Zweistufige Ausschlussfrist - Annahmeverzugsvergütung - Krankengeld
Gesetze: § 4 Abs 4 S 3 TVG, § 295 BGB, § 615 BGB, § 45 ArbGG, § 115 Abs 1 SGB 10, §§ 44ff SGB 5
Instanzenzug: ArbG Hagen (Westfalen) Az: 1 Ca 2809/08 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 3 Sa 671/11 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs.
2Der 1971 geborene Kläger ist seit 1992 bei der Beklagten in deren Betrieb in E als Produktionsmitarbeiter/Maschinenführer beschäftigt. Die Beklagte hat ihren Hauptsitz in O in Hessen. Sie ist Mitglied im Arbeitgeberverband Steine und Erden Hessen und Thüringen e. V. In einem mit der IG BCE abgeschlossenen Haustarifvertrag ist vereinbart, dass im Betrieb in E die jeweils gültigen tariflichen Bestimmungen der Industrie der Steine und Erden im Lande Hessen Anwendung finden. Nach der Feststellung des Landesarbeitsgerichts ist dieser Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft Individualvereinbarung anwendbar.
§ 8 des Rahmentarifvertrags für die Arbeitnehmer der Industrie der Steine und Erden im Lande Hessen vom (im Folgenden: RTV) lautet:
4Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum . Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage. In der Zeit vom bis zum beschäftigte die Beklagte den Kläger im Rahmen eines Prozessbeschäftigungsverhältnisses. Während dessen Dauer vergütete die Beklagte dem Kläger lediglich die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit einem Stundenentgelt iHv. 13,99 Euro brutto ohne Zuschläge und tarifliche Sonderleistungen. Insgesamt bezog der Kläger in diesem Zeitraum von der Beklagten 30.603,85 Euro brutto. Die Beklagte zahlte keine Entgeltfortzahlung für Feiertage und im Krankheitsfall sowie kein Urlaubsentgelt. Während der Prozessbeschäftigung erhielt der Kläger außerdem Krankengeld iHv. insgesamt 1.069,84 Euro netto.
5Mit einer der Beklagten am im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses zugestellten Klageerweiterung hat der Kläger erstmals Annahmeverzugsvergütung für die Zeit von Juli bis Dezember 2009 beansprucht. Hinsichtlich der Folgemonate bis September 2010 hat er später die Klage erweitert. Mit rechtskräftigem Teilurteil vom (- 1 Ca 2809/08 -) stellte das Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der Kündigung vom fest.
Der Kläger hat - soweit für die Revision von Interesse - zuletzt sinngemäß beantragt,
7Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Ansprüche seien verfallen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit sie in die Revisionsinstanz gelangt ist - durch Schlussurteil stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Klageabweisung hinsichtlich der Vergütung für den Zeitraum Juli bis November 2009 weiter.
Gründe
9Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Schlussurteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen.
10I. Die Beklagte schuldet dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli bis zum Vergütung wegen Annahmeverzugs gemäß §§ 615, 611 BGB. Nach einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung bedarf es zur Begründung des Annahmeverzugs keines Angebots des Arbeitnehmers (st. Rspr., zuletzt - Rn. 14 mwN, EzA BGB 2002 § 615 Nr. 36). Soweit der Kläger an der Arbeitsleistung verhindert war, stehen ihm gemäß § 3 Abs. 1 EFZG Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und gemäß § 2 Abs. 1 EFZG Feiertagsvergütung zu.
11II. Der Höhe nach beträgt der Differenzvergütungsanspruch des Klägers einschließlich des vom Arbeitsgericht bereits rechtskräftig zugesprochenen Betrags iHv. 3.914,31 Euro brutto für den gesamten Annahmeverzugszeitraum 14.651,47 Euro brutto. Hinsichtlich des Krankengeldes iHv. 1.069,84 Euro netto ist der Anspruch auf die Krankenkasse übergegangen (§ 115 Abs. 1 SGB X).
