darin enthaltenen Steuerbeträge für die Umsätze nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG insoweit ein zweites Mal zu berichtigen.

Diese zweite Steuerberichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG erfolgt im Gegensatz zur ersten Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG im Unternehmensteil Insolvenzmasse und führt daher zu Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO.

18 Dies gilt auch in Fällen der Vereinnahmung eines Entgelts, in denen das Entgelt bereits vor der Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters aus tatsächlichen Gründen (z. B. wegen Zahlungsunfähigkeit des Entgeltschuldners) als uneinbringlich behandelt worden ist, und der darin enthaltene Steuerbetrag nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG berichtigt wurde. Insoweit führt die aufgrund der Vereinnahmung erneut nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG durchzuführende Steuerberichtigung zur Entstehung von Masseverbindlichkeiten i. S. v. § 55 Abs. 4 InsO.

19 Im Fall der Istversteuerung führt die Vereinnahmung der Entgelte durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter im vorläufigen Insolvenzverfahren mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Entstehung von Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO (vgl. BStBl II S. 682).

II.4.1.4 Vorsteuerrückforderungsansprüche nach § 17 UStG

20 Der Vorsteuerberichtigungsanspruch aus nicht bezahlten Leistungsbezügen nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 2 UStG entsteht mit der Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt. Der Gläubiger des Insolvenzschuldners kann nämlich seinen Entgeltanspruch zumindest für die Dauer des Eröffnungsverfahrens nicht mehr durchsetzen. Entsprechende Vorsteuerrückforderungsansprüche stellen Insolvenzforderungen dar.

Der Vorsteuerabzug aus Leistungen, die der Insolvenzschuldner im Insolvenzeröffnungsverfahren bezieht, ist ebenfalls aus rechtlichen Gründen uneinbringlich und entsprechend nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 2 UStG zu berichtigen. Dies gilt sowohl bei der Besteuerung nach vereinbarten als auch nach vereinnahmten Entgelten. Da dieser Berichtigungsanspruch regelmäßig mit dem ursprünglichen Vorsteueranspruch im gleichen Voranmeldungszeitraum zusammenfällt, ergeben sich grundsätzlich keine Steueransprüche, die als Insolvenzforderungen geltend zu machen wären (vgl. analog zum Beispiel 2 in Rz. 16).

21 Durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter veranlasste Zahlungen von Entgelten aus vor oder nach seiner Bestellung bezogenen Leistungen führen zu einer zweiten Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG. Auch dies kann im selben Voranmeldungs- oder Besteuerungszeitraum zusammentreffen.

Die zweite Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG mindert den Steueranspruch und ist im Fall einer nachfolgenden Insolvenzeröffnung bei der Berechnung der sich für den Voranmeldungs- oder Besteuerungszeitraum ergebenden Masseverbindlichkeit i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO anspruchsmindernd zu berücksichtigen.

II.4.1.5 Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15a UStG

22 Ist während der vorläufigen Insolvenzverwaltung eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG durchzuführen, fällt diese in den Anwendungsbereich des § 55 Abs. 4 InsO, soweit die Änderung der Verhältnisse im Rahmen der Befugnisse des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters veranlasst wurde (z. B. Zustimmung zum Verkauf eines Grundstücks).

II.4.1.6 Verwertung von Sicherungsgut

23 Die Verwertung von Sicherungsgut begründet keine Umsatzsteuerverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO. Derartige Umsätze unterliegen weiterhin der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach § 13b Abs. 2 Nr. 2 UStG. Durch die Fiktion in § 55 Abs. 4 InsO werden diese Umsätze nicht zu Umsätzen „innerhalb” des Insolvenzverfahrens.

II.4.2 Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer

24 Werden durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter oder durch den Insolvenzschuldner mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters Ertragsteuern begründet, stellen diese nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO dar.

25 Die Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters kann aktiv (z. B. Veräußerung von Anlagevermögen mit Aufdeckung stiller Reserven) oder durch konkludentes Handeln (z. B. Tun, Dulden, Unterlassen) erfolgen. Soweit der schwache vorläufige Insolvenzverwalter der Handlung des Insolvenzschuldners widersprochen hat oder von der Tätigkeit des Insolvenzschuldners keine Kenntnis haben konnte, entstehen keine Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO.

