Zum wirtschaftlichen Eigentum in logischer Sekunde
Leitsatz
1. Ein zivilrechtlicher Durchgangserwerb (in Gestalt einer logischen Sekunde) hat nicht zwangsläufig auch einen steuerrechtlichen Durchgangserwerb i.S. des Innehabens wirtschaftlichen Eigentums in der Person des zivilrechtlichen Durchgangserwerbers zur Folge; vielmehr ist die steuerrechtliche Zuordnung nach Maßgabe des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO zu beurteilen.
2. Für die Feststellung des wirtschaftlichen Eigentums i.S. von § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO kommt es entscheidend auf das wirtschaftlich Gewollte und das tatsächlich Bewirkte an, also auf konkrete tatsächliche Umstände; daher ist eine —nicht reale— logische Sekunde als lediglich gedankliche Hilfskonstruktion für eine solche tatsächliche Feststellung unerheblich.
Gesetze: AO § 39 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Satz 1EStG § 17 Abs. 1 Sätze 1, 4FGO § 127
Instanzenzug: (EFG 2009, 932) (Verfahrensverlauf), ,
Gründe
I.
1Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, sie wurden im Jahr 2001 (Streitjahr) gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt.
2Mit notariellem Vertrag vom veräußerte der Kläger seinen Geschäftsanteil an der TTE-GmbH im Nennbetrag von 8.800 DM an die WGB-GmbH, die nach dieser Anteilsübertragung im Besitz aller Anteile an der TTE-GmbH war und deren Stammkapital insgesamt 58.800 DM betrug. Laut Vertrag wurde der Kaufpreis in das Vermögen der WGB-GmbH zur Erhöhung der freien Kapitalrücklage eingelegt. Die Übertragung erfolgte zum gemeinen Wert der Geschäftsanteile, der, im Hinblick auf eine im Jahr 1998 erfolgte Kapitalerhöhung bei der TTE-GmbH, mit 600 % des Nominalwerts festgelegt wurde und somit 52.800 DM betrug.
3Mit notariellem Vertrag vom erwarb der Kläger einen Anteil von 7.500 DM (= 15 %) an der TTM-GmbH; Stammkapital: 50.000 DM, damals noch im Handelsregister unter dem Namen WGB-GmbH eingetragen, zum Preis von 7.500 DM. Bereits tags zuvor, am , hatten die Kläger privatschriftlich einen „Unterbeteiligungsvertrag” betreffend die (zu erwerbende) Beteiligung des Klägers an der TTM-GmbH geschlossen. Danach wurde ein atypisches „Unterbeteiligungsverhältnis” der Klägerin an dem Geschäftsanteil (15 %) des Klägers in Höhe von 5,1 % des Stammkapitals der TTM-GmbH begründet. Der auf die Unterbeteiligung entfallende Betrag (2.550 DM) wurde von der Klägerin im Dezember 1999 an den Kläger überwiesen.
4Mit notariellem Vertrag vom veräußerte der Kläger seine Beteiligung an der TTM-GmbH mit sofortiger Wirkung für 1.500.000 DM. Der Kaufpreis wurde —unter Berücksichtigung der Unterbeteiligung— in Höhe von 990.000 DM auf das Konto des Klägers und in Höhe von 510.000 DM auf das Konto der Klägerin gezahlt.
5Diesen Vorgang erfasste der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr als Veräußerungsgewinn nach § 17 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr gültigen Fassung (EStG) in Höhe von 1.492.500 DM, den er insgesamt dem Kläger zurechnete. Dem hiergegen eingelegten Einspruch der Kläger wurde mit Einspruchsentscheidung insoweit entsprochen, als unter Anerkennung des Unterbeteiligungsvertrages mit der Klägerin dem Kläger nunmehr ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 985.050 DM zugerechnet und der der Klägerin zuzurechnende Anteil (507.450 DM) nicht der Besteuerung unterworfen wurde. Das FA vertrat aber weiterhin die Ansicht, dass der Kläger in seiner Person eine wesentliche Beteiligung erworben und veräußert habe.