121. Das Landesarbeitsgericht hat für den Zeitraum Juli 2009 bis September 2010 einen Gesamtanspruch iHv. 45.255,32 Euro brutto errechnet. Die Berechnung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, die Beklagte erhebt insoweit auch keine Einwände mehr. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von den tariflichen Ansprüchen des Klägers ausgegangen. Die einschlägigen Tarifverträge finden nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auf das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund einer Individualvereinbarung Anwendung. Die Beklagte hat hiergegen keine Revisionsrügen, der Kläger keine Gegenrügen erhoben.
13Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht auch davon ausgegangen, dass die Beklagte einen monatlichen Zuschuss zu den vermögenswirksamen Leistungen schuldet. Die Beklagte hat ohne Zuzahlung des von ihr selbst geschuldeten Zuschusses zu den vermögenswirksamen Leistungen aus der abgerechneten Nettovergütung des Klägers die monatlichen Beiträge auf das Bausparkonto abgeführt. Mit dieser Zahlung ist der Kläger lediglich von seiner Zahlungsverpflichtung aus dem Bausparvertrag frei geworden. Er kann deshalb noch Zahlung des Arbeitgeberzuschusses als Bruttobetrag an sich selbst verlangen. Vermögenswirksame Leistungen sind Geldleistungen, die der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer anlegt; sie sind insgesamt, dh. auch soweit sie auf einem vom Arbeitgeber zusätzlich zum Lohn gezahlten Zuschuss beruhen, arbeitsrechtlich Bestandteil der Vergütung, gehören im Sinne der Sozialversicherung zum Arbeitsentgelt und steuerrechtlich zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ( - Rn. 10, BFH/NV 2012, 562; vgl. auch - zu II 2 b der Gründe, BAGE 46, 174).
142. Die Beklagte zahlte an den Kläger während des Prozessbeschäftigungsverhältnisses 30.603,85 Euro brutto, so dass ein Restbetrag von 14.651,47 Euro brutto verbleibt. Dieser Betrag verringert sich um den vom Arbeitsgericht bereits rechtskräftig zugesprochenen Betrag von 3.914,31 Euro brutto auf 11.839,23 Euro brutto.
153. Der Anspruch des Klägers ist iHv. 1.069,84 Euro netto wegen des bezogenen Krankengeldes gemäß § 115 Abs. 1 SGB X auf die Krankenkasse übergegangen. Dieser Forderungsübergang umfasst nicht die seitens der Krankenkasse abgeführten Beiträge zur Sozialversicherung (vgl. - zu B III 1 der Gründe, AP BAT § 2 SR 2y Nr. 24 = EzA BGB 2002 § 620 Nr. 1; zum Arbeitslosengeld vgl. - zu II 5 der Gründe, AP BGB § 151 Nr. 3 = EzA BGB 2002 § 615 Nr. 3). Die Krankenkasse führt die Sozialversicherungsbeiträge aufgrund einer eigenen gesetzlichen Verpflichtung ab. Sie zählen nicht zur Krankengeldleistung selbst (§§ 44 ff. SGB V) und sind deshalb keine Sozialleistung an den Arbeitnehmer iSd. § 115 SGB X, sondern eine zusätzliche Aufwendung der Krankenkasse (Gagel Anm. zu - AP KSchG 1969 § 11 Nr. 1). Ob und inwieweit die Krankenkasse gegen den Arbeitgeber einen Anspruch auf Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge hat (vgl. für Sozialleistungen im Bereich des SGB III § 335 Abs. 3 SGB III und B 7/7a AL 58/06 R - Rn. 20, SozR 4-4300 § 128 Nr. 2) ist im Streitfall unerheblich.
164. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Die Verzinsungspflicht begann nach § 187 Abs. 1 BGB einen Tag nach dem jeweiligen Eintritt der Rechtshängigkeit (vgl. - Rn. 14; - 5 AZR 365/99 - BAGE 96, 228).
