BGH Beschluss v. - 2 StR 558/13

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach Zurückverweisung bei Entscheidung über ein hinzuverbundenes Verfahren und erstmals getroffener Unterbringungsanordnung

Gesetze: § 22 StGB, § 23 StGB, § 55 Abs 1 S 2 StGB, § 64 StGB, § 67 Abs 1 StGB, § 67 Abs 2 S 2 StGB, § 67 Abs 2 S 3 StGB, § 67 Abs 5 S 1 StGB, § 177 StGB

Instanzenzug: Az: 115 KLs 14/12

Gründe

I.

1In einem ersten Urteil vom hatte das Landgericht den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und von der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen, weil eine konkrete Erfolgsaussicht nicht bestehe.

2Der Senat hat auf die Revision des Angeklagten dieses Urteil aufgehoben, soweit eine Unterbringung unterblieben war, und die Sache insoweit an das Landgericht zurückverwiesen (Beschluss vom - 2 StR 602/11).

3Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer hat ein weiteres, auf einer neuen Anklage vom basierendes Verfahren hinzuverbunden. Mit Urteil vom hat das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB angeordnet; von dem neuen Tatvorwurf hat es ihn freigesprochen. Von der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe mit einer am vom Amtsgericht Köln rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe von drei Monaten wegen einer am begangenen Tat hat das Landgericht abgesehen, weil Schuldspruch und Strafausspruch in der vorliegenden Sache mit dem Beschluss des Senats vom , mithin vor Begehung der neuen Tat, rechtskräftig geworden seien.

II.

4Die Anordnung der Maßregel gemäß § 64 StGB ist rechtsfehlerfrei; die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist insoweit unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Das Urteil war aber aufzuheben, soweit von der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe abgesehen wurde.

51. Für die Anwendbarkeit des § 55 StGB kommt es auf die letzte tatrichterliche Sachentscheidung zur Schuld- oder Straffrage an (vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 147/60, BGHSt 15, 66, 69 f.; , NStZ-RR 2010, 41; LK/Rissing-van Saan, 12. Aufl., § 55 Rn. 6 f.; Sternberg/Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 55 Rn. 6 ff.). Anders hingegen ist es bei der Vollstreckungssituation: für deren Beurteilung ist der Zeitpunkt der früheren tatrichterlichen Verurteilung maßgeblich, da dem Angeklagten der einmal erlangte Rechtsvorteil der nachträglichen Gesamtstrafenbildung durch sein Rechtsmittel nicht genommen werden soll (st. Rspr.; vgl. , StraFo 2013, 474 f.; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 55 Rn. 6a, 37, jeweils mwN).

62. Danach ist - entgegen der Ansicht des Landgerichts - für die Anwendbarkeit des § 55 StGB auf das zweite Urteil vom abzustellen.

7Hierbei handelt es sich schon deswegen um eine tatrichterliche Sachentscheidung im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB, weil das Landgericht auch über ein nachträglich hinzuverbundenes Verfahren verhandelt und - indem es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen hat - entschieden hat.

8Hinzu kommt, dass auch die Frage der Unterbringungsanordnung eine tatrichterliche Sachentscheidung, insoweit zur Straffrage, darstellt. Zwar handelt es sich dabei - isoliert betrachtet - um eine vom eigentlichen Strafausspruch getrennte Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung. Diese betrifft aber wegen der vom Tatgericht in der Folge zu prüfenden Frage, wie die Vollstreckungsreihenfolge geregelt werden soll (§ 67 Abs. 1 und 2 StGB), zwangsläufig den Strafausspruch; dies wird insbesondere in den Fällen deutlich, in denen eine Entscheidung über den Vorwegvollzug nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 5 Satz 1 StGB zu treffen ist, bei der es wegen der Orientierung am Halbstrafenzeitpunkt entscheidend auf die Dauer der (Gesamt-)Freiheitsstrafe ankommt. Insoweit, aber auch außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Sollvorschrift ist daher noch eine Entscheidung über den Strafausspruch zu fällen (vgl. Fischer aaO § 67 Rn. 9), zu der gegebenenfalls gesonderte Feststellungen (Therapiedauer) getroffen werden müssen. Solange diese Entscheidung - wie hier - noch aussteht, ist über die Straffrage gerade nicht abschließend tatrichterlich entschieden und eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung möglich.

9Insoweit ist diese Konstellation mit dem Fall vergleichbar, dass nach Aufhebung und Zurückverweisung durch das Revisionsgericht nur noch eine Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung zu treffen ist. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass es sich dabei um eine Entscheidung über die Straffrage im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB handelt, obwohl die Strafhöhe nicht mehr abänderbar ist (vgl. Senat, Beschluss vom -2 StR 147/60, BGHSt 15, 66, 70; LK/Rissing-van Saan aaO; Fischer aaO § 55 Rn. 6; Sternberg/Lieben aaO Rn. 9). Gleiches gilt für die Entscheidung über eine unterbliebene Gesamtstrafenbildung selbst (vgl. , NStZ-RR 2010, 41 mwN).

10Die Teilrechtskraft des Strafausspruchs steht dabei der Anwendung des § 55 StGB nicht entgegen, da sogar das nachrangige Beschlussverfahren gemäß § 460 StPO einen Eingriff in die Rechtskraft erlaubt (vgl. , wistra 2012, 221; vgl. auch Beschluss vom - 1 StR 212/10, BGHSt 55, 220 Rn. 35 ff.).

113. Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, nach § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO zu entscheiden. Die Kosten- und Auslagenentscheidung war dem Verfahren gemäß §§ 460, 462 StPO vorzubehalten, bei dem auch die auf UA S. 33 erwähnten, zum Urteilszeitpunkt freilich nicht rechtskräftigen weiteren Verurteilungen in den Blick zu nehmen sein werden.

Fischer                               Appl                     Schmitt

                Eschelbach                        Ott

Fundstelle(n):
IAAAE-63347