6Das Finanzgericht (FG) wies die Klage im hier streitigen Punkt als unbegründet ab (Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 932); denn der Kläger habe einen nach § 17 EStG zu versteuernden Veräußerungsgewinn erzielt. Der Umstand, dass der Unterbeteiligungsvertrag in demselben Moment wirksam wurde, in dem der Kläger das zivilrechtliche Eigentum an dem GmbH-Anteil erwarb, wirke sich nicht so aus, dass der im Wege der Unterbeteiligung auf die Klägerin entfallende Teilanteil steuerrechtlich unmittelbar, also ohne Berücksichtigung des dinglichen Erwerbs beim Kläger, der Klägerin als wirtschaftlicher Eigentümerin zuzurechnen wäre. Vielmehr folge die steuerrechtliche Zuordnung grundsätzlich der zivilrechtlichen Zuordnung (§ 39 Abs. 1 der Abgabenordnung —AO—); daher gehe mit dem Erwerb des dinglichen Eigentums beim Kläger auch der Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums —wie beim sog. Durchgangserwerb für eine logische Sekunde— einher, welches der Kläger erst aus dieser Rechtsposition heraus in dem der Unterbeteiligung entsprechenden Umfang der Klägerin verschaffen konnte.
7Dagegen richtet sich die Revision der Kläger, mit der sie die Verletzung materiellen und formellen Rechts rügen (§ 17 Abs. 1 EStG, § 39 Abs. 1, 2 AO, § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO— i.V.m. Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes). Sie sind der Ansicht, der Kläger habe keine wesentliche Beteiligung veräußert. Vor Erwerb des 15 %igen GmbH-Geschäftsanteils sei das Unterbeteiligungsverhältnis mit der Klägerin geschlossen worden, so dass er zu keinem Zeitpunkt zu 10 % oder mehr am Stammkapital der TTM-GmbH beteiligt gewesen sei. Das FG lasse die gegenüber der zivilrechtlichen Rechtslage vorrangigen Zurechnungsgrundsätze des wirtschaftlichen Eigentums (§ 39 Abs. 2 AO) außer Acht. Daher komme es auf die Rechtsfigur des sog. Durchgangserwerbs bzw. der logischen Sekunde nicht an.
8Darüber hinaus rügen die Kläger mit der Verletzung der Sachaufklärungspflicht (Amtsermittlungsmaxime) und des rechtlichen Gehörs (Überraschungsentscheidung) Verfahrensfehler.
9Die Kläger beantragen (sinngemäß),
unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung des Beklagten vom die Einkommensteuer für 2001 unter Abänderung des letzten Einkommensteuerbescheids vom ohne Ansatz des Veräußerungsgewinnes nach § 17 EStG festzusetzen.
10Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
11Das FA ist der Ansicht, dass die gerügte Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht vorliege. Denn das FG sei aufgrund der Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu dem Ergebnis gelangt, dass „mit dem Erwerb des dinglichen Eigentums beim Kläger auch der Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums einherging”. Anders als die Klägerin habe der Kläger allein entscheidenden Einfluss auf die TTM-GmbH selbst sowie seine Beziehungen zu dieser gehabt. Die Frage des Durchgangserwerbs bzw. der juristischen Sekunde könne dahingestellt bleiben, denn das FG habe gerade nicht nur und ausschließlich auf die zivilrechtliche Abwicklung der Vorgänge abgestellt, sondern aus den Gesamtumständen auch auf eine wirtschaftliche Anteils-Übertragung geschlossen. Die geltend gemachten Verfahrensrügen seien nicht gegeben. Das FG habe die entscheidungsrelevanten Tatsachen vollständig unter Berücksichtigung der vorliegenden Vertragsunterlagen ermittelt; wegen der ausführlichen Erörterung der Streitsache sei auch eine Überraschungsentscheidung nicht gegeben.
12Während des Revisionsverfahrens hat das FA gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO einen (weiteren) geänderten Einkommensteuerbescheid vom erlassen.
II.
13Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO) durch Stattgabe der Klage. Das FG hat den Gewinn aus der Veräußerung des Geschäftsanteils des Klägers an der TTM-GmbH zu Unrecht der Besteuerung unterworfen.