17III. Die in der Revision noch streitigen Ansprüche aus dem Zeitraum vom 1. Juli bis zum sind nicht gemäß § 8 Abs. 3 RTV verfallen. Vielmehr ist diese Tarifnorm verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass mit Erhebung einer Bestandsschutzklage (Kündigungsschutz- oder Befristungskontrollklage) die davon abhängigen Ansprüche wegen Annahmeverzugs im Sinne der tariflichen Ausschlussfrist gerichtlich geltend gemacht sind.
181. Mit einer Bestandsschutzklage wahrt der Arbeitnehmer, ohne dass es einer bezifferten Geltendmachung bedarf, die erste Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist für alle vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängigen Ansprüche. Mit einer solchen Klage erstrebt der Arbeitnehmer nicht nur die Erhaltung seines Arbeitsplatzes, sondern bezweckt darüber hinaus, sich die Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs zu erhalten. Die Ansprüche müssen weder ausdrücklich bezeichnet noch beziffert werden(für die Kündigungsschutzklage ständige Rechtsprechung seit - BAGE 14, 156).
192. Zugleich macht der Arbeitnehmer mit einer Bestandsschutzklage die vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängigen Ansprüche im Sinne der zweiten Stufe einer tarifvertraglich geregelten Ausschlussfrist „gerichtlich geltend“.
20a) Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts war für die Wahrung der zweiten Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist regelmäßig die Erhebung einer bezifferten Zahlungs- oder Feststellungsklage erforderlich ( - SAE 1962, 155; - 5 AZR 403/05 - Rn. 20, BAGE 118, 60; - 9 AZR 745/08 -). Die Frist für diese Klage wurde mit Zugang des Klageabweisungsantrags beim Arbeitnehmer in Gang gesetzt, ohne dass es einer ausdrücklichen Ablehnungserklärung bedurfte ( - Rn. 36; - 5 AZR 403/05 - Rn. 18, aaO).
21b) An dieser Rechtsprechung kann nach dem - 1 BvR 1682/07 - AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 196 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 197) nicht festgehalten werden. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Arbeitnehmer in seinem Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verletzt werde, wenn das tarifliche Erfordernis einer gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen, die vom Ausgang einer Bestandsstreitigkeit abhängen, nach den bisherigen Grundsätzen des Bundesarbeitsgerichts ausgelegt und angewandt werde. Dem Arbeitnehmer werde insoweit eine übersteigerte Obliegenheit zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Ansprüche wegen Annahmeverzugs auferlegt. Die Art der Geltendmachung der Ansprüche auf Vergütung wegen Annahmeverzugs müsse dem Arbeitnehmer möglich und zumutbar sein. Das sei nicht der Fall, wenn er gezwungen werde, Ansprüche wegen Annahmeverzugs einzuklagen, bevor die Bestandsschutzstreitigkeit rechtskräftig abgeschlossen sei. Damit erhöhe sich sein Kostenrisiko im Rechtsstreit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses.
22c) Tarifvertragliche Ausschlussfristen, die eine rechtzeitige gerichtliche Geltendmachung vorsehen, sind verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die vom Erfolg einer Bestandsschutzstreitigkeit abhängigen Ansprüche bereits mit der Klage in der Bestandsstreitigkeit gerichtlich geltend gemacht sind.
23aa) Die verfassungskonforme Auslegung von Rechtsnormen gebietet, die Wertentscheidungen der Verfassung zu beachten und die Grundrechte der Beteiligten möglichst weitgehend in praktischer Konkordanz zur Geltung zu bringen ( - Rn. 16, GRUR 2011, 223; - 1 BvL 44/92, 1 BvL 48/92 - BVerfGE 95, 64; - 1 BvR 1045/89, 1 BvR 1381/90, 1 BvL 11/90 - BVerfGE 88, 145; - Rn. 27 f., AP TzBfG § 14 Nr. 82 = EzA TzBfG § 14 Nr. 77; Voßkuhle AöR 125, 177). Ist eine Norm verfassungskonform auslegbar, ist für die Annahme ihrer Unwirksamkeit mit ggf. nachfolgender ergänzender Tarifauslegung kein Raum mehr.