26 Im Fall des § 55 Abs. 4 InsO erfolgt die Zuordnung in Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten durch eine zeitliche Vorverlagerung der Wirkung des eröffneten Insolvenzverfahrens auf den Zeitpunkt der Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters. In der Folge kann aber nur eine Verteilung des einheitlichen Jahresergebnisses erfolgen.

II.4.3 Lohnsteuer

27 Werden Löhne während des vorläufigen Insolvenzverfahrens an die Arbeitnehmer ausgezahlt, stellt die hierbei entstandene Lohnsteuer mit Verfahrenseröffnung eine Masseverbindlichkeit dar. Dies gilt nicht für Insolvenzgeldzahlungen; diese unterliegen als steuerfreie Einnahmen nach § 3 Nr. 2 EStG nicht dem Lohnsteuerabzug.

III. Verfahrensrechtliche Fragen

III.1 Steuererklärungspflichten

28 § 55 Abs. 4 InsO ändert nicht den rechtlichen Status des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters und lässt das Steuerrechtsverhältnis unberührt.

29 Da der schwache vorläufige Insolvenzverwalter nicht Vermögensverwalter nach § 34 Abs. 3 AO ist, hat er keine Steuererklärungspflichten für den Insolvenzschuldner zu erfüllen. Bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens obliegen dem Steuerpflichtigen die Steuererklärungspflichten auch für die Besteuerungsgrundlagen, für die § 55 Absatz 4 InsO gilt.

30 § 55 Abs. 4 InsO verlagert lediglich den Zeitpunkt der Zuordnung von Steuerverbindlichkeiten in Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Zeitpunkt der Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters vor.

III.2 Entstehung der Masseverbindlichkeiten

31 Erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelten die nach Maßgabe des § 55 Abs. 4 InsO in der vorläufigen Insolvenzverwaltung begründeten Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten.

III.3 Zuordnung und Geltendmachung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO bei der Umsatzsteuer

III.3.1 Berechnung und Verteilung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO bei der Umsatzsteuer

32 Nach den Grundsätzen der a. a. O. und BStBl 2012 II S. 298 – sind die mit Insolvenzeröffnung entstehenden selbständigen umsatzsteuerrechtlichen Unternehmensteile „Insolvenzmasse” und „vorinsolvenzrechtlicher Unternehmensteil” bei allen Umsatzsteuersachverhalten im Insolvenzverfahren zu beachten. Bei der jeweiligen Steuerberechnung der einzelnen Unternehmensteile sind nur die Umsätze und die Vorsteuern der betreffenden Unternehmensteile zu berücksichtigen. Eine Vermischung der Besteuerungsgrundlagen der einzelnen Unternehmensteile untereinander ist nicht zulässig. Daher sind nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Steuerbeträge und die Vorsteuern aller Besteuerungszeiträume des vorläufigen Insolvenzverfahrens, unabhängig davon, ob sich aus dem einzelnen Umsatzsteuervoranmeldungszeitraum insgesamt eine Zahllast oder ein Guthaben ergibt, auf die einzelnen selbständigen umsatzsteuerrechtlichen Unternehmensteile zu verteilen. Für Zwecke dieser Zuordnung gilt Folgendes:

33 Die in den betreffenden Voranmeldungszeiträumen des vorläufigen Insolvenzverfahrens von oder mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters begründeten Steuern aus Lieferungen und sonstigen Leistungen i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO (vgl. Rz. 17, 18 und 22) sind um die mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters begründeten Vorsteuerbeträge (vgl. Rz. 21) zu mindern. Nur soweit sich aus der Summe der so ermittelten Ergebnisse aller Voranmeldungszeiträume des vorläufigen Insolvenzverfahrens eine Zahllast ergibt, liegt eine Masseverbindlichkeit i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO vor.

