BGH Beschluss v. - V ZB 9/13

Beschwerde in einer Abschiebungshaftsache: Wirksamkeit einer in deutscher Sprache abgefassten Vollmacht des ausländischen Betroffenen für seine Verfahrensbevollmächtigten

Leitsatz

Eine in deutscher Sprache abgefasste Vollmacht des Betroffenen für seine Verfahrensbevollmächtigten ist vorbehaltlich einer erfolgreichen Anfechtung durch den Betroffenen auch dann wirksam, wenn sie nicht in die Muttersprache des Betroffenen übersetzt worden ist.

Gesetze: § 11 FamFG, § 89 Abs 2 ZPO, § 119 BGB

Instanzenzug: LG Braunschweig Az: 8 T 46/12 (019)vorgehend AG Goslar Az: 6 XIV 158

Gründe

I.

1Der Betroffene, ein Staatsangehöriger von Sri Lanka, wurde nach dem Widerruf seiner unbefristeten Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom wegen einer Reihe von Straftaten ausgewiesen. Er erhielt am Ersatzdokumente für seinen ausgelaufenen Reisepass. Die von der beteiligten Behörde erbetene Erklärung, ob er freiwillig ausreisen werde, gab er nicht ab.

2Zur Sicherung der für den vorgesehen Abschiebung hat das gegen den Betroffenen Haft von zwei Wochen Dauer, beginnend ab dem , angeordnet. Dagegen haben die zweitinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen mit am bei dem Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt und darin erklärt, sie seien gebeten worden, die Vertretung des Betroffenen zu übernehmen. Die nach der Abschiebung des Betroffenen am mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen, weiterverfolgte Beschwerde hat das Landgericht als unzulässig „abgewiesen“. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die beteiligte Behörde beantragt.

II.

3Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ist die Beschwerde des Betroffenen mangels wirksamer Bevollmächtigung seiner Verfahrensbevollmächtigten unzulässig. Die in der Beschwerdeschrift verwendete Formulierung, sie seien gebeten worden, die Vertretung zu übernehmen, wecke bereits Zweifel an einer wirksamen Bevollmächtigung. Die nachgereichte schriftliche Vollmacht vermöge die Bedenken gegen die ordnungsgemäße Bevollmächtigung nicht auszuräumen. Eine wirksame Vollmacht setze das Wissen und Wollen zur Vollmachterteilung und damit notwendigerweise voraus, dass der Betroffene verstanden habe, dass er eine Vollmacht für seine Verfahrensbevollmächtigten unterzeichne. Daran fehle es, weil die Vollmacht nicht in die Muttersprache des Betroffenen übersetzt worden sei.

III.

4Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist begründet.

51. Die Beschwerde des Betroffenen ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Anders als das Beschwerdegericht meint, fehlt es auch nicht an einer wirksamen Vollmacht.

6a) Dafür muss nicht entschieden werden, ob die Verfahrensbevollmächtigten bei Einlegung der Beschwerde eine wirksame Vollmacht hatten. Denn die vollmachtlose Einlegung eines Rechtsmittels kann nach § 11 Satz 5 FamFG i.V.m. § 89 Abs. 2 ZPO mit Rückwirkung genehmigt werden, solange das Rechtsmittel noch nicht mangels Vollmacht als unzulässig verworfen worden ist (GemSOGB, GmS-OGB 2/83, BGHZ 91, 111, 115; BGH, Beschlüsse vom - X ZB 20/83, BGHZ 92, 137, 140, vom - X ZB 11/92, BGHZ 128, 280, 283 und vom - III ZB 63/05, BGHZ 166, 117, 124 Rn. 17 sowie Senat, Beschluss vom - V ZB 24/12, WM 2013, 1223, 1225 Rn. 16). Jedenfalls eine solche Genehmigung liegt hier in der Unterzeichnung des Vollmachtsformulars durch den Betroffenen.

7b) Diese Genehmigung ist wirksam.

8aa) Unzutreffend ist schon die Erwägung des Beschwerdegerichts, dem Betroffenen habe Wissen und Willen zur Unterzeichnung einer Vollmacht gefehlt, weil das Formular nicht übersetzt worden sei. Auf die fehlende Übersetzung könnte der Betroffene selbst eine Anfechtung wegen Irrtums nicht stützen. Wer eine Willenserklärung im Bewusstsein abgibt, dass er den wirklichen Sachverhalt nicht kennt, kann seine Erklärung nicht wegen Irrtums anfechten, wenn sich seine bei Abgabe der Erklärung gehegten Mutmaßungen als unrichtig herausstellen. Seine Unkenntnis wäre nicht, wie nach § 119 Abs. 1 BGB erforderlich, unbewusst, sondern bewusst (, NJW 1951, 705; BAG, NJW 1971, 639, 640). Gerade weil er die Urkunde im Bewusstsein unterzeichnet, ihren Inhalt nicht zu kennen oder mangels Übersetzung nicht verstanden zu haben, fehlte dem Betroffenen auch nicht das Erklärungsbewusstsein. Etwas anderes kommt nur in Betracht, wenn sich der Betroffene eine bestimmte, wenn auch unzutreffende andere Vorstellung von ihrem Inhalt gemacht hätte (, NJW 1995, 190, 191). Dafür ist hier nichts ersichtlich.

9bb) Das etwaige Fehlen des Erklärungsbewusstseins führte im Übrigen nicht dazu, dass es an einer wirksamen Genehmigung fehlt. Eine ohne Erklärungsbewusstsein abgegebene Erklärung ist nicht unwirksam, sondern analog § 119 BGB anfechtbar, wenn sie sich für den Empfänger als Ausdruck eines bestimmten Rechtsfolgewillens darstellt (, NJW 1968, 2102, 2103, vom - IX ZR 66/83, BGHZ 91, 324, 329 f. und vom - IX ZR 197/88, BGHZ 109, 171, 177 sowie Senat, Beschluss vom - V ZB 37/02, BGHZ 152, 63, 70). Sie bliebe dann wirksam, bis sie angefochten wird. So liegt es hier. Die Unterzeichnung des Vollmachtsformulars durch den Betroffenen stellt sich für seine Verfahrensbevollmächtigten als Erteilung einer Verfahrensvollmacht dar.

102. Die Beschwerde ist begründet. Die Haftanordnung durfte nicht ergehen, weil der Haftantrag der beteiligten Behörde dem Betroffenen nach dem maßgeblichen Inhalt des Protokolls nicht, wie aber geboten (Senat, Beschlüsse vom - V ZB 222/09, BGHZ 184, 323, 330 f. Rn. 16 f., vom - V ZB 141/11, FGPrax 2011, 257, 258 Rn. 8 f. und vom - V ZB 48/12, juris Rn. 10), zu Beginn der Anhörung in Kopie ausgehändigt und (mündlich) übersetzt worden ist.

IV.

11Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog und § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO, die Festsetzung des Gegenstandswerts aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO.

Stresemann                        Lemke                          Schmidt-Räntsch

                    Brückner                      Weinland

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
NJW 2013 S. 8 Nr. 52
NJW 2014 S. 1242 Nr. 17
NAAAE-50666