24bb) Die durch eine undifferenzierte tarifliche Regelung veranlasste verfassungswidrige Obliegenheit zur gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche wegen Annahmeverzugs wird vermieden, wenn in der Erhebung der Kündigungsschutz- oder Befristungskontrollklage die gerichtliche Geltendmachung der vom Ausgang dieser Bestandsschutzstreitigkeit abhängigen Ansprüche liegt.
25cc) Der Wortlaut des Tarifvertrags steht dieser verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen. Bereits zur Auslegung der zweiten Stufe einer in Allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelten Ausschlussfrist (vgl. - Rn. 31, AP BGB § 310 Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 310 Nr. 10; - 5 AZR 429/07 - Rn. 22, BAGE 126, 198) hat der Senat entschieden, dass der Wortsinn eines „Einklagens“ bzw. einer „gerichtlichen Geltendmachung“ der vom Ausgang der Bestandsschutzstreitigkeit abhängigen Ansprüche nicht zwingend verlange, dass gerade der Streitgegenstand „Vergütung“ zum Inhalt des arbeitsgerichtlichen Verfahrens gemacht werden müsse (vgl. - Rn. 31, aaO; - 5 AZR 429/07 - Rn. 22, aaO). Eine an einen engen prozessualen Begriff des Streitgegenstands anknüpfende weitere Klage verlange eine solche Klausel nicht. Hinzu kommt, dass bei der verfassungskonformen Auslegung dem Wortsinn nur eine eingrenzende Funktion zukommt. Der Umstand, dass die Tarifvertragsparteien die Formulierung in Kenntnis der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verwandt haben, steht der nunmehr verfassungsrechtlich gebotenen Neuinterpretation nicht entgegen.
26dd) Die verfassungskonforme Auslegung des Merkmals „gerichtliche Geltendmachung“ berücksichtigt in angemessener Weise den Zweck einer zweistufigen Ausschlussfrist. Ausschlussfristen bezwecken, dem Schuldner zeitnah Gewissheit darüber zu verschaffen, mit welchen Ansprüchen er noch zu rechnen hat. Zulasten des Arbeitnehmers wirkende Ausschlussfristen sollen den Arbeitgeber vor der Verfolgung unzumutbarer Ansprüche bewahren, das sind regelmäßig solche, mit deren Geltendmachung er nicht rechnet und auch nicht zu rechnen braucht (so schon RG - RAG 162/39 - ARS Bd. 38 S. 355). Erhebt der Arbeitnehmer Bestandsschutzklage, kann der Arbeitgeber an der Ernstlichkeit der Geltendmachung der hiervon abhängigen Vergütungsansprüche nicht wirklich zweifeln. Schon mit der Erhebung einer Bestandsschutzklage kann sich der Arbeitgeber auf die vom Ausgang dieser Streitigkeit abhängigen Forderungen einstellen, Beweise sichern und vorsorglich Rücklagen bilden. Ihm muss bewusst sein, dass ggf. auch über die Höhe der zu zahlenden Vergütung noch Streit entstehen kann und nicht selten auch entsteht. Dass die Ansprüche nicht in einer den Anforderungen des § 253 Abs. 2 ZPO entsprechenden Bestimmtheit geltend gemacht werden, ist - wie bei der Wahrung der ersten Stufe der Ausschlussfrist für Ansprüche, die vom Ausgang der Bestandsschutzstreitigkeit abhängen - aus verfassungsrechtlichen Gründen hinzunehmen. Überdies ist zu berücksichtigen, dass durch den Zwang zur vorzeitigen Erhebung der Klage auch der Arbeitgeber unnötigen Kostenrisiken ausgesetzt würde.