Beispiel:

Nach den erforderlichen Berichtigungen gem. § 17 UStG (siehe insbes. Rz. 16 und 20) ergeben sich im vorläufigen Insolvenzverfahren für den Voranmeldungszeitraum 01 ein Erstattungsbetrag von 5.000 € und für die Voranmeldungszeiträume 02 und 03 jeweils eine Zahllast von 10.000 €. Die Umsätze und Vorsteuern setzen sich wie folgt zusammen:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
 
UStVA 01
UStVA 02
UStVA 03
Umsatzsteuer auf Umsätze gem. § 55 Abs. 4 InsO
3.000 €
16.000 €
13.000 €
Vorsteuern gem. § 55 Abs. 4 InsO
8.000 €
6.000 €
3.000 €
Summe
– 5.000 €
10.000 €
10.000 €

Da sich aus der Summe der so ermittelten Ergebnisse der Umsatzsteuervoranmeldungszeiträume für den Zeitraum des vorläufigen Insolvenzverfahrens eine Zahllast ergibt (–5.000 € + 10.000 € + 10.000 € = 15.000 €), liegen Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO i. H. v. 15.000 € vor.

34 Die als Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO geltenden Umsatzsteuerverbindlichkeiten (vgl. Rz. 33) sind nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die einzelnen (Vor-)Anmeldungszeiträume des Insolvenzeröffnungsverfahrens gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen (vgl. BStBl 2015 II S. 506; Rz. 36 ff.). Einwendungen hiergegen können nach den allgemeinen Grundsätzen, insbesondere im Wege des Einspruchs nach § 347 AO, geltend gemacht werden.

Beispiel

Im obigen Beispiel sind für den Umsatzsteuervoranmeldungszeitraum 01 ein Erstattungsbetrag, welcher sich aus den begründeten Steuern aus der Entgeltvereinnahmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO und den mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters begründeten Vorsteuerbeträgen ergibt, i. H. v. 5.000 € und für die Umsatzsteuervoranmeldungszeiträume 02 sowie 03 jeweils eine Masseverbindlichkeit i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO i. H. v. 10.000 € gegen den Insolvenzverwalter festzusetzten. Der Erstattungsbetrag für den Umsatzsteuervoranmeldungszeitraum 01 kann mit den Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO oder anderen Masseverbindlichkeiten verrechnet werden.

35 Nicht als Masseverbindlichkeit i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO geltend zu machende Umsatzsteuerverbindlichkeiten sind als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anzumelden. Dabei ist es zwar zulässig aber nicht erforderlich, zur Insolvenztabelle die einzelnen, ggf. vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch angemeldeten bzw. festgesetzten Umsatzsteuerforderungen aus den einzelnen Voranmeldungszeiträumen anzumelden. Ausreichend ist die Anmeldung der noch nicht getilgten Jahressteuer des Insolvenzeröffnungsjahrs für den vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil. Die jahresbezogene Saldierung nach § 16 Abs. 2 UStG stellt keine Aufrechnung i. S. v. § 96 InsO dar und geht dieser somit vor ( BStBl 2013 II S. 33).

36 Während des vorläufigen Insolvenzverfahrens hat der Unternehmer für jeden Voranmeldungszeitraum eine Umsatzsteuervoranmeldung einzureichen, die sämtliche unselbständigen Besteuerungsgrundlagen enthält.

III.3.2 Geltendmachung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO bei der Umsatzsteuer

37 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die als Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO geltenden Umsatzsteuerverbindlichkeiten (vgl. Rz. 32 und 33) für die Voranmeldungszeiträume des vorläufigen Insolvenzverfahrens gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen und bekannt zu geben. Hierbei ist es unbeachtlich, wenn für denselben Voranmeldungszeitraum bereits vor der Insolvenzeröffnung ein Vorauszahlungsbescheid vorlag, der sich gem. § 168 Satz 1 AO auch aus einer Steueranmeldung ergeben kann, die einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (vgl. BStBl 2015 II S. 506). Eventuell erfolgte Zahlungen auf die als Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO geltenden Umsatzsteuerverbindlichkeiten sind im Abrechnungsteil der Festsetzung anzurechnen.

Für die Bekanntgabe der Festsetzungen gelten die allgemeinen Grundsätze zu § 122 AO und der Nrn. 4.3, 4.4, 6.1, 13.2 und 15.1 des AEAO zu § 251.