141. Die Revision ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen begründet; die Vorentscheidung ist daher aufzuheben. Sie hat über den Einkommensteuerbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom entschieden. Während des Revisionsverfahrens ist am ein (weiterer) geänderter Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr ergangen. Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr wirksamer Bescheid zugrunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil keinen Bestand haben kann (, BFHE 203, 143, BStBl II 2004, 10; vom IX R 55/03, BFH/NV 2004, 656; vom IX R 44/01, BFH/NV 2005, 188, unter II.2.).
15Der Senat entscheidet nach §§ 100, 121 FGO auf der Grundlage der bestehen bleibenden tatsächlichen Feststellungen des FG gleichwohl in der Sache (vgl. , BFHE 163, 218, BStBl II 1991, 556; vom IV R 71/00, BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43). Der Änderungsbescheid enthält hinsichtlich der streitigen Punkte keine Änderungen; der Senat sieht daher wegen Spruchreife der Sache (nachstehend unter 3.) von einer Zurückverweisung nach § 127 FGO ab (vgl. BFH-Urteile in BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43; in BFH/NV 2005, 188, unter II.3.; vom I R 56/08, BFHE 228, 356, BStBl II 2010, 492, unter B.II.).
162. Die Revision ist auch in der Sache begründet.
17a) Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt war und er die Beteiligung in seinem Privatvermögen gehalten hat. Anteile an einer Kapitalgesellschaft sind u.a. Anteile an einer GmbH oder ähnliche Beteiligungen (§ 17 Abs. 1 Satz 3 EStG). Als ähnliche Beteiligung kommt auch eine atypische (stille) Unterbeteiligung in Betracht (vgl. Blümich/Ebling, EStG, § 17 Rz 96; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 29. Aufl., § 17 Rz 51; s. auch , BFHE 192, 273, BStBl II 2000, 686, unter II.2.a; vom IX R 61/05, BFH/NV 2008, 2004, unter II.2.a,b).
18Eine solche —mangels unmittelbarer Abtretungsverpflichtung (z.B. Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 15 Rz 32; Ebbing in Michalski, GmbHG, 2. Aufl., § 15 Rz 59, m.w.N.) nicht formbedürftige— zivilrechtlich wirksame Unterbeteiligung wurde von der Klägerin als Unterbeteiligte am TTM-GmbH-Anteil des Klägers gehalten (zur Beurteilung einer Anteilsveräußerung i.S. des § 17 EStG unter nahen Angehörigen: , BFH/NV 2010, 623, unter II.2.a). Sie ist auch —so die bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO)— nach ihrem Inhalt und tatsächlichem Vollzug unstreitig steuerrechtlich anerkannt.
19b) Eine wesentliche Beteiligung ist gegeben, wenn der Veräußerer an der Gesellschaft zu mindestens 10 % unmittelbar oder mittelbar beteiligt war (§ 17 Abs. 1 Satz 4 EStG). Die Anteilshöhe einer wesentlichen Beteiligung bestimmt sich nach der im Zeitpunkt der Veräußerung geltenden Gesetzeslage (s. , BFH/NV 2005, 540; , BFHE 223, 145, BStBl II 2009, 140, unter II.2.).