27ee) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist, um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu entsprechen, nicht auf eine Kostenbelastung des Arbeitnehmers im Einzelfall abzustellen. Maßgeblich ist nicht der Umfang der wirtschaftlichen Belastung, die den Arbeitnehmer durch den Rechtsstreit trifft, sondern der Gesichtspunkt der Risikoerweiterung. Kann der Arbeitnehmer nicht das Obsiegen in der Bestandsschutzstreitigkeit abwarten, wird ihm ein prozessuales Risiko aufgebürdet, das die Durchsetzung des gesetzlichen Bestandschutzes beeinträchtigen kann. Die Frage der Wirksamkeit und der Einhaltung der tariflichen Ausschlussfrist von einer einzelfallbezogenen Prüfung der Kostenbelastung abhängig zu machen, führte zudem zu größter Rechtsunsicherheit. Es kann deshalb nicht darauf ankommen, ob der Arbeitnehmer rechtsschutzversichert ist, Prozesskostenhilfe beanspruchen kann, ob er die - im Misserfolgsfall - unnötigen Kosten der Zahlungsklage aus eigenen Mitteln unproblematisch aufbringen oder sie durch eine strategisch günstige Antragstellung vermeiden könnte. Das Kostenrecht gilt für alle Parteien gleichermaßen, seine gesetzlichen Wertungen sind zwingend. Das erfordert zugunsten des durchschnittlich kundigen Arbeitnehmers als Tarifnormunterworfenen, der mit den Möglichkeiten einer kostengünstigen Prozessführung nicht vertraut ist, eine einheitliche Auslegung des Tarifvertrags.
28ff) Durch die verfassungskonforme Auslegung bleibt das tarifliche Erfordernis der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen, die nicht vom Ausgang einer Bestandsschutzstreitigkeit abhängig sind, erhalten. Im Übrigen wird die Entstehung einer Regelungslücke vermieden, die erst zu einer ergänzenden Auslegung berechtigen würde. Denn Voraussetzung einer ergänzenden Auslegung ist, dass entweder eine unbewusste Regelungslücke vorliegt oder nachträglich eine Regelung lückenhaft geworden ist. Hieran fehlt es bei verfassungskonformer Auslegung des Tarifvertrags.
29IV. Einer Anrufung des Großen Senats gemäß § 45 ArbGG bedarf es nicht, denn alle Senate des Bundesarbeitsgerichts sind gehindert, die frühere Auslegung zweistufiger tariflicher Ausschlussfristen aufrechtzuerhalten. Die Rechtsfrage, welche Anforderungen an die Wahrung der zweiten Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist für Ansprüche, die vom Ausgang einer Bestandschutzstreitigkeit abhängen, zu stellen sind, ist im Hinblick auf den - 1 BvR 1682/07 - AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 196 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 197) neu zu beantworten. Schon im Hinblick auf § 31 BVerfGG entfällt die Vorlagepflicht, wenn das Bundesverfassungsgericht die entscheidungserhebliche Rechtsfrage abweichend von der bisherigen Rechtsprechung selbst entschieden hat (vgl. - zu II 2 b aa der Gründe, BGHSt 46, 17; - 3 StR 527/76 - NJW 1977, 686; - IX ZR 63/10 - Rn. 30, BGHZ 189, 1). Nichts anderes gilt, wenn es den Fachgerichten aufgegeben hat, einen bestimmten rechtlichen Komplex insgesamt anhand der von ihm entwickelten Maßstäbe neu zu gestalten ( - zu II 2 b aa der Gründe, aaO; - 5 AR (VS) 1/97 - BGHSt 44, 171). Die rechtliche Grundlage der früheren Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts ist durch den - 1 BvR 1682/07 - aaO) entfallen. Deshalb fehlt es an der für eine Anrufung des Großen Senats erforderlichen Identität der Rechtslage (vgl. - Rn. 81, NZA 2012, 1029).
V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 269 Abs. 3 ZPO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
DB 2013 S. 878 Nr. 16
PAAAE-27171