38 Die bisher gegen den Insolvenzschuldner (vorinsolvenzrechtlicher Unternehmensteil) für die Zeiträume des vorläufigen Insolvenzverfahrens festgesetzten Umsatzsteuern sind – korrespondierend zu den Festsetzungen gegen die Insolvenzmasse – in Form einer Steuerberechnung mit anschließender (gegebenenfalls berichtigter) Tabellenanmeldung zu ändern, soweit darin unselbständige Besteuerungsgrundlagen berücksichtigt sind, die wegen § 55 Abs. 4 InsO nach Insolvenzeröffnung als Masseverbindlichkeiten dem Unternehmensteil „Insolvenzmasse” zuzurechnen sind.

39 Der Insolvenzverwalter kann seiner Mitwirkungspflicht durch die schlichte Anzeige der unter § 55 Abs. 4 InsO fallenden Besteuerungsgrundlagen oder durch die Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen entsprechen. Soweit der Insolvenzverwalter seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommt, sind die Besteuerungsgrundlagen zur Berechnung der Masseverbindlichkeiten sachgerecht zu schätzen.

40 In der Umsatzsteuerjahreserklärung sind die die Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO begründenden unselbständigen Besteuerungsgrundlagen mit den die Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 1 und ggf. § 55 Abs. 2 InsO begründenden Besteuerungsgrundlagen in der (Teil-)Umsatzsteuerjahreserklärung des Unternehmensteiles Insolvenzmasse zu berücksichtigen.

III.4 Geltendmachung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO bei Ertragsteuern

III.4.1 Bekanntgabe

41 Es gelten die allgemeinen Grundsätze zu § 122 AO und der Nrn. 4.3, 4.4, 6.1, 13.2 und 15.1 des AEAO zu § 251. Der vorläufige Insolvenzverwalter ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ist nicht Bekanntgabeadressat für Verwaltungsakte.

42 Soweit bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Steuerfestsetzung (Steueranmeldung) der nach Verfahrenseröffnung nach § 55 Abs. 4 InsO als Masseverbindlichkeiten geltenden Steuerverbindlichkeiten gegenüber dem Insolvenzschuldner erfolgt ist, wirkt diese gegenüber der Insolvenzmasse fort. Es ist keine erneute Bekanntgabe gegenüber dem Insolvenzverwalter vorzunehmen (zum Leistungsgebot vgl. Rz. 44 ff.).

43 Soweit noch keine Steuerfestsetzung der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 55 Abs. 4 InsO als Masseverbindlichkeit geltenden Steuerverbindlichkeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Insolvenzschuldner erfolgt ist, ist gegenüber dem Insolvenzverwalter die Steuer erstmalig festzusetzen.

III.4.2 Leistungsgebot

44 Die Geltendmachung der noch nicht beglichenen Masseverbindlichkeiten bei Ertragsteuern erfolgt mittels Leistungsgebot (Ausnahme für Lohnsteuern siehe III. 4.3).

45 Da § 55 Abs. 4 InsO für die tatbestandlichen Steuerverbindlichkeiten die Insolvenzmasse als „haftenden” insolvenzrechtlichen Vermögensbereich bestimmt und gegenüber diesem Vermögensbereich noch kein Leistungsgebot erfolgt ist, ist insoweit an den Insolvenzverwalter ein Leistungsgebot mit der ursprünglichen Fälligkeit und unter Aufführung der bereits entstandenen Nebenleistungen zu erlassen.

III. 4.3 Geltendmachung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO bei der Lohnsteuer

46 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die als Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO geltenden Lohnsteuerverbindlichkeiten (vgl. Rz. 27) für die Anmeldungszeiträume des vorläufigen Insolvenzverfahrens gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen und bekannt zu geben. Hierbei ist es unbeachtlich, wenn für denselben Anmeldungszeitraum bereits vor der Insolvenzeröffnung eine Lohnsteuerfestsetzung vorlag, die sich gem. § 168 Satz 1 AO auch aus einer Steueranmeldung ergeben kann, die einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (vgl. BStBl 2015 II S. 506). Eventuell erfolgte Zahlungen auf die als Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO geltenden Lohnsteuerverbindlichkeiten sind im Abrechnungsteil der Festsetzung anzurechnen.