20Auch ein nur kurzfristiges Innehaben der wesentlichen Beteiligung in Gestalt eines Durchgangs-Erwerbs oder einer sog. logischen Sekunde kann u.U. ausreichen (s. , BFHE 169, 49, BStBl II 1993, 331, und VIII R 56/88, BFH/NV 1993, 25; vom VIII R 33/94, BFHE 178, 197, BStBl II 1995, 870; vom VIII R 34/01, BFHE 210, 247, BStBl II 2005, 857, unter II.1.c cc; Blümich/Ebling, § 17 EStG Rz 94, 109; Eilers/ R. Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 17 EStG Rz 110; Frotscher, EStG, § 17 Rz 94; Schneider in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG § 17 Rz B 146; a.A. zur logischen Sekunde: Jäschke in Lademann, EStG, § 17 Rz 84; Crezelius, Der Betrieb 2003, 230, 234). Unbeschadet der im Zivilrecht zum sog. Durchgangs- oder Direkterwerb, z.B. bei Vorausabtretungen, vertretenen Ansichten (z.B. Palandt/Ellenberger/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 70. Aufl., § 185 Rz 11, § 398 Rz 12; Westermann in Erman, BGB, 12. Aufl., § 398 Rz 12; BFH-Urteil in BFHE 178, 197, BStBl II 1995, 870, unter II.1.a dd, m.w.N.) folgt die steuerrechtliche der zivilrechtlichen Zurechnung (§ 39 Abs. 1 AO) allerdings nur dann, wenn die Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht erfüllt sind (so BFH-Urteile in BFHE 169, 49, BStBl II 1993, 331; in BFH/NV 1993, 25; in BFHE 178, 197, BStBl II 1995, 870, und in BFHE 210, 247, BStBl II 2005, 857). Deshalb hat ein zivilrechtlicher Durchgangserwerb nicht zwingend auch einen steuerrechtlichen Durchgangserwerb in Gestalt des Innehabens wirtschaftlichen Eigentums in der Person des zivilrechtlichen Durchgangserwerbers zur Folge; vielmehr ist die steuerrechtliche Frage nach Maßgabe des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO zu beurteilen.
21c) Eine Veräußerung i.S. von § 17 EStG wird mit der entgeltlichen Übertragung des (zivilrechtlichen oder wirtschaftlichen) Eigentums durch den Veräußerer auf den Erwerber verwirklicht (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFHE 209, 285, BStBl II 2005, 398; vom IX R 73/06, BFHE 223, 145, BStBl II 2009, 140, unter II.2.). Notwendige und hinreichende Voraussetzung für die Zurechnung einer (weiterveräußerten) Beteiligung i.S. des § 17 EStG ist das (zumindest) wirtschaftliche Eigentum (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2008, 2004; vom VIII R 26/01, BFHE 205, 204, BStBl II 2004, 651, m.w.N.). Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO ist die Rechtsstellung des wirtschaftlichen Eigentümers dadurch gekennzeichnet, dass er den zivilrechtlichen Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann. Ihm muss also auch der wirtschaftliche Erfolg aus der (hier: Weiter-)Veräußerung gebühren (vgl. BFH-Urteile in BFHE 169, 49, BStBl II 1993, 331, unter 1.; in BFHE 178, 197, BStBl II 1995, 870, unter II.1.a ee, und in BFHE 210, 247, BStBl II 2005, 857, unter II.1.c cc). Gleiches gilt auch im Fall der Unterbeteiligung an einer Kapitalgesellschaft (BFH-Urteil in BFHE 210, 247, BStBl II 2005, 857, unter II.1.b bb).
22Das wirtschaftliche Eigentum an einem Kapitalgesellschaftsanteil geht auf einen Erwerber über (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO), wenn der Käufer des Anteils (1) aufgrund eines (bürgerlich-rechtlichen) Rechtsgeschäfts bereits eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und (2) die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen (Verwaltungs- und Vermögens-)Rechte (insbesondere Gewinnbezugsrecht und Stimmrecht) sowie (3) Risiko und Chance von Wertveränderungen auf ihn übergegangen sind (vgl. , BFHE 214, 326, BStBl II 2007, 296, m.w.N.; in BFHE 223, 145, BStBl II 2009, 140, unter II.2.). Ein an einem Kapitalgesellschaftsanteil (hier: GmbH-Anteil) Unterbeteiligter ist danach nur dann wirtschaftlicher Eigentümer, wenn er nach dem Inhalt der getroffenen Abrede alle mit der Beteiligung verbundenen wesentlichen Rechte (Vermögens- und Verwaltungsrechte, insbesondere Gewinnbezugs- und Stimmrecht) ausüben und im Konfliktfall effektiv durchsetzen kann (vgl. BFH-Urteile in BFHE 210, 247, BStBl II 2005, 857; vom VIII R 11/02, BFHE 211, 277, BStBl II 2006, 253; in BFH/NV 2008, 2004).
23Der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums ist nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen. Eine von der zivilrechtlichen Inhaberstellung abweichende Zuordnung eines Wirtschaftsguts kann deshalb auch anzunehmen sein, wenn die vorstehend genannten Voraussetzungen nicht in vollem Umfang erfüllt sind. Demgemäß ist auch bei der Bestimmung des wirtschaftlichen Eigentums nicht das formal Erklärte oder formal-rechtlich Vereinbarte, sondern das wirtschaftlich Gewollte und das tatsächlich Bewirkte ausschlaggebend (vgl. BFH-Urteile in BFHE 214, 326, BStBl II 2007, 296; in BFHE 223, 145, BStBl II 2009, 140, unter II.2., m.w.N.).
243. Diesen Grundsätzen entspricht die Vorentscheidung nicht; sie ist daher aufzuheben. Denn der Kläger hatte zu keinem Zeitpunkt das wirtschaftliche Eigentum an dem hier maßgeblichen (Teil seines) GmbH-Anteil (5,1 %) inne, vielmehr stand das wirtschaftliche Eigentum daran mit dem Erwerb durch den Kläger direkt der Klägerin zu. Die Sache ist spruchreif; der Klage ist stattzugeben. Der Kläger war innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der TTM-GmbH nicht wesentlich i.S. des § 17 Abs. 1 EStG beteiligt, so dass der Gewinn aus der Veräußerung seines (gesamten) GmbH-Anteils nicht der Besteuerung unterliegt.
25Nach den tatsächlichen und den Senat bindenden Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) ist zum einen aufgrund des zwischen dem Kläger (als Gesellschafter der TTM-GmbH) und der Klägerin (als Unterbeteiligte) geschlossenen privatschriftlichen Unterbeteiligungsvertrages „nach (dessen) Inhalt und Vollzug” eine „wirtschaftliche Inhaberstellung der Klägerin” in Höhe von 5,1 % am GmbH-Anteil des Klägers unstreitig begründet worden. Zum anderen hat dieser Unterbeteiligungsvertrag —nach Ablauf der logischen Sekunde— „unstreitig dazu geführt, dass das wirtschaftliche Eigentum an 5,1 % des (GmbH-)Anteils (des Klägers) auf die Klägerin übergegangen ist”.
26Dem Kläger stand —entgegen der Ansicht von FA und FG— nach Maßgabe der unter 2.b) und 2.c) dargestellten Grundsätze im Zeitpunkt des Erwerbs des GmbH-Anteils (15 %) auch das wirtschaftliche Eigentum an dem der Klägerin übertragenen Teil-GmbH-Anteil (5,1 %) nicht zu. Denn unbeschadet eines möglichen zivilrechtlichen Durchgangserwerbs war der Kläger zu keinem Zeitpunkt —auch nicht für eine logische Sekunde— wirtschaftlicher Inhaber der (Unter-)Beteiligung. Die logische Sekunde ist nur eine gedankliche Hilfskonstruktion zur Prioritätsbestimmung (für gleichzeitig stattfindende Vorgänge) und kein realer Zeitpunkt oder Zeitabschnitt - allenfalls von der Größe Null (vgl. im Einzelnen zur logischen Sekunde: Wieacker, in Festschrift für Erik Wolf, 1962, S. 421 ff.; Bowler, in Festgabe „Von der Stimme aus den Wolken zum Bundesgesetzblatt”, Bundesanzeiger, 1983, Beilage 145a, S. 85 ff.; Marotzke, Archiv für die civilistische Praxis 191 (1991), S. 177 ff.). Kommt es aber —wie im Einkommensteuerrecht— entscheidend auf das wirtschaftlich Gewollte und das tatsächlich Bewirkte an, also auf konkrete tatsächliche Umstände, so ist eine —nicht reale— logische Sekunde für die Feststellung wirtschaftlichen Eigentums unerheblich.
27Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG hatte der Kläger hinsichtlich des GmbH-Anteils in Höhe der Unterbeteiligung (5,1 %) keine rechtlich geschützte, auf Erwerb gerichtete und gegen seinen Willen nicht mehr entziehbare Rechtsposition erworben; auch konnte er die mit diesem Teil-Anteil verbundenen Rechte, Chancen und Risiken mangels tatsächlicher Einwirkungsmöglichkeiten weder wahrnehmen noch durchsetzen. Insbesondere gebührte ihm auch nicht der wirtschaftliche Erfolg aus der Weiterveräußerung; dieser stand, wie auch das Ergebnis der bisherigen Besteuerung zeigt, allein der Klägerin als Unterbeteiligte zu. Allein sie konnte nicht nur nach dem Inhalt der getroffenen Abrede, sondern auch tatsächlich —mit Wirkung ab dem Erwerb durch den Kläger— alle mit der (Unter-)Beteiligung verbundenen wesentlichen Rechte ausüben und im Konfliktfall effektiv durchsetzen. Daher wirkte sich der mit der Klägerin vorab geschlossene privatschriftliche Vertrag in Höhe der vereinbarten Unterbeteiligung von vornherein auf den Erwerb des GmbH-Anteils des Klägers aus, zumal die Klägerin mit dem Erwerb des zivilrechtlichen Eigentums durch den Kläger nach den Feststellungen des FG unstreitig wirtschaftliche Eigentümerin geworden war. Auf die im Vorfeld des Anteils-Erwerbs vom Kläger entwickelten Tätigkeiten (Vertragsverhandlungen, Erwerbsentscheidung etc.) kommt es im Rahmen des § 17 EStG nicht an.
284. Der Senat weicht nicht von den BFH-Urteilen in BFHE 169, 49, BStBl II 1993, 331, in BFH/NV 1993, 25, und in BFHE 178, 197, BStBl II 1995, 870 ab. Denn nach den maßgebenden, diesen Entscheidungen zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen lagen die Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht vor (so insbesondere BFH-Urteile in BFHE 169, 49, BStBl II 1993, 331, und in BFH/NV 1993, 25). Zudem traf anders als in den dortigen Fällen im Streitfall der wirtschaftliche Erfolg tatsächlich und nach dem Inhalt der getroffenen Unterbeteiligungsabrede nicht den Kläger als hauptbeteiligten GmbH-Gesellschafter, sondern die Klägerin als wirtschaftlich Unterbeteiligte.
29Soweit der zweite Leitsatz des BFH-Urteils in BFHE 178, 197, BStBl II 1995, 870 in seiner generalisierenden Aussage („Die Vorausverfügung über ein Vollrecht durch einen Nichtberechtigten i.S. von § 185 Abs. 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs führt sowohl zivil- als auch steuerrechtlich zu einem zur Begründung einer wesentlichen Beteiligung ausreichenden Durchgangserwerb für eine sog. juristische Sekunde”) eine überschießende Tendenz enthält, ist dies der Tatsache geschuldet, dass der BFH in diesem Fall aufgrund des Sachverhalts vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO in der Person des zivilrechtlichen Durchgangserwerbers ausgegangen ist.
30Da die Revision schon aus materiell-rechtlichen Gründen Erfolg hat, war auf die geltend gemachten Verfahrensrügen nicht mehr einzugehen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2011 II Seite 540
AO-StB 2011 S. 135 Nr. 5
BFH/NV 2011 S. 880 Nr. 5
BFH/PR 2011 S. 237 Nr. 6
BStBl II 2011 S. 540 Nr. 11
DB 2011 S. 6 Nr. 15
DB 2011 S. 850 Nr. 15
DStR 2011 S. 710 Nr. 15
DStRE 2011 S. 527 Nr. 8
DStZ 2011 S. 338 Nr. 10
DStZ 2011 S. 6 Nr. 15
EStB 2011 S. 173 Nr. 5
FR 2011 S. 529 Nr. 11
GmbHR 2011 S. 553 Nr. 10
HFR 2011 S. 645 Nr. 6
KÖSDI 2011 S. 17415 Nr. 5
NJW 2011 S. 3118 Nr. 42
NWB-Eilnachricht Nr. 16/2011 S. 1306
StB 2011 S. 141 Nr. 5
StBW 2011 S. 396 Nr. 9
StuB-Bilanzreport Nr. 9/2011 S. 351
WPg 2011 S. 533 Nr. 11
EAAAD-80477