47 Die bisher gegen den Insolvenzschuldner für die Zeiträume des vorläufigen Insolvenzverfahrens festgesetzten Lohnsteuern sind – korrespondierend zu den Festsetzungen gegen die Insolvenzmasse – in Form einer Steuerberechnung mit anschließender (gegebenenfalls berichtigter) Tabellenanmeldung zu ändern, soweit darin unselbständige Besteuerungsgrundlagen berücksichtigt sind, die wegen § 55 Abs. 4 InsO nach Insolvenzeröffnung als Masseverbindlichkeiten gelten.

48 Der Insolvenzverwalter kann seiner Mitwirkungspflicht durch die schlichte Anzeige der unter § 55 Abs. 4 InsO fallenden Besteuerungsgrundlagen oder durch die Abgabe von Lohnsteueranmeldungen entsprechen. Soweit der Insolvenzverwalter seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommt, sind die Besteuerungsgrundlagen zur Berechnung der Masseverbindlichkeiten sachgerecht zu schätzen.

III.5 Einwendungen gegen die Zuordnung als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO

49 Bei Streit über die Zuordnung anteiliger Beträge zur Insolvenzmasse kann der Insolvenzverwalter mit Verfahrenseröffnung die Rechte wahrnehmen, die dem Insolvenzschuldner zu diesem Zeitpunkt auch zugestanden hätten. Einwendungen gegen die Zuordnung können nach den allgemeinen Grundsätzen, insbesondere im Wege des Einspruchs gegen die Festsetzung bei der Umsatzsteuer sowie der Lohnsteuer und im Wege des Einspruchs gegen das Leistungsgebot bei den übrigen Ertragsteuern geltend gemacht werden.

III.6 Aufrechnung gegen Steuererstattungsansprüche

50 Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind Steuerforderungen und Steuererstattungen ohne Einschränkungen aufrechenbar, soweit die Aufrechnungsvoraussetzungen vorliegen. Der Umstand, dass bestimmte Steuerforderungen später (nach Insolvenzeröffnung) gem. § 55 Abs. 4 InsO zu Masseverbindlichkeiten werden, hindert die Aufrechnung nicht.

51 Nach Verfahrenseröffnung noch bestehende Steuererstattungsansprüche aus dem Zeitraum des Eröffnungsverfahrens sind vorbehaltlich des BStBl 2011 I S. 374, mit Insolvenzforderungen aufrechenbar.

52 Sofern § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO einer Aufrechnung mit Insolvenzforderungen entgegensteht, kann gegen diese Guthaben mit Masseverbindlichkeiten (insbesondere mit Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 4 InsO) aufgerechnet werden. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO gilt nicht für Massegläubiger, sondern nur für Insolvenzgläubiger.

IV. Anfechtung

53 Tatbestandlich ist § 55 Abs. 4 InsO im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung im Falle einer anfechtbar geleisteten Zahlung mangels bestehender Steuerverbindlichkeiten nicht erfüllt. Würde der Insolvenzverwalter nach der Insolvenzeröffnung die Anfechtung der Steuerzahlung erklären und das Finanzamt auf die Anfechtung hin zahlen, würde die ursprüngliche Steuerforderung nach § 144 Abs. 1 InsO unmittelbar, aber nunmehr als Masseforderung wieder aufleben. Das Finanzamt würde eine Zahlung leisten, die es sofort wieder zurückfordern könnte. Eine Zahlung auf den Anfechtungsanspruch kann daher wegen Rechtsmissbräuchlichkeit verweigert werden.

Dieses Schreiben tritt mit sofortiger Wirkung an die Stelle des .

BMF v. - IV A 3 - S 0550/10/10020-05


Fundstelle(n):
BStBl 2015 I Seite 476
DB 2015 S. 1317 Nr. 23
DStR 2015 S. 1247 Nr. 23
FR 2015 S. 668 Nr. 14
GmbH-StB 2015 S. 193 Nr. 7
StB 2015 S. 208 Nr. 6
UR 2015 S. 526 Nr. 13
UVR 2015 S. 231 Nr. 8
WPg 2015 S. 615 Nr. 12
XAAAE-91070